# 43 Der Alfons, der Bussard und die Buschwindröserln.

In der Laterne vor dem alten Haus brennt schon die Kerze und die Türe ist offen, wir freuen uns auf Besuch. Der Alfons kramt noch ein bisserl im Auto herum und als er mit Gastgeschenk im schwarzen Stoffbeutel aufs Haus zu geht, da lächelt er und mir ist, als würde das Haus auch lächeln und seine Arme ihm entgegenstrecken. Meistens tut das Haus gar nichts, wenn es jemand betritt, zumindest merkt man ihm nichts an. In seltenen Fällen scheint es jemand, der oder die es betreten, nicht zu mögen, dann verhält es sich kalt und abweisend und eine Art Düsternis kriecht aus den Ecken und es wird dunkel, auch wenn das Licht brennt. Und manchmal, da lächelt es aus allen Ritzen und ein warmer, goldener Schimmer der Freude legt sich über die Dinge und über die Menschen, die um den Tisch herum sitzen..

Ja, und so war dieser Abend dann auch. Der Alfons ist ein lieber Mensch, wir verstehen uns gut und aus diesem Kontakt ist im Lauf der Jahre immer mehr eine Herzensfreundschaft geworden. Wir sitzen da, essen und trinken und lassen die Geschichten kommen und gehen. Es gibt soviel zum Erzählen, so viele Fragen, so viele Antworten, ein wohltuendes Reden, so, als würden wir schon hundert Jahre hier sitzen und die nächsten hundert dazu.  Und wir sind umarmt von meterdicken Mauern, selten, daß ein Gast und das Haus sich so mögen. Und wir gehen in den großen Raum hinaus, in dem früher die Schmiede meines Vaters war. Auf dem Weg zum hinteren Teil des Hauses hängen unzählige alte Schlösser und Hellebarden lehnen an der Wand … übriggeblieben von einem Auftrag einer Burg. Alfons schaut alles mit glänzenden Augen an, sein Vater war auch Kunstschmied und Musikant, genau wie meiner. Die ehemalige Schmiede hat Herr Graugans umgebaut zu  Fotostudio, Buchbinderwerkstatt etc. und zu seinem Firmenbüro, wir sagen aber nach wie vor Werkstatt dazu. Als wir wieder ins Vorderhaus gehen, fällt mir auf, wie schön die Dinge werden, wenn jemand sie im Vorbeigehen mit liebevollem Blick streift. Sogar die Spinnweben sind nicht wegzudenken, sie gehören zum Ensemble und runden es erst so richtig ab.

Das Allerschönste ist ja, wenn man so beieinander sitzt, wenn man die gleiche Sprache spricht und dann hin und wieder lachend feststellt, daß es doch nicht dieselbe ist, weil die ca. 15 km, die zwischen unseren Heimatorten liegen, tatsächlich zu wörtlichen Unterschieden in den Regionaldialekten geführt haben. Es tut unglaublich gut, mal einen Abend lang die ganz normale hiesige Alltagssprache zu hören, ohne die ständige Anpassung an das, wie ich es nenne „Nordsprech – Syndrom“, das krampfhaft verhindern soll, daß man der Sprache das Südliche anhört. Das angestrebte, weil intellektuell höherstehend vermutete nördlich angehauchte Hochdeutsch scheint umso leichter erreichbar, je mehr man Wörter wie „mega“ und „lecker“ benutzt und nicht mehr schauen, sondern nur noch „kucken“ darf und was sonst noch an „unfassbar“ gescheiter Sprachvielfalt so daherkommt.

Wir hatten es schön mit dem Alfons und haben geredet, wie uns der Schnabel gewachsen ist und wir werden das sicher bald wieder so machen. Nachdem wir uns um Mitternacht verabschiedet hatten, lag auf dem Sofa der vergessene schwarze Stoffbeutel mit dem Aufdruck „Chor“ herum … wie war das … man läßt was liegen, dann kommt man bald wieder zurück, oder? Wär schön, freu mich schon!

Beim Radlfahrn kommen kalte Windböen und jagen mir Regentropfen wie Eiskugerln ins Gesicht. Ich mag dieses Wetter im März, ich brauch nicht immer Sonnenschein und ich liebe es, durch den Sturm zu sausen und mich von der wilden Kraft der Elemente tragen zu lassen.

Auf der Eberesche, ganz oben, sitzt der Bussard. Ich sehe ihn jetzt täglich. Heute schaut er zu mir runter, schaut mir direkt in die Augen und bleibt sitzen, während ich an ihm vorbeifahre.

 

Auf der Streuwiese heute:

Buschwindröserl (Anemone nemorosa)

 

Da schreibt die Kraulquappe.

6 Gedanken zu „# 43 Der Alfons, der Bussard und die Buschwindröserln.

  1. …fällt mir auf, wie schön die Dinge werden, wenn jemand sie im Vorbeigehen mit liebevollem Blick streift.

    Das ist wundervoll formuliert 🧡
    Danke & Grüße, Reiner

  2. Mir wurde ganz warm ums Herz bei dieser liebevollen Beschreibung. Ich konnte das Haus und den Alfons regelrecht spüren und all die liebevollen Blicke auf die Dinge rings umher.

  3. Bemerkenswert und schön, dass das Haus so einen Eindruck macht, weil dieser Mensch kommt, das Gebäude seine Arme öffnet und ihn willkommen heißt. Das spricht für das Haus, in dem ein „Leben“ steckt, kein Stahlbetonbau, der keine Ausstrahlung hat.
    Wenn Häuser sprechen könnten (sie tun es wohl, nur wir verstehen sie nicht) manche Geschichte wäre es wert gehört zu werden. Auch würden wir dafür sorgen können, das manches schlimme Alte hinausgetrieben wird und das Haus seine Würde und Ausstrahlung zurückerhält und Menschen nicht mehr unglücklich darin sein müssen.

    Danke für die feine Erzählung, die mich gedanklich weiterträgt.
    Mit Gruß,
    Syntaxia

  4. Manchmal verschmelzen Gegenstände und Gefühle zu einer alles umfassenden Stimmung …. das veranschaulichst du hier aufs wohligste. 🙂
    Die Sache mit der Sprache … das kennen wir in Österreich auch!
    Liebe Grüße, Andrea

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.