Die weiße Pracht

Die Wilde Jagd hält sich nicht an den Kalender, sondern braust über den grauen Himmel und läßt Tonnen von Schnee fallen. Heute also auch in unserem Landkreis die Katastrophe vom Landrat bestätigt, ganz offiziell. Strassen gesperrt, Edeka-Läden gleich dazu wegen Einsturzgefahr, auf der Autobahn liegen umgefallene Lastwägen herum, Bäume fallen ohne Axt von irgendwoher nach irgendwohin und liegen verquer in der Gegend, Räumfahrzeuge geben auf. Unsere Gemeinde konnte mithilfe von schweren Traktoren und Schneefräsen unserem kleinen Weiler bis jetzt einen leidlich guten Zugang zur noch nicht gesperrten Bundesstraße ermöglichen, niemand weiß, wie lange noch, heute Nachmittag ein paar Stunden Ruhe vor dem Sturm … ab morgen Mittag weitere starke Schneefälle angesagt, die Wochen fortdauern sollen. Morgen wahrscheinlich mit dem Rucksack drei km durch den Wald zum Einkaufen, das Katzenfutter geht zur Neige. Die halbwilden Katzen leben zum Teil auf dem Heuboden und können kaum mehr durch den tiefen Schnee zur Futterstelle. Ich grabe eine Art Tunnel  und stehe irgendwann heulend da, alles tut mir weh vom wochenlangen Schneeschaufeln und ich kann einfach nicht mehr.

Der halbwilde Kater ist blind, bei Kämpfen untereinander wurden ihm die Augen ausgekratzt. Langsam und vorsichtig tastet er sich zum Fressnapf. Auf dem Dach des alten Hauses liegt ungefähr ein halber Meter schwerer Schnee, wenn die Höhe einen Meter übersteigt, wird es sehr gefährlich und alles droht, einzustürzen, es taut jetzt ein wenig, was alles nicht einfacher macht. Wir werden jemand brauchen, der das abräumt, aber wer geht hinauf auf das marode Dach? Die Angst, daß dieses Dach einstürzt, zieht sich schon viele Jahre durch mein Leben, nie war genügend Geld da, ein neues machen zu lassen. Ich habe ihn im Ohr, diesen Spruch vom Vater: …man muß immer was auf der Seite haben, wenn mit dem Dach was wär´! Wir sollten auch 50000.- auf der Seite haben, soviel mindestens kostet ein neues, aber wir haben das Geld nicht und so haben wir halt die Angst. Es ist der Notstand ausgerufen. Viele Dächer sind schon eingekracht, bei anderen wird es befürchtet. „Ein Dach über dem Kopf haben“ verliert seine Gewissheit und ein Obdach haben, was auch geschieht, ist keineswegs so selbstverständlich, wie man denkt, in diesem reichen Land.

Es ist still. So still, daß man es hören kann Der Schnee ist überall, er kommt durch die Ritzen, man atmet ihn ein, er stöbert durch die Träume, setzt sich auf die Gedanken, läßt nachts die alten Balken ächzen, fliegt durch Schlüssellöcher und riecht … nach … Nichts.

Die Idylle zeigt ihr wahres Gesicht.

„Was ist, wenn nichts mehr ist?“ habe ich als eine meiner Lebensaufgaben in meinem Horoskop vom Drachen gesagt bekommen. Ein Koan, unmöglich zu lösen und doch … der Klang der Kristalle in den Flocken … was bedeutet schon Existenz im großen Nichts …

Als die Stimme eines lieben Menschen durch Apparaturen zu mir dringt: Du sag mal, wie geht es Dir denn, ich kann zu Dir kommen und Dir helfen … meine Güte, da schmilzt nicht nur die kalte Angstklammer um mein Herz, sondern der Schnee um mich herum … ja, denn er ist aus Wasser und irgendwann fließt alles wieder, nicht wahr?

 

11 Gedanken zu „Die weiße Pracht

  1. Um Himmels Willen. Hörte heut schon Ähnliches aus dem Tegernseer Tal. Sollen wir zum Schippen kommen? Und Pippa als Unterstützung beim Tunnelbau?
    Ganz liebe Grüße!

  2. Du Liebe, ich habe in den letzten Tagen viel an dich gedacht und hoffte, dass ihr verschont geblieben seid. Bitte sag Bescheid, ich komm zum schippen, wenn man überhaupt noch zu euch vordringen kann …
    Eine dicke, feste Umarmung, möge alles gut gehen!!!
    Ulli

  3. Oh verdammt, jetzt weiß ich, warum ich die letzten Tage so sorgenvoll nach Süden gestarrt habe. Mir war anfangs gar nicht klar, dass du mittendrin bist.
    Gibt es keinen „Öffentlichen“, Bundeswehr, THW, Feuerwehr (was weiß ich), die bei euch mal kurz anhalten könnten?
    Nein, ich kann nicht zum Schippen kommen, aber ich denke so oft an dich und schicke Kraft und gute Wünsche! ❤️
    Besorgte Grüße aus dem immer noch schneelosen Norden
    Christiane ??

    1. Ebenesolches ging mir beim Lesen des Beitrages durch den Sinn.

      Wenn der Weg zu weit zum Nordrand der Alpen ist, hilft am ehesten Daumendrücken und gute Gedanken senden.

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