Nach dem Spaziergang am Abend sitzen wir beide auf der Hausbank, der Kater Herbert und ich. Es ist immer der gleiche Ablauf, immer das gleiche Ritual. Wenn ich gehe, geht er mit, neben mir, hinter mir, vor mir, manchmal schneidet er meinen Weg, ich muß aufpassen, nicht über ihn zu stolpern oder auf ihn zu treten, das gehört zum Katerspiel. Wir gehen immer nach Osten, auf die Salzburger Berge zu, die wir erst richtig sehen, wenn wir am Bach vorbei sind. Früher hat der Vater immer darauf geachtet, daß das Buschwerk am Bachrand so runtergeschnitten war, daß er von seinem Platz am Stubentisch die Gipfel gesehen hat. Je nach Witterung. Bei Föhn stehen sie, in dunkelblaue Mäntel gehüllt, sozusagen vor unseren Fenstern, ansonsten sind sie entweder im Dunst verschwunden oder ihre Gipfel stehen über dem Nebel … die Berge bestimmen selbst die Distanzen. Der Vater wollte immer wissen, wo sie gerade sind. Einer von ihnen sieht aus wie ein Amboß, ich weiß nie, ist es der Schmittenstein oder der Schober. Der Vater wusste es natürlich, denn er war Kunstschmied und liebte das rotglühende Eisen, wenn es auf dem Amboß lag und sich von ihm in Spiralen drehen ließ. Ob der Berg wirklich wie ein Amboß ausschaut, das wusste nur er. Daneben ist der Schafberg, wir sind mal mit der Bockerlbahn hinaufgefahren und beim Runtergehen hab ich geweint, weil mir die Knie so weh taten.
Nach unserem Gang auf die Berge zu sitzen wir auf der Hausbank, der Herbert und ich, nach kurzer Fellpflege springt er zu mir herauf, niemals, ohne mir wortreich über dieses Vorhaben Bescheid zu geben. Dann legt er sich ganz dicht an meine rechte Seite und würde dort laut schnurrend stundenlang liegenbleiben. Nach 14 schrecklichen Tagen, an denen er eine Halskrause tragen mußte, nach Operation von Krebsgeschwüren an beiden Ohren, voll des Jammerns und lauten Wehklagens und depressivem Verkriechen ganz nach hinten unter die Truhe, ist jetzt wieder sowas wie Normalität eingetreten. Er geht wieder durch seine Tage und Nächte, so wie es ihm als 13 jährigen Freigänger entspricht. Er tut, was er mag und was möglich ist. Das Unangenehmste in seiner jetzigen Lebenslage ist, wenn vorbeigehende Leute stehenbleiben, mit dem Finger auf ihn zeigen und ihn sogar anstarren, was er nicht nur als Unhöflichkeit, sondern als Bedrohung empfindet. Er mochte sowieso noch nie fremde Menschen, jetzt verschwindet er sofort, sobald sich irgendwer nähert.
Wir sitzen da, der Himmel ist voller Sterne, einer ist so besonders hell, er schaut aus wie ein Licht in einem Wasserglas. Ich denke an „Psycho“, da geht jemand mit einem Glas Milch die Stiege hinauf und die Milch leuchtet unnatürlich weiß … Hitchcock hatte eine Lampe im Glas installiert …
Viele Sterne sind beweglich, sie fliegen in Urlaubsgebiete, in heiße Wüstenländer, um dem gefühlt eiskalten Herbst nach einem viel zu heißen, viel zu trockenem Jahr zu entfliehen. Um vor was wegzulaufen, um was dort in den Tourismusanlagen zu finden? Welche Freiheit suchen wir nur immer, oder ist es die Gier nach ständigen Höhepunkten, die alle letztendlich leer und traurig zurückläßt mit unseren hungrigen Seelen?
Immer wenn ich diesen Stern im Glas am Himmel sehe, denke ich an sie, meine Freundin mit den Jadeaugen. Wir saßen in ihrer kleinen Wohnung und tranken Jasmintee, sie kochte ihn auf ihre spezielle Weise und die Vorhänge wehten in einem lauen Wind, die Vögel zwitscherten im Baumwipfel vor dem Fenster. Ich erinnere mich an diesen Moment, dessen Kostbarkeit ausschließlich darin bestand, Tee zu trinken und zu wissen, es gibt sie und es gibt mich. Glück.
Wir verloren uns.
Viele Jahre später habe ich von ihrem Kranksein erfahren und habe ihr einen langen Brief geschrieben. In den letzten Sätzen stand, daß wir das mit der Freundschaft nicht konnten, aber meine Liebe sei geblieben. Und ich sagte ihr, daß ich mir am Himmel immer den hellsten Stern aussuche und an sie denke.
Ich habe dann erfahren, daß sie den Brief gelesen hat mit den Worten: „Darauf habe ich noch gewartet“ … kurze Zeit danach ist sie gestorben, meine Freundin mit den Jadeaugen.
Nebel zieht auf, während ich dies schreibe, ich werde ein wenig spazierengehen, hineingleiten in die Welt hinter Milchglas und es wird sein wie das Schweben auf dem Meeresboden.
Es ist Advent. Es ist Zeit, die Kerze in der Laterne vor dem Haus anzuzünden.
Oh, wie es mich freute, das Flügelrauschen der Graugans an einem grauen Tag wieder zu hören!
…unsere hungrigen Seelen…
Ein Text zum Heulen schön, liebe Tier-und Menschenfreundin!
Ein wunderbarer Text.
Wie ich die Wärme deiner Texte mag, liebe Margarete, die vielen Zwischentöne, die leise Sehnsucht…!
Kraul mal bitte den Herbert von mir. Ich guck auch weg, damit damit ich nicht störe 🧡
Diese hungrigen, nimmersatten Seelen … ob das schon immer so gewesen ist. Ich glaube es ja nicht. Aber ganz neu ist es auch nicht mehr.
So ein Seelenwärmtext – dankschön, gä!
Ich danke Dir für Deinen feinen, leisen Novembertext. So passend in dieser aufgeregten Zeit.
Gruss,
Robert