24 T. – Mutmaßungen über das Deutschsein, Tag 21 #Graugans

In den letzten Wochen war hier sehr viel Betrieb, viele hielten ihr Gastspiel hier auf meiner Bühne, zwischen Himmel und Erde. Jetzt ist die Bühne leer, ich habe den Haupteingang geschlossen, halte aber immer noch eine kleine Türe offen für Seiteneinsteiger, Nachzüglerinnen, versprengte Geister … Ich liebe es, Gäste zu haben, die mein Dasein bereichern, weil sie mich teilhaben lassen an ihrer Art, die Dinge zu sehen.

Ich bin aber auch sehr gerne alleine, rieche die Theaterluft und höre meinen Schritten zu auf dem Bühnenboden, der klingt, als wäre ein Hohlraum darunter, zum Sichverstecken vor der realen Welt. Eine virtuelle Bühne, eine die erstaunlich lange sich schon hält, alle anderen Versuche waren nicht so erfolgreich. Das halbfertige Papiertheater lehnt seit Jahren hinter einem Schrank. Das wunderbare „Theater hinterm Ofen“, ein Geschenk in Form einer Palette mit einem Stuhl darauf kommt nur an einem Abend zum Einsatz, beim Verlesen eines meiner besten Gedichte, wie ich meine, fängt der Ofen an, Funken zu sprühen, der einzige Gast ist eingeschlafen, schreckt auf und geht nach Hause … ach ja …und die Idee eines lauschigen, intimen Kellertheaters mit frivolem Saxophon scheitert an diversen Gründen, u.a. weil es vom einzigen Stück nur den letzten Satz gibt, an den ich mich aber nicht erinnern kann. Für eine, die zumindest teilweise von einer alten Theaterfamilie abstammt, bisher keine erfolgreiche Bilanz. Ich gehe nicht gern ins Theater, mag es nicht, eingeklemmt zwischen Vielen stundenlang auf eine Bühne zu starren. Aber ich habe Sehnsucht nach der Bühne, weiß genau, wie es da riecht und habe die Geräusche im Ohr, und ich spüre den Stoff des Vorhangs auf meinen Fingerkuppen … meine Sinne sind erregt, wenn ich nur an eine  Bühne denke und das Seltsamste ist, ich bin noch nie auf einer gestanden.

Die Mama muß es mir direkt vererbt haben, so eine Art Gen. Sie erzählte diese Geschichten, immer und überall. Sie spielte Szenen. Sie hat Arien aus Toska gesungen, während sie die Kuh gemolken hat. Woher kam sie … aus Deutschland, aus Österreich, aus Böhmen? Ja, aus Böhmen. Ihre Gefühle sind mir ein Rätsel geblieben, sie wechselten mit dem Publikum, mit dem sie jonglierte je nach Lust und Laune, ihre Paraderolle war die junge Naive … „wir spielen alle, wer´s weiß ist klug“ soll Arthur Schnitzler gesagt haben. Mein wahrheitsfanatischer Papa spielte nie. Er mochte das alles nicht, was da an „gschlamperter Scheinwelt“ von Österreich/Böhmen herüberwehte.

Ach, was für Gedanken mir da so kommen, während ich auf meiner leeren Bühne herumgehe.

Heute, in der Stunde vor Mitternacht, ist Wintersonnwend, der Kreis schließt sich und alles beginnt von Neuem. Ich setze mich auf den gebohnerten Bühnenboden und schaue hinaus ins All, hier zwischen Himmel und Erde kann ich erkennen, wie sich der blaue Erdenball  unter mir dreht, ich habe Zeit, Zeit in Hülle und Fülle. Bald ist Weihnachten. Das Land rennt und rennt, um sich noch schnell, schnell intensiv zu besinnen.

Ich verschenke gerne meine Zeit, aber das ist nicht so einfach, denn es hat eigentlich niemand Zeit für die Zeit. Und so bleibe ich allein ein wenig hier in diesem virtuellen Zwischenraum sitzen, sehe den Sternen beim Glänzen zu und dem Mond beim Kugelrundwerden und finde dieses Lied. Es klingt zwischendurch ein wenig schräg, beide später sehr berühmt singen und spielen hier, so scheint es, erfrischend unprofessionell … es klingt, als wären sich zwei Menschen so vertraut , daß sie nicht mehr reden müssen, da beginnen sie zu singen, miteinander, füreinander … und zufällig lehnt da eine Gitarre …

Irgendwo tief innen in uns vergraben, liegt ein kleines Kind in der Krippe, und allein durch sein Lächeln zerplatzen die Dämonen der Angst und der Einsamkeit, ich weiß es genau, es ist nie zu spät, es zu suchen … Singen hilft … da bin ich sicher.

 

 

8 Gedanken zu „24 T. – Mutmaßungen über das Deutschsein, Tag 21 #Graugans

  1. Ich danke Ihnen, liebe Frau Graugans, für Ihre Projektanregung. (Und den Zuträgern für Ihre Mühen).
    Eigentlich habe ich jetzt hier an dieser Stelle Ihre selbeigenen Mutmassungen zum Thema erwartet.
    Dass Sie – zumindest mir – stattdessen eine Stimme präsentieren, die mir bereits beim ersten Hören vor etlichen Jahrzehnten die Fussnägel hochrollten, das konnten Sie nicht wissen. Deshalb auch keine Klage meinerseits.
    Ich wünsche Ihnen lichte Weihnachtstage, Herr Ärmel

    1. Sehr schön, genauso wollt ich es haben …und vorbei ists ja auch noch nicht, erst am 24. Dank Dir und schicke Dir auch einen Gruß!

  2. Singen hilft – tanzen hilft – schreiben hilft – malen/zeichen/collagieren hilft und …
    trommeln – vor noch gar nicht so langer Zeit … und mich auch zu dir hin getrommelt und dann lese ich all das über die Bühne … ach, Gretel, das ist jetzt viel zu viel für einen Kommentar und vieleicht sogar dann doch auch einmal zu intim.
    Ich bin so froh, dass wir uns begegnet sind, im virtuellen und im realen Raum, was beide verbindet ist der Herzraum und den gilt es jeden Tag auszufegen und hübsch zu machen, jetzt mit Kirschbaumzweigen und Amaryllis.
    Ich sende dir einen Herzengsgruß und sage DANKE für dich und allem hier,
    herzliche Grüße
    Ulli

    1. Ach Du, wie schön, daß Du Dich nochmal meldest, dachte schon, du bist in der Stille … jetzt schnell raus mit uns, ich trommle und sing einen Jodler und tue einen ganz kräftigen Jauchhzer zu dir zum Walde hinauf, gell, wir bleiben uns und müssen dringend weiterreden in so Manchem, habe ich das Gefühl, und über Vieles nachdenken…sei ganz lieb gegrüßt, bis auf bald, ich könnt jetzt soooo viel sagen, aber das verschieben wir in andere Räume, ich holjetzt die Trommel raus und das Spiel beginnt aufs Neue…so schön, daß Du verstanden hast…ich geb dir die Hand!!!

  3. als Besucherin durfte auch ich ein wenig auf deiner Bühne mitspielen. Trommeln kann ich leider nicht mit euch, auch tanzen geht grad nicht. Aber ich höre eure Töne bis hier her im Echoraum des Herzens und fühle mich nah, da ihr es mir gestattet, mich nah zu fühlen. Danke. Und nun schau ich mir noch ein bisschen den Mond an, der diese dunkle Nacht zu einer hellen Nacht macht. Gute Nacht

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