Hedschebetsche

Ein wildes Geflatter, Tirillieren und Tschilpgesänge in den Obstbäumen heute , die Krammetsvögel sind also auch schon da … kleine schwarze Federwesen, ich glaube, es sind Drosseln, picken hoch oben das heraus, was von den ca. 20 Zentnern Obst noch an den Ästen hängt. Alle Katzen hocken unten und sehen in eine Richtung, im Blick förmlich die Sehnsucht nach zarten Vogelbrüstchen …

Die wilden Rosen bilden Tore, untereinander und zu allem, was sonst noch wächst und so lang an einem Fleck stehenbleibt, bis eine Ranke sich herumschlingen kann. Wer oder was soll hindurchschreiten oder sind es Brücken, damit eines das andere berühren kann? Die Hagebutten färben sich heftig mit obszönem Rot und bringen das Blut in Wallung bevor es der langen Dunkelheit entgegengeht. Rot, prall und hart mit schwarzen Kappen recken sie sich aus den stacheligen Zweigen. Im nahen Österreich heißen sie mancherorts „Hetschebetschen“. Auf unserer Seite der Grenze gibt es diesen Namen nicht, aber als Kinder sagten wir oft „hetschibetschi“, wenn wir schadenfroh waren, dabei rieben wir die Zeigefinger verkreuzt aneinander..

Viele Jahre ist es her, da fuhr immer um diese Zeit eine sehr kleine Frau mit einem großen Rad frühmorgens bei uns vorbei in Richtung Hügel. Sie ging hinauf zu den Hecken und pflückte den ganzen Tag Hagebutten. Man mußte ganz nah hingehen, um sie überhaupt zu sehen, sie war so verschmolzen mit den Büschen als wäre sie einer von ihnen. Auf die Frage, warum sie nie von den scharfen Dornen zerkratzt würde, gab sie eine geheimnisvolle Antwort … ich erinnere mich nur noch daran, daß es wohl mit der Haltung zu tun hatte, mit der man sich so einem Dornenstrauch nähern dürfte. Gesagt hat sie ansonsten nicht viel, nur, daß der Wein solang in den Ballons bleiben müsse, bis die Hagebutten dreimal auf- und dreimal abgestiegen seien, erst dann wäre er reif und man könne ihn trinken. Am Abend fuhr sie wieder bei uns vorbei, beladen vorne und hinten mit vollen Taschen und am Buckel einen großen Rucksack. Sie kam immer ein paar Tage hintereinander und das jahrelang. Irgendwann kam sie nicht mehr.

Eine, die ich kannte, ist gestorben. Ihr Bruder entsorgt den Nachlaß und verschenkt das Meiste, um es nicht in den Container werfen zu müssen. Ich komme in die Wohnung, als nur noch die Bücher übrig sind. Einige tausend stehen da, keiner will sie, nur mühsam leeren sich die Regale. Während der abgestorbene Leib von M. im Kühlschrank des Beerdigungsinstitutes auf die Einäscherung wartet, gehe ich in ihrer Wohnung an den Regalen entlang durch ein ganzes Leben. Ich nehme Schachteln mit leeren Postkarten mit und Briefpapier, viele Bücher und etliches, was sonst niemand will, nur damit es nicht weggeworfen wird, Marionetten, Kerzen etc. nichts Persönliches, keine Fotos oder Tagebücher, die Wohnung ist geputzt und aufgeräumt, nichts mehr erinnert direkt an M. und trotzdem überflutet mich beim Durchsehen der Bücher plötzlich eine Welle von Schamgefühl, als hätte ich unberechtigt die Tür geöffnet zu einem Raum, dem intimsten, den ein Mensch nur haben kann: die grenzenlose Einsamkeit.

Sehr warm ist es tagsüber, aber am Abend kommen schon die Nebelschwaden von Osten her in das Tal und bald werden sie ein Meer bilden.

Der Sommer ist vorbei und der Herbst ist gekommen. Waage geht über das Land und prüft, was zu leicht, was zu schwer, was es wert ist, in die dunkle Zeit mitgenommen zu werden und was wir besser zurücklassen sollten.

Das Leben ändert ständig seine Richtung und stellt sich immer mehr als eine nie endende Abfolge von Verlusten dar, eine ewige Übung, loszulassen … alles … und das Geheimnis: nur das, was wir verabschieden, können wir auch wieder begrüßen. Und manchmal ist auch Wehmut angesagt, finde ich, die gehört einfach auch zum Leben.

Die Riederinger Sänger, die diesen magischen und uralten Männerviergesang so beherrschten, daß es mir durch und durch geht, die gibt es in dieser Formation leider nicht mehr, aber das wie ich meine, allerschönste ihrer Lieder, das habe ich jetzt wieder gefunden, nachdem es jahrelang verschwunden war. Diese Art zu singen, in der Tradition der Alpenländer, hat ganz alte Wurzeln. Man muß nicht unbedingt „schamanisch“ dazu sagen, wie es jetzt modern ist, um zu erklären, daß es selbstverständlich schon in vorchristlicher Zeit Gesänge gab, die dazu dienten, sich mit guten Kräften zu verbünden und gegen die Angst anzusingen.

Versuch, zu „übersetzen“, was nicht zu übersetzen geht:

Der Sommer ist hinausgegangen
ich muß hinunter ins Tal,
Pfiati Gott (adjeu) meine liebe Alm (Sommerweide im Gebirge)
Pfiati Gott tausend Mal
schön still ist´s schon geworden, ja
kein Vogerl singt mehr, ja
und es weht schon der Schneewind
vom Wetterstein her (Hochgebirgsmassiv in den Alpen)

So hart, wie´s heut´für mich ist, ist es noch nie gewesen,
ganz so, als sollt ich meine Alm heut zum letzten Mal sehn
und müsst ich gar bald
schon zur Erd und zur Ruh, ja
dann deckt mich mit Felssteinen und Almblümerl zu, ja
dann deckt mich mit Felssteinen und Almblümerl zu.

 

Und dann kommt der Jodler, der mit dieser Magie des Hinauf- und hinübersingens die Verbindung herstellt zu einer anderen Welt für die, die gegangen sind.

 

19 Gedanken zu „Hedschebetsche

    1. Dankeschön, liebe Madame, schön, daß Du wieder da bist, habe Dich sehr vermisst!
      Ach ja, und das mit dem Verabschieden … wer kann das schon einfach so … wir werden zwar älter und reicher an Erkenntnissen, aber die Wehmut bleibt trotzdem …
      Schicke Dir auch ganz liebe Grüsse!

  1. Lustig. Habe nie darüber nachgedacht, aber auch wir in der Schweiz sagen “etschibetschi” wenn wir schadenfroh sind…
    Loslassen ist eine schwierige Sache, die immer mehr geübt werden muss, je länger wir leben.
    Liebe Grüße. Priska

    1. Das ist ja ganz zauberhaft, daß Ihr auch etschibetschi sagt!
      Ja, Du hast so Recht, das Loslassen ist eine schwierige Sache und auch wenn wir das Wissen darüber haben, es geht einfach nix so ganz ohne Schmerzen…
      Viele Grüße hinüberwärts zu Dir, liebe Priska

  2. danke dir sehr für diese post, liebe graugans, für den viergsang zumal, es gefällt mir sehr, wie du diese art zu singen hier beschreibst (ich hör einen viergesang, auch dreigesang immer gern …) und was du über die einsamkeit sagst, den intimsten raum eines menschen: das berührt mich.
    ein lichtlein zu dir hinüber, ein fünkchen, sternlein vom nachterl! <3

    1. Immet wieder freu ich mich so sehr drüber, daß es ein Nachterl gibt, das mir Sternlein und Lichtzeichen durch die Nacht schickt … Pfiati, Du bist echt lieb!

    1. Ein schönes Wort hast Du da gesagt: „innig“! Ja, da kommt was von tief inwendig und singt sich heraus, ganz schlicht und einfach, ohne künstliche Verhübschung, die Töne sind sich selbst genug.

  3. So ein wunderbarer Text – Deck mich mit Almblümerl zu … Danke Liebe Graugans du hast mir Bergluft ins Krankenhaus Bett geweht…
    Sei ganz fest umärmelt! Irm

    1. Bald springst selber wieder wie ein Gamserl über die Berg, aber vorher gibt´s ein Rekonvaleszenzenbratl mit Knödeln und danach einen Apfelkuchen und ein Haferl Kaffee dazu, kicher, denn auch eine Hupfdohle braucht eine feste Unterlage, damit´s net direkt davonfliegt! Ich umarm Dich auch fest, bis auf bald, liebes Hupferl!

    1. Griaßdi, Andreas, wie schön, daß grad Du das jetzt sagst! Ich hab nämlich genau dieses Lied vor Jahren in Deinem alten Blog zum ersten Mal gehört und mir ists auch sofort ins Herz geschossen, und ich dachte mir damals, wie zauberhaft das doch manchmal im Leben zugeht und so ein Lied aus unserer Gegend erst zu einem in Berlin wandern muß bis ich es bei Dir finde und hier am Alpenrand wieder höre … eine Freude!
      Servus, schön, daß Du reingschaut hast!

      1. Dass Du dich daran noch erinnerst! Wie schön. Und wie die Lieder und Geschichten so durch die Welt wandern, das ist doch wundervoll. Und auch die Leute natürlich: Ich komme ja praktisch vom Fuß des Wettersteingebirges, vielleicht auch deswegen spricht mich das Lied so stark an…

        1. Wie bezaubernd ist das denn: Du kommst von da, wo der Schneewind herwaht…! Und eine weite Reise hast Du angetreten, bin mir sicher, daß Du das Gebirge im Sinn und im Herzen mitgenommen hast … mit all den warmen Lüfterln und den kalten Schneewinden, die den Stein umspielen … und dem Himmel drüber und dem Geruch nach Latschenharz und Bergwildnis …

  4. Du liebe Wortmalerin … ätschibätschi sagten wir als Kinder schadenfroh, wenn … und Hagebutten, ach, da macht sich heutzutage kaum noch jemand diese Arbeit, ich auch nicht, muss ich gestehen, eigentlich doof, wenn ich jetzt so drüber nachdenke.
    Und ja, da bleibt dann alles zurück, irgendwann und niemand will es haben, velleicht die eine oder andere Kleinigkeit, aber der Rest … so sammel ich einfach keinen unnötigen Tand mehr an, mit dem Rest müssen sich dann die Nachfahren auseinandersetzen, das ist eben auch das Leben!
    Ich sende dir warme und sonnige Oktobergrüße, Ulli

  5. Ätschebätsche riefen wir uns als Kinder schadenfreudig zu. Linker Zeigefinger in Richtung der verlachten Kinder. Mit gekreuzt reibendem rechten Zeigefinger darüber. Im Bembelland.
    Damals. Das ist lange her.

    Ihre Eindrücke, liebe Frau Graugans, beeindrucken mich als Leser.

    Abschiednehmen hat jedes Mal eine gewisse Schwere. Was nimmt oder behält man von einem Menschen, der abgereist ist in grössere Räume? Diese Frage ist schwer zu beantworten. Mich beschäftigt derzeit eher, was ich zurücklassen will. Ich weiss, dass ich denen, die mit der Resteverwertung beauftragt sind, möglichst wenig Arbeit zumuten will.

    Aber jetzt will ich zuallererst den Riederinger Sängern mit offenen Ohren zuhören.

    Ich sende Ihnen herzliche Grüsse aus dem regnerischen Norden, Herr Ärmel

  6. Schamanin. Du. Innige schreiberin. Du bist großartig. Was die Ried. Sänger betrifft: als Kind verfolgte ich oft im TV das Bayrische Notenbuechel, |wo gestandene seltsame Figuren zur Zither sangen, in einer wirtshausecke. Ich fand das schon als 9jaehriger zwar mächtig schräg, aber ich war fasziniert.

    1. Weißt du was, lieber Andreas, ich bin so voller Freude über Deine Zauberworte, daß ich gar nicht weiß, was ich sagen soll, außer einfach nur … Danke!

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