„Was willst du bei uns Männern“, haben sie zu mir gesagt, als ich fragte, ob auch ich mit dem Meister feiern könnte, als sie die Vorbereitungen für das Pascha-Mahl trafen. – Wo gäbe es denn sowas, dass eine Frau mit am Tisch sitzen möchte, wenn Männer zusammen ein Gastmahl hielten und ernste Gespräche führten?
Durch den jungen Johannes hatte ich überhaupt davon erfahren, dass dieses Mahl bereits zwei Tage vor dem Fest stattfinden sollte. Die anderen Freunde des Meisters hätten es nicht für nötig gefunden, mit mir darüber zu sprechen, so wie sie in letzter Zeit immer wieder versuchten, mich von ihm fernzuhalten.
„Hast du denn bei dir daheim keine Arbeit? Wo gehörst du überhaupt hin, was sagt deine Familie dazu, dass du dich tagelang herumtreibst? Überhaupt, wie willst du denn die Reden unseres Meisters verstehen, du, ein Weib?“ Und dann: „Wieso bist du denn noch nicht verehelicht, so wie sich das in deinem Alter gehört? Das ist gegen alle Sitte und Gesetz!“
Diese Reden habe ich immer wieder gehört, so dass ich nicht einmal mehr darüber ärgerlich werde. Ich denke, diesen Männern fehlt einfach jegliche Vorstellung, was eine Frau denken und empfinden kann. Sie haben nie etwas anderes gelernt, sehen sie die Frauen allgemein nur als Besitz irgendeines Mannes, als eine Ware, die vom Vater auf einen Ehemann übergeht, diesem dienlich zu seiner Lust und zur Verrichtung der häuslichen Arbeit. Ihr Wert bemisst sich dabei letztlich an der Anzahl der Söhne, die sie ihm gebiert.
Wie anders hat es doch unser geliebter Rabbuni ausgedrückt, als er sagte, die Maria, die bei ihm sitzen blieb, um ihm zuzuhören, hätte den besseren Teil erwählt als jene Maria, die es für wichtiger hielt, bei seinem Erscheinen in die Küche zu eilen, den Herd anzuschüren und sofort das Essen zu bereiten. O mein Jeschua, als du mir zum ersten Mal in die Augen blicktest und darin sofort gelesen hast, wonach meine Seele hungert, da wusste ich, wie das wahre Himmelreich zu finden ist! Die Tempelpriester mit ihren Schriftrollen und Gesetzestafeln haben sich so weit von alldem entfernt, was uns Gott näherbringt. Du hast dir ihren Unwillen und letztlich ihren tödlichen Hass damit zugezogen, dass du ihnen vorgehalten hast, dass einzig und allein die Liebe das wichtigste Gesetz ist. Kann ein Mensch allein schon durch die Zuneigung zu seinen Mitmenschen selig werden, ohne die Vermittlung der Priester und Schriftgelehrten? Es erschien mir durchaus so, als du den Gelehrten im Tempel die heiligen Schriften ausgelegt hast. Das wäre eine alles umwerfende Erklärung des Göttlichen und würde ihre Wichtigkeit und damit ihre Ämter in Frage stellen. Wie sollten sie nicht erzürnt darüber sein!
Mit welchem Neid sahen sie die Begeisterung der Volksmenge an, die dir bei deinem Einzug in Jerusalem zujubelte. Demütig und doch so voller Würde saßest du auf einem kleinen Esel und winktest ihnen zu, herzlich zugetan. In ihrer Begeisterung breitete sie ihre Gewänder vor dir aus, schwenkte Palmenwedel und grüßte dich als den Sohn Davids, ihren wahren König. Noch klingt mir ihr „Hosianna!“ in den Ohren, überdröhnt vom fürchterlichen „Kreuzige ihn!“ am Tag vor dem Pessach-Fest, als der römische Statthalter dich der johlenden Menge vorführen ließ, blutüberströmt von der Geißelung, die du in den Morgenstunden über dich ergehen lassen musstest, einen Kranz von Dornzweigen zur Verhöhnung auf den Kopf gedrückt, schweigend, ohne zu klagen oder um Begnadigung zu bitten. Pilatus wollte dich frei lassen, denn er hatte keine andere Handhabe gegen dich als die Anschuldigung des Hohepriesters, du hättest das Volk zum Aufruhr angestiftet, um sie als ihr König gegen die Besatzer zu führen. Nichts weniger hattest du im Sinn, das Reich, das du aufrichten wolltest, sei nicht von dieser Welt, hast du oft gesagt, ohne alle Gewalt wolltest du nur die Seelen der Menschen zu Gott führen.
Für den Räuber und Mörder Barabbas hat der Pöbel schließlich die Freilassung erschrieen, so wie es ihnen die Tempelpriester einredeten. Du wurdest zum Sündenbock erklärt, doch unschuldig wie ein Lamm haben sie dich zur Schlachtbank geführt. Ohnmächtig musste ich es mit ansehen, eingekeilt in die Menge, ich konnte dir nicht helfen, meine Stimme konnte die anderen nicht übertönen. Ich war allein, die Freunde, die sonst jeden deiner Schritte begleiteten, hatten sich zerstreut und versteckt, vor Angst, sie könnten selbst angeklagt und verurteilt werden. Da eilte ich zu meinen Gefährtinnen, die mir immer geholfen hatten, den Meister und seine Freunde zu versorgen. Wir Frauen liefen wehklagend den Weg mit dir nach Golgotha, wir achteten nicht darauf, dass uns die römischen Soldaten immer wieder grob hinweg stießen, wenn wir ein paar Worte des Trostes an dich richten wollten. Das Schweißtuch, das dir eine von uns reichen konnte, durftest du schließlich auf dein geschundenes Gesicht drücken. Ich habe den Abdruck des Straßenstaubs und deines Blutes darauf gesehen, als du es ihr zurückgegeben hast. Mit deinen Blicken hast du uns getröstet, obwohl dir selbst ein grausamer Tod bevorstand. Der schwere Balken auf deinen Schultern, an den sie dich später hängen wollten, hat dich immer wieder zu Boden stürzen lassen, bis du fast nicht mehr aufstehen konntest. Schließlich winkten sie einen Mann heran, der dir helfen sollte, damit sie endlich mit der Hinrichtung fertig würden. Ich durfte nicht zu dir, nur deiner Mutter und dem Johannes haben sie erlaubt, beim Schandpfahl stehen zu bleiben, nachdem sie dich daran festnagelten und am Balken in die Höhe zogen. Sie dachten, Johannes wäre dein Bruder, ein Kind der Maria, darum durfte er bleiben. Ich hörte deine Schreie von weitem, die Schreie der beiden anderen Verurteilten, das qualvolle Ringen nach Atem, immer wenn sich die Körper der Gekreuzigten am Holz in die Höhe zu stemmen versuchten und dann erschöpft wieder daran herunter sackten.
Vergebens suchte ich nach deinen Freunden, von denen ich keinen erblicken konnte. Um die dritte Stunde hast du deinen Geist aufgegeben, geschwächt durch die Qualen, die man dir schon vorher bereitet hatte. Der starke Fischer Simon, den ich nach deiner Hinrichtung aufspürte, saß verschreckt in einem Kellerloch, raufte sich die Haare und riss sich die Kleider in Fetzten, heulend wie ein kleines Kind. Er schickte mich weg, aus Angst, dass ich sein Versteck verraten könnte.
Nun ruht dein Leichnam in einem Felsengrab, das dir Josef von Arimathia, ein guter Mann, überlassen hat. Ich werde mit meinen Freundinnen dort hingehen. Den Salbtopf habe ich schon besorgt, die anderen wollen Laken mitbringen. Es ist der letzte Liebesdienst, den wir unserem Rabbi erweisen können, ihn mit duftendem Öl zu salben und in sauberes Leinen zu betten. Meine Tränen sind versiegt, mit denen ich einst seine Füße gewaschen habe. Ich kann nicht mehr weinen.
Ich fürchte mich nicht, auch wenn Soldaten das Grab bewachen müssen, denn es geht das Gerücht, dass dein Leichnam gestohlen werden könnte. Noch als Toter jagst du ihnen so viel Furcht ein, obgleich du der sanftmütigste Mensch gewesen bist, den ich je gekannt habe. Die Römer, so brutal sie auch sind, fürchten die Toten und ihre Geister, die an ihnen Rache nehmen könnten, wenn das Grab nicht beschützt wird.
Eine Schwierigkeit gibt es jedoch noch: wie werden wir schwachen Frauen den schweren Stein vom Eingang der Grabeshöhle wälzen können? Die Soldaten werden uns sicher nicht helfen, es ist mir lieber, sie schlafen noch, jetzt, noch vor dem ersten Morgenlicht, sicher haben sie reichlich Wein getrunken, schon weil es ihnen unheimlich ist, nachts neben einem Grab auszuharren.
„Da seid ihr ja, Maryam, Veronika. Pst, wir schleichen uns an und sehen, ob wir uns nähern können. – Hört ihr, wie die Wachen schnarchen?“ „Sieh doch, das Grab! Es ist offen, es ist leer! Wo ist er, unser Rabbuni? Die Leichenbinden liegen auf der steinernen Bank. Wohin hat man ihn gebracht?“
Dort geht ein Mann, wohl der Gärtner, ich werde ihn fragen. Er dreht sich zu mir um.
Dieses Licht! Dieses grelle Licht!…
„Rabbuni!“ – „Halte mich nicht fest!“ – „Mein Rabbuni!“
Gelobt sei Gott! Er ist wahrhaft auferstanden, wie er gesagt hat, Halleluja!
Text: Margit Bischlager