Archiv der Kategorie: Poesie

„Abschied von den Fröschen“

Mal wieder habe ich mir eine Nacht um die Ohren geschlagen, denn die Filme, die mir wirklich wichtig sind, die mir unter die Haut gehen, mir helfen, zu Sein  und mir den Blick erweitern und sich dadurch weiteste Weiten und Räume auftun, indem ich kleinste Parzellen erforschen darf und Reisen in die Große Unendlichkeit draussen im Weltall und im Inneren Wassertropfen meiner Seele, diese Filme können anscheinend nur dieser Handvoll Verrückter, die in größtmöglicher Einsamkeit nächtens vor den Fernsehern kauern, zugemutet werden!

Seitdem ich  heut Nacht aus dem Film: „Abschied von den Fröschen“ von Ulrich Schamoni wieder auftauchte, bin ich von tiefem Dank erfüllt für dieses Erlebnis. Ein großer Regisseur, dieser Ulrich Schamoni. Er hat sich gefilmt, sich und sein Leben, bis zum Schluß. Der Film handelt von einer Zeitspanne von ungefähr eineinhalb Jahren bis ein paar Tage vor seinem Tod und spielt im Haus, aber vor allem im Garten seines Hauses im Grunewald. Und es sind wohl an die 170 Stunden Filmmaterial geworden, die nach seinem Tod 1998 von seiner Tochter zu Spielfilmlänge geschnitten wurden. Anscheinend lief der Film 2012 in den Kinos, da habe ich ihn leider verpasst, bin aber froh und dankbar, daß ich ihn nun auf 3Sat sehen konnte.

Ja, selbstverständlich ist dieser Film eine Geschichte der Vergänglichkeit, einer geht durch sein Reich, zeigt Bilder aus dem Mikrokosmos seines Gartens, zeigt das Leben in seiner Fülle und wie es sich lebt und wieder vergeht und erzählt aus dem eigenen aktuellen Menschenleben, wie er mit seiner Krankheit umgeht und was er gerade so denkt und erforscht und was ihn brennend interessiert. Ein Dokument über vergehende Zeit.

Das, was mich bis in die Grundfesten berührt, ist die Art und Weise, wie er durch sein Leben geht, wie er es filmt. Ohne jegliches Pathos nämlich, ohne Sentimentalität, mit diesem überwältigendem Humor, der ja nur dort wahrhaftig gedeihen kann, wo auch der Tod daneben sitzt und auch zu schmunzeln beginnt, ja, dieser Humor…den kenne ich, den hatte meine Mutter auch bis zuletzt.

Das Erschütternste und Wunderbarste, das, was weinen läßt und glücklich macht, das ist diese große Liebe, die aus den glänzenden, staunenden Kinderaugen dieses totkranken Gesichts von Ulrich Schamoni herausstrahlt…ein inneres Leuchten, eine Liebe zu allem, einfach zu allem, was ist. Haben Sie Dank, sehr verehrter Ulrich Schamoni für diesen liebenden Blick, er ist angekommen und in mein Herz geflossen. Mögen die Engel Sie auf Händen tragen für immer und alle Zeit.

Der Film „Abschied von den Fröschen“ ist in der Mediathek von 3Sat noch für ein paar Tage zu sehen.

 

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„Komm Schatz, wir stellen die Medien um…“

Leider bedeutet ein Ausstellungsbesuch in der Kunsthalle Krems mindestens fünf Std. Autositzen, die derzeitige Ausstellung täte ich mir gerne öfters – am besten unendlich oft – anschauen: Pipilotti Rist – „Komm Schatz, wir stellen die Medien um & fangen nochmals von vorne an.“ Ausstellung läuft noch bis 28.06.2015.

Unbeschreiblich zauberhafte Videoarbeiten, die so außergewöhnlich sinnliche Wahrnehmungen auslösen, daß sich das Denken und die Versuche, herauszufinden, was das jetzt alles bedeuten könnte, ganz von allein einfach so abstellen, das Bewusstsein darüber, was innen und was aussen ist, verschwimmt. Unmöglich, zu beschreiben, wie genau es passiert, ich hatte jedenfalls das Gefühl von unendlichen Weiten, die sich in mir auftaten, ausgebreitet im Universum in ungeahnten Dimensionen und gleichzeitig doch alles hier und jetzt und in radikaler Verweigerung jeglicher Idylle.

Die Ausstellung ist so groß, kaum zum Erschauen, ganz sicher muß ich da nochmal hin!

Hiermit möcht ich auch nochmal einen besonderen Dank ins Waldviertel schicken, denn durch den Hinweis von Ingrid: http://waldviertelleben.blogspot.de/ hab ich überhaupt erst von dieser beglückenden Ausstellung erfahren!

„Paradiesghetto“

Vor mehreren Wochen, um mich nicht ganz in den düsteren Welten von Ole Knausgard zu verlieren („Es hat alles seine Zeit“), wollte ich zwischendurch was anderes lesen und griff zu dem Buch: „Das Paradiesghetto“ von Eberhard Rathgeb. Kein dickes Buch, 235 Seiten. Es geht mir nicht mehr aus dem Kopf, es geht mir nach, verfolgt mich, nein, nicht bedrohlich, leise und unauffällig ist es in meinem Leben aufgegangen und ich sehe es in meinen Augen, wenn ich in den Spiegel schaue. Es ist die völlig unspektakuläre Geschichte einer alten Frau, Mutter von vier erwachsenen Töchtern und Witwe, die alleine in ihrem Haus lebt, ihren täglichen Verrichtungen nachgeht und über ein Leben, ihr Leben, nachdenkt. Und sie sinnt nach über Fragen, auf die sie keine Antworten bekommt…oder sollte ich sagen, daß sie über Antworten nachsinnt, zu denen sie nie die richtigen Fragen gestellt hatte? Ich ahne Geheimnisse und ich ahne, daß sie sie auch ahnt, warum wurden denn soviele Dinge nicht angesprochen, frage ich mich. Eine müßige Frage und nicht zu beantworten.
Ein Buch voller Melancholie, Lebensüberdruss, Einsamkeit, einem alten, lästigen Körper, Schrulligkeiten, fixen Ideen, einer ungeklärten Schuld…nein, nicht zu viele Worte machen…es ist die einfache Geschichte einer alten Frau, deren Leben zu Ende geht, erzählt von einem, dem ich sie glaube.

„Sie hatte das Glück nicht gemocht und war mit ihrem Unglück alt und einsam geworden. Sie wusste, dass sie nicht in Frieden sterben würde. Die Unruhe blieb, der Zweifel, das Mißtrauen, die Empörung und eine ungewisse Sehnsucht. Das Leben zog sich aus ihr zurück, müde und schwermütig, wie nach einer Niederlage, ganz so, als sei ihr nicht zu helfen gewesen.

Sie saß im Sessel, die Beine ausgestreckt auf dem niedrigen Tisch vor sich, und schaute in die Leere zwischen den Dingen, die sie überleben würden.“

Das Paradiesghetto
Eberhard Rathgeb
Carl Hanser Verlag
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„…und wär´s nur um Geringes…“

Schatten

Baum, Wolke, Wasser und Schatten

Im Wind, der sie floh und fing,

Reden vom Glück, das wir hatten,

Raunen vom Leid, das verging.

 

Leid, Wind und Wasser; und ging es?

Und kam es? Und wann? Und wie?

Und wär´s auch nur um Geringes:

Die Rechnung rundet sich nie.

 

(Rudolf Alexander Schröder, geb.1878)

 

Vor vielen Jahren kam Susanne nach angeblichem Suizidversuch auf die geschlossene Station, ich war ihre Betreuerin. Sie hatte schwarzgefärbte Haare, schwarz umrandete, gescheite Augen, war sehr blaß und sehr zart, sprach sehr leise und war 18 Jahre alt. Ich war kaum zehn Jahre älter als sie, schleppte ein paar Tragödien hinter mir her, war keineswegs so souverän, wie ich mich gab und mindestens so melancholisch wie sie. Wir mochten uns auf Anhieb. Jede freie Minute und halbe Nachtdienste saß ich an ihrem Bett. Ich kann mich nicht mehr erinnern, was wir sprachen, irgendwann fing sie an, Gedichte zu rezitieren, einfach so, aus dem Gedächtnis. Durch ihren Mund hörte ich zum ersten Mal „Das Gewitter der Rosen“, Verse von Karl Krolow, Georg Trakl, Christine Busta, Gedichte von Christine Lavant, die mir durch Mark und Bein gingen…vieles habe ich vergessen, auch an sie selbst kann ich mich kaum erinnern,  wahrscheinlich sah sie aus wie viele vor und nach ihr. Aber die Nähe zu ihr, die spüre ich noch heute, und sie hat mir ein Geschenk gemacht, durch das ich ein Leben lang ein wenig reicher wurde:  ich war es ihr wert, daß sie vor mir ihre Schätze ausgebreitet hat und sie wird es nie geahnt haben, wie sie damit mich heilte…

So wie sie gekommen war, verschwand sie bald, nie mehr haben wir uns wieder gesehen. Ein paar Seiten, aus einem alten Schulheft herausgefallen, darauf hingekritzelt, schnell als Abschiedsgeschenk  für mich…damit was bleibt von ihr?..ein wenig Poesie zum Überleben…“die Rechnung rundet sich nie“, aber , ein Leben lang schlepp ich sie mit mir herum, diese Zettel.

Schatten

Nein, Susanne, ich werde  Dich nie vergessen, Nie!

 

 

Sand…

 

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Ein Mann am Sand, alleinstehend.

Als er den im Bild nicht mehr ertrug, hat er ihn herausgeschossen.

Aber das geht uns nichts an.

Er geht uns nichts an.

Eigentlich war er Illustrator, das brachte ihm nichts.

Er fing an zu schreiben und konnte es sofort.

Jetzt kommt im Nachtrag noch was Neues von ihm hinzu, ein Fragment, ihm abgerungen, da er keine Fragmente hinterlassen wollte.

„Bilder deiner großen Liebe“, wir werden es lesen müssen, ein wenig traurig und schaudernd, denn es geht uns was an.

Uns, die wir am Sand stehn und noch im Bild sind.

 

in Memoriam Wolfgang Herrndorf

 

 

„Trouble is my…

Kundschaft

 

Manch einer will die

harten Sachen.

Den nackten Schrei,

roh und brutal wie

ein Verkehrsunfall mit

Toten.

 

Ein anderer hat es

gern subtil

und zwischen den

Zeilen. Weder klar noch

deutlich. Stets

ein bißchen hintenrum.

 

Und ein dritter

sucht den hohen Ton.

Das Prätentiöse.

Den ausgestreckten

Zeigefinger

in der Wunde.

 

Doch sie alle sind

nur Kunden.

 

Auf der Suche nach

sich selbst

durchwühlen sie

deine Zeilen

wie einen Korb voll

schmutziger Wäsche.

 

Und wenn sie

sich nicht finden, bist

du schuld.

 

Florian Günther

http://www.edition-luekk-noesens.de/drecksack/

„Rohstoff“

In Klagenfurt beim Bachmannwettbewerb ist ihm von Ranicki § Co. gesagt worden: „Sie gehören hier nicht hin!“ Und in einem dieser völlig überflüssigen Interviewversuche, diesmal mit H. Karasek, in dem ein viel zu gescheiter Schriftsteller auf die etwas einfältigen Fragen intelligent antwortet, weil er zu nichts anderem fähig ist, läuft das ganze nervige Gerede darauf hinaus, daß der eine sagt, er wäre kein Schriftsteller, er wüsste nicht so recht, was das denn sei und der andere sagt, ob er denn ein Publizist sei? Jörg Fauser sagt: „Ich bin Geschäftsmann. Ich vertreibe Produkte, die ich herstelle, und das ist ein Geschäft.“

„Writing is my business.“ Karasek: “ Aha.“

Dieses Interview ist im Buch „Rohstoff“ von Jörg Fauser, zusammen mit einer mir gleichfalls eher überflüssig erscheinenden Nachrede von B. v. Stuckrad-Barre. (Verlag Diogenes)

Dieser „Rohstoff“ ist jetzt endlich auch bei mir gelandet und das verdanke ich der  kleinen großen Literaturzeitung „Drecksack“ von Florian Günther aus Berlin, denn da gibt es eine ganz wunderbare Sonderausgabe über Jörg Fauser, der im Juli 70 Jahre alt geworden wäre, wenn ihn nicht 1987 unter sehr merkwürdigen Umständen auf der Autobahn bei München ein Lastwagen totgefahren hätte.

Nein, ich werde keine Sätze zitieren aus dem Roman, das käme mir frevelhaft vor. Ich habe mich beim Lesen von „Rohstoff“ schon öfters gefragt, was denn dieses ganze Suff- und Drogenzeugs mit mir zu tun hat und ob ich mich unbedingt durch die schmerzende Wahrhaftigkeit dieses Textes quälen müsste. Ja, und dann habe ich dieses Buch ausgesaugt bis auf den letzten Tropfen…und ja, es hat was mit mir zu tun, diese gnadenlose Ehrlichkeit, mit der er sagt, was ist und wie all die Gescheiterten doch immer wieder von was träumen und dann wieder scheitern und hinfallen und wieder aufstehen und trotzdem nichts Heldisches haben.

Ich glaube ihm, denn er ist einfach saugut geschrieben, dieser Roman „Rohstoff“ von Jörg Fauser! That´s  it.

 

„Ich halte den Künstler, den Schriftsteller, nach wie vor für einen Aussätzigen, sich selbst Aussetzenden, außerhalb und mit dem Rücken zu jedweder Gemeinschaft und Gesellschaft Stehenden.“ (Jörg Fauser im Essay „Der Strand der Städte)

Ja.