24 T – Mutmaßungen über die Freiheit des Scheiterns, Tag 10: Carsten Kubicki

Wer nichts wird

In der Fußgängerzone wäre ich neulich fast jemandem begegnet, mit dem ich bis vor einiger Zeit noch – nun ja: befreundet wäre ein zu starkes Wort, gut bekannt trifft es eher -, also gut bekannt war. Ihn zu treffen und zu sprechen wäre mir jetzt indessen unangenehm. Die Gründe, die dazu geführt haben, möchte ich nicht näher darlegen, vielleicht nur soviel: Wenn man mit einem Paar befreundet oder gut bekannt ist und dieses Paar trennt sich im heftigen Streit, bleibt es nicht aus, dass man Partei ergreift für eine Seite und die andere meidet. Das ist übrigens genau der Satz, den ich mir zurechtgelegt habe für den Fall, dass ich dieser anderen Seite mal begegne und ein Gespräch unausweichlich ist. Neulich also wäre es fast soweit gewesen, wenn ich nur wenige Sekunden früher die Stelle passiert hätte. Vielleicht hätte ich kurz „Hallo A.“ gesagt und wäre weitergegangen, vielleicht hätten wir beide versucht, uns so gut es geht zu ignorieren. Oder es wäre eben zum Gespräch gekommen. Wäre, hätte. Oft ist Konjunktiv der bessere Modus.

Dieser A. sagte mal zu mir, als wir noch gut bekannt waren: „Wenn ich was mache, will ich darin der Beste sein.“ (Er hat in seinem Leben schon sehr viel unterschiedliches gemacht, Unternehmen gegründet und wieder geschlossen, indes nie etwas von langer Dauer. Seit geraumer Zeit ist er Gastronom, was mich nicht zu dem alten Spruch verleiten soll „Wer nichts wird, wird Wirt“, grundsätzlich genauso unzutreffend wie „Wer saufen kann, kann auch arbeiten.“ Ich schweife ab, Verzeihung.)

Leute, die so denken, tun mir ein bisschen leid. Der Beste zu sein scheitert zumeist daran, dass es immer wen gibt, der noch besser ist. Auch fehlt mir die Einsicht, was erstrebenswert daran ist, stets der Beste zu sein. Außer vielleicht, wenn es viele Bewerber um nur einen Job, eine Mietwohnung oder die Liebesgunst einer begehrten Person geht. Dann ist es ziemlich blöd, der Zweitbeste zu sein. In den meisten anderen Situationen genügt das völlig. Ich muss nicht Chef, der Schnellste, der Größte sein. Oder der Lauteste – manche scheinen ja zu glauben, wer am lautesten schreit, hat recht, alles unter 120 Dezibel ist gelogen.

Manchmal genügt mir der letzte Platz, insbesondere bei sportlichen Wettkämpfen, an denen ich mich, seit ich nicht mehr zum Schulsport gezwungen werde, also schon sehr lange nicht mehr beteilige. Mittelmaß sei meine Richtschnur.

Nun ist es nicht so, dass ich im Leben nichts erreicht hätte: diverse Prüfungen bestanden, sogar die praktische Führerscheinprüfung im ersten Anlauf, obwohl ich ungern Auto fahre und wohl ein ziemlich mieser Fahrer bin; einen angenehmen, gut bezahlten, nicht übermäßig aufreibenden Job; mannigfaches Liebesglück; eine sehr zufriedenstellende Wohnsituation. Anderes gelang nicht: Meine erste Buchveröffentlichung etwa war ein Flop, völlig zu Recht, wie ich rückblickend anerkenne. Immerhin, die letzten zwanzig Exemplare, die mir der Verlag vor der Eliminierung aus seinem Programm („Makulierung“ heißt das im Verlagsjargon) überlassen hatte und die ich in öffentliche Bücherschränke brachte, fanden noch Leser, oder wenigstens welche, die sie den Schränken entnahmen und danach vielleicht nach wenigen gelesenen Seiten wegwarfen oder unter zu kurze Tischbeine legten. (Weitere Veröffentlichungen waren auch nicht erfolgreicher, nur störte es mich nicht mehr.)

Dass ich bei einem Poetry Slam mal abgeschlagen auf dem letzten Platz landete mit meinem Text, das wurmte mich doch etwas, und ein ganz klein wenig wurmt es bis heute nach. Seitdem meide ich die aktive Teilnahme an solchen Veranstaltungen. Andererseits erscheint es mir ohnehin falsch, zu schreiben, um damit zu siegen. Gleiches gilt für das Singen: Als ich noch in einem Chor sang, war ich dankbar, dass wir uns, obwohl wir, bei aller Bescheidenheit, ziemlich gut waren, nie an irgendwelchen Chorwettbewerben beteiligten. Warum beim ESC die siegten, die siegten, konnte ich selten nachvollziehen. (Warum „unser“ Beitrag beim letzten Mal, diese zweifelhafte Schreirockband, den letzten Platz belegte, indessen völlig.)

Im Übrigen muss ich nicht ständig mit irgendwas beschäftigt sein, „Wer rastet der rostet“ und so. Es gibt keine Langeweile. Es gibt nur Momente, wo nichts zu tun ist. Im Nichtstun bin ich nicht der Beste, aber ziemlich gut.

Text: Carsten Kubicki

2 Gedanken zu „24 T – Mutmaßungen über die Freiheit des Scheiterns, Tag 10: Carsten Kubicki

  1. Wenn der Bekannte gut als Wirt ist, wird sein Laden bald wie ein Magnet sein. Das schraubt die Erwartungen hoch, die irgenwann auch mal enttäuscht werden. Dann zeigt sich die Stärke, wie damit umzugehen?!
    Ausstellungen meiner Keramik mache ich nicht, das ist mir zu viel Aufwand. Was Repräsentation der Werke betrifft, könnte ich zwar so einiges hinzulernen. Aber es ist so: Meine werke sind gut, aber nicht phänomenal. Ihre gelegentliche technische Raffinesse sieht man ihnen nicht an, es sei denn, man ist selbst Keramiker.

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