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Innerer Kreis

Irgendwer hat gesagt: “ Die Vergangenheit ist nicht weg, sie ist nicht mal vergangen“. Manchmal ahne ich, daß die Zeit nichts ist, was vorwärts stürmt, sondern eher so was wie eine flächige Ausdehnung, kann es nicht erklären, nicht mal mir selber, aber manchmal weiß ich es einfach, daß alles gleichzeitig existiert. Weit hinabgestiegen diesmal, zur dunklen Schwester, an Sonnwend mit ein paar Freundinnen versucht, das neugeborene Licht zu finden, dort unten, im Großen Unten. Mit dem neugeborenen Licht und dem Wissen der Nacht wieder heraufsteigen und feiern. Während wir im kleinen Wäldchen stehen fällt mir plötzlich wieder ein, daß hier mal ein Ast war, mit einem Band umwickelt. Ein blau-weiß gemustertes Schürzenband, abgerissen bei dem vergeblichen Versuch meiner Mutter, sich aufzuhängen. Lange nach ihrem Tod hing es noch da, der alte Schmerz steigt auf in mir, wie oft bin ich weinend hierhergekommen, früher, vor 45 Jahren. Laut habe ich es in den Wald hineingeschrieen das Elend dieses Kindes, das nicht verstand, warum die Mutter, die doch so lachen konnte, sich zu Tode soff und vorher das Kind verflucht hatte, weil es die Flaschen zerbrach, um den Tod abzuwenden, um zu retten, was nicht mehr zu retten war. Eines Tages war das Schürzenband brüchig geworden und abgefallen.

Das Wissen der Nacht, sollte es das sein, anzunehmen, was unabänderlich scheint, weil alles dazugehört?

Später, beim Singen offenbahrt sich, daß die unteren Stimmen das Fundament legen für die hohe voranstürmende junge Lebensstimme. Die Magie ist in der dritten Stimme, die von unten kommt.

Erfahre vom  erneuten Ausbrechen der gefürchteten familiären Krankheitsneigung. Einen, den ich sehr mag, mit dem ich nicht nur „das gleiche Blut“ teile, sondern mit dem ich mich sowohl im Geist wie auch im Herzen verwandt fühle, hat es erwischt. Die Jäger sagen, ein Reh wird „aufgebrochen“, ja, so könnte man das hier auch beschreiben. Er wurde aufgebrochen und ausgeweidet und wieder zugenäht und muß mühsam lernen, den verbliebenen Rest als sein Menschsein anzuerkennen und weiter zu leben.

In der Stube sitze ich mit Gästen und sage, daß diejenigen, die eine schlimme Diagnose haben, um unsere Sterblichkeit wissen, alle anderen schieben die Tatsache weit von sich, dabei sitzt doch der Tod eh immer dabei, vielleicht sollten wir uns mit ihm anfreunden,  und ich deute auf einen leeren Stuhl. Später, als alle Gäste gegangen sind, sitzt der Tod immer noch da und lächelt mich an.

Warum das nur immer so ein Thema ist, diese Sterberei, sage ich, jetzt taste ich mich aus der Unterwelt mühsam herauf und weiß wieder nicht viel mehr und habe die gleiche Angst wie immer. Mein Körper wird schwerfälliger und schmerzhafter. Also, sagt der Tod, ich weiß es auch beim besten Willen nicht, was ihr meint, wenn ihr vom „Sterben“ redet! Ich kann nur immer wieder sagen, daß ich gerne auf warmen Steinen sitze und mich sehr gerne verwandle, schau! Und tatsächlich, da fliegt ein kleiner Vogel zum Fenster, ich mache es auf und weg ist er.

Ein seltsamer Traum verfolgt mich seit Tagen: ich gehe hinter jemand her, es scheint ein Kind zu sein, ein Mädchen, ich sehe nur ein wehendes Kleid und die Fußsohlen, trägt es Sandalen? Ich kann es nicht erkennen. Ich gehe hinter Füssen her, die vorwärts schreiten, Schritt für Schritt für Schritt, zielstrebig immer weiter…Ich habe Mühe, hinterher zu kommen…wohin rennen wir? Der Wind weht meine Fragen weg, ich höre Kinderlachen und rieche das Meer, sehen tu ich nichts außer diese Füsse…wir gehen auf Holzplanken und irgendwas rollt…da sehe ich es, das Kind läuft einer Blauen Kugel nach…am Ende des Stegs bleibt die Kugel stehen, direkt vorne an der Kante…das gibt es doch gar nicht! Niemand ist da, das Kind aber plaudert und lacht und als ich näher hingehe, läuft es weg. Allein stehe ich da, lehne mich ans Geländer und sehe hinaus aufs Meer. Dann passiert dieses Wunder: am Horizont erscheint ein leuchtend türkisfarbener Streifen…ist es Himmel, ist es Meer, ist es alles?

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