Scheitern. Eine Katzengeschichte
Was ist das nun wieder, dachte ich, als Frau Graugans’ Aufforderung eintraf, über das Scheitern zu schreiben. Scheitern – wer definiert, was das ist? Es hat viel mit Ansprüchen zu tun, die einem von außen aufgedrückt werden. Wer sich dem mit einem gewissen Achselzucken entzieht – tue ich, klappt nicht immer –, lebt erheblich entspannter. Aber dann erwischte es mich: Sehr viel tiefer geht das Scheitern, wenn es die eigenen Ansprüche berührt, wenn es brennt, wehtut, verstört.
Vor einem guten Monat war ich mit dem Fellträger meines Herzens bei der Tierärztin. Er fraß nicht mehr richtig und schleppte sich immer häufiger nur noch durch die Wohnung. Seit ich mir im Frühling den Knöchel gebrochen habe, kommt mir das bekannt vor, aber irgendwann höre selbst ich auf, das als »Tagesform« oder »Na ja, er wird halt auch älter« zu bezeichnen. Katzen sagen ja nix. Ich sah also der Tatsache ins Auge, dass was passieren musste, in diesem Fall der Check bei der höheren Instanz. Er ist 13, ein Maine-Coon-Mix und hat bisher »Seniorenfutter« souverän verschmäht. Zu jung für Sorgen, oder? Nein. Nach den Untersuchungen kristallisierte sich heraus: Er hat nicht nur ein Nierenproblem (chronische Niereninsuffizienz, daran sterben Katzen früher oder später), er hat auch Arthrose, was wohl 90 Prozent der Katzen in seinem Alter haben und immer sehr schmerzhaft ist.
Schock. Bei mir kam primär an: Meine Katze hat schon länger Schmerzen (ganz furchtbarer Gedanke), und ich habe es nicht bemerkt, weil ich mich nicht genug gekümmert habe. Klar, auch Katzenleben sind endlich, aber das hatte ich bis dato ebenfalls verdrängt. Ich hoffte, ich hätte noch so 3 bis 7 Jahre Zeit, bis ich mich dem stellen müsste. Und neben der sofort einsetzenden Verlustangst – ich weiß genau, in welchem Ausmaß der Fellträger mein Leben zusammen- und aufrechterhält: Das letzte Kind hat Fell – überfiel mich auch das Gefühl, als verantwortlicher Mensch versagt zu haben, gescheitert zu sein.
Ich kann/konnte ihn nicht davor schützen, krank zu werden, Schmerzen zu haben. Na ja, beruhigte mich die Tierärztin, es ist noch nicht dramatisch mit den Nierenwerten, die Umstellung auf Nierenspezialfutter darf nur nicht aufgeschoben werden. Und für die Arthrose gibt es Tabletten, ist er schwierig mit Tabletten?
Ich habe immer ein Problem mit Hilflosigkeit/Willkür gehabt, ausgeliefert zu sein, jemand bestimmt einfach über meinen Kopf hinweg, was geschieht, und ich werde nicht gefragt. Es fühlt sich an wie ein Scheitern, etwas falsch gemacht zu haben, das Damoklesschwert nicht rechtzeitig abgewendet zu haben, nicht dafür gesorgt zu haben, dass alles »gut« wird, was immer das ist …
Es war ein beängstigendes Kaninchen-vor-Schlange-Gefühl, und ich habe mich wie Hölle da reingesteigert, ich konnte nicht anders. Hilfe, er stirbt! Ich habe die Angst zugelassen. Nach einer Inforunde im Netz habe ich entschieden, was nach seinem Tod mit seinem Körper geschehen soll, wann immer das auch passiert, und es hat mich unfassbar beruhigt.
Jetzt, Mitte Dezember, frisst er (widerwillig) Nierenfutter, aber er frisst. Meistens. Diät ist zum Glück kein Thema, er hat Idealgewicht. Die Arthroseschmerzen sind dank seiner täglichen Tablette (Hefeüberzug, er liebt sie) offenbar erträglich, an guten Tagen fordert er mich auf, mit ihm zu spielen, und springt wie Megakatz durch die Wohnung. Er (Freigänger) will wieder länger raus, und das ist bei Kälte/Nässe schon eine Ansage. Nein, ich packe ihn nicht in Watte, noch nie. Wenn er rausgeht und draußen vor ein Auto läuft, dann ist das so.
Es ist nichts, wie es war, auch er benimmt sich bedächtiger. Die Prioritäten haben sich geändert.
Es ist in diesem Monat bei mir innen angekommen, dass ich nicht versage oder scheitere, wenn ich das tue, was mir möglich ist, auch wenn ich meinem eigenen Anspruch (die zu schützen, die ich liebe, ob Mensch oder Tier spielt keine Rolle) nicht gerecht werde oder werden kann. Da gibt es diesen berühmten Spruch mit der Gelassenheit: Dinge hinzunehmen, die man nicht ändern kann, Mut aufzubringen, Dinge anzupacken, die geändert werden können (oder müssen), und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.
Meinem Katzenkind gegenüber bin ich jedenfalls in der Pflicht, und ich werde nach Kräften alles für ihn tun, bis ich ihn irgendwann ziehen lassen muss.
Text: Christiane
In meinem Leben hörte ich von Fällen, in denen Menschen „Hilferufe“ von Angehörigen/Freunden nicht vernahmen bzw. sich nicht viel dabei gedacht haben. Oder selbst gerade viel um die Ohren hatten.
In deinem Fall war Dir dein Fellträger äusserst wichtig, also hast Du Dich um ihn gekümmert.