24 T. – Mutmaßungen … Tag 3: Über das Wasser

Das Wasser

Der Zauber des Wassers liegt in der bloßen Tatsache seiner Existenz. Immer schon ist es dagewesen, um uns und in uns. Es kann uns umschließen und tragen, durchdringen und ertränken, doch wir, wir können es nicht einmal festhalten, weil es grenzenlos und niemals greifbar ist. Das Wasser, in das ich jetzt springe, ist nicht dasselbe wie jenes, in das ich gestern eintauchte und ein anderes als das, in welches ich mich morgen begebe. Schwimmen ist unsere Chance, mit dem Wasser auf Tuchfühlung zu gehen, uns mit ihm zu verbinden und zu verständigen, wohingegen jeder Versuch, das Wesen des Wassers in Worte zu gießen, zum Scheitern verurteilt ist: denn die Sprache ist das Festland und das Wasser sein ungreifbares Gegenüber, glattweg fließt es uns davon wie die Zeit. Nur ein zartes Geschöpf mit verschwommenen Konturen verfing sich in meinem Netz, ansonsten fischte ich im Trüben.

 

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Beinahe bis zum Hals steht es mir momentan, das Wasser. Ein ungewohnter Zustand, zwar nicht per se, jedoch per mesi. Den besorgten Blick dem fernen Ufer zugewandt, doch der Körper kann der Blickrichtung nicht mehr folgen. Ein wenig Grund spüren sie noch, die Füße, ihre Zehen krallen sich fest in den Schlick, dass es an Rist und Sohlen schmerzt. Sicherer Stand ist auf diese Weise nicht möglich. Längst zu gelähmt, um an Land zu schwimmen, zu groß ist der Widerstand des Wassers. Die bange Frage taucht auf, was wohl zuerst geschieht: Steigt zunächst der Wasserpegel und spült mir Schwall für Schwall in den Schlund, bis ich mich dran verschlucke und ersticke? Oder knicken zuvor die Knöchel um, zerlegen mich langsam zehaufwärts, wie eine Marionette, die fallengelassen wird? Ersteres eine stille Aspiration, das Zweite ein Zusammenbruch in Zeitlupe.

 

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Mich über Wasser halten, indem ich mich ins Wasser begebe – das hat früher mal funktioniert. Dieses Getragenwerden, das Untragbares für die Dauer des Untertauchens erträglich macht, stockende Schwere zu liquider Leichtigkeit transformiert. Die Nerven werden besänftigt, das Grübeln geht baden, das Lebenszittern kommt endlich zur Ruhe. Und schließlich entsteigt Melusine dem Nass, runderneuert wie Phönix aus der Asche. Doch im Unterschied zu ihm, dem Feuergeweihten, der sich mit seinen Flügeln aufschwingt in die Höhen, ist ihr von ihrem Element die Enge auferlegt. Dass Wasser Weite bedeutet – welch Irrglaube. Fruchtbar und flüchtig zugleich zu sein, das ist Melusines Bestimmung. Halb Frau, halb Fee formt sie den Familienkreis und hält ihn zusammen, bis das Tabu gebrochen oder ihr Geheimnis gelüftet wird. Dann reißt es alles auseinander, dann ist es dahin, das Wasserweib.

 

Text:
Kraulquappe

3 Gedanken zu „24 T. – Mutmaßungen … Tag 3: Über das Wasser

  1. Ach Melusine … Wasserfrau, alles hat sie aufgegeben, ihre Heimat, ihr Reich, ihre Wildnatur, für die Liebe zu einem Mann. Er wurde reich durch sie, aber für sie war die Liebe eine Falle, er hat sie verraten.

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