Ein flirrendes Rauschen in der Luft, eine Bewegung gegen den Strom, die Krone zittert, schert aus, Blätter rascheln, ein Ächzen, eher ein leises Stöhnen und dann fällt sie … die Krone fällt immer zuerst … und dann fällt auch er … der Stamm … dumpf das Ende … erbärmlich und dumpf der Aufprall am Boden … und dann ist es still.
Wenn ich am Hof vorbeigeradelt bin, hat sie mir oft zugerufen: „Wann kommst denn endlich mal wieder?“ Seit die Füsse sie nicht mehr trugen, saß sie auf ihrem Sessel vor dem Haus, den ganzen Tag und meist in der prallen Sonne, rauchte und hielt immer einen Groschenroman in der Hand, in dem sie von morgens bis abends las. Sie trug irgendeine Hose und eine Bluse, die wie ein Männerhemd aussah, in ihrem Gesicht die langen Jahre Bauernarbeit in dunkles Leder eingegerbt. Die kurzen Haare so weiß, daß sie leuchteten, die blauen Augen blitzten spöttisch und immer lachte sie, wenn ich sie besuchte. „Daß Du nur grad mal wieder da bist,“ sagte sie und dann schimpfte sie auf die alten Füsse und: „Mit mir ist es nichts mehr, Gret!“ Niemand nannte mich jemals so, ich hatte es gern, wenn sie „Gret“ zu mir sagte, es hörte sich immer so an, als hätte ich einen ganz besonderen Wert für sie. Jedes Mal erzählte sie mir von früher und ich sehe sie in der Erinnerung lachend in der Stube stehen, während wir Kinder durchs Haus tobten, wir durften alles bei ihr, es gab keinerlei Verbote. Sie erzählte vom Unglück, das den Ältesten, Vielgeliebten hinwegraffte, vom Tod meiner Mutter und von der Krankheit ihrer Tochter, die einmal meine Herzensfreundin war. Sie hat mich nie gefragt, woran diese Freundschaft zerbrochen ist und ich habe auch nie was gesagt.
In den letzten Jahren haben sie die Umstände ihrer Herkunft verfolgt und es lief ihr das Wasser aus den Augen und sie wurde weich und klagend, wenn sie erzählte … von ihrer Mutter, einer Magd, die sie an die Hebamme verschenkte, zur Aufzucht für die Arbeit am Hof. Kein einziges gutes Wort habe sie da bekommen, man hat sich nicht um sie gekümmert. Die Mutter wollte nie mehr was von ihr wissen und als sie sie besuchen wollte, da wurde sie von ihr verjagt.
Dann hat sie geheiratet, einen wortkargen Einödbauern, etwas sonderlich aber gutmütig. Der hauste mit seinen zänkischen Schwestern und schickte immer sie , wenn es was zum Schimpfen gab.
Und sie sagte zu mir: “ Weißt Du Gret, gefallen lassen hab ich mir nie was!“ Ja, das war bekannt, niemand wollte sich mit ihr anlegen, sie hatte ein freches und ungehobeltes Mundwerk, konnte fürchterlich fluchen und Zoten reissen, war vulgär und machte schlüpfrige Anspielungen. Sie war wild und ungezügelt und fuhr mit einer entfernteren Nachbarin, die auch einen sonderbaren Mann hatte, mit deren Goggomobil durch die Gegend auf alle Tanzveranstaltungen, die es nur gab und wenn keine Tanzpartner da waren, dann tanzten sie eben miteinander die Nächte durch.
Es hieß, sie sei mit ihrer Freundin „andersherum“ und ich habe mir als Kind oft den Kopf darüber zerbrochen, was das denn bedeuten könnte …
Sie hat ihre Schwiegertochter drangsaliert und sagte immer ihre Meinung, auch wenn sie niemand hören wollte und hat sich zeitlebens einen Dreck drum geschert, wenn die Leute von ihr sagten, sie sei eine böse Frau. Sie ließ sich die Wurzeln nicht ausreissen, stark wie ein Baum erzwang sie sich das Leben auf diesem Hof, auf dem sie geschuftet hat wie ein Ackergaul.
Wenn ich bei einbrechender Dunkelheit mit dem Rad vorbeifuhr, hat sie mir zugerufen: „Gret, wo treibst Du dich denn wieder herum, heut ist kein Herr Molicht (Licht vom Herrn Mond), traust dich denn so allein durch den finsteren Wald? “ Und dann hat sie mir zugewinkt und wir haben uns angelacht. 96 Jahre ist sie geworden.
Ich mochte sie.
Still ist es.
Still ist es, still bleibt es!
Ja,
und doch muß weiter gelacht werden über diesen Irrsinn des Lebens und des Sterbens!
Du hast so recht!
Liebe Gretl,
Das ist wieder so eine graugänsige Geschichte, wie ich sie liebe, bei der ich ganz ehrfürchtig werde und dieses Mal gen Ende auch wieder still.
Du solltest sie zu einem feinen Büchlein sammeln und ich kaufe dir direkt eins ab und mach dann Werbung für dich und deine Geschichten, weil sie hautnah sind und so wunderbar ehrlich und echt und graugänsig, wie nur du das kannst! Was für eine Gabe!!!
Nun sende ich dir noch flugs einen Herzensgruss und muss nun schlafen gehen, morgen stehe ich wieder auf dem Weihnachtsmarkt in Bonn…
Ulli
Uff. You take the words right out of my mouth…. ich schließe mich an.
Besser als Ulli könnte ich es nicht sagen. Du bannst Menschen mit deinen Erzählungen!
Für Deine lieben Worte dank ich Dir sehr, Ulli, Du hast mich sehr berührt damit!
Schade, daß der Markt soo weit weg ist, zu Deinem Stand tät ich kommen und Glühwein mit dir schlürfen! Was gibts denn bei dir Schönes zu erwerben?
Wolliges aus Nepal aus einer sozialen Kooperative, viele dicke Jacken und Pullover, aber auch jede Menge Schals, Stulpen, Mützen und son Zoix. Weisst du, liebe Gretl, ich mach derweil Sozialstudien, denn ganz ehrlich? Meins ist das alles nicht, ich verdiene einfach nur Geld. Schade ist das auch. Und Glühwein mog i net 😉
aber ich freue mich sehr, dass dich mein Kommentar erreichte und berrührte.
Ich lese den Text ja jetzt erst und wollte gerade mit einem Kommentar loslegen und sehe, das hat die liebe Ulli ja schon alles geschrieben, was ich sagen wollte. Liebe Gretl, wieder so ein feiner Text – die würde ich gerne auf Papier sehen.
P.S. Kennt ihr die Bücher vom Franz Innerhofer?
An Mr. Blu und Arno,
gut für mich, daß Ihr Euch den wundervollen Worten von Ulli anschließt,
habt vielen Dank, Jungs!
Leicht ist das nicht, ein ALTER DRACHEN zu werden. Das bedeutet auch Einsamkeit und nicht verstanden zu werden (für den Fall, dass man es überhaupt will).
Gell, eine ältere Frau hat einfach „nett“ zu sein, überall zu helfen, natürlich ehrenamtlich, und trotz ihrer äußeren Erscheinung auch immer zuverlässig und belastbar bleiben.
Der Drachen jedoch steht für Leuchten, Farben, sprühende Einfälle, das muss einfach auch in uns sein, damit unser Kosmos weiter besteht.
Auf die „Graugans“ freue ich mich immer gan(s)z besonders!
Ich wünsch dir weiterhin viele wunderbare Ideen und viele funkelnde Sterne am Winterhimmel!
Durch und durch geht mir die Geschichte von der alten Nachbarin.Ich seh sie grad sitzen vor dem Haus – mit Zigarette,das ist schon höchst ungewöhnlich.Aber sie wollte ja nicht so sein wie alle.Möge sie eine gute Reise haben.
Wie schön,dass es immer mehr werden die sagen,du sollst aus diesen wunderbaren Geschichten ein Büchl machen.Ja,ich weiß,es ist nicht einfach.