Archiv für den Monat: April 2014

„…allein die Seele…“

Er ist Informatiker, sie – keine Ahnung.
Ein Ehepaar, beide fast noch Kinder, Sportjacken,
der erste frühlingshafte Samstag dieses Jahrs,
mit zwei Tüten Karotten kommen sie aus dem Gemüseladen,
überqueren die Straße, steigen in einen VW-Käfer.

Bremslicht, Rückwärtsgang, Gas.
Nichts wie weg. Wie unbedarft
die Welt – und doch wie unbegreiflich.
Sie besuchen ihr Pferd in Fót.

Die ganze Stadt blüht auf.
Der Körper grinst, allein die Seele
sitzt mal wieder einem Märchen auf.
Das Hirn ist marode. Sogar so ein harmloses
Wochenendprogramm bringt es fast zum Durchdrehen,
am überraschendsten aber ist die Tatsache,
wie wahnsinnig ihn das alles macht. He! Moment mal!

„Entschuldigung! Könnt ihr mir mal für zwei Minuten
das Nichts abnehmen, bis ich mich hier im Hauseingang
ausgeweint habe? Gar kein Risiko dabei,
hier gibt´s keinen anderen Ausgang, ich bin gleich zurück und
nehm´s euch wieder ab!
Es kostet euch nicht mehr Mühe –
als jemandem zu helfen, sein Auto anzuschieben!“

István Kemény
( Nützliche Ruinen )

Vielen Dank der wunderbaren Mützenfalterin, die es ermöglichte, daß dieses Gedicht auf seinem Weltenweg auch hierher gelangte!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Heimat?

Der weise alte George Tabori hat mal gesagt: „Das, worauf es ankommt, ist die Authentizität der Gefühle“.

Es hat mich wohl deshalb gestern nochmal in mein Lieblingskino in Trostberg gezogen, wo ich mir zum dritten Mal den „Mittsommernachtstango“ angesehen habe, und wenn er noch länger laufen würde, dann sähe ich ihn wohl noch zehn Mal. Die ProtagonistInnen tun das, was sie tun, weil sie das sind, was sie tun, und ich glaube es ihnen. Der Film läuft auf eine Schlußszene hin, alle Musiker versammeln sich am See, und in das Licht der untergehenden Sonne singt der junggebliebene Reijo Taipale sein „Satumaa“ und alle begleiten ihn dabei. Das ist so rührend schön und hat so gar nichts von Kitsch, denn das melancholische Lied handelt von diesem Märchenland, nach dem wir uns alle sehnen, eine Art Heimat, die nur im Taum existiert und nur in Gedanken können wir hinfliegen. Reijo Taipale sagt, er hätte dieses Märchenland sicher schon 8000 Mal besungen, aber leider habe er es auch noch nicht gefunden bis jetzt. Angeblich hat die Tradition des Tangotanzens begonnen, als Teile der finnischen Heimat unter russischer Besatzung standen und es den Menschen wohl so schlecht ging, daß sie sich mit dieser Musik in eine andere Heimat träumten, um zu überleben.

Beim Heimfahren durch die stockfinstere Nacht, die Melancholie dieser Musik in den Ohren, ein Gefühl zwischen Weinen und Lachen, eine schwebende Leichtigkeit, die aber schmerzt in ihrer großen Sehnsucht nach…ja nach was eigentlich?

Wenn es stimmt, was ich lange schon vermute, daß uns in den Geschichten nicht wirklich das anzieht, was andere erleben, sondern das, was wir dabei über uns selbst erfahren…ja dann hat dieser Tango mit einem Schmerz in meiner Seele zu tun. Ich fahre durch die oberbayrische Hügellandschaft, bin weder Finnin noch Argentinierin, hier ist meine Heimat, oder wohin sollte ich sonst gehören? Warum spüre ich davon so wenig, warum bin ich eigentlich so wenig „beheimatet“?

Mit diesen Gedanken gleite ich immer tiefer in die Nacht, die Strassen werden immer schmaler und holpriger, ich weiß nicht mehr wo ich bin, habe mich total verfahren und stehe plötzlich vor einer kleinen Kirche, die ich bei Tageslicht lang nicht gefunden habe, so versteckt liegt sie zwischen Hügeln verborgen. Jetzt steht sie vor mir: St. Margareta, deren Spur ich schon lange verfolge, da sie einen Wurm bei sich hat, einen Drachen, von dem man sagt, er sei älter als die Welt.

Den Tango im Ohr bin ich jetzt an diesem Drachenort gelandet…was das wohl bedeutet?