Karl und die Freiheit der Rosen

Hin und wieder soll es vorkommen, daß sich einer verfliegt im Duft der Rosen und abstürzt ins Dickicht und seine Flügel zu Dickicht  werden und man ihn nur erkennt am Schimmer seiner Augen…

Bei der Kapelle vor dem kleinen Wäldchen spiegelt sich die Sonne in einer Windschutzscheibe, wie früher, als der Karl noch lebte.

Er ist immer mit dem Auto herumgefahren, weil ihm die Zeit einfach zu lang wurde. Irgendwo blieb er stehen und schaute einfach nur und auf die Frage, nach was er denn Ausschau halte, seufzte er  und konnte es nicht so genau sagen. Und wenn ich weitergehen wollte, sagte er, bleib doch noch ein wenig stehen bei mir. Immer hat er jemand zum Reden gebraucht, den meisten ging er auf die Nerven. Auf mich hatte er es besonders abgesehen, vermutlich deshalb, weil ich es nie übers Herz brachte, ihm nicht jedes Mal zuzuhören, bis die ganze Geschichte erzählt war. Die ganze Geschichte eines unglücklichen Lebens. Er war unerbittlich und böse auf sein Schicksal und alle, die daran mitgewirkt hatten, ihm das Leben schwerzumachen. Und mit den meisten, mit denen er jahrelang auf der Hausbank gesessen hatte war er über kurz oder lang auch zerstritten, auch mein Vater konnte ihn nicht mehr aushalten in seinem ewigen Geschimpfe und es wurde immer einsamer um ihn herum. Manchmal bin auch ich geflüchtet, wenn ich ihn kommen sah, aber meistens hielt ich ihm stand und ließ ihn reden und schimpfen. Alle meine Bestrebungen, aus seinem Leben ein wenig Hoffnung herauszupressen, hat er weggewischt und er bestand auf diesem Fluch, der über ihm hing und der ihn zwang, ein armselig-elendigliches Dasein zu fristen. Eines Tages hat er mir mal gesagt, Grete, Du bist immer gut zu mir gewesen. Wenn ich mal gestorben bin, kommst Du dann an mein Grab und betest mir ein Vaterunser? Ja, Karl, das werd ich tun, hab ich gesagt. Und seither besteht er darauf, daß ich dieses Versprechen auch einhalte. Wenn ich den Gottesacker betrete, dann hör ich ihn schon … kommst Du heute nicht zu mir und ich sage, gleich Karl, laß mich nur schnell die Blumen gießen und eine Kerze anzünden… und bald darauf hör ich ihn schon, wo bleibst du denn? Gehst du schon? Und ich sage, ruhe in Frieden Karl und manchmal hör ich ihn noch außerhalb rufen, Du kommst aber schon bald wieder, gell?

Nein, normalerweise sprechen die Toten nicht mit mir, am Familiengrab sagt keiner was, nur halt der Karl.

Früher hat er mich oft mitsamt meinem Radl ins Auto gepackt, wir hatten den selben Heimweg aus der Kreisstadt, dadurch mußte ich nicht den steilen Berg raufschieben. Wo auch immer er mich sah, hat er mich mitgenommen. Sein Leben war eine einzige Misere und es hat schon mit einer Kindheit angefangen, in der er gequält und geschunden wurde und halb verhungert ist. Dieser Schmerz hat sich um sein Herz gelegt und ihn schier erdrückt. Sowas wie Liebe oder auch nur ein wenig Freundlichkeit hat er nie erfahren und so ging es weiter, das Glück hat ihn nicht gefunden, er hat sich halb tot gearbeitet, aber rechtmachen konnte er es wohl trotzdem niemandem. Eines Tages ist ihm ein Auto reingefahren, als er zu seinem Haus abbiegen wollte und dann lag er sterbend und zitternd auf der Straße, so einsam wie immer in seinem Leben.

Er war ein armer und trauriger Mann und ich mochte ihn sehr gern und manchmal erzähle ich ihm Geschichten, wenn ich an seinem Grab stehe. Und manchmal hoffe ich, es möge doch auch bei ihm mal ein Engel abstürzen und an seinem Grab liegen bleiben, ihm den Kummer von der Stirne streichen, den Reif aus Eis von seinem weichen Herzen sprengen und wenn die Flügel wieder stark genug sind, ihn mitnehmen dorthinauf, wo alle diese verdammte Erdenschwere von ihm abfällt und er endlich endlich freigelassen wird.

Ich lege ihm eine Rose aufs Grab und vertraue ihrem Duft.

 

7 Gedanken zu „Karl und die Freiheit der Rosen

  1. Der Karl, der hatte die Gretl und die ist sein Engel, noch heute …

    Ach menno, wie du das immer machst, jetzt habe ich schon wieder Pipi in den Augen.
    Gute Nacht, du Liebe, oder Guten Morgen,
    Ulli

  2. der karl hatte bei mir einen anderen namen, aber die geschichte ist ähnlich. an irgendeiner stelle ganz am anfang des lebens wurde die seele verschnürrt bis fast zum ersticken. aber die ahnung vom engel, die hoffnung auf ein gebet am grab – es gab sehnsucht. womit war sie geweckt worden vor langer zeit? leider konnte sie die schnürrung nicht lösen.

  3. Ächz. Es ist, als habest du die Geschichte von meinem Kindheitskumpel Udo erzählt. Der hatte es schlecht getroffen und so holte er sich die fehlende Nestwärme bei uns. Eigentlich ist er schon eher sowas wie ein Adoptivbruder von mir. Aber sein Pech hielt an.

    Ja, mancher kann nie aufhören zu schimpfen. Das Ventil des Druckablassens muss Überstunden machen, weil man sonst platzt.

    Ein bissel war ich auch auf DEM Weg. Bis neulich. Aber ich hatte eine glücklichere Kindheit als Udo. Deshalb spüre ich nun, da die verhasste Kleeche ein Ende nahm, dass die innere Wut verraucht.

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