Archiv der Kategorie: Passion

…( 1. Korinther 13 )

Wenn ich in der Sprache der Menschen und Engel redete,

hätte aber die Liebe nicht,

wäre ich dröhnendes Erz oder eine lärmende Pauke. Und wenn ich prophetisch reden könnte
und alle Geheimnisse wüsste
und alle Erkenntnis hätte;
wenn ich alle Glaubenskraft besäße
und damit Berge versetzen könnte,

hätte aber die Liebe nicht,

wäre ich nichts.
Und wenn ich meine ganze Habe verschenkte
und wenn ich meinen Leib dem Feuer übergäbe,

hätte aber die Liebe nicht,

nützte es mir nichts.

Die Liebe ist langmütig,
die Liebe ist gütig.
Sie ereifert sich nicht,
sie prahlt nicht,
sie bläht sich nicht auf.
Sie handelt nicht ungehörig,
sucht nicht ihren Vorteil,
lässt sich nicht zum Zorn reizen,
trägt das Böse nicht nach.
Sie freut sich nicht über das Unrecht, sondern
freut sich an der Wahrheit.
Sie erträgt alles,
hofft alles,
hält allem stand.

Die Liebe hört niemals auf.

Frohe Ostern und Freude weit darüber hinaus an Euch alle!
Christ, wer er auch gewesen sein soll…er ist erstanden!

Den Schmerz überwunden,
von den Toten auferstanden,
und…

ob ich das alles glaube?
Ach, was wissen wir schon?
Hat es was mit uns allen zu tun?
Ja,
ich denke schon.

In diesem Sinne, seid Herzlich gegrüßt!

Halleluja!

„Braun bin ich, doch schön!“ (Hohelied Salomos)

Aus einem Kessel vor der Devotionalienhandlung dampft der Weihrauch und steigt in dicken , vom kühlen Wind zerzausten Schwaden zum verhangenen Himmel über Altötting auf. Jedes Jahr sind es Millionen Menschen, die sich über den weiten Kapellplatz bewegen, nicht allen sieht man es an, wie schwer sie tragen an ihren Rucksäcken, die gefüllt sind bis zum Rand mit Kummer und Pein und Sorgen. Manche werden geschoben oder gestützt, weil sie nicht mehr alleine gehen können und manchen leuchtet ein leiser Glanz aus dem Gesicht, sie kommen, um sich zu bedanken, weil irgendwas wieder gut geworden ist, um das sie flehentlich ihre Bitten gerichtet haben an sie, „Unsere liebe Frau“. Alle strömen auf die kleine Gnadenkapelle zu , manchmal reicht das noch nicht und es wird eines der schweren Pilgerkreuze auf die Schultern geladen und die Knie müssen auf dem harten Boden mehrmals um die Kapelle rutschen, um Schuld abzubüßen oder in unerträglicher Not ein Wunder zu erflehen für sich oder einen geliebten Menschen.

Wir treffen uns manchmal in Altötting, Irm und ich. Wir fühlen uns keiner Kirche zugehörig, trotzdem sind wir dem Papier nach immer noch katholisch. Irm ist in einer Familie unter dem Joch strengster Glaubenssätze aufgewachsen, ich bei einem ketzerischen Vater und einer wilden amoralischen Mutter, die ständig die Autorität des Pfarrers in der Schule untergruben und mich stark verunsicherten. Wir kennen beide das ständige schlechte Gewissen, die Angst vor der Bestrafung von oben und das erzwungene Bereuen einer Schuld, die man nicht erkennt. Ein Rätsel, warum wir beide noch nicht ausgetreten sind.

Im Inneren des Heiligtums sehe ich der Frau zu, die mit Gummihandschuhen einen grausigen Lappen in eine schwarzbraune Brühe taucht und damit wie abgemessen die Hälfte des Bodens wischt, auf dem nassen Steinboden erscheint eine Art Stern, genau vor der Nische, in der Sie steht.  Meerstern, ich Dich grüße! Ich sehe auf zu Ihr, klein ist sie und das Lindenholzgesicht ist dunkel. Mehr kann man nicht erkennen, der übrige Körper verschwindet hinter einem Samtgewand, zur Passionszeit passend, in lila.

Die winzige Gnadenkapelle, ein Oktogon, angeblichauf den Überresten eines „heidnischen“ Tempels erbaut, ist überladen von silbernen Votivgaben, bevor man sie betritt, kommt man an Gefäßen vorbei, in denen die Herzen der Wittelsbacher aufbewahrt werden…wem zur Ehre?

Die schwarzen Wände und die vielen Sorgen und das geballte Leid machen den Raum düster und die Atmosphäre schwer. Eine Mutter steht da vorne, die ihren Sohn ans Kreuz verloren hat. Das christliche Abendland hat ganze Arbeit geleistet, nichts mehr zu spüren von Aphrodite, Astarte, Kybele, oder der schwarzen Kali, die alles aus sich heraus gebiert, auch ihren eigenen Geliebten, der Heros der Königin/Göttin, ihr ergebener Begleiter, der wilde Mann, dessen Lust sich mit ihrer mischt und nach dessen Besuch im duftenden Garten zwischen ihren Schenkeln die Erde fruchtbar wird und blüht und gedeiht…den sie tötet und wieder gebiert im ewigen Kreislauf des Lebens…

Weißt Du eigentlich, sage ich zu dieser Alten aus Burgund , daß mir Religion nichts bedeutet und an Gott glaube ich auch nicht und trotzdem stehe ich manchmal unter einem Kruzifix mit Deinem Sohn/Geliebten und es trifft mich ein Blick aus uralten Augen mitten ins Herz…

Und Du, wer bist Du? Eine kleine braune Figur aus dem 13. Jahrhundert, hattest Du Brüste und Unterleib oder war Dein Sohn eine Kopfgeburt? Sag, bist Du die Himmelsmutter und Gottesgebärerin…gäbe es Ihn also gar nicht, wenn Du ihn nicht…
Eigentlich hätte ich heute schon auch einen Rucksack gepackt, da ist eine Frage drin, auf die ich keine Antwort finde, ein paar Tatsachen, die schmerzen, eine Sorge, die nicht wegzukriegen ist, ein Problem, das ich nicht lösen kann und Angst in verschiedenen Farben… dürfte ich Dir das alles hinlegen auch wenn wir das Rätsel Deines Wesens nicht klären können? Ich habe Dir für alle Fälle auch noch ein Herz voller Liebe und eine große Schachtel voll Lachen hineingepackt, dann hast Du´s leichter beim Wunderwirken…

Beim Hinausgehen streift mich dieses merkwürdige kleine Lächeln im braunen Holzgesicht…in mir sagt etwas: „ich bin du, du bist ich“…für eine Sekunde schwanke ich, und mir ist als würde ich durch das unendliche schwarze Universum rasen, an den Sternen vorbei…ins Nirgendwo hinaus…oder bin ich nur auf dem nassen Boden ausgerutscht…
als ich nochmal zurücksehe, wieder dieses kleine, leicht spöttische Lächeln…

Dann gehen wir in die Tiefgarage und untersuchen eine Frage, die wir schon lange haben , ob  dieser geomantisch höchst bedeutsame Ort mit dem Oktogon untergraben wurde zum Abstellen der Autos . Ist er nicht, aber es gibt ganz in der Nähe der Einfahrt Parkplätze für Frauen…

Wir streunen ein wenig herum, und eigentlich geht es uns am besten, wenn wir in Bewegung sind, sage ich zu Irm. Unsere Freundschaft ist ein Roadmovie, wir treffen uns sehr selten und wenn, dann an merkwürdigen Orten, wirklich nahe sind wir uns, wenn wir wegfahren, aber nicht, um möglichst lange anzukommen, sondern um unterwegs zu sein…on the Road. Es böte sich der Highway an, findest Du nicht auch, sage ich, da wären wir endlich mal lange und dauernd so wundervoll immer nur unterwegs…Route 66, weißt Du…und dann mit einem pinkfarbenen oder lindgrünen 59er Chevy…

Das mit dem Chevy, nein, also…aber die Route 66 müsste man mal genau überprüfen…und die Kosten…
und dann übernachten wir in so schäbigen Motels und abends zerläuft dann der knallrote Lippenstift ein wenig, Du weißt schon…
den Lippenstift kannst vergessen, kommt ja gar nicht in Frage,
aber naja, man muß mal nachdenken bei Gelegenheit…jetzt fahren wir erst mal nach Berlin.

Später im Auto heimwärts kommt im Radio eines der geheimnisvollsten und für mich so ziemlich das schönste Lied, das jemals geschrieben wurde…nun ja, eins der schönsten zumindest…

Karwoche…Josef Z.

„Werdet Vorübergehende“ (Apokryphen)

Wenn ich an „Passion “ denke, fällt mir nicht nur die Leidensgeschichte  von Jesus ein. Ich denke an einen, der auch eine Passion hatte und der früher oft in unserem Haus ein- und ausging. Josef Z. war eine Art Hausfreund meiner Eltern und Limonadenfabrikant. Er fuhr mit einem kleinen Lastwagen herum und verkaufte seine  „Kracherl“, das waren diese wunderbaren, klebrigen Limonaden in der Bügelflasche, in überwältigendem Rot der Himbeeren und in einem grandiosen Grün für Waldmeister. So gut wie diese Kracherl hat niemehr in meinem Leben irgendwas Trinkbares geschmeckt! Wir konnten nicht genug kriegen davon. Da wir aber nie Geld hatten, nehme ich an, daß der Josef einfach manchmal ein Tragerl mitbrachte, wenn er auf seiner Fahrt bei uns vorbeikam.

Er fühlte sich zum Sänger berufen und fuhr einmal wöchentlich nach Salzburg zum Gesangsuntericht. Davor oder danach kreuzte er bei uns auf, sagte: “ Küss die Hand, schöne Frau“,  und sah mich mit eigenartig saugenden, samtigen Augen lange, zu lange an. Das war mir nie so ganz geheuer mit 12, 13 Jahren und auch seine Aussprache war irritierend, denn er machte so sonderbare Zischlaute beim Sprechen, irgendwie kam er mit Luftein- und Ausstoß nicht ganz zurecht und die Worte drohten mit Sprühregen mir ins Gesicht zu platschen.

Also, ich mochte seine Kracherl bedeutend lieber als seine Aussprache und seine etwas zu nahe Anwesenheit.

Manchmal, wenn er einen guten Tag hatte, sprang er plötzlich in die Mitte der Stube und schmetterte ein Schubertlied. Wenn der Josef weg war, hatte mein Vater große Bedenken, ob aus diesem „Krawatteltenor“ mit seiner Knödelstimme wirklich mal was würde. Jahrelang ist er nach Salzburg gefahren und immer stand „der große Durchbruch“ bevor und die wirklich wichtigen Kontakte für Auftritte waren angebahnt und immer, treu und ergeben, machte er Station bei uns, um den neuen Stand der Karriere bekannt zu machen.

Nie war er verdrossen oder schlecht gelaunt, nie hat er sich beklagt, denn nie gab es Auftritte, nie gab es Applaus, nie gab es den Durchbruch. Aber immer hatte er seine Passion, an die er mit Inbrunst glaubte.

Seine Frau war längst abgehauen mit den Kindern, die Fabrikation war eingegangen, von was er lebte, wusste niemand, aber er fuhr weiterhin nach Salzburg und sah sich auf den großen Bühnen der Welt.

Viele Jahre später fanden wir ihn in erneut dienender Mission, aber nicht mehr der Sangeskunst, sondern seinem Bruder, einem bigotten, in fragwürdige katholische Bruderschaft entglittenen pensionierten Pfarrer in dessen ebenso fragwürdiger Einrichtung um eine Hl. Philomena herum, die in Wachs gegossen, in jungfräulicher Schönheit in der Mitte einer Kapelle auf Kissen ruhte.

Auf dem Dach der Kapelle eine, von einem versteckten Motor angetriebene rotierende Marienfigur.

Josef, inzwischen um die achtzig, begrüßte uns herzlich, zischelte mir sofort ein : „Küss die Hand, schöne Frau“ entgegen, nahm meine Hand und ließ mich das Kästchen seines Herzschrittmachers spüren, erzählte die viel zu lange und arg frömmelnde Schnulze einer Erweckung durch diese Heilige und beim Abschied rief er mir noch nach, daß er bald einen sehr wichtigen Auftritt habe, auf den käme es an und dann ginge es so richtig los mit der Karriere als Sänger.

Ach Josef, ich bin froh um jeden Spinner und Träumer in dieser gnadenlosen Wirklichkeit, hab Dank für Deine Geschichten und : „Küß die Hand!“

Auf der Hausbank

Ich sitze auf der Hausbank vor dem alten Haus in der Sonne und der Himmel über mir ist so blau und weit und hoch und ein Hauch von Ewigkeit durchströmt mich, ein zartes leises Glück inmitten aller Flüchtigkeit läßt mich demütig werden und mich bedanken dort hinauf.

Es ist, wie es ist. Gestern ist vorbei, morgen weiß niemand, was kommt und heute kann gelebt werden.

Dieser Meinung bin ich auch, sagt die Graugans, die soeben gelandet ist  und ihr Gefieder putzt.

Ja, meine liebe Graue, wo warst Du denn so lang?

Polarwinde. Richtung verloren. Expedition abgebrochen. Sturzflug. Notlandung . Treiben im Eismeer. Bekomme mächtig eins vor´n Bug. Angeschossen. Rettung Eskimos. Zusammengeflickt. Nicht gebraten und gefressen. Glück gehabt! Dankeschön. Leidlich flugtauglich. Richtung wieder aufgenommen. Wind Richtung Süden abgepasst. Heimgeflogen. Pause. Wenn Löcher im Gefieder verheilt – Plan für neue Expedition liegt vor.

No risk no fun, nicht wahr?

Sagts, zieht das eine Bein hoch , steckt den zerzausten Kopf unter den Flügel und hält den Schnabel.

Ich liebe Dich, weißt Du das denn?

Ja ja, ich Dich auch, aber jetzt keine Sentimentalitäten, möchte mich sammeln.

Aber…

Auch keine Fragen, muß schlafen.

Aha, na dann ist ja alles…irgendwie…gut…oder?

 

Ich strecke die Hände weit hinauf, dem Himmel entgegen und der fließt an meinen Armen herunter und fließt und fließt und ich werde zur Frau in Blau…

wie schön.

Kafka Band…Schneeroman

„Es war spät abends, als K. ankam. Das Dorf lag in tiefem Schnee. Vom Schloßberg war nichts zu sehen, Nebel und Finsternis umgaben ihn, auch nicht der schwächste Lichtschein deutete das große Schloß an. Lange stand K. auf der Holzbrücke, die von der Landstraße zum Dorf führte, und blickte in die scheinbare Leere empor.“ …Franz Kafka

Nach unzähligen gescheiterten Versuchen, mich Kafkas Fragment „Das Schloß“ lesend zu nähern, hatte ich längst aufgegeben.

Eine Begegnung mit  Jaroslav Rudis und der „Kafka Band“, die er zusammen mit dem Zeichner Jaromir 99 mit Mitgliedern anderer tschechischer Bands (z.B. Priessnitz) ins Leben gerufen hatte, veränderte meine Sicht so total, daß ich zu diesem großen Text heute tiefe Verbundenheit  fühle.

Eine ganz eigenArtige Magie entsteht durch das Zusammenwirken von Vorleser, Musik, SängerIn und animierter Zeichnung.

Und – ich liebe es, mir Geschichten erzählen zu lassen, von Menschen, die das mit so großer Spielfreude tun und mir Sinnenbalsam schenken.

 

 

Kafka Band:

Jaroslav Rudis, Jaromir 99, Dusan Neuwerth, a.m.almela, Iiri Hradil Zdenek, Iurcik Tomas Neuwerth Clad

 

 

 

„Zunächst war K. froh, dem Gedränge der Mägde und Gehilfen in dem warmen Zimmer entgangen zu sein. Auch fror es ein wenig, der Schnee war fester, das Gehen leichter. Nur fing es freilich schon zu dunkeln an, und er beschleunigte die Schritte.

Das Schloß, dessen Umrisse sich schon aufzulösen begannen, lag still wie immer, niemals noch hatte K. dort das geringste Zeichen von Leben gesehen, vielleicht war es gar nicht möglich, aus dieser Ferne etwas zu erkennen, und doch verlangten es die Augen und wollten die Stille nicht dulden. Wenn K. das Schloß ansah, so war es ihm manchmal, als beobachtete er jemanden, der ruhig dasitze und vor sich hinsehe, nicht etwa in Gedanken verloren und dadurch gegen alles abgeschlossen, sondern frei und unbekümmert, so, als sei er allein und niemand beobachte ihn, und doch mußte er merken, daß er beobachtet wurde, aber es rührte nicht im geringsten an seiner Ruhe, und wirklich – man wußte nicht, war es Ursache oder Folge -, die Blicke des Beobachters konnten sich nicht festhalten und glitten ab. Dieser Eindruck wurde heute noch verstärkt durch das frühe Dunkel; je länger er hinsah, desto weniger erkannte er, desto tiefer sank alles in Dämmerung.“ Franz Kafka

Die Bäume

Denn wir sind wie Baumstämme im Schnee.

Scheinbar liegen sie glatt auf,

und mit kleinem Anstoß

sollte man sie wegschieben können.

Nein, das kann man nicht,

denn sie sind fest mit dem Boden verbunden.

Aber sieh,

sogar das ist nur scheinbar.

Franz Kafka

Damals im Altvatergebirge

Mindestens ein Jahr lang war ich auf der Suche nach dem Film:  „Alois Nebel“, einer Graphic Novel. Der Tailer allein hatte mich sofort in diese Geschichte eingesaugt, es gab kein Entkommen mehr.

Das einzige Kino in München, das ihn zeigte, nahm ihn sofort wieder aus dem Programm, nachdem nur ein einziger Mensch ihn sich ansah.

Ich hatte die Hoffnung schon fast aufgegeben, da veranstaltete das Literaturhaus Salzburg ein deutsch-tschechisches Kulturfestival und endlich wurde der Film gezeigt und hinterließ nachhaltige Spuren und bis heute habe ich Bilder und Musik im Kopf.

Ich halte diesen Film für herausragend in jeder Beziehung, möchte aber kein Wort mehr darüber verlieren, denn Bludgeon, dem „Alois Nebel“ auch unter die Haut ging, hat dazu was erarbeitet.

Einen Text, der so dicht ist und schmerzend wahrhaftig – ach einfach so gut geschrieben, mit großem Wissen und aus dem Herzen, kann ihn nur empfehlen:

Bludgeon – Alois Nebel

Ja, in diesem Film geistert auch meine Mutter irgendwo durch den dunklen Wald. Bis heute weiß ich nicht, von welchem Ort genau sie „vertrieben“ wurde…war sie gerade in Karlsbad, oder wo wurde sie gepackt und in einen Viehwaggon gesteckt? Ich werde es wohl nie mehr erfahren, sie ist schon so lange tot.

Was ich aber mit erschreckender Klarheit weiß: Ich wäre ohne die Verteibung meiner Mutter nicht am Leben. Was für merkwürdige Fügung.

 

die Band, untrennbar mit dem Film verbunden

Niemandsland

Fischezeit – Auflösung ins Chaos

„Man muß noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können“ – lese ich bei Nietzsche

Die Zeit meiner schillernden, Verwirrung stiftenden, chaotischen und hypersensiblen Aszendenten, der nach außen gerichtete Teil meiner Natur, zwei Fische, einer schaut nach vorne, einer nach hinten, beide in der Mitte von einem Band aneinander gehalten.

Auftauchen aus digitaler Fastenzeitpause ins Niemandsland.

Vor genau einer Woche, nach genau einem Tropfen Blut zur falschen Zeit an falschem Ort, setzt sich eine analoge Maschine in Bewegung und führt zu Untersuchungsprozeduren, kleinerer Narkose und kleineren Schnitten durch viele Stunden in Wartezimmern einem Anruf am Morgen und einem Befund, der die Welt in ihr Gegenteil verkehrt: Positiv…das heißt: negativ für mich. Das Urteil also, ja das Urteil, das mit K beginnt…hat es sich schon auf meiner Stirn eingebrannt, sieht man es mir schon an…kann nichts erkennen im Rückspiegel, in den ich beim Heimfahren ständig starre…werden alle jetzt sagen: „Ach ja, Du siehst schon seit längerem so blaß aus…“?

Im vorläufigen Diagnosepapier wird darüber befunden, daß nach mikroskopischer Ansicht eines Blutstropfens von mir die vorläufige Beurteilung den Namen „G1“ zu tragen hat. Es wird mir gesagt, daß nach größerer Narkose und tieferen Schnitten, natürlich nur, wenn „nichts mehr hinzukommt“, und „alles entfernt“ ist, mit Heilung gerechnet werden könne. Wenn alles gutgeht, in einer Woche, OP – Termin am 10. März ist auch schon gemacht. Aha.

Und jetzt? Eine Woche warten auf die Schlachtbank, wo ich ausgeweidet werde? Ist das zynisch…sarkastisch? Wie damit umgehen? Verschweigen? Still sein und verschwinden, Absturz ins Bodenlose? Ja, selbstverständlich kriecht mir die Verzweiflung den Nacken hoch und ich schwanke unter diesem Schlag, der ja gar nicht wehtat, ein paar lächerliche Buchstaben auf einem Laborzettel…mit dem Hammer werde ich in meinem Leben in die dunkelste Ecke gestossen: mein Abscheu vor Krankheit und Tod und die große Angst, nicht mehr selbst bestimmen zu können und schlagartig wird mir bewusst, daß ich lernen werde, anzunehmen, was kommt und irgendwann mich hinzugeben, ja, auch dem Sterben. Ich weiß jetzt, daß ich sterblich bin.

Die Passion, sie hat was mit mir zu tun, das weiß ich schon lange, langsam verdichtet sich Nebulöses und ich glaube, auch diese Erkrankung wird dazu beitragen, als eine mögliche Spur zur Wahrheit zu führen, wenn ich sie lasse. Ich bin jedenfalls nicht bereit, auch nur grad eine einzige Zelle meines Seins als bösartig zu erachten, ich bin bereit, das, was nicht mehr bleiben soll, in Würde und Achtung gehen zu lassen und danach weiterzuleben, solange ich darf.

Ich lese „Die Antwort der Engel“ endlich, nach Jahrzehnten ganz zu Ende, dieses Buch ist eine eigene Geschichte, vielleicht werde ich auch darüber mal berichten, vorerst entnehme ich ihm die Anweisungen: „Streiche das Wort Warum! und: „Empfange das Leiden als einen Boten des Himmels, doch laß ihn weiterziehen, wenn er scheiden will! und: „Horchst du, so werden selbst die Steine sprechen!“ Ja.

Bei einem, dem ich sehr gewogen bin (@lz. „der versteckte Poet“) habe ich mir das Wort „Zäsur“ ausgeliehen und denke viel darüber nach.

Und – ich beende hiermit meine digitale Abstinenz, war sehr lehrreich, kann ich weiterempfehlen, wer wissen will, was passiert, soll einfach mal eine Zeitlang den Rechner ausmachen. Auch wenn alles verschwindet im schwarzen Bildschirm: Herznähe ist davon völlig unabhängig und dringt durch alle Fremdheit, Entfernung und digitalen Spielraum hindurch und ist analog spürbar. Das war und ist eine beglückende Erfahrung.

Ich hätte gern noch die Fastenzeit digitalabstinent zu Ende gebracht, aber jetzt ist eine neue Herausforderung angesagt und ich habe beschlossen, sie auch hier, zwischen Himmel und Erde anzunehmen und mich ihr offensiv zu stellen. Werde zwischendurch, je nach Stand der Behandlungen verschwinden und wieder auftauchen, denn ich liebe diesen Ort und ich freue mich so, wieder hier zu sein und mich mitteilen zu dürfen.

Kurz vorm Wegdämmern in die  Narkose am Montag ging mir durch den Kopf, was ich in meinem Leben unbedingt „noch“ machen möchte, und da war u.a. das Tangotanzen dabei und da fiel mir doch tatsächlich ein, ob wohl Frau Knobloch noch weiß, daß sie mich auf ihrer Tanzkarte eingetragen hat…und wenn ich sie mal im grandiosen Blumentempel besuchen täte…sie mit mir…tangotanzend…?

Beim Aufwachen lächelte die OP-Schwester…ich hätte wohl was von Knoblauchtango gemurmelt…ach, die Unwissende!

„Wer weiß, wer weiß“, diese Zauberworte leihe ich mir von der zauberhaften Cambra Skadé.

Seid gegrüßt Ihr Lieben alle in den nahen und fernen Galaxien, ich bin wieder da, ziemlich zerzaust, ein wenig verheult, nicht angstfrei, aber mit klarem blauen Blick, trotz Erdenschwere tanzbereit und dennoch – und trotzalledem durchaus bereit zum Fliegen!

Eure Graugans