Archiv für den Tag: 18. April 2014

O Haupt…

Seit 12 Uhr mittags sind jetzt also die Kirchenglocken nach Rom geflogen. Kein Klang, der das Gemüt erfreut, soll heute erklingen, wir sollen Seiner gedenken, der heute vor 2000 Jahren den Kreuzestod für uns gestorben ist. Wer gedenkt der Millionen Frauen und Männer, die kläglich auf den Scheiterhaufen verrecken mussten, der Kinder, die auf Kinderkreuzzüge geschickt wurden ins Gelobte Land, unzählige Greueltaten in seinem Namen. In SEINEM Namen! Ein Wanderrabbi, der von der Liebe erzählte und von allerlei weiteren Ungereimtheiten, der keine Tempel mochte und ein Faible für Gestrauchelte hatte. Wenn man, so gut es geht, nur auf diese alte, kleine Geschichte schaut, kann man sich nicht vorstellen, daß dieser sanfte, idealistische Träumer der Religionsgründer werden wollte, an den sich eine Kirche dranhängte und zu solch einer ungeahnten Monstrosität aufblähte. Der Gott, von dem Er erzählte, war ein Liebender und er verlangte nichts von den Menschen, er liebte sie. Weder damals noch heute reicht unser menschliches Vorstellungsvermögen, das jemals zu begreifen. Was hat Er noch geglaubt, als Er am Kreuz hing und elend zugrunde ging? „Zu Grunde“ gehen – was für ein Wort!

Heute also keine Kirchenglocken, nur „Ratschen“, das sind eine Art hölzerne Rasseln, uralte magische Instrumente, um mit viel Krach die Winterdämonen auszutreiben.

Alles Elend, auch das schrecklichste, ist einmal vorbei und dann beginnt das Sterben, und zwischen dem Sterben und der Auferstehung ist der Tod und der Tod ist ein Rätsel.

Als mein Vater gestorben ist, bin ich bis ins Innerste erschrocken vor der lautlosen Banalität. Todsein heißt, nicht mehr einzuatmen. Und das ist auch schon alles. Aber ist das Alles nichts oder ist das Nichts alles?

Der Tod sitzt auf der Balkonbrüstung, er trägt eine wollene Joppe, hat einen feschen Hut auf und lächelt mich an: Das ist doch alles ganz einfach, was plagst du dich denn so herum? Du hast gut reden, sage ich.

Luise Wittmann
Text: Margarete Helminger / Bild: Luise Wittmann

 

Ölberg

Die dunklen Ahnungen verdichteten sich und wurden zur schrecklichen Vision seines nahenden Todes. Er lud die zwölf besten Freunde zu sich ein, und nachdem sie gegessen und getrunken hatten, sahen sie ihn erwartungsvoll an und hofften auf eine seiner Geschichten. Er aber sagte nur: „Ich bitte Euch, diese Nacht bei mir zu bleiben, ich fürchte mich, denn ich werde bald sterben“! Sie glaubten ihm nicht, das sah er in ihren Augen, noch etwas sah er: Verrat. Das tat ihm weh. Sie sagten zu ihm: Wir lieben Dich und wir wollen mit Dir wachen“, und sie stiegen mit ihm den Hügel hinter seinem Haus hinauf. Dort oben setzten sie sich hin und schliefen sofort ein. Er ging herum in der Nacht, getrieben von Todesangst, zitternd und weinend, dreimal flehte er seine Freunde an, doch wach zu werden und ihm beizustehen, dann gab er auf.

Er sank zu Boden, er betete zum Himmel und schrie in Wut und Schmerz und Einsamkeit und es schüttelte ihn vor Grauen, doch von nirgendwo kam Hilfe. Dann hatte er endlich verstanden, er wurde ganz ruhig und schwitzte Blut und Wasser.

Als die erste Morgenröte über der Stadt heraufzog stand er auf, weckte seine Freunde. Sie erschraken, als sie sein totenbleiches Gesicht sahen und wussten nicht, was sie tun sollten. Er sagte:“Geht nach Hause“!

„Und Du“? sagten sie.

Und Er sprach:

„Ich bin bereit“.

Oelberg