Wir sahen schon von Weitem die Lastwägen über die Bundesstraße in Richtung Stadt rollen, beladen mit den zerlegten Fahrgeschäften. Unterhalb der Felsen, auf die die Große Kreisstadt gebaut ist gibt es einen runden Platz, auf dem zweimal im Jahr, im Frühling und im Sommer, das Volksfest Einzug hielt, für mich war es das Paradies auf Erden. Die Musik, der Geruch nach Zimt und gebrannten Mandeln, alles war bezaubernd und wunderbar. Und alles war sehr teuer, schier unerschwinglich für Menschen mit wenig Geld und wir hatten für all diese Köstlichkeiten immer zu wenig Geld. Aber manchmal durfte ich mit dem Kettenkarussell bis weit über die Dächer, wenn nicht sogar direkt zum Himmel hinauf bis in die Wolken hinein fliegen, begleitet vom Klang der Drehorgel. Oder auf dem Feuerwehrauto mit bimmelnder Glocke rasant im Kreis herumsausen. Mein Vater und meine Mutter sind mal mit der Schiffsschaukel bis zum Anschlag hinaufgeflogen, weil mein Vater plötzlich verwegen wurde und wie ein Wilder antauchte. Manch ein Stadtmäderl, dessen Eltern Geschäftsleute waren und Geld hatten, trug voller Stolz ein großes Lebkuchenherz um den Hals gehängt. Sowas hätte ich auch gerne bekommen, wahrscheinlich auch meine Mutter, aber das konnten wir uns nicht leisten. Das Geheimnisvollste auf dem ganzen Volksfest war dieser Mann mit einem langen Kaftan, an dessen Gürtel ein Säbel hing. Auf dem Kopf hatte er einen runden roten Hut. Mein nahezu allwissender Papa wusste selbstverständlich, daß das ein Türke war, das erkannte man an seinem Fez auf dem Kopf. Er stand hinter einem Holzkarren, auf dem ein glänzender Riesenbatzen lag, ein harter Klotz von gelb-rosa Farbe und so hart, daß er nur mit dem Säbel bearbeitet werden konnte. Für ein paar Pfennige gab es Splitter in ein Papier. Das sei der Türkische Honig und das Beste, was es gibt auf der Welt, sagte mein Papa. Wir mussten aber mit dem Schlecken warten bis daheim, damit man da auch noch was hatte. Der geheimnisvolle Herr Türke sah meine Kinderaugen voller Sehnsucht und kratzte ein paar Splitter für mich zusammen. Es war einfach unbeschreiblich, dieser Genuß, egal, wie verpappt dann Hände, Gesicht und Haare auch waren.
Jetzt hat das Oktoberfest wieder begonnen und es wird heftig geschimpft über Bier- und sonstige Preise und überhaupt über diesen ganzen Blödsinn. Ich liebe Rummelplätze und versteh überhaupt nicht, warum man da soviel schimpfen muß. Kein Mensch braucht eine Maß Bier für fast 15 Euro trinken, diejenigen, die sich trotzdem bis zur Besinnungslosigkeit besaufen, werden das Geld hierfür schon haben. Ich mag Bierzelte überhaupt nicht und schon gar nicht dieses Unwesen, das Menschenmassen dort treiben und sich dicht aneinander gedrängt grölend und schunkelnd daneben benehmen. Für die einen ist es die reine Glückseligkeit, für die anderen ist so ein Ort wichtig, um Geschäfte anzubahnen. Wie dem auch sei, Menschen wollen sich berauschen, seit es sie gibt … die einen saufen alleine zuhause und die anderen halt lieber in Gesellschaft.
Mein Vater hat oft erzählt, wie er mit seinen Freunden auf die Wiesn gefahren ist, zum Besaufen hätte das Geld nicht gereicht, das war ihnen auch überhaupt nicht wichtig, denn sie hatten nur einen großen Wunsch, sie wollten den Steilwandfahrern zuschauen. Und so fuhren sie die 120 km nach München zur Wiesn, mit den Schnauferln, heute heißen sie Bikes. Einer hatte eine Horex, der andere eine Triumph, und ein anderer fuhr eine Jap. Damit war er aber nicht so glücklich, denn die taugte nichts, angeblich. Von meinem Papa weiß ich nur, daß er sich seinen Lebenstraum, eine 500 er BMW nie erfüllen konnte. Da fuhren sie also, die Freundinnen hinten drauf oder mit Beiwagen und dann standen sie voller Glück dort und schauten den verwegenen Kerlen beim Steilwandfahren zu. Das Glück damals muß groß gewesen sein, er hat ein Leben lang davon erzählt.
Ich liebe Rummelplätze, diese Kackophonie der Musiken, diesen Duft, der über der ganzen Stadt zu liegen scheint, das und ich bin sicher, daß jede Frau glücklich ist, wenn sie ein Herzerl bekommt. Egal wie kitschig, überteuert oder sonstwas es ist, jeder Mensch freut sich über sowas. Ich hab auch mal eins bekommen vor vielen Jahren, und ich hab es solange aufgehoben, bis es zerbröselt ist.
Gestern kam der Einzug der Trachtenvereine im Fernsehen, 7 km marschieren alle. Mein Vater hat diese Marschiererei gehasst, ich mag sie auch nicht, aber als sie dann den Bayrischen Defiliermarsch gespielt haben, da war so ein bisserl ein Gefühl in mir, ein warmes Gefühl, ein Bewußtsein, zu dieser Nation zu gehören und da Heimat zu haben, auch wenn es noch so grauslige politische Verwerfungen gibt. Das ist trotz allem ein Gefühl von „ja, da bin ich daheim“.
Dann kam eine geheimnisvolle Benachrichtigung, die besagte, daß an einer Stelle was für mich hinterlegt wurde, die zwar etwas unwegsam, aber für eine Fährtensucherin wie mich sicher auffindbar wäre. Da ich Geheimnisse liebe, hab ich mich sofort auf die Findung gemacht und dann war da ein Packerl mit türkischem Honig, gebrannten Mandeln und …
als ich schon vor Freude Rotz und Wasser geheult hab, hab ich auch noch das Lebkuchenherzerl gefunden, auf dem steht: Alles wird gut!
Ja, ganz bestimmt, denn was auf einem Herzerl steht, geht hundertprozentig in Erfüllung!
Und da schreibt meine derzeit ziemlich aushäusige wunderbare Kraulquappen-Gefährtin!
Und dauernd bin ich wieder an der Werkausgabe von O.M. Graf von der Büchergilde Gutenberg. Teile davon hatte ich schon vor langer Zeit. Wohin ist die Zeit; wohin diese Bücher?
Und dann lese ich Deinen Text und so viele Erinnerungen steigen in mir auf.
Vielen Dank dafür.
Der Fassbinder hat den Bolwieser verfilmt. Sehenswert. Kurt Raab als Xaver Bolwieder…
Gruss
Robert
das ende deines berichtes rührt mich zu tränen, kann ich doch diese sehnsuchtsvolle zeit der 50-er jahre verstehen. einmal fuhr meine mutter mit mir autoscooter, das geld war eingeteilt. nach der kirmes sammelten wir an dem platz der schießbude die kügelchen auf dem boden, warum auch immer, zum murmelspielen waren sie zu klein. ich schenke heute manchmal kindern 5 euro beim rummelplatz, oder fahrtickets, wenn ich sehe, sie haben nicht viel geld.