Man kann es doch verstehen, sagt die Nachbarin am Abend des Wahlsonntags nach Bekanntwerden der Ergebnisse. Ich hab „sie“ ja nicht gewählt, aber man muß sie halt verstehen, die Leute, sie sagen, wir haben immer noch mehr Ausländer hier und denen wird alles reingeschoben und wir bekommen nichts … nein, das versteh ich ganz und gar nicht. Ja, mir ist das auch klar, daß diese Völkerwanderung über den ganzen Erdball große Probleme macht, Millionen Menschen sind unterwegs, suchen eine neue Heimat, weil sie es in der alten nicht mehr aushalten oder schlichtweg verhungern müssten. Ja, wir haben selbstverständlich Probleme mit den ganzen EinwanderInnen, da liegt sehr viel Arbeit vor uns und manches scheint unlösbar. Die Grenzen zu schließen, das ist mir zu einfach. Aber ich will keine Diskussionen mehr darüber, warum diese beiden Parteien populistisch so erfolgreich waren mit dem Verabreichen ihrer einfachen Antworten auf komplizierte Fragestellungen und den anfälligen Leuten honigsüßes Gift ums Maul schmierten, daß sie jetzt zweit- und drittstärkste Kräfte im Land sind. Wir leben hier immer noch wie im Schlaraffenland. Ringsherum ist Krieg und Menschen werden gequält und umgebracht. Ich einige mich mit der Nachbarin drauf, daß die am meisten jammern, die Geld auf der Bank haben, die haben Angst, es könnt weniger werden. Es ist immer das Gleiche, die populistischen Schreier sind beliebt wie der Rattenfänger von Hameln. Wenn ich mir das Wahlergebnis hier vor Ort im Bergland anschaue, dann wird mir schlecht. Ich bin froh, daß die Wahl geheim ist, denn ich tät mich davor fürchten, wer alles sich der rechtsradikalen Marktschreierei zuwendet und an deren Giftinfusion hängt. Meine Güte! Aber ich denke nicht daran, die Hoffnung aufzugeben, denn es existieren auch noch andere Stimmen und andere Ansichten und es gibt immer mehr und mehr junge Menschen, die an konstruktiven Lösungen arbeiten, egal wieviel Steine ihnen von den ewiggestrigen Betonköpfen in den Weg gelegt werden.
Heute kommt plötzlich sandsturmartiger Wind über die Berge und fällt herunter auf den staubtrockenen Platz vor dem Haus. Flirrende Hitze und ratloses Verglühen zwischen Sommer und Herbst. Aus den Hagebutten fließt rote Farbe und läuft über den wilden Wein. Das Blut des Weißdorns rinnt am Stamm der Birke hinab, an die er sich schmiegt. Langsam verblutet das Jahr in der Illusion von Sommer, der längst schon Herbst ist.
Viele Weintrauben haben wir heuer, so viele wie noch nie, sie werden immer süßer. Weintrauben gab es früher nur, wenn jemand im Krankenhaus lag. Bei einem Besuch brachte man sie mit als Trost und Aufmunterung zum Gesundwerden. Manchmal, vor allem zum heiligen Muttertag, wurde meine Oma von denen besucht, die meine Mutter „Deine Mischpoke“ nannte und mein Vater „die ganze Bagage“. Da kamen dann seine Geschwister mit Anhang angereist und verwöhnten die Oma mit allen möglichen selbstgetöpferten Krüglein und anderen Merkwürdigkeiten, aber manchmal auch mit ein- zwei Weintrauben oder einer Orange. Das war auch für mich ein Festtag, denn die Oma schenkte mir gleich nach Verschwinden der Verwandtschaft einen Teil der Köstlichkeiten.
Daheim wuchsen keine Trauben, wir sind kein Weinland und es gibt auch an einem an den Hügel hingeduckten Bauernhaus hier im Voralpenland kaum Fläche, wo ein Weinstock wachsen könnte. Unserer ist deshalb auch ziemlich ungeschickt gepflanzt, wächst über der Garage und wuchert gefährlich bis unters Dach und in die Dachrinnen hinein. Es erfordert schon heldenhaften Mut, ihn zu beschneiden, man muß hoch hinauf mit wackeligen Leitern und deshalb wuchert er überall herum und man kriegt das Garagentor nur noch mit Mühe auf und zu. Das Ernten kommt einer Mutprobe gleich, man hängt irgendwo im buschigen Nirgendwo und hat die süßen Trauben vor der Nase und wünscht sich ausfahrbare Arme … das Glück ist groß, wenn man dann ein paar dieser wunderbaren, schwer erkämpften dunkelblauen Trauben in der Hand hat und sie beim Zerplatzen im Mund diesen göttlich-süßen Nektar freigeben!
Es ist doch so … das Schöne und das Schlimme gibt es immer gleichzeitig. Im nahen Osten gehen die Bomben hoch, Menschen sterben, oder haben gräßliche Angst um die gefangenen Geiseln und wer kann sagen, wie kommen beide Seiten aus der Schuld, die man sich gegenseitig mit Raketen an den Kopf schießt, wieder heraus…
Und ich sitz mit der Freundin zusammen und wir trinken einen Capucchino nach dem anderen und wir müssen soviel erzählen und soviel lachen und gleichzeitig könnten wir jederzeit auch weinen.
Die Dämmerung hat im Herbst eine ganz andere Farbe als im Frühling oder Sommer und es riecht ganz anders. Die Rosen nicken mal hierhin – mal dorthin im Abendwind.
Und hier schreibt die zwischen Wörtern und Bergen herumgehende Kraulquappe:
Es gibt schon immer beides, liebste Graugans, aber manchmal gibt es auch Überhänge. Gerdae sah ich, wie in Bayern die jungen Menschen gewählt haben und da ward mir Angst und Bang – noch mehr!
„Es ist ein Weinen in der Welt …“
Schließe ich für heute mit Rosa von Luxemburg: Bleiben wir heiter!
Herzlichst, Ulli
Ein guter Kommentar, spricht mir aus dem Herzen!
oh ja, danke hierfür, der erste abschnitt spricht mir aus dem herzen, es wird einem angst und bange, wenn schon die nachbarn, um mal die nähe auszudrücken, mit dem gedanken spielen, diese populistische partei zu wählen.
mischpoke und bagage, mir sehr vertraute begriffe. 🙂
und noch mal ein nicken, ja, es gibt immer beides; und das lachen sollten wir bei allem nie verlernen.
danke für diesen guten und schönen beitrag, und einen herzlichen gruß zu dir!