Archiv für den Tag: 10. Januar 2024

# 34 Lichtspiele

Zu meinem vorherigen Text kommentiert Gerhard:  „warme Worte“! Das freut mich. Ja, warme Worte verschenke ich gerne und bekomme sie auch gerne geschenkt. Es ist kalt derzeit, und das nicht nur, weil der Januar so ist, wie er sein soll! Und wahrscheinlich trage ich auch deshalb dieses Buch immer mit mir herum, es ist klein, hat nur 168 Seiten und ist ganz leicht in der Tasche. Als es vor Monaten im Briefkasten lag, kam ich grad von der Arbeit herein und stand in schlammbespritzten Gummistiefeln im Hausgang und konnte nicht aufhören zu lesen: „Herzschlagkino, 77 Filme fürs Leben“, von Andreas Pflüger. Als ich bereits auf der ersten Seite einen neuen Lieblingssatz fand, und A. Pflüger sofort fragte, ob er mir erlaubt, ihn und womöglich noch weitere Lieblingssätze zu zitieren, sagte er sofort zu und schien sich zu freuen. Dieser erste Satz allein sagt schon aus, warum ich ins Kino gehe: „Wenn der Vorhang aufgeht, will ich überwältigt werden, vom Sound, der Musik, von Bildern zu groß für die Leinwand.“

Als ich voreilig fragte, wußte ich noch nicht, daß dieses kleine Büchlein fast ausschließlich aus Lieblingssätzen besteht und daß ich sicher keine Rezension schreiben will, weil ich auch keine lesen mag. Auch Film- oder sonstige Kritisiererei mag ich nicht.

Auf Facebook ist mir immer mal wieder einer aufgefallen, der so ganz anders über Filme geschrieben hat. So, wie der viel zu früh gestorbene Michael Althen, dessen Texte über Filme, die er mochte, ich geliebt habe; las ich die Texte dieses Andreas Pflüger. Ich wusste  damals zu meiner Schande überhaupt nicht, daß er ein begnadeter Drehbuchautor ist und längst bekannt und berühmt für seine spannenden extrem scharfen Politthriller. Meine Güte, wie peinlich, grade hat er großen Erfolg mit dem neuesten Buch: „Wie Sterben geht“. Aber hier ist die Rede von diesem kleinen Büchlein, das parallel dazu erschienen ist, und das außer der Tatsache, daß es exzellent geschrieben ist, nur wenig von den beschriebenen Filmen, dafür aber viel, sehr viel preisgibt über die inneren Notwendigkeiten, sie anzuschauen … immer und immer wieder anzuschauen. Und auf knapp bemessenem Platz mit wohl dosierten Sätzen gibt er nicht nur das, was für ihn die Essenz der Filme ist, preis, sondern erzählt von Freundschaft, Sehnsucht, Liebe, Einsamkeit, Enttäuschung, Begierde und über die unendliche Lust, die Ewigkeit will. Und über die Besessenheit, „die Opfer erfordert; was das bedeutet, wissen nur die, die sie besitzen“.

Bei seinen Filmen fürs Leben sind sind welche dabei, die ich auch sehr liebe, manche kenne ich nicht und werde sie auch nie anschauen, und ein paar kommen sicher dazu, die möchte ich auch kennenlernen. Er spricht von jeweils einem Fehler bei „Taxi Driver“ und bei „North by Northwest“, die muß ich selbstverständlich herausfinden bei nächster Gelegenheit.

Er sagt, daß es Filme gibt, die mitten ins Herz treffen, aber man das nicht erklären kann, warum. Und er sagt: „Manche Filme verdrehen dir von der Aufblende an den Kopf. Du verknallst dich, mit Herzklopfen bis zum Hals. Die allerbesten geben dir dieses Gefühl jedes Mal, wenn du sie siehst. Bei anderen wird es dir heiß und kalt, und du verstehst es nicht.“

Und obwohl er Geschichten nicht mag, die ihn ohne Hoffnung lassen, sieht er einen bestimmten Film, da ist er still und „fällt durch die Bilder wie ein Stein“. Und er spricht von Travis Bickle, der die 47. Straße in Manhattan runtergeht, „steif vor Einsamkeit“.

Ich trage dieses Buch mit mir herum, weil ich diese Zärtlichkeit spüre, diese unglaubliche Liebe zum Kino und zu den Geschichten, die beginnen, wenn das Licht ausgeht und der Vorhang auf. Alles, was da drinsteht, und auch das, was sich zwischen den Worten verborgen hat spricht mir aus der Seele. Auch wenn wir ganz unterschiedliche Filme mögen, das spielt keine Rolle, es geht um die Begeisterung und um das Glück, das Herzschlagglück. Dieses Buch gehört unbedingt dazu. Es ist ein leises kleines Meisterwerk.

Mit allem bin ich einverstanden, bis auf eine Bemerkung: daß George Clooney Cary Grant am nächsten kommen sollte, das bestreite ich vehement. Für mich bleibt er und sein Lächeln unerreicht.

Vor ein paar Tagen, es hatte noch nicht geschneit, begaben wir uns wieder auf die Suche nach dem steinernen Findling. Beinahe hätten wir ihn trotz genauer Koordinatenangabe wieder nicht gefunden, da lag auf einmal irgendwo auf dem riesigen Acker eine große gelbe Plane oder irgendeine Papierverpackung.  Und als ich noch dachte, wer denn sowas auf den Acker wirft, rief schon Herr Graugans: Da ist der richtige Punkt. Ja, und da lag er dann, der Stein. Im Hintergrund war dieses Abendrot über den Bergen, das Licht schien überirdisch schön auf diesen Felsklotz im Boden. Sein Gestein ist von roten Adern durchzogen und auf der einen Seite sieht er aus, als läge ein Drachen da, den Kopf zur Seite gedreht. Nein, kein Foto jetzt, die Welt ertrinkt schon genug in Bilderfluten. Eine wundervolle steinerne Begegnung wurde uns geschenkt.

Hinterher waren wir im Kino und sahen „Perfect Days“ , ein Film, den ich sicher noch unzählige Male anschauen werde. Das Glück tropfte Szene für Szene zwei Stunden in mich hinein, löste alle Beschwernisse auf und hätte  nicht doch noch ein gewisses Maß an Schwerkraft meine Füsse am Boden gehalten, dann wäre ich geflogen!

Da treibt sich die Kraulquappe herum