Finis…?

Die letzten heissen Tage, in denen wir unsere kleine private Sommerakademie veranstalteten, sind längst vergangen, der Sommer ist alt geworden und hat im Herbststurm seine Kleider abgeworfen.

Als wir unsere Arbeiten fertigstellten, kamen grad viele tausend geflüchtete Menschen in Deutschland an, das Land spürte plötzlich ein mitfühlendes Herz in sich schlagen, rannte mit Altkleidung, Wasserflaschen, Plüschtieren und Transparenten zu den Bahnhöfen, verhielt sich freudig erregt und nannte dies „Willkommenskultur“. Es kamen und kommen immer mehr, hunderttausende und jetzt wird die Freude über die Fremdlinge deutschlandweit merklich kühler, an den Grenzen wird streng kontrolliert, die Bundesländer halten sich relativ zurück in der Aufnahmebereitschaft…

Als wir vor ein paar Wochen auf der Heimfahrt nachts aus Versehen die falsche Ausfahrt nahmen, lagen an der Grenze Salzburg/Freilassing kilometerweit auf den Gehsteigen und auf der Straße Kleiderbündel gestapelt herum, o mein Gott, ich schäme mich so sehr, ich dachte tatsächlich im ersten Moment, es wäre Altkleidung, nein, es waren Menschen. Hunderte, tausende Menschenbündel lagen in dieser kalten Nacht und warteten, viele nicht zugedeckt…und da wusste ich plötzlich, jetzt hat die Welt ihr wahres Gesicht gezeigt, und plötzlich war alles anders wie vorher. Seit dieser Nacht gibt es kein Wegsehen mehr, die Wirklichkeit hat alle Fernsehbilder überholt.

Inzwischen sind alle Geflüchteten (es kommen täglich mindestens tausend hinzu) in Zeltlagern entlang des Grenzflusses hinter Zäunen und unter Bewachung untergebracht und müssen warten, denn wegen der vielen Millionen, die auf das Oktoberfest wollten, durften die Geflüchteten nicht auch noch mit Zügen nach München fahren, wohin sie ja wegen Registrierung und Weitervermittlung müssen, das hätte die Stadt nicht mehr verkraftet, also Warten im Zeltlager. Inzwischen heisst es, nächste Woche dürften die Züge wieder fahren.

Die Ereignisse überstürzen sich ständig, die Probleme wachsen, erstaunlich, wie ruhig und andauernd hilfsbereit die hiesige Bevölkerung bleibt, trotz nahezu lahmgelegtem Grenzverkehr über Wochen wurde und wird zwar viel über starre Bürokratie und über alle staatlichen Eingriffe und über alles Mögliche geschimpft, nie über die Geflüchteten, niemand gibt ihnen die Schuld, im Angesicht der Not, die sie mitschleppen, werden ihnen die Hände gereicht.

Mittendrin in diesen ganzen übergroßen Ereignissen gab es unsere kleine, virtuelle Ausstellungseröffnung! Vor den Rechnern saßen wir und haben aufgeregt die wunderbaren Kommentare beantwortet und uns so sehr gefreut, daß Ihr alle hierher gekommen seid, zum luftigen Ort der Graugans, zwischen Himmel und Erde, daß Ihr die Arbeiten wahrgenommen habt und viele von Euch das Thema ins Herz gelassen haben!

In den letzten Vernissagen, „leibhaftigen“, an denen ich teilgenommen habe, waren ca. 20 BesucherInnen, die haben die Eingangsrede über sich ergehen lassen, sind nach einem kurzen Blick auf die Arbeiten in Grüppchen herumgestanden, haben über Urlaub etc. geredet und sind verschwunden. Eine Künstlerin war so gekränkt und verärgert, daß sie kein Wort mehr sprach mit der Kuratorin, die es nicht geschafft hatte, mehr Leute herzubringen. Also, wer aus eigener leidvoller Erfahrung weiß, wie schwer es ist, Menschen in Ausstellungen zu locken, vor allem, wenn man nicht DEN Namen hat oder massentaugliche Ware produziert, weiß auch, daß es an einen sensationellen Erfolg grenzt, wenn in zwei Stunden ein paar hundert „Zugriffe“ vermeldet werden.

Habt Alle herzlichen Dank für´s Kommen, für´s Mitmachen bei diesem virtuellen Experiment, vor allem für´s Mitreden, für´s genaue Hinschauen und -hören und auch  denen, die kein Zeichen hinterließen, für´s aufmerksame Wahrnehmen!
Dank von Herzen, es war so schön mit Euch, so gute Gespräche, so viel gute Energien kamen geflogen und manch eine Präsenz von Euch war spürbarer in dieser luftigen Weite als viele, neben denen man leibhaftig so herumsteht!
Das Rad dreht sich weiter, unsere Arbeiten wurden der virtuellen Unberechenbarkeit übergeben.
Seid gegrüßt, bleibt mir gewogen und laßt uns weiterhin in irgendeiner Weise miteinander in Kontakt sein, ich freu mich drauf und stehe zur Verfügung!

11 Gedanken zu „Finis…?

  1. Liebe Graugans, es ist schon komisch hier oben auf dem Berg, da sehe ich keine Flüchtlinge, da lese ich über sie, da höre ich alles mögliche im Radio. Freiburg ist weit weg, manchmal …
    Schön zu lesen, dass so viele eure virtuelle Ausstellung besucht haben, an die ich immer mal wieder denke.

    Liebe Grüsse
    Ulli

    1. Liebe Ulli, ja, bis vor kurzem sagte ich auch immer, daß bei uns weit und breit keine Flüchtlinge zu sehen seien…und ein paar km weiter leben sie seit vier Jahren und sozusagen „nebenan“ (denn was sind denn 25 km?) sind tausende und abertausende…Ich weiß ja nicht, wie aufnahmewillig Baden-Württemberg ist, aber irgendwann werden auch da viele, viele ankommen und irgendwann wirst Du sie sehen und wissen, was für Dich zu tun ist. Es ist ja nicht so einfach, irgendeinem Menschen beizustehen, wenn man weiß, daß da Hunderttausende sind, die der Hilfe bedürfen…ich bin auch grad am Suchen, wo genau mein Platz ist. Grad hab ich erfahren, daß eine Patenschaft für einen 12jährigen gesucht wird, der hat auf der Flucht seine Eltern verloren, weil er vom kippenden Boot ins Wasser gefallen ist und dann waren die Eltern weg, meine Güte, da schießt einer doch das Wasser in die Augen oder? Und da gibt es so viele, viele, viele und wenn eine da mal anfängt…liebe Grüsse an Dich, meine Liebe

      1. ja, da schießt mir das Wasser in die Augen … BW nimmt viele Flüchtlinge auf und in den Kleinstädten im Tal wird gerade gebaut, um sie aufnehmen zu können-

        1. Das ist ja wunderbar, darauf hoffe ich auch sehr, daß mal was gebaut wird bei uns, noch müssen so viele in diesen furchtbaren Unterkünften hausen, das wär´s ja auch nicht mal, aber daß alles so furchtbar langsam geht mit diesen ewigen Wartereien, bis endlich der richtige „Status“ erreicht ist und niemand kapiert, worum es da geht und die Leut jahrelang untätig herumsitzen müssen, das ist das Schlimmste!

  2. Vielen Dank für Ihren berührenden Bericht.
    Ich war gerade wieder an den besagten Grenzen unterwegs D-A-SL-HR-MNE und zurück und alles sah ruhig und normal aus. Einzig der österreichische Grenzer wollte einen Blick in den Wagen werfen.

    Jetzt höre ich mir Ihr Lied an und dann gehts bettwärts.
    Nachmitternächtliche Grüsse aus dem matten Bembelland

    1. Lieber Herr Ärmel, wie schön, daß Sie sich gemeldet haben! Ich kann Ihre Ermattung so gut verstehen bezüglich des Herumwerkelns an einem Haus! Wir haben ja ein uraltes Bauernhaus und leben praktisch ständig auf einer Baustelle, weil immer irgendwo was herunter- oder herausfällt oder wir, wie jetzt, eigentlich aus der Schmiedewerkstatt meines Vaters für den Administrator einen Büro-, Fotostudio-, Buchbinde- und was weiß ich alles noch -Werkstattraum machen wollen…grad ist wieder das Geld total ausgegangen, mittendrin,und beim Dach regnets rein…und das Herumkriechen und Abkratzen irgendeines uralten Klebers, ach, wie kennt mein armes altes Gebein das! Jetzt kommt der Winter, ich hoffe, Sie haben im Ärmelasühl einen warmen Raum! Alles Liebe für Sie und hoffentlich geht das Geld nicht aus!

      1. Liebe Frau Graugans, recht schönen Dank für Ihren Kommentar.
        Ich hatte noch überlegt, ob ich Sie kontaktieren sollte wegen der neuerlichen Fahrt auf den Schwarzen Berg bzw. die Rückfahrt von selbigem.
        Gejuckt hat mich das schon, aber diesmal sind wir ja abwechselnd gefahren. Und um ein eventuell zu benötigendes Nachtasühl für zwei Menschen zu bitten wäre mir sehr schwer gefallen.

        Was Sie von Ihren Renovierungen und Instandhaltungen schreiben, tröstet mich ein ganz klein wenig.
        Ganz so arg scheint es hier im wiedererstehenden Ärmelheim nicht zu sein.

        Ich grüsse Sie herzlichst und sende Ihnen wochenendlichabendschöne Grüsse aus dem klingenden Bembelland

        1. Liebster Herr Ärmel, also, ich weiß gar nicht so recht, was ich da sagen soll, außer: „schad, daß wir uns so verfehlt haben“, denn ich traute mich einfach nicht, Ihnen beiden Quartier anzubieten bei uns, naja, muß man jetzt halt so hinnehmen. Ich hoffe, daß Sie, wenn die Zeit reif ist, und Sie irgendwo im Dunstkreis von 50km oder so um uns herum mal unterwegs sind, sich melden (Handynr. geb ich Ihnen gern) und zumindest auf einen Kaffee vorbeischaun…bei uns täte ja auch schon der Balkan beginnen, hat mal ein freundlicher Großstädter gesagt…also sollten Sie mal ein bisserl Südosten brauchen und womöglich einen kleinen Äppler, er gärt schon vor sich hin…Sie sind willkommen! Viele liebe Grüsse nach Lummerland vom HierundJetzt, Cocecktanzend, zwischen Himmel und Erde!

          1. Wie jetzt – im Gärstopfen blubbert schon der kommende Äppler? Fantastisch!
            Tja, unser Verhalten ist das Gegenbeispiel zu dem Road-Movie unlängst.

            Bei nächster Gelegenheit werden wir das besser machen, hoffe ich jedenfalls mal vn meiner Seite aus 😉

            Abendschöne Grüsse aus dem klingenden Bembelland

  3. Liebste Graugans,
    meine lang vermisste Freundin! Wie es mich berührt, beschäftigt, was du schreibst!
    Dazu passt auch, was ich heute in der Heimatzeitung las: In Laufen gab es einen wundervollen Wochenend-Workshop für Flüchtlinge und Einheimische; ich hatte die Ankündigung und Einladung dazu gelesen, jedoch nicht den Mut aufgebracht, daran teil zu nehmen. Es muss gleichzeitig herzerfreuend und herzzerreissend gewesen sein! Das Verschmelzen und die Harmonie der Musikkulturen ist zumBeispiel für Toleranz und Menschlichkeit geworden. Sollte sich wieder so eine Gelegenheit ergeben, würdest du mit mir als Zuhörerinnen teilnehmen wollen?
    Wir werden umdenken, umlenken, uns ändern müssen – das wird auch für uns vielleicht die Chance zu einem anderen, neuen, erfüllteren Leben. Eine Chance zum Miteinander, zum Abbau von Ängsten und verhärteten Denkmustern.
    Es grüßt dich von Herzen
    deine Margitschneck

    1. Also meine Liebe, warum soll ich vermisst gewesen sein, wo ich doch da war, rätselhaft! Ja, das Musizieren, das ist was ganz Elementares, da braucht man auch sonst keine Sprache zu können! Wenn ich Musikerin wäre, würde ich versuchen, Formationen zusammenzustellen und auftreten, unbedingt! So aber muß ich mir was anderes ausdenken und habe auch Ideen, aber es ist gar nicht einfach, so blöd sich das mit Millionen Geflüchtten an den Grenzen auch anhört,an die Menschen heranzukommen, sie werden irgendwie versteckt, sobald sie aus den Notlagern heraussen sind. Ich würde gern einen Ort für Frauen schaffen mit Stricken oder so, auch eine Teestube hätt ich gern, aber möglichst ohne kirchliche Einrichtung, ganzfrei sozusagen, aber wo einen Raum hernehmen und vor allem die Leute? Und da ich eine Träumerin bin und Schwellenhockerin, ist natürlich diesbezüglich noch nichts vorwärts gegangen! Zu der Chance auf Enthärtung von Denkstrukturen und Auflösung von Ängsten, da fürcht ich, solang hierzulande die meisten der braven Familien Seehofer und Konsorten wählen, wirds nur Angstschürung zuhauf geben und jetzt gibts erstmal die Einrichtung von Internierungslagern. Aber das Allerschlimmste ist, daß man ja sogar um das froh sein kann,denn die drohende Alternative ist wohl die AfD und dann wirds erst schlimm! Liebe Grüsse

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