Nach Schnee und Eis und bitterer Kälte kam der Regen und jetzt bläst ein viel zu warmer Sturmwind übers Land. Ein Föhnsturm, der die Wolken zusammenschiebt und sie in dramatischer Choreographie über den Himmel treibt. Durch das alte Haus läuft ein Zittern und Beben, die Geister verziehen sich in die dunklen Winkel, unter die Balken, zwischen die Spalten, in die Ritzen und halten sich aneinander fest, um nicht davon zu wehen, als ich das Fenster kurz aufmache. Der Brief, handgeschrieben von einem freundlichen Menschen, über den ich mich sehr gefreut habe, kann gerade noch beschwert werden, bevor er davon segelt. Ich stehe vollkommen neben mir, bin verlangsamt und kann keinen klaren Gedanken fassen. Dieser Föhn jetzt im Januar macht das, was er immer macht: er dreht das Innere nach außen und bringt alles durcheinander. Sogar ein einzelnes Schneeglöckerl steht plötzlich voll aufgeblüht da unterm Birnbaum, etwas zerzaust, wie einer anderen Welt entstiegen und verirrt auf dem Weg. In der überlaufenden Regentonne schwimmt noch ein Teil der dicken Eisplatte, auf der sich manchmal Vögel zum Trinken niederlassen.
Den Findling werde ich jetzt erstmal nicht mehr besuchen, denn er liegt mitten in einem Acker, der nun mit Wasser so vollgesogen ist, daß ich schon nach ein paar Metern einsinke und ich mich nur mehr mühsam mit schweren Erdklumpen an den Schuhen vorwärts bewegen kann.
Auf die Frage, was ich denn da suche, bei so einem Stein, der sich nur als Felsplatte aus dem Boden hebt und an dem doch gar nichts Besonderes ist, sage ich: Nichts. Ich suche nichts, es zieht mich einfach hin. Es hat mich immer schon zu Steinen hingezogen und ich frage auch jeden Stein, ob er damit einverstanden ist, daß ich ihn aufhebe und mitnehme. Und meistens sagt mir dann mein Gefühl, ob ich eine Art Erlaubnis bekomme oder nicht. Oft gibt es gar kein Gefühl dafür, dann lasse ich ihn liegen.
Gestern bin ich vor ihm gestanden und er sah wieder anders aus oder ich entdecke immer genauer seine Feinheiten, die Kanten und Rillen, die kugelrunden Löcher und seine Adern. Und je nach Lichteinfall scheint er die Form zu verändern. Und ich würde es nicht wagen, ihn zu betreten, auch wenn das Eis restlos weggeschmolzen wäre. Ich habe großen Respekt vor diesem Steinwesen. An einer bestimmten Stelle leuchteten im Hintergrund die Steinberge der Alpen und vor mir strahlte dieses helle Gestein des Findlings und seine Form ähnelte der Silhouette der Berge. Und seine steinerne Mimik … wie oben so unten, wie im Großen, so im Kleinen. Was musste passieren, daß dieser Felsbrocken hier gelandet ist. Ihn mit Menschensprache zu fragen, bringt nichts. Aber Steine kommunizieren auch. Die Freundin sagt, Steine sprechen auch, aber gaaaanz langsam, ja, da hat sie Recht. Sie zu verstehen erfordert einen völlig anderen Umgang mit dem Begriff Zeit. Einfach ausgedrückt und doch oft schier undenkbar heißt das: Hingehen, sitzenbleiben und still sein, nichts weiter … ohne Begrenzung.
Ich gehe gerne auf alten Pfaden, auch als Kind schon war das so. Und jetzt im Drachenjahr werde ich der Spur der Hl. Margarete folgen, der ja ein Drache gefolgt ist, zahm wie ein Schoßhündchen. Ganz in der Nähe des Findlings steht diese kleine alte Kirche mitten im Gelände, deren Entstehungsgeschichte sich im Dunkel der Zeit verliert. Am Altar diese wunderschöne Frau, lose hält sie ein goldenes Band, daran führt sie den riesigen Drachen, sie lächeln beide. Vor dem Eingang fand man im Boden versunken einen römischen Grenzstein, unerklärlich, wie er dahin gekommen ist.
Roger Caillois: Die Schrift der Steine:
„Die Steine sind alt:sie gehen dem Leben, dem Menschen voraus…
Es scheint mir alsdann keine Genauigkeit in der erdachten Wissenschaft,
keine Phantasie in dem künstlich erzeugten Delir, keine Harmonie oder
Kühnheit in der eifrig betriebenen Kunst zu geben, zu deren Figuren, Formen,
Zeichnungen die Steine nicht den Keim, die Idee, wenn nicht gar die untrügliche
und feierliche Vollendung liefern.“
Eigentlich sind wir doch steinreich, sage ich. Ja, das sind wir. Und Du bist auf Deine ganz spezielle Art eine Lebenskünstlerin, sagt Herr Graugans.
Und diese Spur führt zur Kraulquappe