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Casasco

In der Abenddämmerung bin ich mit dem Rad unterwegs. Im nahen Dorf läßt der rotgoldene Ball der untergehenden Sonne ein Fenster neben dem Kirchturm plötzlich aufstrahlen. Ich bin schier geblendet vom flammenden Funkeln  und es fällt mir ein liebgewonnenes Gedicht von Virgilio Masciadri ein. Immer wenn ich es las, dachte ich, wie schön es doch wäre, wenn ihm meine Fensterscheibe zugeblinzelt hätte, denn irgendwie lebe ich doch auch „am Hang gegenüber“…aber wie sollte das gehen, dazwischen sind die Alpen… ach, und wie auf den Aquarellen von Hesse schaut´s bei uns leider auch nicht aus… wo ist eigentlich „Casasco“?

Jetzt ist Virgilio tot. Vor ein paar Monaten ist er weggegangen… ja, das ist sehr traurig, aber auch ein Poet muß wohl irgendwann weiterwandern, durch Räume und Gezeiten, fremden Sternen entgegen.

Lieber Virgilio, mit dem Morgenstern kann ich leider nicht dienen, aber vielleicht kannst Du ja ein Bündel rotgoldener Strahlen der Abendsonne „empfangen“ als Dank für Deine wunderbaren Worte, die Du auf der Erde hinterlassen hast. Ich wünsche gute Reise, verehrter Dichter und grüß mir am Weg Casasco und…

 

Casasco

Frühmorgens funkelt im-

mer dieselbe

Fensterscheibe vom Hang gegen-

über in mein Zimmer ein

irdischer Morgenstern das

Dorf mit dem Kirch-

turm ist

wirklich es blinzelt mir zu und den

ganzen Tag fühle ich mich als

wäre

ich Hermann Hesse

 

Virgilio Masciadri

 

Herzlichen Dank an Irene Bosshart vom Orte-Verlag in der Schweiz, die mir erlaubte, dieses Gedicht hier zu veröffentlichen und deren wunderbare „Poesie-Agenda“ mich seit Jahrzehnten begleitet. Virgilio Masciadri hatte dieses in jeder Beziehung außergewöhnliche Poetische Notizbuch auch 2014 noch mit herausgegeben.

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Zwei Stühle.

Ich fahre vom Einkaufen nachhause. Auf beiden Seiten der Bundesstraße Häuser, Eigenheime mit Vorgärten, viele Blumen, Sträucher, Rabatten, gepflegte Hecken.  Überall geschäftig herumwuselnde Menschen, die sich redlich bemühen, der Vision »Landlust« soviel Daseinsberechtigung wie möglich,  im eigenen Leben und Vorgarten abzutrotzen. Der gepflegte Wildwuchs erfordert viel Arbeit und deshalb wird an einem Tag wie heute um 17.30 Uhr geschnitten, gerupft, ausgezupft, abgeschaufelt, umgegraben, zugedeckt, ausgedünnt, neugepflanzt, in Form geschnitten, ausgestochen, gegossen, gedüngt, entschneckt, entlaust, gespritzt, und sollte das alles schon getan worden sein, so wird der Rasenmäher geölt oder die Heckenschere repariert, das Auto poliert oder zumindest der Grill angeheizt.

Mitten drin in der beidseitigen Siedlungsbetriebsamkeit eines Sommerabends ein Garten ohne Blumen, ohne irgendwas. Eine große leere Grasfläche, darauf zwei Stühle.

Zwei Männer sitzen da. Sonst nichts. Sie sitzen nur so da, einander zugewandt, tun nichts weiter, vielleicht reden sie, vielleicht nicht.

Sie sitzen einfach nur so da.

Fast möchte ich ihnen danken für den Anblick eines leeren Gartens, für dieses ruhige wohltuende Nichts mit zwei Stühlen.

 

Gott und ihr Geist

„Das verlängerte Wochenende“ ist längst vorbei, die Hitze lähmte alle Bewegungen, das Wasser lief uns überall herunter, nur nicht in den ausgedorrten Garten, da mussten wir es hinschleppen. Es war Pfingsten, das Fest des Heiligen Geistes. Noch nie habe ich so recht verstanden, warum zu den beiden „Himmelsmännern“ Gott Vater und Gott Sohn auch noch ein dritter, nämlich Gott Heiliger Geist hinzukommt. Es scheint auch ein Mann zu sein, denn sonst hieße er ja nicht Der Heilige Geist, oder?

UrschallingDSC_0011In der Kirche von Urschalling am Chiemsee gibt es Fresken aus dem 12. / 14. Jahrhundert, eines davon zeigt den dreieinigen Gott, einen Gott in drei Personen, in der oberen Hälfte drei, unten eine Person, insgesamt zwei Arme. Sehr umstritten ist die Auslegung, die mittlere Person, also der Heilige Geist, wäre eine Frau, eine Heilige Geistin, sozusagen. Tatsächlich ist es kaum vorstellbar, daß im Mittelalter ein Künstler in die Mitte der christlichen Trinität eine Frau gemalt hätte! „Neueste Kirchenerkenntnisse“ können letztendlich auch nur vermuten, daß es sich hier wohl um die personifizierte göttliche Liebe handeln könnte, die man als weiblichen Jüngling (!) darstellte. Noch klarer möchte man sich  nun auch wieder nicht aus-, sondern herumdrücken um das Thema, ob denn Gott selbst , ja was, ein Mann oder eine Frau ist, oder was?

Aus dem großartigen Aufsatz „Mutter unser“ von Antje Schrupp („Der Freitag“) lese ich heraus, daß es ratsam ist, Gott von allen menschlichen Projektionen frei zu machen, da dies aber nicht so einfach ist, wäre der erste Schritt, sozusagen der Zwischenschritt, Gott als Frau zu denken, nötig und hilfreich, um diesen ewigen „Herrn und Gebieter“ von uns wegzukriegen, den wir so lange zuließen. Noch weiter gedacht könnte es bedeuten, daß Gott eine „Leerstelle ist, über die wir nicht verfügen, nicht  Einer, sondern Differenz“…, eigentlich ein Nichts, von dem doch alles abhängt. Meine Güte, da weiterzudenken, schwindlig könnt´s einer werden dabei!

Außerdem fand ich in Antje Schrupps blitzgescheitem und aufmüpfigen Text  Namen von freien Gottesdenkerinnen, die dies zum Teil mit dem Leben bezahlten, wie Margarete Porete, Etty Hillesum, Luisa Muraro und bin dankbar dafür,  diese Frauen zu lesen käme vielleicht der Pfingstbotschaft nahe.

Und noch eine Notiz am Rande, die mir erwähnenswert erscheint: Die Bestrafung von Martha Heizer und ihrem Mann, die mit der österreichischen Reformbewegung „Wir sind Kirche“ Messen gefeiert hatten, ohne Beisein eines geweihten Priesters und die im Mai von Papst Franziskus exkommuniziert wurden.

Auf hebräisch heißt der Heilige Geist „Ruach“ und ist weiblich.

Vor aller Zeit , bevor an Anfang zu denken war, schwebte sie über den Wassern.

Möge Gott uns ihren Feueratem schicken, um uns aufzuwecken!

Freigängerin

Die Katze liegt auf der Hausbank und hält ihren hochschwangeren Bauch in die Sonne. Wieviele werden es wohl sein? Ich schätze fünf, mindestens. Wenn ich lange genug die Hand auf ihrem Bauch lasse, spüre ich trotz guter „Verpackung“ ganz zart, wie kleine Pfoten sich ausstrecken.

Letzten Herbst ist uns die halbverhungerte Katze zugelaufen, mit einem Kind im Schlepptau, beide krank. Tierarzt. Beide blieben eine Zeitlang, dann verschwanden sie wieder. Dann tauchten sie wieder auf, diesmal zu dritt, immer noch krank. Wieder Tierarzt. Nach ein paar Wochen gingen Mutter und Kinder weg und kamen nicht wieder.

Eines Tages tauchte die Katze wieder auf und seitdem lebt sie mehr oder weniger bei uns.  Die Kinder blieben verschwunden.

Wir werden abwarten, wie sich die kätzische Familienplanung weiterhin gestaltet und versuchen, dem nachzukommen, was von uns jeweils erwartet wird, Futter heranschaffen und über die Felle streichen, die sich gerade  schnurrend zusammenrollen.

 

Weltenklang

Sich an einem bestimmten Termin zum Jodeln zu treffen  und das dann auch zu tun ist leichter als man denkt aber doch viel schwerer als man meint. Erst haben wir uns Mut angegessen und getrunken und viel geredet, aber keine traute sich, in der Stube einfach so loszusingen. Früher wurde in dieser Stube viel gesungen, meine Großmutter hatte eine wunderschöne Stimme, die hat sie allen sieben Kindern vererbt und am Abend saßen alle um den Tisch und haben gesungen. In diesem Haus war das Brauch, es war wohl ein existentielles Bedürfnis nach Klängen, denn üblich war das zur damaligen Zeit keineswegs,  die Not war groß, das „Sacherl“ warf keinen Ertrag ab und die Menschen am Hof plagten sich elendiglich, um das nackte Überleben zu sichern , da war kein Platz für romantisches Getue. Komisch, heut, wo die Welt voll ist von angebl. „traditioneller Volksmusik“, da ist es uns ein wenig peinlich, einfach so zu singen.

Irgendwann stehen wir auf und gehen in den Wald zum Platz der Wilden Frauen, da stehen wir nun im Schneeregen in dieser kalten Aprilnacht, der einzige Lichtschimmer am Himmel stammt wohl von der Stadt Salzburg, vom Vollmond ist nichts zu sehen. Alles anders als geplant, was tun wir hier? Eine muß beginnen, anders gehts nicht. Es entstehen Töne. Nein, nicht alle sind schön und harmonieren tut schon gleich gar nichts. Die Lauten plärren irgendwas herunter, die leisen halten vor Scham die Lieder zurück. Wir tun herum und herum und hören nicht auf, alles zu singen, was uns einfällt. Irgendwann scheint der größte Ballast hinausgeschrieen zu sein, Leiseres schlängelt sich empor und wird ein wenig lauter, das Laute nimmt sich ein wenig zurück und es entsteht der Anflug eines Gefühls, den Tönen vertrauen zu dürfen.

Und dann passieren plötzlich und unerwartet ein paar dieser raren Augenblicke, mit denen man nicht rechnen kann, die sich ergeben und für die es lohnt, zu leben. Völlig eigenmächtig, ohne irgendein willentliches Dazutun lösen sich Töne heraus, gehen auf die Reise, suchen Gleichgesinnte und vereinigen sich zu diesem: „Es singt!“ Und in diesen Momenten zerdehnen sich Raum und Zeit, der Himmel umfängt uns.

Einen Jauchzer tun wir zum verschwunenen Mond, sei gegrüßt junge Alte! Voller Freude laufen wir heim.