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Der Marxnhans

Auf dem Grabstein aus rotem Untersberger Marmor hat der Vater ein Kreuz aus Eisen geschmiedet, kunstvoll und schlicht, und ein paar Vögel hat er eingearbeitet, sie singen mit weitgeöffnetem Schnabel. „Marxn-Familie“ hat er darunter ins Eisenblech gestanzt in seiner typischen Schrift. Im Sturmwind versuche ich, eine Kerze anzuzünden, für ihn und alle, die mal waren auf unserem Hof.

Und dann hör ich es , es klingt in meinen Ohren, seit Jahren hatte ich es vergessen, dieses „Wischperl“, das mein Vater immer auf den Lippen hatte, so eine Art geflüstertes Vorsichhinpfeifen, ein „Wischpeln“ halt. Meistens war es ein neuer Landler oder Walzer, den er sich so oft auf Platte oder Cassette anhörte, bis er ihn pfeifen konnte, dann nämlich konnte er ihn auch über kurz oder lang auf der Ziehharmonika spielen.

Mein Vater war ein Ziacherer. Er selbst hat sich nie so bezeichnet, weil er viel zu bescheiden war , um sich die für diese Bezeichnung seiner Ansicht nach nötige Virtuosität und Perfektion zuzuschreiben. Er habe sich das Ziachspielen ja selber beigebracht, Lehrer gab es keine damals und Noten auch nicht, aber die hätte er ja eh nicht lesen können. Ich spiel´ eigentlich nur für mich, weil´s mich halt freut, hat er immer gesagt.  Gelernt hat er auf einer alten Chromatischen, die hat aber dann schon schwer geschnauft, die Knöpfe haben geklappert und ein paar blieben manchmal hängen. Irgendwann eines Tages kam von irgendwoher verbilligt ein Akkordeon und der Vater spielte sich durch das ganze Repertoire der Schlager, die man halt für Geburtstage und Gartenfeste so braucht … von La Paloma über den Affenrock, den Pferdehalfter an der Wand, das alte Haus von Rocky Docky und natürlich mit Gesang „der alte Schimmel ist im Himmel“ … Aber diese Zeit ging vorüber, er konnte sich mit den Tasten nie so ganz anfreunden. Im Lauf der Jahre kamen alle möglichen meist etwas ramponierten Instrumente zu uns und wurden bespielt nach mehr oder weniger fachmännischer Reparatur. Niemals mehr werden Tangos so wunderbar schräg und verwegen klingen wie die vom Papa, gespielt auf Bandoneon und Konzertina, aus denen Töne hervorpfiffen, mit denen niemand rechnen konnte, weil sie dem Nichts im Inneren der geklebten Blasebälger entsprangen, unvermittelt  und querliegend zur gängigen Melodie …

Auch ein Harmonium tauchte auf, das aber trotz heftigen Tretens nur schweratmig schnaufte und keinen Ton entließ.

Irgendwann in seinem Leben war es soweit, der Vater hatte soviel Geld zusammen, daß er nach Graz fahren konnte um sich dort endlich seinen Traum zu erfüllen und eine diatonische Steirer Ziehharmonika zu kaufen. Viele Jahre hörte er sich tagsüber in seiner Schmiedewerkstatt die Musikstücke an, die er sich dann nach der Arbeit, meist noch im Arbeitsgewand in der Stube  auf der Zugharmonie beibrachte, oft war er so versunken, daß er gar nicht merkte, daß es darüber dunkel geworden war …

Wenn Leute ihn fragten, wie das denn möglich sei, sich ohne Noten alles selbst beibringen zu können, dann sagte er stets: ja mei, wennst ein Gehör hast, dann ist das kein Kunststück, Du brauchst ja nur hinhören und dann mußt halt fleissig sein und üben. Das einzige Problem bei der Sache ist immer, ob ich´s mir dermerken kann …

Ja, er hatte dieses  „Gehör“, vielleicht nicht direkt das absolute, aber doch ein ganz besonderes. Er konnte einfach alles nachpfeifen und nachspielen, nachsingen und ich glaube, bei entsprechender Förderung wäre er ein Multiinstrumentalist und Musiker geworden. So blieb er einer, der nur so virtuos sein konnte, wie er imstande war, sich die Lieder zu merken. Manchmal , wenn ich heimkam, dann sagte er: Ich hab ein neues Stückl, das mußt du dir anhören, das wird dir gfalln! Und meist war es dann eines mit diesen tiefen, schnarrenden Bässen, die ich so gerne mochte. Und während er spielte, hat er gelächelt und dann sagte er: schön, gell! Und seine klitzeblauen Augen glänzten, wie sie das nur bei Menschen tun, denen die Musik eine Herzensangelegenheit ist.

Wenn er irgendwo bei Freunden eingeladen wurde, verstaute er „für alle Fälle“ die Ziehharmonika im Kofferraum. Gesagt hat er nie was, aber wenn er dann im Lauf des Abends ein paarmal gefragt wurde: Hans, hast Du die Musi dabei?, dann holte er sie und spielte auf.

Ach Papa, sage ich da am Grab, wir hatten es nicht immer leicht , weil wir so verschieden waren oder womöglich so ähnlich, ich weiß es nicht mehr … wir mussten uns sehr plagen miteinander und daß wir uns so sehr liebhatten, machte nichts einfacher. Für mich bist Du der beste Ziacherer gewesen, und im ganzen Internet hab ich keinen gefunden, der den „Gföller Marsch“ so gut spielt wie Du und ich bin so dankbar für „das Gehör“, das Du mir geschenkt hast und schon wieder fällt mir das Stückl nicht ein, weißt Du, das mit diesen schnarrenden Bässen, das ich so gern mag, schad, daß du jetzt nicht die Musi in der Stube  unter der Bank rausziehen kannst und mir vorspielst. Ich habe herumgesucht und nur einen gefunden, der annähernd so gespielt hat wie Du , der Schneider Willi, Du hast ihn sehr geschätzt, gell! Es gibt nur dieses einzige alte Video von ihm, vor ein paar Jahren ist er gestorben.

Nicht nur der eiskalte Sturmwind treibt mir die Tränen in die Augen am Grab. Was ist, wenn nichts mehr ist … was ist mir denn geblieben von meinem Papa, dem Marxn Hans?

Ich höre ihn spielen.

Einen besonderen Dank an den lieben Riffmaster, der in seinem Sammelsurium der Wunder eine Zeitung über Akkordeon präsentierte und mich mich in die Erinnerung an meinen Vater, den Ziacherer, führte!

Amoi … Sowieso … !

Du bist gegangen.

Für immer.

Und mein Herz ist schwer.

Wir hatten die gleichen Hände, große, warme und trockene Arbeitshände. Früher als Kinder, brauchten wir uns nur anzuschauen, dann haben wir uns verstanden und wir spürten eine Verbindung, die über die Verwandtschaft im selben Clan hinausging. Weißt Du noch, als wir davon träumten, ein Floß zu bauen, mit einer Seeräuberflagge darauf? Aber Du warst 13 und ich schon 16 Jahre alt, aus diesem Vorhaben wurde nichts mehr, und weißt Du, Joe, der Weiher wäre eh viel zu klein gewesen für das große Floß!

Als wir älter wurden, haben wir uns viel erzählt, nächtelang und es gab dann auch ein paar Geheimnisse, nie haben wir zu jemandem darüber gesprochen, nicht wahr, Joe?

Dann kamen diese langen Jahre, die wie im Flug vergingen … viel Arbeit, Familie … keine ZeitkeineZeitkeineZeit … sag mal, warum nur bleibt immer so wenig Zeit für Menschen, die man liebhat? Nur ganz selten trafen wir uns, Du warst sehr seßhaft und sehr fleissig und sehr wortkarg geworden … aber manchmal haben wir wie damals als Kinder in unseren Augen gelesen und sahen die unerzählten Geschichten und auch unsere Geheimnisse .

Vor etlichen Jahren trafen wir uns an einem offenen Grab und als alles vorüber war, da standen wir alleine am Parkplatz vor Deinem Auto und wir haben solange geredet, bis es Nacht war und so kalt, daß wir uns umarmen mussten, um nicht zu erfrieren, weißt Du noch, Joe, ich sagte Dir, daß wir uns jetzt sagen müssen, was wir im Herzen füreinander empfinden, denn das Leben ist so flüchtig und alles kann so schnell vorbei sein und dann ist es zu spät.

Vor zwei Jahren haben wir uns das letzte Mal gesehen und ich habe es  gespürt, daß Du so voll mit Kummer warst, daß es Dich schier zerrissen hat … aber ich weiß nicht warum, Du warst schon kurz davor, darüber zu sprechen, aber es ging dann doch nicht, die Chance war vertan und kam nie wieder. Dann bist Du so sehr krank geworden.

Du hast mich nicht gerufen und ich bin nicht zu Dir gekommen, ich hab mich nicht getraut, wollte Dich nicht beschämen in Deiner Ehre mit diesem zerfallenden und vergehenden Körper … und jetzt sehe ich auf dieses Ende unserer Geschichte und weine darüber, daß nur diese wortlose Hilflosigkeit von uns übriggeblieben ist, lieber Herzensfreund, der Du mir warst und immer sein wirst in der weiten und fernen Nähe.

Ich lasse meine Liebe zu Dir schweben, möge sie Dich begleiten auf dem Weg … Dich wärmen, wenn Du frierst und Dich kühlen, wenn Du brennst, und Dich am Tor zur ewigen Freiheit mit einem Lächeln  Deiner neuen Bestimmung übergeben …

Es wird immer ein Licht für Dich leuchten in meinem Herzen …und … vielleicht sehn wir uns ja mal wieder, bis dahin : „Servus, Joe,  mach´s guat!“ Und Du sagst doch jetzt: „Sowieso!“ oder?

Fallwind…

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Die alte Katze Mimi geht hinter mir im Haus die Stiege runter. Sie ist sehr schwach geworden in den letzten Tagen und das bisschen Kraft, das sie noch hat, verschwendet  sie nicht dafür, zu essen oder sich zu waschen, sondern, um jetzt zur Haustüre hinauszukommen, in die Sonne.

Als ich mich umdrehe, schaut sie mir lange in die Augen und ich sehe in die dunkle Unendlichkeit des Universums. Uferlose Weite im Blick eines Wesens, das sich anschickt zu sterben.

Am Abend wankt sie  mit letzter Kraft ins Haus und bleibt liegen, wo ich sie hinbette.

Heute trage ich sie auf den Balkon, da liegt sie in der Sonne, wie so oft in ihrem Leben.

Gnadenloser Föhn , warmer Fallwind, weht sanft ums Hauseck und sorgt dafür, wie unter einem Vergrößerungsglas die Dinge des Lebens neu zu betrachten und mit Wehmut erkennen zu müssen, daß manch ein Traum längst weggeflogen ist und manch eine Wahrheit brüchig wird, wenn ich genauer hinsehe.

Dieser blöde Föhn, immer wieder kehrt er mir das Innerste nach außen und besteht  darauf, genauer, noch viel genauer hinzusehen, was wirklich zählt.

Manch eine hinausgeschobene Entscheidung will endlich getroffen werden, um sich von Vergangenenem zu lösen und Freiheit für die Zukunft zu bekommen.

Welche alten Verbindungen halten noch…gibt es neue, die schon halten?

Was bleibt übrig?

Die Berge verringern dramatisch ihren Abstand, rücken näher, färben sich nachtblau am hellichten Tag, der Himmel steht in Flammen…

Letztendlich bleibt nur die Erkenntnis übrig, daß ich umso reicher werde, je mehr ich verschenke, daß nur das bleibt, was ich loslasse, und daß Liebe dann entsteht, wenn ich liebe…so einfach ist es.

Warum, frage ich mich, kommen seit Jahren alle Katzen zu mir und wollen in meiner Nähe bleiben, wenn es zum Sterben ist? Wilde werden plötzlich zahm und Katzen, die normalerweise nie so unhöflich wären, jemand lange in die Augen zu schauen, suchen meinen Blick und dann sprechen sie mit mir, jammern und klagen in einer Sprache, die ich zwar erahne aber nicht dechiffrieren kann.

Die alte Katze Mimi liegt ruhig da und atmet sich leise dem Tod entgegen, nein keine dramatischen Lebensrettungsaktionen mehr, keine Fahrt zur Tierklinik und schon gar keine Todesspritze.

Sie darf in ihrem eigenen Tempo auf die letzte Reise gehen, in der Nähe von uns, ihren Lebensmenschen, immer wieder sehen wir nach ihr, das Leben vollendet sich…ja, natürlich weine ich ein wenig, aber ich werde sie gehen lassen, dorthin, wo Fragen und Antworten aufhören… und ich lasse das Mantra leise laufen, von dem es mal geheissen hat, daß es der Dalai Lama für einen Freund gesungen habe, um ihm das Sterben leicht zu machen.

Ein Gesang, den ich seit Jahren erfolglos gesucht habe, merkwürdig, plötzlich ist er einfach da…er soll sowohl beim Sterben als auch beim Leben helfen …vielleicht deshalb, weil beides ja eigentlich eins ist

oder

wir womöglich das eine und das andere eh nur träumen?

Wer weiß das schon, nicht wahr?

 

Während ich an diesem Text schrieb und das Mantra lief ist sie gestorben, weggegangen auf leisen Pfoten…

Gute Reise Mimi.

Dank an meine Schwester, das Felltier, für alles.

Ruhe in Frieden.

„…und wer riecht uns den Himmel zu Ende…“ (I. Aichinger)

Wir ließen uns sacht die Monde hinunter

und läge die erste Rast noch bei den

wollenen Herzen,

die zweite fände uns schon mit Wölfen

und Himbeergrün“

 

Ilse Aichinger: 1. November 1921 – 11. November 2016

 

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„And you want to travel with her

And you want to travel blind

And you know that she will trust you

For you´ve touched her perfect body with your mind

 

He said: „All men will be sailors then

Untill the sea shall free them“

 

Er soll gesagt haben: „Ich bin bereit, zu sterben.“

 

Leonard Cohen: 21. September 1934 – 7. November 2016

 

 

 

Zwei Große sind gegangen, ihre Poesie haben sie uns hinterlassen.

Traurig und mit großem Dank im Herzen nehme ich Abschied.

Mögen alle guten Mächte Euch in die Ewigkeit geleiten.

Ruhet in Frieden!

Für G.

vor zwei Tagen wäre er 70 Jahre alt geworden:

Georg Danzer

7. Okt. 1946  –  21.Juni 2007

 

Und hier lieber Schurl, wo Du auch bist, Dein Lieblingslied vom alten Freund, dem Ambros Wolfgang:

 

„…über meine Seele führt mein Weg,

über meine Liebe führt mein Weg,

über meine Träume führt mein Weg…

komm, laß Deine Sehnsucht an den Start…“ (Danzer)

Staub…

Ich laufe in der Nacht draussen herum, tanze wie irre auf der Straße und halte Dein Lieblingslied zum Himmel hinauf, Wolfi,so lang, bis die Batterie vom Handy leer ist! Kannst Du es hören, dort, wo Du grad bist?

Vielleicht existiert noch eine Art Schwingung von Dir in einer der Parallelwelten dort droben…dort draussen…die mitkriegt, daß ich meine Schwingung dorthin schicke mittels Musik, die durchdringt doch alle Membranen…und mein Tanz…und meine Gedanken…und meine Liebe…mehr wie Wünschen geht nicht.

Du hattest auch immer so große Wünsche, von allem nur das Beste, und davon viel…nicht nur ein Bett für die Nacht, nein, „Nights in white satin“ sollten es sein, selbstverständlich.

Hast Du eigentlich mitbekommen, daß ich vor dem Baum gestanden bin, wo sie Deine Urne versenkt haben? Um die vierzig Leute waren da, Wolfi, und ich glaube, ein paar waren darunter, denen hast Du mal das Herz gebrochen. Viele haben geweint, alle kamen freiwillig, und alle schienen Dich sehr gemocht zu haben. Du warst nicht allein, warum nur warst du so einsam?

Alleine ist man aussen, aber einsam fühlt man sich innen, nicht wahr, Wolfi?

20 Stunden war ich unterwegs und ohne meine Freundin Irm, die sofort ihr ganzes Leben umkrempelte, um mit mir diese Reise anzutreten in dem Bewußtsein, daß es Ereignisse gibt, zu denen man nicht alleine hinfahren darf, hätte ich das nicht durchgestanden.

Und dann saß ich da in der kleinen alten Holzkirche im Stahnsdorfer Friedhof bei Potsdam und hörte den Liedern zu, die Dein Herzensfreund ausgesucht hat. Und wieder klackern Deine Cowboystiefel über die Steinfließen. Und dann stehst Du vorne mit diesem kleinen süffisanten Lächeln… unschlüssig, was denn nun passieren sollte…

Das wusste niemand so recht, wir standen dann um den Baum herum, vor Deinem Grab und keiner sagte was. Ich hatte den letzten Blogeintrag ausgedruckt und wollte ihn eigentlich vorlesen und was von uns früher erzählen, aber dann war mir, als sollte ich nichts sagen, still sein…traurig, etwas ratlos. Ich, die ich mich für absolut unreligiös halte, habe plötzlich schmerzhaft den sakralen Teil vermisst. Ich hatte Sehnsucht, daß jemand was Tröstendes sagt…“Erde zu Erde – Staub zu Staub“…leider war so jemand nicht da und ich legte die fünf dunkelroten Rosen von uns allen neben das Erdloch und warf staubige rote Erde auf Deine Urne.

Das wars. Über uns gleissendes Sonnenlicht, tiefblauer Himmel und um den Baum schwarzgekleidete Menschen, die nicht sicher waren…sollten sie erzählen von gescheiterten Beziehungen zu Dir oder fragen, ob irgendwer denn wusste, wer Du warst, in Wirklichkeit?

Wer weiß schon, wer wir in Wirklichkeit sind.

Irgendwann waren die Tränen geweint, die schönen Geschichten über Dich erzählt, die schlimmen verschwiegen, Einladungen und Weiter-in-Kontakt-bleibwünsche ausgetauscht und dann sind wir gegangen und ließen Dich in Deiner Urne unter dem alten Baum zurück.

Beim Heimfahren haben wir laut bei allem, was im Radio kam mitgesungen. Und wir haben darüber gesprochen, warum einer wie Du so beliebt war und gleichzeitig so sterbenseinsam…weil Du Beziehungen kaputt gemacht hast, bevor sie sich in Deinem Herzen einnisten konnten…es ist jetzt egal, was wissen wir schon voneinander?

Weißt Du, Wolfi, und nach 1400 km absolut staufreiem, entspannten Fahren lande ich auf der Salzburger Autobahn und muß mich übernächtigt, vollgepumpt mit Adrenalin wie im Delirium den steilen Irschenberg im ersten Gang halbmeterweise hinunterquälen, eingezwängt in bedrohlich aneinandergeklebter Blechlawine…aber als ich unten das Unfallauto sehe, werde ich demütig und bin froh, noch am Leben zu sein.

Irgendwann einmal löst sich der Stau plötzlich auf und ich rolle über eine völlig freie Autobahn durch eine sternenklare Nacht, am Chiemsee vorbei den Bergen, unseren Bergen, Wolfi, entgegen. Ich bin hellwach und denk an Dich und was Du aus Deinem Leben gemacht hast. Ja, Wolfi, ich habe großen Respekt vor Deinem Mut !

Du hast das gemacht, wovor alle Vernünftigen zurückschrecken, Du warst so sicher, daß es mehr als Alles geben muß , Du warst so hungrig nach dem Leben, ja und Du hast wie eine Kerze von zwei Seiten gebrannt…warum hab ich ausgerechnet Dir nie gesagt, wie sehr ich Dich liebhabe und wie nah ich mich Dir fühle…

Du hast Dein Leben gelebt, wild, heftig , schmerzhaft, ohne Rücksicht auf Verluste, bis zur letzten einsamsten Konsequenz hast Du es leidenschaftlich und exzessiv ausgeschöpft, dann bist Du erloschen wie ein Stern und ein Häuflein Asche ist übrig…aber von uns allen, auch wenn wir noch so vorsichtig leben, bleibt von uns denn mehr? …ein kleiner Windhauch und alles ist weg, wir sollten also nicht warten, sondern es uns sagen, daß wir uns lieben, gleich…bevor es zu spät ist

Und dann spielen sie dieses Lied im Radio und ich weiß,

jetzt hat der Kreis sich geschlossen.

Der Cowboy

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Lieber Wolfi, viele Jahre hat mein Vater immer mal wieder gesagt: „Was wohl aus dem Cowboy geworden ist?“ Aber da warst Du ja schon längst erwachsen und wir hatten uns komplett aus den Augen verloren.

Als wir die Jugendwohngruppe 1988 gegründet haben, kam ein dünnes, blasses Bürschchen daher, blond und blauäugig mit einem Cowboyhut, der wohl ein Stetson sein sollte auf dem Kopf und Cowboystiefel an den Füssen. Wolfi, hast Du die denn jemals ausgezogen? Du bist mit ihnen die Berge hoch gerannt, barfuß in den Stiefeln, und alle paar Meter eine Kippe rauchend, in den Augen diese strahlende Lebenslust, und so eine große Sehnsucht nach Freiheit und Abenteuer. Du warst der Boss der Truppe, eindeutig, intellektuell, ein wenig verschlagen, immer fast ehrlich, aber nie so ganz, Du weißt schon, was ich meine, nicht wahr? Was innen sich so abspielte in Dir konnte ich nie ganz rauskriegen.

Wenn ich Dienst hatte, saßen wir halbe Nächte herum und hörten alte Country- und Westernsongs aus Deiner Sammlung, was wir gesprochen haben…ich hab es vergessen…aber wenn ich zurückdenke, sehe ich gewaltige Sonnenuntergänge im Kopf und meine, wir wären an einem Lagerfeuer in den Rocky Mountains gesessen, und hätten aus einer verbeulten Pfanne gebackene Bohnen gelöffelt.

Einmal, weißt Du noch, Wolfi, da saßen wir abends daheim, ich nähte Vorhänge und Du hast ferngesehen, es lief „Der Shut“ von Karl May, da kam der Anruf aus dem Jugendzentrum, in dem die übrige Truppe den Abend verbrachte:

„Bitte komm schnell, es fließt Blut, die lassen uns nicht weg hier!“

Weißt du noch Wolfi, Du hast es später tausendmal erzählt: ich mit schwarzem Trainingsanzug, in Hausschuhen und Du neben mir mit klackernden Stiefeln und Stetson am Kopf, stiegen wir vom Pferd und betraten das Haus…eine Gasse bildete sich…wie wir da hineingingen muß mächtig Eindruck hinterlassen haben, wir holten schweigend unsere Leute raus, stiegen auf die Pferde und ritten in die Nacht davon.

Noch vor ein paar Jahren, als wir uns das letzte Mal sahen, da hast Du mir gesagt, wie Du mich in jener Nacht bewundert hättest, ich hätte so eine Macht ausgestrahlt…ach Wolfi, und nicht mal da hab ich Dir sagen können, welch großen Schiß ich hatte damals vor diesen Schlägertypen und wie froh ich war, Deinen „Marshall-Blick“ neben mir zu wissen..

Vor mehreren Jahren, als wir uns trafen, weil einer von Euch sich in der Zelle eines Gefängnisses erhängt hatte und wir zusammenkamen, um an ihn zu denken, da warst Du schon weit über dreissig Jahre alt und hattest Dich endlich geoutet. Du warst damals, mit 17 schon stockschwul, Wolfi, aber erst zwanzig Jahre später, nach unzähligen sinnlosen Gesprächen und gebrochenen Mädchenherzen, hast Du Dich endlich dazu bekannt und es gelebt.

Damals hast Du was zu mir gesagt, was ich nicht mehr vergessen konnte, und jetzt, Wolfi, wo Du tot bist, noch viel weniger. Du hast gesagt: „Du warst meine richtige Mama!“ Ich hab das abgetan, konnte nichts damit anfangen, daß Du so um mich herumscharwenzelt bist, meine Güte, Wolfi, ich war so blöd, das Glitzern in Deinen Augen war nur zum Teil von den Drogen, die Du damals schon eingeworfen hast, da war noch was anderes…so ein Brennen und Sehnen, so ein Kinderblick voller Liebe und Traurigkeit…ich habs nicht erkannt, Wolfi, damals nicht, heute schon.

Ja, Du hattest es ernst gemeint, ich war Deine richtige Mama. Grad ich, die ich immer meine, alles sehen zu können, war so blind…wäre alles anders gekommen, wenn ich Dich in den Arm genommen hätte wie einen kleinen Buben?

Wahrscheinlich nicht. Aber ich werde es nie wissen.

Weißt Du noch, Wolfi, als Ihr Deinen Saloon gebaut habt im ehemaligen Geräteschuppen? Mit Schwingtür natürlich und diesem furchtbaren Kuhkopf mit Loch in der Stirn, der über dem Eingang hing und den alle so cool fanden. Und eine Theke gab es und Feste wurden gefeiert und „Money for Nothing“ lief viel zu laut und wir tanzten alle wie verrückt herum…war das eine schöne Zeit!

Du warst ein Rattenfänger, Wolfi, alle wollten zu Dir, aber Du konntest niemand halten.

Nach der Wohngruppenzeit bekam ich noch hin und wieder Post von Dir aus irgendwelchen Gefängnissen, wegen allen möglichen nicht ganz legalen Tätigkeiten, immer im Sinne der Menschlichkeit oder was Du drunter verstanden hast. Ich gebe zu, ich war froh, nicht alles zu wissen, was Du so getrieben hast. Irgendwie warst Du eine tragische Figur, oder? Rastlos umherirrend, auf der Suche nach was? Du hattest soviel Köpfchen, konntest alle Gespräche anführen, konntest alle beeindrucken mit Charme und Coolness und anscheinend wolltest Du immer ganz knapp an den Rand des Abgrunds…Du, ich mochte dieses gefährlich Verwegene in Dir, aber ich fürchte, ich habe Dich gar nicht gekannt, Wolfi, mein Cowboy.

Jetzt, vor ein paar Tagen haben sie Dich in der großen Stadt gefunden, als sie die Wohnung aufbrachen. Du hast schon tagelang tot dort gelegen. Mühsam flicken wir aus verstreuten Schnippseln Dein Lebensmosaik zusammen und finden rastloses Umherirren, irgendwelchen längst verlorenenTräumen hinterher, viele Drogen, immer knapp am Verhungern, viel rennen und viel betäuben und Suche nach Liebe und eine Einsamkeit, in die Du so eingesperrt warst, daß Du auch nach der Hand Deines einzigen Freundes nicht mehr greifen konntest.

Ich werde natürlich die anderen Eurer Truppe zusammenholen und wir werden viele „Weißtdunochs“ austauschen, alles ist schon so lange her und alle sind über vierzig Jahre alt und die Vergangenheit verblasst schön langsam und wir werden ein wenig traurig sein und an Dich denken.

Ich sitze da und habe dieses Klackern Deiner Stiefel im Ohr, sehe, wie Du in der Sonne sitzt, die Beine auf irgendeinem Tisch und lässig den Hut über das Gesicht ziehst wie in „High Noon“, ich höre Deine Stimme: „kommst Du auf mein Zimmer, ich hab wieder eine neue total geile Scheibe, die musst Du unbedingt hören“…und ich sehe dieses charmante, immer leicht süffisante Lächeln in Deinen Mundwinkeln.

Weißt Du, Wolfi, ich hatte viele Kinder, die habe ich alle ein wenig begleitet und sie dann wieder freigegeben, ins Leben hinaus… Was das wohl ist, dieses Leben?

Es bleibt was in meinem Herzen von Dir, mein Cowboy.

„Du warst meine richtige Mama“, hast Du gesagt,

ja, und Du warst mein richtiges Kind

und jetzt bist Du weggeflogen, für immer

und für immer wird mir ein Schmerz bleiben, wenn ich an Dich denke,

ein Schmerz ganz nah dem Glück, Dich gekannt zu haben..

es ist still geworden in diesem brütend heissen August,

gute Reise, mein Cowboy.

 

„…and take him away“

Immer wieder macht es mich fassungslos, wie außerordentlich sterblich wir sind!

Wieder ist ein Großer gegangen. In diesem Fall werden alle sagen, daß er gesoffen hat wie ein Loch und geraucht wie ein Schlot…

ja, ja, gelebt hat er und gezeichnet hat er wie ein Gott und unbequem war er und hat den Leuten auf das Maul geschaut und selber hatte er etwas sehr Rares: eine eigene Haltung!

Ach, es ist so schad um ihn und ich kann nicht mehr tun, als ihm mein Lieblingslied seiner Lieblingsband nachzuschicken.

Ich grüße hinauf zu den Sternen, möge es ihm dort, wo er ist, wohlergehen!

In Memoriam:

Manfred Deix

22.Febr. 1949 – 25. Juni 2016

„Es ist einmal im Leben so…“

Am 9. April wäre meine Mama 94 Jahre alt. Unvorstellbar.

Am 09. 04. 1922 ist sie geboren, und wurde in der Wallfahrtskirche  der schmerzhaften Madonna in Mariaschein / Bohosudov, in Nordböhmen getauft. Bohosudov ist heute ein zentraler Ortsteil der Stadt Krupka in Tschechien, ca. sieben km nordöstlich von Teplitz – Schönau / Teplice.

Ihr Großvater mütterlicherseits, mein Urgroßvater, war Bäcker und Grundbesitzer. Ob das wirklich sich so zugetragen hat, daß der hundertste Erntewagen gefeiert wurde oder ob das eine der absolut glaubhaft vorgetragenen Geschichten meiner Mutter, der Märchenerzählerin, war, es ist mir völlig egal…mein Vater, der Moralist und Wahrheitsfanatiker, hat es ihr geglaubt…ach mein Vater, was wusste er schon von seiner fremden Frau?

Meine Großmutter ist mit 28 Jahren an der Schwindsucht gestorben. Vorher hatte sie zwei Mädchen geboren, meine Mama und ihre Schwester. Mein Großvater bekannte sich zur Vaterschaft, kam aber als Schwiegersohn zwecks Herkunft aus Schauspielerfamilie und deshalb mangelnder Seriosität nicht in Frage und durfte die Mutter seiner Kinder nicht heiraten.

Nach dem Tod der Mutter blieb das eine Mädchen bei den Großeltern und meine Mama wurde vom Vater mitgenommen in ein unstetes Gauklerdasein. Von Ort zu Ort, leben von der Hand in den Mund, große Saufgelage bei guter Kasse, wunderbares, aufregendes Leben, immer unterwegs, immer Applaus, immer bei ihrem geliebten Vater, dem Chef der Truppe, davon erzählte sie mir…von den Zeiten, in denen die Kasse leer war, sagte sie nichts.

Ihre Geschichten, dieser Schatz, den sie mir hinterließ, handeln immer von einem Gauklerleben mit einer Art Wanderbühne. Und ziemlich sicher ist, daß sie nie die Ophelia spielte, sondern irgendwelche Rollen in kitschigen Operetten und Boulevardkomödien, viel mit ihrem Cousin Richard, den sie liebte…es blieben nur Geschichten, in denen ich auf mich wirken lasse, was zwischen den Worten steht und davon handelt, wer sie war…

Theater-klein

Was macht die kleine Truppe eines Schmierentheaters irgendwo am Abend nach der Vorstellung…ja, ziemlich viel Blödsinn…in Sektflaschen pinkeln, die das Kind trinkt, weil es denkt, es sei Limonade…baden gehn im Attersee bei Vollmond und mein Großvater wischt sich ein paar Seegräser vom Kinn und hält den Kopf einer Ertrunkenen in der Hand…ach und all die Klamotten vom Leben auf der Bühne…

Heute werden diese Theatergeschichten nicht mehr erzählt, es hat sich alles gewandelt. Einer der letzten großen Komödianten, Maxi Böhm, der alle seine Geschichten immer damit begann: „Sie, ich kenn da einen in Reichenberg…“ hat Ähnliches erzählt wie meine Mutter, es handelt meist vom wilden Improvisieren, wenn wichtige Requisiten fehlten oder der Text oder irgendwas nicht funktionierte, dann wurde aus dem Stehgreif heraus was erfunden, was zu komischen Einlagen führte und das Publikum bestens bei Laune hielt.

Das konnte meine Mama, aus nichts ein wunderbares, wenn auch manchmal etwas seltsames Essen kochen und aus langweiligen Gästen ein fröhlich lachendes und ihr zujubelndes Publikum, das amüsiert um den Stubentisch saß und nicht mehr heimgehen wollte.

Mit 24 Jahren wurde sie aus Karlsbad verjagt und mit Viehwaggons in bayrische Sammellager transportiert und von dort in irgendeiner Gegend irgendeinem Haushalt zugeteilt. Damals war sie verheiratet mit einem, der irgendwo im Krieg verschollen ging.

Mein Vater konnte sie erst heiraten, als der erste Mann für tot erklärt war. Von ihm hat sie mir nie erzählt, kein Wort, da gab es keine Geschichte. Auch nicht von dem toten Kind, das sie angeblich geboren hatte, von dem ich aber erst viele Jahre nach ihrem Tod erfahren habe.

Als sie kam, hatte sie nichts dabei außer einem Fotoalbum mit ein paar wenigen Bildern von ihrem Vater und seiner neuen Frau und ihren Kindern, einem Bild von sich auf irgendeiner Bühne und ein paar Bildern, von denen sie mir nie sagte, wer die Menschen waren, die mich anschauen.

Es passt nichts, gar nichts zusammen, ich habe keinen roten Faden durch ihre Biographie, die Zeitangaben stimmen nicht überein.

Zwischen den Zeilen der lustigen Geschichten der Boheme eines Wandertheaters scheint das traurige Schicksal eines Kindes durch, um das sich niemand richtig kümmerte und das keine Heimat hatte.

Und hier bei uns war sie auch wieder eine Fremde und das blieb sie bis zu dem Zeitpunkt, als sie für immer davonflog.

Sie konnte so wunderbar blödeln, es war ihr nichts heilig, sie hatte diesen Humor aus dem Osten, der Menschen grade dann zum Lachen bringt, wenn eigentlich alles zum Weinen ist…“Humor ist, wenn man trotzdem lacht“, ja, das passte auf sie! Irgendwann schien das Weglachen nicht mehr zu genügen, da setzte sie sich auf ihr Fahrrad und verschwand…mein Vater suchte sie wochenlang, bis er sie fand, irgendwo in den Bergen auf einem verwahrlosten Bauernhof, da nahm er sie wieder mit nachhause. Dann versuchte sie, sich wegzusaufen. Eines Vormittags lag sie tot auf dem Sofa, kurz nach ihrem 46. Geburtstag.

Sie hat mir nichts zurückgelassen außer einem großen Knäuel Traumgarn, an dem Geschichten hängen und das sich, je mehr es abgewickelt wird, neu nachspinnt.

Und zwei Einträge in Poesiealben, einen für mich

Poesie1

 

und einen für das Fräulein Poldi, einer gleichfalls Verjagten, die mit ihrem Bruder in unserem Stüberl hauste – geschrieben mit dem Pelikano Füllfederhalter, den ihr mein Vater geschenkt hatte.

Poesie2

„Es ist einmal im Leben so…“ ist ein Lied aus der Operette „Zum Weissen Rössel“ und sie liebte dieses Lied, ich glaube, daß ich heute, fast fünfzig Jahre nach ihrem Tod endlich verstehe, warum.

Nicht nur in meinem Herzen wird am 9. April eine Kerze brennen für meine wilde, einsame Mama und dieses Lied schicke ich auch noch nach, hinauf zu den Sternen!