Archiv für den Tag: 13. Dezember 2019

24T.-Mutmaßungen über das Fremde,Tag13

Bekenntnisse einer glücklich Beheimateten.

Den Großteil meines Lebens hatte ich‘s ja nicht so mit der Fremde. Alles um mich herum reiste durch die Welt oder fuhr mindestens ausgiebig in Urlaub – und ich? Blieb hier!
Weil es mich nicht hinauszog in die Welt. Weil ich mich immer schon wohlfühlte dort, wo ich ja sowieso war. Hier, zuhause, in der Heimat, in Oberbayern, an den Seen, in den Bergen.

Meine Exkursionen in die Fremde beschränkten sich sehr lange auf Fahrten an die Nord- oder Ostsee oder ins benachbarte Österreich, was jetzt aber – aus süddeutscher Perspektive – nicht wirklich als fremd bezeichnet werden kann, denn man versteht die anderen ja, kann sich also verständigen, man kennt auch ihre Essgewohnheiten und die regionaltypischen Eigenheiten, kommt also problemlos über die Runden für die Dauer seines Aufenthalts. Echte Fremde, das ist anders, so viel war auch mir als Heimathockerin klar.

Nachdem die finanziell entbehrungsreiche Studentenzeit vorüber und ich im ersten richtigen Job (mit ebenfalls erstem richtigen Gehalt) gelandet war, begann auch ich, Urlaube zu machen, gelegentlich sogar Reisen zu unternehmen. Mein Radius erweiterte sich nun mit den Jahren und für meine Verhältnisse durchaus beachtlich: kleine Urlaube in der Schweiz, in Italien, in Griechenland, in Portugal – und einmal schaffte ich es sogar über den großen Teich, weil man ja meint, anlässlich einer Hochzeit etwas ganz Besonderes unternehmen zu müssen (dabei ist so eine Ehe ja eigentlich schon Grand Canyon und Monument Valley genug).
Dennoch: all das kein Vergleich zu all den anderen. Im Freundes- und Kollegenkreis begab man sich viel intensiver in die richtige Fremde und begab sich auf ausgiebige Exkursionen durch Nepal, Patagonien, Alaska, Madagaskar oder Neuseeland.

So überschritt ich schließlich die 40, ohne je nennenswert länger in der Fremde gewesen zu sein und konkrete Erfahrungen und Wissen über das Fremde, das Fremdsein oder Sich-fremd-Fühlen waren mir immer noch fremd.
Bis ich eines Tages ganz unerwartet von der großen Skandinavienliebe heimgesucht wurde, die dann auch keine unerfüllte bleiben sollte, weil sie so stark in mir brannte, dass ich ihr nachgehen musste.

Ich reiste. Wochenlang. Alleine. Und war erstmals länger in der Fremde und fühlte mich auch so: ziemlich fremd. Das Alleinreisen ist oft ein Unterwegssein jenseits der Komfortzone: denn es setzt einen aus. Dem fremden Land, den fremden Menschen, den fremden Sitten, der fremden Sprache.

Ganz auf sich gestellt ist man, fern der Heimat, alles Vertraute weit weg, bis auf den kleinen Hund, ja gottseidank, denn wer weiß: vielleicht wäre ich sonst vor die Hunde gegangen, so allein und ausgesetzt in der Fremde vor mich hin fremdelnd.

In den vielen Wochen, die ich in den letzten Jahren in Skandinavien verbrachte, habe ich dank der Differenzerfahrung zwei Begriffe zum ersten Mal wirklich gespürt und verstanden: Was mir Heimat ist und bedeutet, und wie sich das Fremde anfühlt. Und ein Stück weit sogar, wie man sich das Fremde ein wenig anheimaten kann, sich sozusagen versuchsweise in ihm beheimatet, indem man sich ihm anvertraut und es sich vertraut macht.

Gelingt einem das, dann löst es sich auch wieder ein bisserl auf, das ganze Gefremdel, denn fremd ist der Fremde ja nur in der Fremde, wie‘s schon der Karl Valentin so treffend zusammenzufassen wusste, und heimisch ist demnach der Einheimische eben auch nur in der Heimat. Was je nach Land, Regierung, Religion, Schicksal und etlichen anderen Umständen ein schreckliches Drama, eine schnöde Tatsache oder auch ein großer Segen sein kann – und ich weiß mich glücklich zu schätzen, dass ich zu den Segensreichen gehören darf.

Gastbeitrag: Kraulquappe