In der Abenddämmerung bin ich mit dem Rad unterwegs. Im nahen Dorf läßt der rotgoldene Ball der untergehenden Sonne ein Fenster neben dem Kirchturm plötzlich aufstrahlen. Ich bin schier geblendet vom flammenden Funkeln und es fällt mir ein liebgewonnenes Gedicht von Virgilio Masciadri ein. Immer wenn ich es las, dachte ich, wie schön es doch wäre, wenn ihm meine Fensterscheibe zugeblinzelt hätte, denn irgendwie lebe ich doch auch „am Hang gegenüber“…aber wie sollte das gehen, dazwischen sind die Alpen… ach, und wie auf den Aquarellen von Hesse schaut´s bei uns leider auch nicht aus… wo ist eigentlich „Casasco“?
Jetzt ist Virgilio tot. Vor ein paar Monaten ist er weggegangen… ja, das ist sehr traurig, aber auch ein Poet muß wohl irgendwann weiterwandern, durch Räume und Gezeiten, fremden Sternen entgegen.
Lieber Virgilio, mit dem Morgenstern kann ich leider nicht dienen, aber vielleicht kannst Du ja ein Bündel rotgoldener Strahlen der Abendsonne „empfangen“ als Dank für Deine wunderbaren Worte, die Du auf der Erde hinterlassen hast. Ich wünsche gute Reise, verehrter Dichter und grüß mir am Weg Casasco und…
Casasco
Frühmorgens funkelt im-
mer dieselbe
Fensterscheibe vom Hang gegen-
über in mein Zimmer ein
irdischer Morgenstern das
Dorf mit dem Kirch-
turm ist
wirklich es blinzelt mir zu und den
ganzen Tag fühle ich mich als
wäre
ich Hermann Hesse
Virgilio Masciadri
Herzlichen Dank an Irene Bosshart vom Orte-Verlag in der Schweiz, die mir erlaubte, dieses Gedicht hier zu veröffentlichen und deren wunderbare „Poesie-Agenda“ mich seit Jahrzehnten begleitet. Virgilio Masciadri hatte dieses in jeder Beziehung außergewöhnliche Poetische Notizbuch auch 2014 noch mit herausgegeben.