Archiv der Kategorie: Kreuzweg

Stein auf Stein

Nachricht, nur so nebenbei, am Rande des Zeitgeschehens: Eine Frau, etwa zwanzig Jahre alt, wird gesteinigt. Ein paar junge, dafür abgerichtete  Männer,  stecken die Frau in eine Grube und werfen so lang Steine auf sie, bis sie tot ist. Dies alles sogar mit Film fürs Netz. Wieviel Steine erträgt so ein Kopf, bis er kaputt ist?  Die Mörder haben ganz unbeteiligte Gesichter, heißt es.

Was tun die jungen Männer dann, nachdem sie geprüft haben, ob auch wirklich kein Leben mehr durch das blutende Fleisch zuckt? Gehn sie dann heim an den Küchentisch, wo die Mutter mit dem Essen wartet? Oder stehn sie noch ein wenig herum und reden darüber, daß die heut kaum tot zu kriegen war oder, daß einer von ihnen einen sauguten Treffer landete?

Gehn sie heim , wo ihnen die Kinder entgegenlaufen und die Frau sagt: „Na, wie war dein Tag?“

 

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Land in Sicht?

Noch kurz vor seinem Tod hat Günther Grass –  (er möge in Glückseligkeit in der ewigen Heimat wohnen!) – für Aufruhr in den Medien gesorgt, nur weil er sagte, daß schon einmal jeder Haushalt Flüchtlinge aufnehmen musste hierzulande, und es sei auch gegangen. Ausgelegt wurde es ihm dann, als hätte er gesagt, daß es eine Verpflichtung zur Aufnahme geben müsse – heute! Ja, da haben sich dann alle aufgeregt…ja, natürlich sind wir wieder mal sehr „betroffen“ über die ertrunkenen Flüchtlinge, ja, das tut uns natürlich sehr leid…und? Was weiter? Wessen Problem ist das? Und was sollen wir tun dagegen? Ich frage mich schon, warum eigentlich darüber kein Shitstorm ausbricht, warum rennen jetzt nicht Hunderttausende auf die Straße und schreien ganz laut? Warum fahren wir nicht mit unseren teuren Autos an die Küsten und sammeln sie ein, diese Ärmsten der Armen? Ja, allen tut es so leid, aber was ist denn die Konsequenz? Ich glaube, wir müssen sie kommen lassen, ja, alle! Alle, die es in ihrer Heimat nicht mehr aushalten und ich bin mir sicher, wenn diese Entscheidung getroffen ist, dann werden die Menschen nicht mehr armselig auf dem Meer verrecken. Ja, ich höre sie schon alle, wie sie von denen reden, die angeblich nur wegen unserer sozialen Leistungen kommen täten und weil es angeblich bei uns ein Schlaraffenland gibt! Meint Ihr denn, die Menschen geben alles auf, verlassen ihre Heimat, wissend, daß die Chance, halbwegs lebend an irgendein Ufer zu kommen verschwindend gering ist, nur, weil sie bei uns krankenversichert sind oder was? Diese EU, unsere reichsten Länder der Erde, versucht alles, um die Grenzen abzuriegeln und das Elend draussen zu lassen…aber es wird trotzdem angeschwemmt. Wir wollen nicht akzeptieren, daß es längst eine Völkerwanderung gibt, nicht die erste und nicht die letzte. Es kann monatelang in Arbeitskreisen, Gremien und was weiß ich alles gequatscht werden, Ursachenforschung betrieben und Analysen in jeder Richtung, TalkTalkTalk über alles…letztendlich, um dieser himmelschreienden Schweinerei von Schleusern und Konsorten, die alle auch noch viel Geld verdienen am Elend der dann doch krepierenden Menschen im Meer ein Ende zu bereiten, werden wir sagen müssen: wir nehmen Euch auf! Alle!

Ja, es wird große Probleme geben, ja, die Not , Traumatisierung, Heimatlosigkeit werden die Menschen nicht edler machen, ja, wir werden Menschen aufnehmen, die kriminelle Handlungen begehen, ja, wir werden uns voreinander fürchten, die einen vor der schwarzen Haut und schwarzen Augen und die anderen vor weißer Haut und blauen Augen und ganz sicher werden wir pro Haushalt irgendwann kein Geld mehr kriegen, um die Flüchtlinge unterzubringen und zu verköstigen, denn, wenn einmal die wirklich großen Massen kommen, dann wird es vielleicht sogar bei uns knapper mit dem Geld…aber wenn ich mich auf dem Parkplatz beim A… umschaue, wo mein Auto immer das mit Abstand kleinste ist, und ich mir oft denke: der vor mir geparkte Wagen, der wäre ein neues Hausdach und dann könnten wir auch noch dies und das reparieren am Haus…wenn ich dann die Wägen vor und hinter mir noch dazu täte, dann hätten wir eine Heizung und könnten sogar noch den Keller trockenlegen lassen…also, wenn pro Haushalt nur noch ein Auto da wäre, dann würde in vielen Fällen auch eine 30qm große, beheizte Garage frei und da könnten wir schon unendlich viele Flüchtlinge jahrelang beherbergen und verköstigen, nicht wahr?

Ich verdanke mein Leben einem sogenannten „Flüchtlingsweib“, wie man sie damals (und heute!) nannte. Meine Mutter hatte es noch relativ gut, wenn man ihr Schicksal vergleicht mit denen im Meer, wurde sie doch „nur“ mit unzähligen anderen sogenannten „Vertriebenen“ in Viehwaggons gepfercht und ins Nirgendwo hingekarrt unter Bedingungen und mit Erlebnissen, die sich lebenslang eingebrannt hatten…irgendwann gestrandet bei einem Bauern, der sie gezwungenermaßen aufnehmen und verköstigen musste. Dort wurde sie von meinem Vater entdeckt, der sich unsterblich verliebte in sie, die so anders war, und der sie dort herausheiratete und zu sich in ihre neue, zweifelhafte Heimat holte. Bald darauf kamen noch weitere Flüchtlinge, die unserem Haus zugeteilt wurden. Und so hauste man miteinander, in ziemlicher Armut und ohne Glücksgarantie. Ja, aber es ging auch irgendwie. Was ist das, „Heimat“? Das frage ich mich mehr denn je! Ist es nicht dort, wo endlich mal „Land in Sicht“ ist? Also, wir halten die Tür auf und werden sagen: „Seid willkommen!“ Natürlich hab ich auch Angst davor, mit so sehr fremden Menschen in unserem alten Haus, wie soll das gehen, ja, leicht wirds nicht, viele Mißverständnisse werden uns plagen, trotzalledem glaube ich, daß es nur so sein kann, wenn nur viele genug dafür eintreten, viele müssen wir sein und HEIMAT müssen wir anbieten.

 

Schmerzensmann

Wie schnell und immer schneller wir doch durch die Zeit schießen…Ostern vorbei, die Passionswoche, der Kreuzweg, die Parabel vom Leiden und grausigen Sterben eines Menschen, der wohl bis zum Schluß auf die Hilfe des göttlichen Vaters gehofft hatte. Schreckliche Ahnungen in der Nacht am Ölberg und das Ende, die fürchterliche letzte Konsequenz: keine Rettung für einen gewöhnlich Sterblichen. „Vater, warum hast Du mich verlassen?“ Weil Er nicht „rettet“, das ist nicht vorgesehen. Wir sind im Großen Kreislauf doch auch nichts anderes als kleine Zellen, die sich neu bilden und wieder absterben, alles wandelt sich ständig, aber wir sind wohl die einzigen Zellhaufen, die an einer Form festhalten wollen und mit aller Kraft, die wir haben, ignorieren, daß wir bereits an den Rändern ausfransen…wir laufen doch nur für einen Augenblick durchs große Weltenbild, im Höchstfall ein kurzes Aufleuchten und schon sind wir weg. Erst durch eine „Diagnose“ bekommen wir dann sozusagen das Todesurteil und dann schwitzen wir am Ölberg Blut und Wasser, denn jetzt wissen wir, wir sind sterblich. Und die Freunde am Ölberg haben geschlafen, ja, denn wer will schon dem eigenen, drohenden Tod ins Auge schauen im anderen Menschen?

Durch die Passion hat mich ein Spruch begleitet, wie ein Koan trage ich ihn in mir, manchmal ist mir, als würde eine Tür aufgehen, nur einen Spalt, aber sobald ich hinsehe, ist sie schon wieder verschlossen: „Werdet Vorübergehende.“ Einer der vielen umstrittenen, sehr rätselhaften Worte Jesu in den sogenannten „Apokryphen“, warum sich grad der Spruch mir angeheftet hat, weiß ich nicht, jetzt ist er da und begleitet mich.

Ja, natürlich, es gibt dann die Auferstehung, das Ende einer Parabel, das besagt, daß es kein Ende gibt. Interessanterweise legen hierüber die äußersten Randfiguren der Geschichte Zeugnis ab: Drei Frauen bemerken das leere Grab und sie haben die heilige Ahnung, daß soeben der Tod überwunden ist. Die Ahnung sei Ihnen von Engeln eingeflüstert worden…naja…wer´s glaubt!…Vielleicht haben sie es ja bemerkt, weil sie es ursprünglich wussten: die Erste spinnt den Faden, die Zweite reicht ihn weiter, die Dritte schneidet ihn ab, während ihn die Erste schon wieder gesponnen hat…und sind doch alle drei die Eine! Und alles, alles dreht sich im Kreise auf uralte Weise – und – das Ende hat stets den Anfang im Mund.

Das Göttliche Geheimnis hat kein Geschlecht, nicht wirklich, aber das Kind in mir sucht nach Bildern. Ich bin kein religiöser Mensch und mißtraue den gängigen Glaubensparolen und doch bin ich wohl eine Gottsucherin geblieben. Und ich suche vor allem die Spuren der alten Muttergöttinnen, vielleicht deshalb, weil ich meine Mutter schon so lange verloren habe. Und überall, wo SIE ist, ist auch ER, von Ihr geboren, Göttin und  Schmerzensmann, so als müsste ich Seine Geschichte erfahren um Sie zu verstehen? Nichts darf ausgelassen werden auf dem Weg, alles muß erfahren werden, Verrat, falsche Hoffnungen, Krankheit,  Einsamkeiten, Tod und Leben, Liebe, Freude…alles sollten wir durchtanzen, nirgends bleiben, weiter und weiter die Zeiten und Räume durchwandern im ewigen Tanz durch den Weltenkreis. Frei wie der Wind  möchte ich leben, manchmal ein Sturm, peitsche ich Wellen, reisse die Dächer von den Häusern, als lauer Wind streiche ich sanft über Blumenköpfe, so frei, frei bin ich, meine Gedanken versetzen Berge , bringen Vulkane zum Explodieren, lassen Wunden heilen und mein wildes Lachen läßt mich auf Wolken springen…so wild und frei tanze ich mit dem Drachen…trotz alledem!

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…voll der Gnaden…

Gleich zwei Seiten Todesanzeigen in der Lokalzeitung. Januar/Februar sterben die Leute, die Weihnachten so grad noch überleben konnten.
Für kürzlich Verstorbene in der Nachbarschaft knie ich mit schmerzenden Beinen in der eiskalten Pfarrkirche und bete den „schmerzhaften Rosenkranz“, weil es halt so der Brauch ist. Ich muß aufpassen, daß ich mitkomme, denn obwohl in jüngster Zeit öfters gezwungenermaßen gebetet, verzähle ich mich bei den Stationen und muß deshalb auf meine Nachbarin hören, die kann´s. Insgesamt hört sich alles ein wenig wie eine Kakophonie an, die Vorderen sind langsamer, die Hinteren rennen davon, ich habe von früher einen monotonen Leiergesang im Ohr, das hörte sich zwar wenigstens synchron an, verstanden hat man aber auch nichts von dem, was da gebetet wurde.
Daheim im alten Haus in der Stube, mit den Knieen auf dem nackten Holzboden wurde an Weihnachten und an Lichtmeß auch der Rosenkranz gebetet, solang mein Großvater noch einigermaßen klar im Kopf war, als er „verkalkte“ haben sie den Brauch ganz schnell abgeschafft.
Ich sitze in der Kirche und es fällt mir ein, daß ich als Kind völlig ratlos war, was denn diese Zauberworte bedeuteten: „Gähgrisszeistdemariadubistvolldergnade – derherristmitdir, dubistgewehnedeitunterdenweibern – ungewehnedeitistdieFruchtdeinesleibesjesus“…vorallem diese unerklärliche „ungewehnedeitefruchtdeinesleibes“…lange, lange habe ich darüber gerätselt, was das wohl sein könnte und erst viele Jahre später habe ich begriffen, daß es natürlich keineswegs „ungebenedeit“, sondern „…und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes, Jesus“ heißt!
„…heilige Maria, bitte für uns Sünder…“ ja, heilige Maria, da bist Du gelandet, denke ich, Du, die ehemalige Göttin sollst für uns was erbitten beim Alten und seinem Sohn dort oben, die sollen es richten, was bei uns schiefläuft…“jetzt und in der Stunde unseres Todes…“, ja vor allem, wenns ums Sterben geht, soll sie die unerbittliche Chefetage weichkochen für uns.
“ und laß ihn in Frieden ruhen. Amen. Vater unser im Himmel…“ aha, es geht eine Station weiter… Am Altarblatt heilige Abbildungen der wichtigsten Vorkommnisse, Adam und die sündige Eva mit der bösen Schlange und daneben gleich, weil Namenspatron der Kirche, der Hl. Georg, der blutrünstig und mit leidenschaftlicher Geste den bösen Drachen ersticht. Immer schon habe ich dieses Bild gehasst, noch nie habe ich geglaubt, daß der Drache wirklich böse ist. Und es ärgert mich heute immer noch, daß es nötig war, ihn abzuschlachten, wo doch meine Namenspatronin, die Hl. Margarete, ihn mit weicher Hand gezähmt hat und er an einem langen lockeren Band brav neben ihr hergetrottet ist…das Bild einer Frau, neben der die Urkraft tänzelnd einherschreitet, die sie also locker handhaben kann, die sogar mit ihr tanzt – nein, das war so nicht vorgesehen, da musste einer mit dem Schwert her, um es zu zerschlagen.
„…und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes, Jesus, – der für uns gegeißelt ist worden ist…oje, ich hab ein „ist“ zuviel gebetet, so nämlich, wie es der Großvater immer gebetet hat. Und ich habe im Ohr, wie es geklungen hat, früher, in unserer Stube, als beim Beten auf dem Boden unser junger Hund Lumpi, ein kleiner, etwas bissiger Spitz, der halt auch mal wieder bei uns gelandet war, weil ihn sonst niemand haben wollte, den schafwollenen Socken vom Opa als Spielzeug ins Maul nehmen wollte und ihm deshalb ständig in die Zehen biß: „der für uns gegeißelt ist worden ist..Herrgotsakramentkruzifix, beißt mir der Hundskrüppi an Söcki(Socken) eini…gägriszeistemariadubistvolldergnade…“!

„…Herr, gib ihm die ewige Ruhe…“ – an was die anderen wohl alle grad denken? Mir fällt „Das Buch des Vaters“ vom geliebten, viel zu früh verstorbenen Urs Widmer ein und daß ich ihn so gern gefragt hätte, ob es das Dorf des Vaters irgendwo in den Schweizer Bergen tatsächlich gegeben hat, wo vor jedem Haus ab Geburt der Sarg stand, solang, bis er gebraucht wurde, vor manchen Häusern aufgestapelt viele Jahrzehnte viele Särge…was für ein wunderbares Buch, vorne drauf das Bild von Heiri Strub vom Vater Walter Widmer, mit dem ich mich gleich so seelenverwandt fühlte…diese Bücherstapel überall…ach, was für eine Geschichte, was für ein Erzähler, mein Herzensdank hinauf zu den Sternen…“und das ewige Licht leuchte ihm…“ja, Ihnen lieber Urs Widmer, Ihnen möge es auch leuchten in alle Ewigkeit…!

„…der für uns gekreuzigt worden ist…“ – aha, das letzte Kapitel muß noch abgebetet werden und dann kommt noch das Glaubensbekenntnis, wo wieder alle „die heilige, katholische Kirche“ beten werden und nur ich laut „christliche Kirche“ sagen werde und natürlich wieder alle schauen. Bin ich in dieser Kirche daheim? Wenn Erinnern auch eine Art Heimat ist, dann schon, aber ich fühle mich nicht zugehörig und leide unter Einsamkeit, da hat sich nichts in den letzten 5O Jahren geändert, auch damals fühlte ich mich schon einsam, als beim Kommunionsunterricht vom Pfarrer gesagt wurde, daß die Oblade der Leib Christi sei und man ihn keinesfalls kauen durfte und mir dann bei der Kommunion der Leib Christi am Gaumen festpappte und ich mir nicht zu helfen wusste, wie ich ihn denn da wieder runterbringen sollte, denn mit dem Finger am Leib Christi herumkratzen war unter Androhung von Sünde strengstens verboten. Was mache ich hier, in dieser Kirche? Hinter mir der Beichtstuhl, in dem man so unerklärliche Fragen abarbeiten musste wie „Unkeusches gedacht“, ohne überhaupt zu wissen, was denn das überhaupt war, dessen man sich schuldig gemacht hatte.
Und draussen das Familiengrab, eisiger Schneewind.
Ach ich weiß auch nicht. Ein Satz ist mir aus dem Wenigen, das mir meine Mutter hinterlassen hat in Erinnerung geblieben, sie sagte, ich solle niemals denen glauben, die sagen, daß Gott in der Kirche wohnen würde! „Er ist in den Margariten!“ – sagte sie. Ich bin geneigt, ihr zu glauben.

Liebe?

Also, ich kann nichts mehr sagen zu diesem Blutbad außer: „Je suis Charlie!“ Natürlich, was sonst?

Und ich ziehe den Hut vor Tim Wolff, Chefredakteur der „Titanic“, der auch auf die blödesten Fragen, obwohl sicher auch bis ins Mark erschüttert, sagt, was er denkt und souverän seine Haltung wahrt auch im Angesicht von Mord und Verderben.

Die „Zutaten“ solcher Massaker sind doch immer die gleichen: Man nehme ein paar Jugendliche ohne Zukunftsperspektive, möglichst solche, die eh schon von schlagenden Vätern oder sonstigen Grausligkeiten traumatisiert und entmutigt sind, lasse sie wahre Abenteuer erleben, hetze sie auf und sage ihnen, sie wären ganze Kerle, wenn sie irgendwelche Mutproben erledigen würden…wie leicht das geht, wissen alle, die schon mal mit Jugendlichen gearbeitet haben. Im Hintergrund gibt es natürlich die, die sich nie die Hände schmutzig machen, die gab es schon immer und sie hatten und haben immer leichtes Spiel. Dann braucht es nur noch ein paar Waffen (wo die bloß immer herkommen?) und schon wird losgeballert. Und eine Parole, und da könnten wir uns erinnern, in welchem Blutrausch mit Millionen abgeschlachteter und verbrannter Menschen im Namen Jesu sich das Christentum hervorgetan hat, jahrhundertelang!

Ach, wer glaubt denn das alles noch immer? Es geht doch niemals um Gott, weder da noch dort noch sonstwo, es geht immer nur um Macht, Gewalt, Herrschaft, oder etwa nicht? „Gib mir das, was ich will, sonst erschlag ich dich!“ So einfach ist es doch.

Nein, dieser ganze Hass ist von Menschen gemacht, keine Gottheit hätte sowas nötig; Sammelmappe hat dies sehr treffend auf den Punkt gebracht.

Alle bedeutenden Weltreligionen haben doch die Liebe im Zentrum.

Wo kommt denn dieser Hass her, ist er denn der  vergebliche Kampf um Liebe? Oje, wohin gerate ich da…?

„Vorgänge zu schwierig zu erklären“, sagt Rafik Shami in seinem Buch: „Harun und das Meer der Geschichten“.

Ja, und die sogenannten Hinterbliebenen, denen es vor Schmerz das Herz zerreisst, was fragen die sich?

Untenstehend ein Aufruf, die, die noch nicht unterschrieben haben, sollten es tun für uns alle!

https://secure.avaaz.org/de/aufstehen_gegen_pegdida_loc/?dfczffb

 

Dann kamen die Frauen…

Als der Leichnam vom Kreuz genommen war, kamen die Frauen. Sie wuschen Ihm den Tod aus dem Gesicht, und als sie Ihn mit Ölen gesalbt hatten und Er aussah wie ein schlafender junger Gott, hüllten sie Seinen Körper in weiche Tücher, legten Ihn in ein Grab, ihre warmen Tränen tropften auf Ihn, dann schoben sie die Steinplatte darauf und setzten sich in den Vorraum und wachten.

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Am Morgen sahen sie nach Ihm, aber sie fanden Ihn nicht, das Grab war leer.

„Werdet Vorübergehende“, soll er einmal gesagt haben.

O Haupt…

Seit 12 Uhr mittags sind jetzt also die Kirchenglocken nach Rom geflogen. Kein Klang, der das Gemüt erfreut, soll heute erklingen, wir sollen Seiner gedenken, der heute vor 2000 Jahren den Kreuzestod für uns gestorben ist. Wer gedenkt der Millionen Frauen und Männer, die kläglich auf den Scheiterhaufen verrecken mussten, der Kinder, die auf Kinderkreuzzüge geschickt wurden ins Gelobte Land, unzählige Greueltaten in seinem Namen. In SEINEM Namen! Ein Wanderrabbi, der von der Liebe erzählte und von allerlei weiteren Ungereimtheiten, der keine Tempel mochte und ein Faible für Gestrauchelte hatte. Wenn man, so gut es geht, nur auf diese alte, kleine Geschichte schaut, kann man sich nicht vorstellen, daß dieser sanfte, idealistische Träumer der Religionsgründer werden wollte, an den sich eine Kirche dranhängte und zu solch einer ungeahnten Monstrosität aufblähte. Der Gott, von dem Er erzählte, war ein Liebender und er verlangte nichts von den Menschen, er liebte sie. Weder damals noch heute reicht unser menschliches Vorstellungsvermögen, das jemals zu begreifen. Was hat Er noch geglaubt, als Er am Kreuz hing und elend zugrunde ging? „Zu Grunde“ gehen – was für ein Wort!

Heute also keine Kirchenglocken, nur „Ratschen“, das sind eine Art hölzerne Rasseln, uralte magische Instrumente, um mit viel Krach die Winterdämonen auszutreiben.

Alles Elend, auch das schrecklichste, ist einmal vorbei und dann beginnt das Sterben, und zwischen dem Sterben und der Auferstehung ist der Tod und der Tod ist ein Rätsel.

Als mein Vater gestorben ist, bin ich bis ins Innerste erschrocken vor der lautlosen Banalität. Todsein heißt, nicht mehr einzuatmen. Und das ist auch schon alles. Aber ist das Alles nichts oder ist das Nichts alles?

Der Tod sitzt auf der Balkonbrüstung, er trägt eine wollene Joppe, hat einen feschen Hut auf und lächelt mich an: Das ist doch alles ganz einfach, was plagst du dich denn so herum? Du hast gut reden, sage ich.

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Text: Margarete Helminger / Bild: Luise Wittmann

 

Ölberg

Die dunklen Ahnungen verdichteten sich und wurden zur schrecklichen Vision seines nahenden Todes. Er lud die zwölf besten Freunde zu sich ein, und nachdem sie gegessen und getrunken hatten, sahen sie ihn erwartungsvoll an und hofften auf eine seiner Geschichten. Er aber sagte nur: „Ich bitte Euch, diese Nacht bei mir zu bleiben, ich fürchte mich, denn ich werde bald sterben“! Sie glaubten ihm nicht, das sah er in ihren Augen, noch etwas sah er: Verrat. Das tat ihm weh. Sie sagten zu ihm: Wir lieben Dich und wir wollen mit Dir wachen“, und sie stiegen mit ihm den Hügel hinter seinem Haus hinauf. Dort oben setzten sie sich hin und schliefen sofort ein. Er ging herum in der Nacht, getrieben von Todesangst, zitternd und weinend, dreimal flehte er seine Freunde an, doch wach zu werden und ihm beizustehen, dann gab er auf.

Er sank zu Boden, er betete zum Himmel und schrie in Wut und Schmerz und Einsamkeit und es schüttelte ihn vor Grauen, doch von nirgendwo kam Hilfe. Dann hatte er endlich verstanden, er wurde ganz ruhig und schwitzte Blut und Wasser.

Als die erste Morgenröte über der Stadt heraufzog stand er auf, weckte seine Freunde. Sie erschraken, als sie sein totenbleiches Gesicht sahen und wussten nicht, was sie tun sollten. Er sagte:“Geht nach Hause“!

„Und Du“? sagten sie.

Und Er sprach:

„Ich bin bereit“.

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Schweres Gepäck…

„Schweres Gepäck – Flucht und Vertreibung als Lebensthema“ ist der Titel des Buches von Helga Hirsch, das ich mir gerade erlese. Eine schmerzhafte Lektüre, denn obwohl die Flüchtlinge ja „nichts hatten“, tragen wir Kinder von ihnen schwer an ihrem Gepäck.

Was weiß ich vom Weg meiner Mutter? Sie ist schon über 40 Jahre tot, weggeflogen wie die wilde Schwanenfrau im Märchen. Geblieben sind ein paar Geschichten über das Vertreiben und meine eigene Unsicherheit in den Verortungen meines Lebens. Meine Mutter wurde in einen Viehwaggon mit vielen anderen Verjagden gepfercht und und irgendwo hingebracht. Das zukünftige Irgendwo meiner Mutter war dann hier, ein Bauernweiler im südöstlichsten Winkel von Bayern, zwangsuntergebracht bei einem Bauern in einer winzigen, kalten Kammer unterm Dach. Mein Vater , blind vor Liebe zu diesem wunderschönen, rehäugigen Geschöpf, holte sie zu sich in eine zweifelhafte Heimat, Flüchtlingsweiber waren nicht willkommen, das bekam sie zu spüren. Alles wackliger Boden, sie gehörte nicht hierher, aber wohin dann?  Wo kam sie her? Ein paar Photographien sind geblieben, sie als Kind mit traurigen Märchenaugen, sie auf der Bühne in verschiedenen Rollen, sie im Nirgendwo unterwegs. Ich reise an den Ort Bohosudov (Mariaschein), nein, ich finde keine Spuren, keine Namen von Urgroßeltern am Friedhof, schon längst alles untergegangen. In Karlsbad (Karlovivary), von wo aus die Verjagung begann, keine Spuren. Ich finde einen Zettel mit einer Adresse in Berlin, ich suche die Stadt ab, nein, diese Straße gibt es gar nicht mehr, ausgelöscht, verweht, vergangen. Ihr Leben, wie Kiesel am Strand, das Wasser kommt und geht, zieht hinaus aufs Meer, spuckt wieder an Land, manchmal bleiben ein paar Kiesel liegen, eine Zeitlang, bis zur nächsten Flut…

„Reich mir die Hand, mein Leben…“ – hat sie oft gesungen.

Und ich, viel zu alt, um jung zu sein und viel zu jung zum Altwerden, um mich herum lauter Abgründe, sitze auf der Schwelle und lasse die Beine baumeln

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Ferne Nähe

Es ist Palmsonntag. Ich gehe auf dem alten Wallfahrtsweg, der sich wie eine Schlange um den Berg windet, den Mühlberg hinauf zum Marienheiligtum. Über der Kirchenpforte im Westen breitet die Schutzmantelmadonna ihren Mantel aus. Die Altvorderen irgendwo auf der Welt haben vom Tod als „die Frau im Westen“ erzählt. Am Mühlberg ist die Muttergottes überlebensgroß auf die Westwand gemalt und soll uns sagen, daß wir uns, wenn gar nichts mehr geht, unter ihren Mantel (Schutz und Schirm) verkriechen dürfen. An der Ostseite der Kirche hängt IHR Sohn am Kreuz, er hat bereits das Leiden überwunden und sein lieblich-zartes Gesicht zeigt direkt dorthin, wo die Sonne über dem Untersberg aufgeht, in dessen Namen angeblich die „Anderswelt“ versteckt ist, deren Pforte in seinen geheimnisvollen Höhlungen verborgen ist.

Ich stehe vor ihm, sein Antlitz strahlt tiefen Frieden aus,seine Gestalt zwischen Himmel und Erde in überirdischer Harmonie trotz Wespennest in der Achsel und den etwas zu langen Armen. Sympathisch schlafend.

Der Abstieg an den Kreuzwegstationen vorbei, zeigt das, was er dort oben bereits hinter sich hat. Warum dies alles eigentlich? Weil einer irgendwo irgendwann sein Maul nicht halten wollte? Und es passierte ja nicht nur vor zwei tausend Jahren, sondern hier, mitten unter uns ist ständig Kreuzweg und was können wir tun? Erst vor ein paar Stunden saß in einer Gesprächssendung Hamad Abdel-Samad und sollte sich rechtfertigen darüber, warum er in einem Buch über Islam und Faschismus schreibt und es veröffentlichen läßt, obwohl er um die Gefahr weiß, die ihm droht? Es ist bereits passiert, er wurde zum Abschuss freigegeben, d.h. ein sogen. Fatwa wurde über ihn verhängt, jeder dahergelaufene Spinner darf ihn jetzt also abschlachten, wie es ihm beliebt, sieht es so die islamische Religionsgemeinschaft vor in solchen Fällen? Das heißt, da lebt einer unter uns mit einem Todesurteil, weil er seine eigene Religion kritisiert hat.

Palmsonntag