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Stella cadente …

Eine paradoxe Zeit zwischen Wintersonnwende und Frühlings-Tag- und Nachtgleiche. Alles endet, alles beginnt gleichzeitig. Steinbock hat gründlich aussortiert. Nur das Wesentliche hat Bestand, spricht Saturn, der gestrenge Herr der Zeit, das Leben ist zu kurz für Illusionen. Ich aber habe große Taschen in meinem weiten roten Rock …

Die alte Göttin Brigid hockt an ihrem Lieblingsort, der Schwelle, dort mißt sie das Licht und lenkt den Strahl zum Schmieden von Eisen und Poesie. Ein magischer Ort, die Schwelle, nicht drinnen, nicht draußen. Die Toten wurden hinausgetragen, mit den Füssen voraus, und auf der hölzernen Schwelle des alten Hauses wurde der Sarg dreimal abgesenkt. Katzen kennen sich aus auf der Schwelle, keine würde einfach so hinausgehen, ohne dort  innezuhalten, um dann mit dem Kopf draussen und dem Hinterteil drinnen nach gebührlicher Sammlung eine Entscheidung zu treffen …

Wir sitzen vor ihrem Bauernhaus, direkt an der Mauer vom Gottesacker. Einer der uralten Höfe behäbig neben Kirche und Wirtshaus. Wir trinken Espresso und ich sehe nach oben am schlanken Kirchturm entlang bis zur Spitze. Die Farbe da oben kitschig blau, wie die zerbrochenen Fliesen damals in meiner Wohnung in der großen Stadt … ein Kollege wollte sie austauschen, aber dazu kam es nicht, wir saßen am Boden und redeten und tranken Bier … ich mußte immer auf diesen weichen Mund schauen und fragte mich, ob er wohl küssen konnte … oh ja, konnte er, und wie, das stellte sich kurze Zeit später heraus, abends in der Blueskneipe … aber das ist eine andere Geschichte … merkwürdig, was mir einfällt, während ich ihr gegenübersitze, sie, mit der ich mir die Großeltern teile. Ihr Vater war der älteste und meiner der jüngste von sieben auf unserem Hof, der soviel bescheidener, ärmlicher ist als dieser hier, auf dessen Südseite wir sitzen.

Die zweitälteste Tochter des  gefürchteten Onkels, für mich unnahbar, fremd und so unglaublich schön,  wie von den Sternen herabgestiegen und ihr Lachen leuchtend wie das von einer Göttin. Ich habe sie, die ältere, meine ganze Kinderzeit aus der Ferne bewundert. Jetzt sind wir beide alte Frauen geworden und sitzen uns gegenüber. Unsere Augen spiegeln nicht den Versuch, über Schnee und alte Dächer, Kinder und Enkel zu sprechen, sondern wie immer die drohende Qual, den Leichen im Keller unserer Familie zu begegnen. Nur wir beide scheinen übriggeblieben zu sein mit diesem ahnenden Wissen. Ich bin die letzte am Stammhof der Familie, ihre älteste Schwester will nichts von all dem wissen und die beiden jüngeren sind gestorben, alle unsere Eltern sowieso und die nächste Generation hat kein Interesse an Familiengeheimnissen. Und wir beide, was machen wir mit dem Ganzen? Ich erfahre, was die letzte Familienaufstellung über ein verlorenes Kind im letzten Kriegsjahr, versteckt in einem Keller, zutagebefördert hat … die verzweifelte lebenslange Suche nach Liebesbeweisen, die auch nach dem Tod der Eltern nicht aufhören … unser Großvater hat meine Mutter angespuckt, so sehr hat er sie gehasst, kennst Du dieses Gefühl des Anderssein … Fremdsein, da wo man ist, ja, kenn ich … und kennst Du dieses Verlorensein, wie eine Nußschale auf dem Meer, ja. Und selbstverständlich kenne ich Melancholie und Einsamkeitund ich weiß, daß wir geprägt wurden von all dem Verdruß unserer Eltern, den sie an uns ausgelassen haben.

Komm, Du, wir machen die Kellertüre zu … sollen doch die Toten die Toten begraben … woher kenne ich diesen rettenden Spruch? Im Zweifelsfall aus den Apokryphen. Sollen die Toten mit ihren eigenen Gespenstern tanzen und mit ihren Geheimnissen in Frieden ruhen. Ich will mit den Lebenden tanzen, die Zeit ist zu kurz für das Wiederholen längst auserzählter Geschichten, sie verstopfen nur die Kanäle für all die Freude, die darauf wartet, gelebt zu werden, alles passiert jetzt, gestern und heute sind nicht existent und auch das Jetzt ist schon gegangen, sobald ich es ausspreche.

Schau, wir haben die großen breiten Hände unserer Väter und ums Haus herum erkennt man auch die Verwandtschaft, bei Dir steht ja noch mehr angeschlepptes Zeugs herum, als bei uns, man sollte reduzieren in Anbetracht des Alters …und dann lacht sie und die Sterne tanzen um uns herum … magst Du die Madonna haben … ja gerne … nimm doch die Truhe und den Schrank … nein bei uns ist auch alles so voll und ich möchte im Sommer wieder ein Fest feiern … aber die Madonna … ja, die Madonna mag ich gerne, ich fühle mich ihr nahe, dieser Himmelsfrau, wir könnten ihr den Hergottswinkel im alten Haus als irdische Wirkstätte anbieten …

Fremder Mann…

Am Himmel Farbspuren von schlecht weggewischtem Blut, der Föhnwind , weich wie Samt macht wirr im Kopf und greift nach meiner Seele, die nicht weiß, wo hin mit sich, liebesbereit, einsam , glücklich und traurig, alles zugleich und alles schmerzt. Auf der Bundesstraße ein Höllenlärm. Am Himmel sausen die Flieger haarscharf am Mondsichelschiff vorbei, unendlich viele, die Menschen wollen weg, so schnell es geht und so weit weg wie nur möglich … kaum sind die Sterne noch zu erkennen. Einige meiner abendlichen Gäste kommen auch von weit her aus dem Land hinter den Sternen, werden sie die Laterne vor dem Haus überhaupt sehen können?

Auf dem  Tisch in der Stube steht die dampfende Hühnersuppe mit Nudeln, in der alten Suppenschüssel mit den blauen Punkten. Noch sind ein paar Plätze frei. Ich erwarte Großmutter Martha mit ihren beiden Töchtern, werden sie herfinden? Um sie festlich zu begrüßen, ziehe ich mein langes schwarzes Samtkleid mit den Sternen am Ausschnitt an. Die Kerzen brennen, die Gäste sind hungrig, die Stimmung wankt ein wenig ratlos vor sich hin, niemand außer mir möchte wohl gerne mit durchsichtigen Toten am Tisch sitzen und Suppe löffeln. Also vergessen wir sie, erzählen uns Geschichten, essen Suppe und hinterher den Seelenwecken (Hefezopf), probieren den neuen Apfelmost und der Abend vergeht .

Irgendwann nachts bin ich alleine und höre Musik.

 

Warum sind sie nicht gekommen? Ich hätte so gerne meine Großmutter gefragt, was damals wirklich passiert ist, und warum sie mit 28 Jahren gestorben ist. Denn es gibt zwei Geschichten darüber, welche ist wahr? Ist sie wirklich in einem dünnen Nachthemd mit Lungenentzündung und hohem Fieber im Winter mit dem Schlitten den Hügel runtergefahren, aus Ärger über den Vater ihrer beiden Kinder, den sie verdächtigte, bei einer anderen Frau zu sein? Geister einladen in der Seelennacht, um ihnen konkrete Fragen zu stellen, völlig absurd … sowas kannst nur du dir ausdenken … ja, nur ich. Die Membran zu anderen Welten sei dünn um diese Zeit, sagen die alten Kelten, man könne in Kontakt treten in einer Art Zwischenraum der Wirklichkeiten. Da ich schon manche Erlebnisse zwischen Himmel und Erde hatte, die ich vorher nie für möglich gehalten hätte, warum also nicht  zumindest innere Bilder, die Ahnung einer Begegnung zwischen drüben und hier.  Aber zu meinen, die Einladung hinaus ins große Unbekannte und das Licht von ein paar Kerzen würden ausreichen, um Wunder herzustellen, ist typisch für unsere Lebensweise. Alles muß möglichst schnell konsumierbar sein. Ich trinke paar Gläser Wein und sage mir, auch gut, dann will halt grad niemand kommen, es ist wie es ist.

Kater Herbert entrollt sich und beschließt, auf die Jagd zu gehen. Die Nacht ist lauwarm, ich stehe ein wenig herum und hebe mein Glas zum Himmel, seid mir gegrüßt dort draussen, bis auf ein nächstes Mal! Nach dem Löschen der Kerzen bleibe ich noch ein wenig sitzen und schaue einfach so vor mich hin und zur Stubentür. Ich habe das Gefühl, daß dort was ist … nein, natürlich ist dort gar nichts … aber es ist doch auch nicht nichts … Merkwürdig, diese Türe ist mir immer schon ein wenig unheimlich gewesen, keine Ahnung warum.

In meinen Kopf schiebt sich langsam das Bild von einem Menschen, groß, hager, dunkel gekleidet, von vorne, schaut er mich an? Ja, er schaut mich an, bleibt stehen, unbeweglich, sagt nichts. Keine Ahnung, wer das sein könnte, ein sehr ernster, eindringlicher Blick aus hellen Augen. Ich schalte den Fernseher ein und schaue einen Film an, der Mann in meinem Kopf und an der Stubentüre bleibt noch eine Weile, dann geht er hinaus, er dreht sich dabei aber nicht um, sondern geht langsam rückwärts hinaus und verschwindet.

Später, als ich die Stiege hoch gehe, sehe ich, daß von irgendwo im unergründlichen Sammelsurium alter Bücher etwas herausfällt. Eine Barytaufnahme, darauf: ein fremder Mann.

 

 

 

Wildfrau

Vorbei, vorbei, Weihnachten, Silvester, Dreikönig … vorbeigerauscht … beim Nachbarn fliegt am 6. Januar der Christbaum vom Balkon herunter. Ein Auto, irgendwo verschämt am Ortsrand versteckt geparkt, nur die Zeugen Jehovas parken noch unsichtbarer, ein sehr frommer Papa, voller Glauben an die Bereitschaft der Heiligen katholischen Kirche, die diesjährigen Einnahmen der Sternsinger an die Bedürftigen auf der Welt zu verteilen, wartet geduldig und in Liebe zum Nächsten, bis die drei wieder ins Auto steigen, aus dem sie von Tür zu Tür ausgespuckt werden.

Erschreckend deutlich in Umfragen, wie wenig die Bevölkerung weiß über den christlichen Hintergrund ihrer vielen freien Tage, geschweige denn, was vorher sich so alles abgespielt hat, außer der Tatsache, daß da niemand in die Arbeit muß.

Und so huschten auch völlig unbemerkt von den meisten Menschen die Raunächte vorüber,  die nicht mehr zum alten, aber auch noch nicht zum neuen Jahr gehören. Schwierig, zu sagen, was das für Energie ist, die sich unbemerkt in unser Leben hereinschiebt und was  so besonders sein soll, wild und unberechenbar, daß alles geschehen kann. Niemand weiß was Genaues darüber, es gibt Spekulationen aus allen esoterischen Richtungen, viele alte Geschichten, Sagen, Märchen … eine Zeit zum „Losen“ (horchen), nach außen, aber vor allem nach innen, und es ist immer das Gleiche: wenn man darauf wartet, daß irgendwelche Wunder geschehen, dann passiert gar nichts. Gut ist, so wenig wie möglich zu tun, ruhig sein und einfach alles sein lassen …“ viel Übung und Erfahrung braucht es, die Zeichen und Botschaften zu verstehen“ und oft ist es so, daß man erst hinterher merkt, daß irgendwas anders war als sonst.

Die schwarze Katze, eine wilde Freigängerin, die keinerlei Berührung duldet, bleibt nach dem Fressen noch sitzen, streicht mir um die Beine, mager ist sie geworden, ich weiß, was geschehen wird …  in den nächsten Tagen kommt sie und bleibt so eng an meinem Bein, daß ich sie wegschieben muß und maunzt. Am nächsten Morgen liegt sie friedlich vor der Türe, tot.

Der vor Weihnachten gefallene Schnee ist schnell weggetaut, Föhnstürme jagen um das alte Haus, der dunkelblaue Gebirgskamm am Horizont kommt näher, darüber rot aufgeflammter Himmel. Allein in der Ebene steht der Untersberg, ein massiver Felsklotz . Durch die Mittagsscharte, eine tiefe Einkerbung auf seinem Grat, dringt feuerroter Nebel wie aus den Nüstern eines Drachen … Von geheimnisvollen Erscheinungen wird berichtet seit Jahrhunderten, z. B.  das Phänomen der angehaltenen oder rückläufigen Zeit. Dann erzählt jemand, daß seine Tochter vor seinen Augen für eine halbe Stunde verschwand, obwohl  sie immer da war und sich nur nach einer Blume gebückt hatte…und die Tage darauf besuche ich Freunde, die sind nicht da, ich rufe zum Balkon hinauf nach Hund Willi, niemand da, habe so ein komisches Gefühl, die Stille um das Haus ist zu still, komme mir vor wie in einem Vakuum, fahre schnell wieder weg…dann ein Anruf, wo ich denn bliebe, man würde auf mich warten,…alle wären da, der Hund auf dem Balkon… warum konnten wir uns nicht sehen …

Irgendwo hinter  dem Untersberg liegt Berchtesgaden … im Namen die Huldigung der Uralten, weiter im Norden heißt sie Holla, viele Namen hatte sie schon, in den Gebirgsländern heißt sie Percht und einst war sie heilig und eine große Göttin. In der Zeit um Weihnachten herum bis hinein in den Januar fliegt sie durch die Luft, begleitet von einer Horde wilder Gesellinnen, aus ihrer Kraxe verteilt sie Seelen und wenn die Zeit reif ist, holt sie sie wieder ab. „Die Gans war das heilige Tier der Göttin. Als Mutter der Gänse (mother goose, so ihr englischer Name) war Holla/Berchta auch Herrin der fliegenden Frauen und Schamaninnen …

Früher gingen drei Frauen im Namen der Göttin helfend von Haus zu Haus und da, wo Not war, blieben sie , fegten die Stube aus, setzten sich zu den Sterbenden und halfen beim Gebären. Wenn sie wieder gingen, hinterließen sie ihren Segen.

Dieser Föhn, ein lauwarmer Wind im Winter, er kehrt das Innerste nach aussen, immer mehr schiebt sich in mein Bewusstsein das Bild eines großen Kessels, in dem gerührt wird … untere Seelenschichten schwemmt es nach oben, alles gerät durcheinander, Sicherheiten fallen auseinander, Gefühle zeigen Trugbilder, Wahrheiten geraten ins Schwanken, feste Bilder zerfallen in kleine Teilchen, alles schwimmt umeinander und ein Zauberstab rührt hierhin und dorthin und ich versuche einfach, loszulassen und auf die wohlwollendste Fügung zu vertrauen, die sich irgendwann in diesem Kessel zusammenbrauen wird.

Und wieder wird diese Sehnsucht wach in mir, nach einem Verbund der Frauen, „Zwölfe gingen übers Land“ heißt es irgendwo und ich fühle mich verloren so alleine, die Rituale der letzten Jahre sind verblasst, wir dürfen nicht aufgeben, neue zu erfinden … je älter ich werde, um so mehr spüre ich die lebenslangen Begrenzungen, das Ausbremsen meiner Wildnatur … auch rings um mich herum sehe ich es …und dann suche ich alte Geschichten und lese vor allem immer wieder in meinem Lieblingsbuch von Ursula Walser – Biffiger, die sich auch irgendwann in ihrem Leben auf die Suche nach den Wildfrauen begeben hat und unter anderem einen der wichtigsten Frauenorte beschreibt, die Spinnstube, die in alten Zeiten in geschützter Atmosphäre Liebesschule für junge Mädchen war und natürlich der Ort,an dem gerade während und nach den Raunächten die Geschichten gesponnen wurden:

… wird zunehmend ein Umbruch spürbar, der eine Zeit hervorbringt, die sich still öffnet: auf das Kommende hin, auf heimliche Verwandlungen, auf erahnte Möglichkeiten, auf Kräfte, die am Wachsen sind …mit Geschichten, die wir für uns selbst spinnen, für unsere Freundinnen und unsere Töchter. Von listigen , lustigen, lustvollen Weibern ist da die Rede, von faulen und fleissigen, von nährenden und heilenden, von rauhen und feinen, von ernsthaften, kichernden, wagemutigen und unverschämten. Von neugierigen Forscherinnen wird erzählt, von weisen Frauen, die die Zyklen des Lebens und des Wandels kennen. Von Genießerinnen, die sich verwöhnen lassen, von leidenschaftlichen Liebhaberinnen, aufrührerischen Widerständlerinnen, von zornigen Kämpferinnen, von stillen erfolgreichen Wandlerinnen und von denen, die sich aufmachen und ihrer Sehnsucht folgen. Wir erzählen von handfesten, unabhängigen Praktikerinnen und auch von solchen, die sich zurückziehen und träumen von neuen Welten. Von Frauenkraft erzählen diese Geschichten und von Mutterwitz. Sie nähren unsere Wurzeln, machen Mut, schaffen Wirklichkeiten – sind Keim für das Kommende.“

Und ich schließe mich gerne an, wenn sie noch schreibt, daß uns die wilden Begleiterinnen der Percht verwirren und stören und Krach machen, wenn unsere Geschichten zu brav werden und wir zu angepasst , dann erinnern sie uns daran, „daß wir die Freiheit aufgegeben haben. Den Frauen aber, die sich entschlossen haben, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen und die Spinnerinnen ihrer eigenen Geschichten sind, bleibt die Percht das ganze Jahr über eine Freundin und Beschützerin …“

Es ist jetzt Lichtmeßzeit, noch kann gesponnen werden und nebenbei wird im Kessel umgerührt, das Lebenssüpplein zusammengebraut. Wünsche werden entgegengenommen und untergerührt, wenn man sie losläßt und reinwirft. Den Wunsch, es mögen 12 (13)  Feen spüren, daß die Zeit reif ist, den Stab in die Hand zu nehmen und loszugehen, um sich mit den anderen zu treffen und ein Fest zu feiern,  übergebe ich hiermit dem Kessel und lasse ihn umrühren und berühren

 

Das Kursive stammt aus dem Buch:

Wild und  weise
Weibsbilder aus dem Land der Berge von Ursula Walser – Biffiger
AT Verlag, Schweiz, 1998

dieses wunderbare Buch begleitet mich durch viele Jahreskreise als eine Quelle der Inspiration und des Vertrauens auf die Existenz der wilden Frauen, die von den Bergen herabsteigen, die nachts mit raschelnden Röcken in unserem Hof herumgehen und in meinem Herzen tanzen! Vielen Dank fürs Zitierendürfen, liebe Ursula!

 

 

Tomten …

Zwei Freunde haben meine Kindheit begleitet, waren stets für mich da, wenn ich sie brauchte, hatten immer Zeit  und ich konnte ihnen einfach alles erzählen. Ich weiß nicht mehr, wie sie aussahen, sicher waren sie nicht größer als ich, also ziemlich klein. Ich kann mich noch gut erinnern, wo wir unsere Treffen hatten und ich habe meine eigene Kinderstimme noch im Ohr, wie sie mit ihnen spricht und sie bei ihren sehr geheimen Namen nennt. Nie hat jemand von ihrer Existenz erfahren, gesehen hat sie auch niemand, denn ich vermute, sie waren unsichtbar.

Irgendwann müssen sie weggegangen sein, ohne daß es mir aufgefallen wäre … und als ich viele Jahre später große Sehnsucht nach meinen beiden Freunden bekam und ihre Namen an den geheimen Plätzen rief, da blieben sie verschwunden, für immer.

Manchmal in der Nacht richtet sich die Katze auf und schaut zur Türe. Blinzelnd und schlaftrunken folgt ihr Blick aufmerksam dem Weg, den „etwas“ zurücklegt. Ich höre und sehe nichts … sie aber schon. In der Mitte des Zimmers scheint dieses „etwas“ stehen zu bleiben. Sie schaut es sich nochmal langsam von unten nach oben an, dann legt sie sich schlafen, wacht aber sofort auf, wenn dieses Etwas zur Türe wieder hinausgeht. Nie ist sie aufgeregt dabei, sie beobachtet und kümmert sich nicht weiter darum.

Bald ist Sonnwend, ich stapfe durch den Schnee in Richtung Wald und denke über die Menschen nach, denen ich in diesem vergehenden Jahr begegnet bin, und ich frage mich, wer hat sich in meinem Herzen eingenistet, wer ist hindurchgewandert, wer will hinein? Wem konnte ich Freude schenken, wer hat in meiner Gegenwart gelacht? Konnte ich denen Trost spenden, die traurig waren? Habe ich die leisen Hilferufe gehört?

Es dämmert bereits … ich gehe am Waldrand den Hügel hinunter … ich werde beobachtet , ein Bussard hockt bewegungslos auf einem vergessenen Zaunpfahl und schaut mich mit scharfsichtigen Vogelaugen an. Es geht steil bergab, der alte Pfad ist mit Gestrüpp überwuchert. Vor vielen Jahren gehörte der Einödhof zur Gemeinde auf der anderen Seite des Hügels und hier war der Kirch- und Schulweg. Und aus dieser Zeit stammt auch die Geschichte, die mir jetzt wieder einfällt.

Der Einödbauer war der Vater meiner Schulfreundin und er erschien mir damals etwas seltsam, er hatte nur noch ein paar große und gelbe Zähne, saugte stets an einer halberloschenen selbstgedrehten Zigarette, und wenn er vom täglichen Gang über seine Felder und Wiesen zurückkam, saß er schweigend in der Stube. Wenn ich hereinkam sagte er nur freundlich: Jaaaaa, die Gret ist da, weiter nichts. Eines Tages, als wir eine Zeitlang alleine am Tisch saßen, fing der sonst so Schweigsame auf einmal an, mir eine Geschichte zu erzählen, die er Jahre zuvor selbst erlebt hatte. Er war damals auf dem Heimweg nach der Sonntagsmesse und ging auf dem alten Kirchpfad am Waldrand den Hügel hinunter. Da bemerkte er plötzlich, daß ein paar Meter rechts von ihm im Wald ein kleines Mannei (Männlein) neben ihm herschritt. Es hatte einen großen schwarzen Hut auf und sagte nichts und der Bauer sagte auch nichts. So gingen sie schweigend nebeneinander her den Berg hinunter. Am Waldesende war das Männlein dann so plötzlich, wie es aufgetaucht war, wieder verschwunden und der Bauer ging alleine über die Wiese auf seinen Hof zu.

Ja, so ist das gewesen, Gret, sagte er nur und hat niemehr davon gesprochen. Warum er nur mir von diesem Erlebnis erzählt hat ist mir bis heute genauso ein Rätsel, wie das Auftauchen dieses Männleins. Auf meine Frage nach seiner Größe konnte er mir nichts sagen außer, daß es eben sehr klein gewesen wäre und es hätte zum großen schwarzen Hut dunkle Kleidung getragen. Als ich merkte, daß meine Fragen nirgends hinführten, gab ich sie auf. Ein Leben lang begleitet mich diese Geschichte und heute, wo ich genauso alt bin wie er damals, ist mir, als hätte er mir eine Art Vermächtnis hinterlassen.

Der Schnee ist regenschwer und es wird Nacht. Der Wald wahrt seine Geheimnisse und ich gehe zurück. Daheim sehe ich, daß die Amaryllis aus vermeintlich roten Knospen zwei große weiße Blüten entfaltet hat, von einer Schönheit, die das Ausmaß dessen zu übersteigen scheint, was noch ohne Wehmut im Herzen zu ertragen ist …

Die Wintersonnwende hat sich vollzogen, das Licht ist uns wiedergeboren worden.

Allen, die hier zwischen Himmel und Erde ihre Spuren hinterlassen, sichtbar oder unsichtbar sage ich ein herzliches Dankeschön und wünsche Euch und uns allen Freude im Herzen, mögen die Sterne sich in unseren Augen spiegeln.

Und da wir uns die Hände nicht reichen können, laßt uns eine Kerze anzünden füreinander.

FROHE WEIHNACHTEN!

Der Himmel über Naumburg

Unsere Schritte hallen auf dem matt glänzenden Kopfsteinpflaster  durch das nächtliche mittelalterliche Städtchen. Gelblicher Lichtschein strömt aus den Straßenlaternen … oder sind es Fackeln? Eine Gruppe Jugendlicher kommt uns entgegen:  „Guten Abend!“ sagt jeder freundlich zu uns … was war das denn – ja, jetzt hab ich mich aber auch gewundert … wir bleiben stehen und lächeln uns an, dann werde ich nachhause gebracht zu meiner Pension, wie sich das gehört. Gute Nacht Bludgy, schön war es heute, ich freue mich auf morgen!

Ich gehe die Steintreppen hoch zur Ferienwohnung im vierten Stock eines alten Stadthauses, in die ich am Vortag eingezogen bin, um in den nächsten Tagen der Einladung eines Bloggers zu folgen. Wir sind uns im Schreiben vertraut geworden und möchten jetzt die Personen kennenlernen, die wir „in Wirklichkeit“ sind. Das ist eine höchst riskante Angelegenheit, denn wie ein Mensch sich schreibend darstellt, muß nicht unbedingt zur Realität, die er ausstrahlt,  passen.

Ich befrage die Zimmerwirtin, wo der vereinbarte Treffpunkt genau ist.  Muddi, sag mal, hamm wir da nicht am Kramerplatz so´n Ding, was da rumsteht, Germanschia soll das heissen? Naaa … bekomme ich in der hiesigen Sprachfärbung hilfsbereit mitgeteilt, da steht was! Naaa!

Treffpunkt zwölf Uhr, High Noon, brütende Hitze, verschwitzt und aufgeregt renne ich also zur „Germania“ und da steht einer und sieht mir schon entgegen, freundliche Augen, hell wie weit geöffnete Fenster, Servus, freu mich, ja, ich mich auch! Warmer Händedruck, wir lachen uns an, ein guter Anfang, jetzt kanns losgehen!

Und wir gehen los! Da der arme Riffmaster samt Frau Gemahlin mit Motorschaden auf der Autobahn bei Bayreuth liegenblieb (nicht der erste, der dort gestrandet ist…), bekomme ich alleine das Stadt- und Landführungsprogramm und erlebe eine Fülle von Eindrücken und werde so reich beschenkt, daß ich, die immer hungrig ist, es am letzten Abend nicht mehr in die Kneipe schaffe zu einem Abschiedsbier, weil mein enormer Sättigungsgrad an Geschichten aller Couleur, tiefen Gesprächen, unglaublich viel Gelächter und das Bergaufgehen zu den „Burgen stolz und kühn“  mich nur noch mit letzter Kraft in den vierten Stock raufkriechen läßt, um am Abreisetag quer im Bett in Schuhen und dem Programm des wunderbaren Orgelkonzerts in der Hand wieder aufzuwachen …

Eigentlich ist es doch komisch, daß ich vor meiner Abreise daheim sage, ich fahre in den Osten, wo ich doch selber aus dem Osten komme! Was redest du denn, wir leben doch nicht im Osten, sagt Herr Graugans. Ja wo denn dann? Wir leben im Süden, das hier ist der Süden! Das hier ist der südöstlichste Punkt der Republik, sage ich. Nur Süden, sagt Herr Graugans, der Osten ist ganz woanders. Aha.

In der Domstadt frage ich Bludgeon Löcher in den Bauch, daraus hervor quellen Antworten, die mich verwirren, begeistern, beschämen, verwundern, erfreuen, meinen Wissensdurst befriedigen und gleichzeitig so viele Fragen aufwerfen … ich liebe es, gefüllt mit Antworten aber gleichzeitig mit mindestens sovielen neuen Fragen von einer Reise heimzukehren.

Viel viel sprechen wir darüber, ob es denn immer noch diesen Unterschied zwischen Ost und West im gemeinsamen Land gibt. Diese angebliche Kluft, gibt es die denn jetzt auch zwischen uns, Bludgy, wir sind uns doch sympathisch, oder, wir haben uns so viel zu sagen und wir lachen über die gleichen Sachen, es trennen uns doch nicht soviele Jahre oder soviele Kilometer, wo ist denn diese Kluft? Du bist in der damaligen DDR aufgewachsen und ich in der damaligen BRD, ist es das … ?

Aber, was bedeutet denn das, ein „Ossi“ oder ein „Wessi“ zu sein, gibt es denn das überhaupt … sag mal, bin ich also auch eine „Wessi“?  Hmmmmm …naja …

Ich stelle ziemlich viel blöde Fragen, er nimmt es gelassen hin und beantwortet alles, aber auch alles, klug und freundlich und ich lerne und lerne zu erkennen, wie wenig ich doch weiß.

Da breitet einer vor mir sein Leben aus, fährt mich an die Schauplätze seiner Geschichten, ich sehe einen kleinen Buben in der Nische der roten Felswand auf die alte Bäuerin warten, die ihn zum Kindergarten bringt, gehe an seiner Schule vorbei, da, schau mal, das ist das Haus, in dem der Henker lebte, ein Geächteter … ein sonderbares Schild deutet darauf hin …  erfahre, wie die Stadt aussah vor der Wende, wir suchen das fleischfarbene Kruzifix im Dom, ich spüre verschiedene Strömungen, ja, das Gebäude hatte mehrere Baumeister,  Frösteln beim genaueren Blick in das traurige Gesicht der Uta, die den Mantelkragen hochschlägt vor ihrem Mann … der Löwenkopf zwischen ihnen … merkwürdig … ein wildes Eichhörnchen, im Hamsterrad gefangen…warum weht vom Turm der Burg eine ukrainische Fahne? Die Jüdengasse … hier war das Ghetto … um 1500 mussten die Juden die Stadt verlassen … meine Güte … das holt mich herunter aus den Wolken, in  denen ich im vierten Stock meine zu leben … wir fahren durch einen Wald, die Bäume wachsen so hoch hinauf und bilden ganz oben eine Art Kuppel, ein grüner Dom … und dazu klingt Genesis … bitte lauter … noch lauter … Waaaaahnsinn, soooo schön ist´s jetzt! Und auf der Lichtung ertönt Priesnitz, Du weißt schon, die Musik im Film „Alois Nebel“, da braucht man nichts mehr sagen, nur zuhören und sich freuen. Später ein Besuch im Rosengarten mit Besichtigung eines riesigen Kopfes im Boot.

Am Abend dann Wandelkonzert, auf zwei Kirchen aufgeteilt, in der Pause marschiert das Publikum samt Organisten von der Wenzel- in die Marienkirche. Es ist immer noch so heiß und ich bin müde, aber natürlich lasse ich mir von der unwiderstehlichen Toccata und Fuge d-Moll, BWV 565 mein Herz öffnen und meinen Geist frei schweben!

Vieles, was wir noch erlebten, in diesen paar Tagen, hat Bludgeon so liebenswürdig beschrieben auf seinem Blog.

Ein paar Rätsel sind geblieben und harren der weiteren Ergründung: der Unterschied zwischen Thüringer (Kartoffel) Klößen und den bayrischen (Semmel) Knödeln scheint einem Mysterium gleichzukommen, auch die Tatsache, daß Rhabarbersaftschorle in manchen Regionen unseres Landes die Gläser blindmacht und woanders nicht, und keineswegs zureichend erklärt ist die Frage, wo denn die Meerkatzen zur damaligen Zeit herkamen, um Schach zu spielen im Dom?

 

Vielen Dank für diese wunderschönen Tage in einem bezaubernd freundlichen Städtchen, ich bin so reich beschenkt worden und muß auf dem Weg zur Autobahn soviel schmunzeln über alles, was wir so erlebt haben, daß ich plötzlich durch den Blütengrund fahre … anscheinend soll ich noch eine Abschiedsrunde drehen, um erst dann Richtung München den bayrischen Bergen entgegen zu fliegen.

Bis bald, lieber Bludgeon!

 

„… pour un flirt …“

Den Film habe ich mir nur deshalb angesehen, weil ich beim Umschalten bei ARTE hängenblieb und die magische Atmosphäre dieser Bilder und die Musik mich förmlich aufsaugten.

In irgendeinem krankenhausähnlichen Raum liegen Menschen in Betten oder hängen in Rollstühlen herum , werden an Tische geschoben und werden von freundlichem Personal versorgt. Viele sehen teilnahmslos vor sich hin, manche reden irgendwas. Ein kleiner alter Mann geht herum, sagt unverständliche Sätze. Ein Besucher steht an der Eingangstür und sieht ihn an, so lange, bis sein Blick erwidert wird. Der Besucher weicht nicht von seiner Seite, distanziert und doch nah … wie ein Schatten, der alles mitmacht … der kleine Mann spricht und aus dem Besucher wachsen Bewegungen dazu heraus … irgendwann erklingt Musik im Hintergrund … wunderschöne französische Chansons … der Besucher … offensichtlich ein Tänzer … bewegt sich weiter und weiter, sanft, anmutig zur Musik, gleitet um die Menschen herum und läßt sie teilhaben an dem, was sich aus ihm heraus entwickelt. Finger an starren Händen fangen an zu tanzen, verkrümmte Körper wollen sich dehnen, Köpfe nicken, Füsse wippen zur Musik … und manche wollen sprechen, dann setzt er sich zu ihnen und hört zu … er wirkt ganz ruhig und entspannt, obwohl er fast ständig in Bewegung zu sein scheint … alles, was er hört oder spürt wird zu Bewegung, alles fließt ineinander und umeinander und mündet in einen Fluß des Lebens …

irgendwann tanzt er mit Blanche , und nicht er bewegt sie sondern:  Es bewegt sich … so beginnt dieser Film …

Ich hätte ihn mir nicht angesehen, allein schon der Titel:  „90 Jahre sind kein Alter“ hätte mich eher abgeschreckt. Und was die Inhaltsangabe betrifft … ein Choreograph macht ein Tanzprojekt mit Alzheimerpatienten und holt sie aus ihrer Starre und eine alte Frau verliebt sich in ihn und wird wieder zu dem jungen Mädchen, das sie mal war, das hätte ich sicher nicht sehen wollen, und dann noch die Frage: „Hilft Musik bei Alzheimer?“ Ob das so oder so ist, das ist mir vollkommen egal.

Das ist ein Film der Spürungen, es ist eine Dokumentation über die  Arbeit des Choreographen Thierry Thieû Niang, sie zeigt, wie einer seine Passion lebt: er tanzt … mit offenen Armen, begehbaren Augen, umarmt, trägt, lehnt sich an und stützt … nichts wirkt gekünstelt oder auch nur beabsichtigt … alles ist … alles darf sein … wie eine lauwarme Sommerbrise, die die Haare im Nacken kräuselt … Liebe leuchtet auf in aufgewachten Augen und strömt ihm entgegen, sie bringt auch ihn zum Leuchten, er läßt sie fließen … im Hintergrund diese wunderbare Musik, alte Schlager, Chansons …

Dieser Film nimmt mich mit hinein in den Tanz des Lebens und berührt mich tief in meiner Existenz.  Was genau da passiert, dafür braucht es nicht viel Worte, nur die Bereitschaft, sich von der Lust auf das Leben tragen zu lassen …

Auf seiner Homepage:  http://www.thierry-niang.fr
stehen Texte, die meinen Herzschlag treffen und sicher in die Richtung deuten, woher die Bestätigung seiner Arbeit kommt.

Körper, erinnere dich nicht nur daran, wie oft du geliebt
wurdest, Nicht nur an die Betten, in denen du lagst, sondern
auch an jenes Verlangen nach Dir, Das aus offenen Augen
strahlte, An das Zittern der Stimmen – und wie Ein zufälliges
Hindernis es vereitelte. Jetzt, da alles der Vergangenheit
angehört, Scheint es fast, als ob du dich auch Jenem Verlangen
hingabst – wie es strahlte, Erinnere dich, aus Augen, die auf
dich gerichtet waren, Wie die Stimmen nach dir zitterten,
erinnere dich, Körper (1918)
Constantin Cavafy

O Mensch! Gib acht!
Was spricht die tiefe Mitternacht?
„Ich schlief, ich schlief-,
Aus tiefem Traum bin ich erwacht:-
Die Welt ist tief,
Und tiefer als der Tag gedacht.
Tief ist ihr Weh-,
Lust – tiefer noch als Herzeleid:
Weh spricht: Vergeh!
Doch alle Lust will Ewigkeit-,
will tiefe, tiefe Ewigkeit!“
Friedrich Nietzsche

Der Film: „Une jeune fille de 90 ans“
Regie: Valeria Bruni Tedeschi
Yann Coridian

ist in der ARTE – Mediathek noch bis Anfang August zu sehen!

Ich weiß, daß es bei Dokufilmen meist keinen Soundtrack zu kaufen gibt,
hier bedauere ich das wirklich sehr, sehr!
Nachfolgend eines meiner Lebenslieblingslieder, bei dem ich mich seit Jahrzehnten frage, ob es wohl irgendwo eine Frau gibt, die solche wunderbaren Worte schon mal geschenkt bekam … naja, wahrscheinlich gibts sowas nur in Frankreich … seufz …!

 

Das Meer hinter Hamburg…

Der Vollmond scheint, als ich mit meinem Trolley und den anderen Passagieren, mir kommt vor, viel zu vielen für die kleine Maschine, über die Rollbahn gehe. Der Salzburger Flughafen ist klein und nach ein paar Metern sind wir auch schon an der Treppe. Nach dem Verstauen von Taschen und Mänteln und der eigenen Leiblichkeit in den gebuchten Sitzen sollen wir also mit diesem kleinen Blechvogel nach Hamburg fliegen. Alle, auch solche, die weitaus weniger üppig sind als ich, wirken in die engen Sitze hineingequetscht…nur einer nicht, der junge Mann von gegenüber ist so dünn wie ein dürrer Ast und passt mindestens zweimal in den Sitz. Während des Fluges sehe ich oft zu ihm hinüber und denke mir, daß dies wohl der erste richtige Nerd ist, den ich sehe…sehr blass;  hochkonzentriert und pausenlos huschen seine Finger über das Tablet, keine Ahnung, was der da tut, aber er tut es pausenlos ohne aufzusehen. Alle hier drinnen husten, schneuzen, niesen, schniefen…und dann heben wir ab…jedes Mal ist es wie ein Wunder und ich lege mein Leben in die Hände des Piloten eines Billigfliegers.

Und dann: Ankunft in Hamburg und die Frage, wie ich mich einer riesengroßen fremden Stadt in zwei Tagen so nähern könnte, daß ich hinterher auf die obligatorische Frage:  „Na, und wie war´s in Hamburg?“ – auch was zu sagen hätte.

Der Grund der Reise war ein jährlich im Fasching stattfindendes Spektakel, venezianischer Maskenzauber an der Alster, von dem ich im Vorjahr im Blog  Irgendwas ist immer  so wundervolle Fotos gesehen hatte, daß ich spontan beschloß, beim nächsten Mal hinzufahren. Im Laufe des Jahres verschob sich der Schwerpunkt und ich wollte hauptsächlich Christiane kennenlernen und bei dieser Gelegenheit dem Karneval zusehen.

Und als ich am Montag in aller Frühe wieder in den Flieger stieg, war ich randvoll mit Erlebnissen, war einer liebenswürdigen Bloggerin begegnet und hatte das Gefühl, vier Wochen unterwegs gewesen zu sein.

Mir war  das Allerschönste passiert, was es nur gibt, ich wurde am Flughafen abgeholt, ins Auto gepackt und durfte schon mal eine nächtliche Runde durch die Stadt drehen. Von einer Hamburgerin herumgefahren zu werden und die Stadt sozusagen aus ihrem Blickwinkel zu sehen und dabei Interessantes sowohl über die Stadt als auch über die Reiseleiterin zu „erfahren“…wenn es dann noch viel zu plaudern und noch mehr zu lachen gibt und die Chauffeurin darüber hinaus auch noch eine absolut gelassene Autofahrerin ist, dann werden diese Erkundungen zum reinsten Vergnügen! Ich wäre am liebsten gar nicht mehr ausgestiegen. So eine wunderbare Stadt, weitläufig, großzügig, vom Wind durchgeblasen, der von der See kommt…vom blanken Hans…so hatte ich mir das zurechtgelegt! Ich weiß nicht, wie es dazu kam, aber für mich lag Hamburg am Meer, wenigstens bis vor kurzem…

Unter Zuhilfenahme ihrer Freunde, zwei smarten Hamburger Jungs mit Schalk in den Augen und so einem kleinen spöttischen Lächeln, versuchte Christiane, mir oberbayrischem Landei jenen Sachverhalt zu erklären, daß zwar das Meer 100 km entfernt sei, aber trotzdem Salzwasser in den Hamburger Hafen „gepresst“ würde…achja…und daß die Elbe …was weiß ich… als alle meine offensichtlich geistige Überforderung bezüglich des Vorkommens von Salzwasser mit Ebbe und Flut, unter  gleichzeitiger Meerlosigkeit sahen, wurde dem ein gütiges Ende bereitet:

„Weißte was, wenn Du nächstes Mal kommst, dann fahren wir nach Cuxhafen, dann erledigen sich alle Deine Fragen!“ Ja, okay.

Neben der Alster liefen unter kreischendem „Möwengedöns“ wunderschöne Masken herum und als ich, weil ich mir die Chance nicht entgehen lassen konnte, die grandiose Ausstellung von Paula Modersohn-Becker zubesuchen, aus dem Fenster sah, ging dort grad ein Baum auf hohen Stelzen vorbei, der mich plötzlich mit himmelblauen Augen in knorrigem Gesicht ansah…

Alles so bezaubernd, sehr freundliche und redebereite Menschen, unglaublich viele schöne Frauen, diese angenehme hanseatische Sprachmelodie…und nicht zuletzt am Ufer der Alster unzählige wunderschöne Graugänse, die auf einem Bein schliefen, im Hintergrund das Rot der untergehenden Sonne…

Dann, eine letzte Fahrt zum Bestimmungsort dieser Stadt, dem Hafen…jaja, ich weiß, ich habe eine wildromantische Ader, aber wer würde in Angesicht dieses großen Hafens mit seinen Kränen nicht an Freiheit und Abenteuer und „Seemann, Deine Heimat ist das Meer…“ denken , wen würde es da nicht hinausziehen…?

Und dann noch, aufgehoben bis zum Schluß, die Speicherstadt, wo alles gelagert wird, was aus der großen weiten Welt in Schiffsbäuchen kommt, Kaffee, Tee, Gewürze…und als meine wunderbare Stadtführerin mir sagt, daß ich mir da schon was einfallen lassen müsse beim nächsten Besuch…denn die Fahrt durchs Alte Land zum Meersuchen nach Cuxhafen, die Hafenrundfahrt mit der Barkasse und die Speicherstadt mit dem Einkauf von Tee und Gewürzen…also, ob da zwei Tage reichten?

Ja, da werd ich mir was einfallen lassen, liebe Christiane!

Es war ein wundervolles Wochenende und eine sehr gute Begegnung und es hätte nicht schöner enden können als mit dem Satz:

„Es war schön mit Dir, komm bald wieder!“

Ja, ganz sicher! Und herzlichen Dank für dieses warme Willkommen in kalten Wintertagen in einer fremden Stadt, die mir so fremd nicht mehr ist, genau wie die Stadtführerin!

Tschüüüüß dann, bis bald im Sommer!

 

Damals

Es war Schnee gefallen in der großen Stadt. Ich war Mitte Zwanzig und melancholisch am Leben entlangfröstelnd lief ich durch die Straßen um meine Wohnung herum, die keine Heimat wurde. Alles war anders  als erwartet, die Stadt  war mir nicht entgegengekommen, ich fühlte mich fremd und einsam.

Im Schaufenster einer heruntergekommenen Buchhandlung lagen stapelweise verstaubte Bücher, beim Eintreten bimmelte eine kleine Glocke. Ein wenig verloren stand ich da, es roch nach Mottenkugeln und Kohlefeuer, überall Bücherstapel bis zur Decke und an den Regalen lehnten düstere Ölgemälde.

Aus dem Dunkel hinter einem schweren Vorhang kam ein Mann, er trug ein verschlissenes Jackett, eine Art Baskenmütze auf weißen Haaren, zerlatschte Hausschuhe und er hatte leidenschaftliche und wilde Augen.

Er ließ mich in einem staubigen Fauteuil Platz nehmen, verschwand, brachte große Gläser mit zuckersüssem, angewärmten Rotwein, stellte ein paar Kekse hin, dann legte er mir einen Wollschal um die Schultern und rezitierte mit leiser Stimme ein Gedicht.

Wie eine Königin fühlte ich mich in einem Reich hinter der Welt, und als er das zweite Glas Rotwein brachte, ertönte ein Gesang, der schönste, den ich bis dahin gehört hatte und wir saßen da und lauschten.

Nie werde ich diese wilden, brennenden Augen vergessen und den festen warmen Händedruck. Und die Gedichte von Schiller, die er mir zum Abschied schenkte, stehen immer noch im Regal.

 

Dank an Ludwig Zeidler und an sein Schreibprojekt:

„abc etüden, kürzestgeschichten in 10 sätzen“

Karwoche…Josef Z.

„Werdet Vorübergehende“ (Apokryphen)

Wenn ich an „Passion “ denke, fällt mir nicht nur die Leidensgeschichte  von Jesus ein. Ich denke an einen, der auch eine Passion hatte und der früher oft in unserem Haus ein- und ausging. Josef Z. war eine Art Hausfreund meiner Eltern und Limonadenfabrikant. Er fuhr mit einem kleinen Lastwagen herum und verkaufte seine  „Kracherl“, das waren diese wunderbaren, klebrigen Limonaden in der Bügelflasche, in überwältigendem Rot der Himbeeren und in einem grandiosen Grün für Waldmeister. So gut wie diese Kracherl hat niemehr in meinem Leben irgendwas Trinkbares geschmeckt! Wir konnten nicht genug kriegen davon. Da wir aber nie Geld hatten, nehme ich an, daß der Josef einfach manchmal ein Tragerl mitbrachte, wenn er auf seiner Fahrt bei uns vorbeikam.

Er fühlte sich zum Sänger berufen und fuhr einmal wöchentlich nach Salzburg zum Gesangsuntericht. Davor oder danach kreuzte er bei uns auf, sagte: “ Küss die Hand, schöne Frau“,  und sah mich mit eigenartig saugenden, samtigen Augen lange, zu lange an. Das war mir nie so ganz geheuer mit 12, 13 Jahren und auch seine Aussprache war irritierend, denn er machte so sonderbare Zischlaute beim Sprechen, irgendwie kam er mit Luftein- und Ausstoß nicht ganz zurecht und die Worte drohten mit Sprühregen mir ins Gesicht zu platschen.

Also, ich mochte seine Kracherl bedeutend lieber als seine Aussprache und seine etwas zu nahe Anwesenheit.

Manchmal, wenn er einen guten Tag hatte, sprang er plötzlich in die Mitte der Stube und schmetterte ein Schubertlied. Wenn der Josef weg war, hatte mein Vater große Bedenken, ob aus diesem „Krawatteltenor“ mit seiner Knödelstimme wirklich mal was würde. Jahrelang ist er nach Salzburg gefahren und immer stand „der große Durchbruch“ bevor und die wirklich wichtigen Kontakte für Auftritte waren angebahnt und immer, treu und ergeben, machte er Station bei uns, um den neuen Stand der Karriere bekannt zu machen.

Nie war er verdrossen oder schlecht gelaunt, nie hat er sich beklagt, denn nie gab es Auftritte, nie gab es Applaus, nie gab es den Durchbruch. Aber immer hatte er seine Passion, an die er mit Inbrunst glaubte.

Seine Frau war längst abgehauen mit den Kindern, die Fabrikation war eingegangen, von was er lebte, wusste niemand, aber er fuhr weiterhin nach Salzburg und sah sich auf den großen Bühnen der Welt.

Viele Jahre später fanden wir ihn in erneut dienender Mission, aber nicht mehr der Sangeskunst, sondern seinem Bruder, einem bigotten, in fragwürdige katholische Bruderschaft entglittenen pensionierten Pfarrer in dessen ebenso fragwürdiger Einrichtung um eine Hl. Philomena herum, die in Wachs gegossen, in jungfräulicher Schönheit in der Mitte einer Kapelle auf Kissen ruhte.

Auf dem Dach der Kapelle eine, von einem versteckten Motor angetriebene rotierende Marienfigur.

Josef, inzwischen um die achtzig, begrüßte uns herzlich, zischelte mir sofort ein : „Küss die Hand, schöne Frau“ entgegen, nahm meine Hand und ließ mich das Kästchen seines Herzschrittmachers spüren, erzählte die viel zu lange und arg frömmelnde Schnulze einer Erweckung durch diese Heilige und beim Abschied rief er mir noch nach, daß er bald einen sehr wichtigen Auftritt habe, auf den käme es an und dann ginge es so richtig los mit der Karriere als Sänger.

Ach Josef, ich bin froh um jeden Spinner und Träumer in dieser gnadenlosen Wirklichkeit, hab Dank für Deine Geschichten und : „Küß die Hand!“

Wir? (Teil 1)

„Bitte kommen, Internet reparieren, mir helfen!“

Vor einem Jahr sind sie gekommen. Mit dem Auto und mit dem Schiff, und die Türkei sind sie zu Fuß durchlaufen, die Füsse voller schwarzer Blutblasen. Die Flucht hatte 15.000 EUR gekostet.

Tarek, ca. 32 Jahre alt, wurde mit elf Jahren von seinen Eltern von Afghanistan in den Iran geschickt zu Verwandten, die ihn aber nicht behalten konnten, weil sie kein Geld hatten, um ihn durchzufüttern. Er kam in einen Keller, dort zeigte man ihm , wie man auf Industrie – Nähmaschinen in Akkord Männerhosen näht. Er brachte es bis zum Vorarbeiter, hatte dann ein paar Hundert Männer unter sich in dieser Firma.

Die Väter suchten ihm eine Frau aus der weiteren Verwandtschaft in Afghanistan, die 19-jährige Nesrin, die er dann auch heiratete. Nach der Heirat in Afghanistan wollte Tarek mit seiner Frau wieder in den Iran, um weiter zu arbeiten, wurde aber nicht mehr hineingelassen und so hatten sie in Afghanistan, diesem zerrütteten, verbrannten Land ohne Regierung, Gesetzgebung und Ordnung weder Wohnung, noch Arbeit und mussten flüchten.

Beide haben keinerlei Schule besucht. Tarek sagt, daß afghanische Kinder im Iran nicht beliebt sind und eigentlich alle afghanischen Flüchtlinge unerwünscht seien, sie dürften zwar, mehr oder weniger geduldet bleiben, aber sie haben keinerlei Rechte und ganz sicher werden sie nicht unterstützt.

Unsere Verständigung ist sehr schwierig, M. versucht seit Monaten, mit ihnen Deutsch zu lernen, aber es geht schleppend vorwärts. Mit wenigen Worten versuchen wir zu sprechen. Tarek lacht viel. Er lacht auch, als er auf meine Frage, ob er denn ein Fahrrad besessen habe, diesen Handgriff macht für  „Kopf ab“, er lacht und lacht, weil ich das anscheinend nicht verstehe, daß man dort, wo sie herkommen, nicht lang ein Fahrrad hat, dann ist man entweder nur das Rad los, wenn man großes Glück hat, oder sein Leben, weil man erschlagen wird.

Da er nie eine Schule besucht hat, aber aus irgendeinem Grund in Deutschland vorweisen wollte, daß er Farsi (Persisch/Afghanisch)schreiben kann, lernte er das, was er aus vielen Jahren Kontakt mit Arbeitskollegen im Keller nicht konnte, hier aus einem winzig kleinen Heftchen mehr schlecht als recht.

Nesrin ist schwanger, was dazu geführt hat, daß beide aus der Gemeinschaftsunterkunft im Haus über einer Metzgerei (ehemalige Fremdenzimmer)ausziehen konnten in eine eigene Wohnung in einer kleinen Grenzstadt zu Östereich, wo sie aber die Grenze nicht überqueren dürfen.

Nesrin wurde daheim eingesperrt, wie Tarek sagt, und musste ihrer Mutter zur Hand gehen. Sie durfte praktisch gar nicht aus dem Haus, nicht in die Schule, nirgendwohin, in den seltenen Fällen nur tiefverschleiert. Einmal ist sie abgehauen auf die Straße hinaus, dafür wurde sie ausgepeitscht.

Über ihre Religionszugehörigkeit wissen sie nicht viel, kennen nur die Verbote, deren Übertretung Strafen nach sich zog.

Die Wohnung ist frisch renoviert, es gibt alles, nur weder Fernseh- noch Internetanschluß, was panische Aufregung auslöst, denn alle Kontakte laufen über Skype. Sie möchten einen Staubsauger.

Sie wollen konsumieren, wie alle anderen auch, Nesrin möchte eine Strickjacke, die glitzert.

Tarek zeigt ein Foto von seinem Neffen, elf Jahre alt, Maschinengewehr in der Hand, lernt grad schießen und stellt sich sehr geschickt an dabei, Tarek lacht, ich denke, er macht Spaß, oh weit gefehlt, gar kein Spaß, blutiger Ernst in Afghanistan und ganz normal.

Alle jungen Männer der beiden Familien sind geflüchtet und leben in den Niederlanden, Schweden Finnland etc. Nur noch die Eltern und ein paar Frauen sind in Afghanistan geblieben.

Viel gelacht haben die beiden, als wir kürzlich miteinander gegessen haben, als sie mich nach langen Erklärungsversuchen endlich verstanden, ich fragte nämlich, ob sie Heimweh hätten…das war wohl das Allerdümmste, was ich je fragte, denn: “ Afghanistan schlimm, nicht gut, Deutschland gut, alles gut.“ Beim näheren Nachfragen stelle ich fest, daß sie  die Länder, aus denen sie kamen, überhaupt nicht kennen.Tarek hat im Iran zwanzig Jahre in einem Keller 15 Stundenschichten gearbeitet und dazwischen ist er irgendwo herumgesessen oder hat geschlafen;Nesrin war Zeit ihres Lebens eingespert im Haus ihrer Eltern. Sie wissen beide weder genau, wo sie herkommen, noch wo sie jetzt sind.

Auf die Frage nach Musik in Afghanistan können sie nichts sagen, bei der Hochzeit wurde weder gesungen noch getanzt, beide wissen gar nichts über irgendeine Kultur oder Tradition.

Nesrin kocht wunderbar:  Basmatireis auf sehr spezielle afghanische Art mit Kardamom und Rosinen, obendrauf gebratene Gelbe Rübenraspel.

Sie ist so schön, wie ich mir Scheherazade vorstelle und als sie so durch den Raum schwebt und uns mit diesen dunklen Märchenaugen ansieht, bin ich ganz verzaubert, das dauert aber nur grad mal so lang, bis sie sich auf das Sofa flätzt und das Smartphone zum Irgendwas- spielen in der Hand hält, da schaut sie auf der Stelle genauso aus wie alle anderen irgendwo in dieser Republik, die auch grad mit dem Handy in der Hand wo rumsitzen und  drauf herummachen, weil ihnen langweilig ist.

Sie wollen einfach konsumieren, wie alle auf der Welt.

(Namen geändert)