Deutsch sein. Fast so was wie eine Liebeserklärung.
Deutsch sein. Lange habe ich nachgedacht, was das für mich heißt. Deutscher Personalausweis, deutsche Muttersprache, in Deutschland (ehemals -West) geboren und aufgewachsen: kein Verdienst, reines Karma. Zwar an verschiedenen Orten im Land, aber nie für längere Zeit außerhalb gelebt. Und damit möchte ich sofort abstreiten, dass ich beurteilen kann, was deutsch ist, schon gar nicht »typisch deutsch«, denn das geht nur per Blick von außen. Sind Currywurst, Schuhplatteln oder Shantychöre typisch deutsche Erscheinungen, gibt’s das bei unseren Nachbarn in Nord, Süd, Ost und West nicht?
Ich mag also den Wald vor Bäumen vielleicht nicht sehen; aber ich weiß das wenigstens! Mir erscheint das meiste individuell oder regional bedingt. Eigenheiten einer Nation? Kann (und will) ich nicht festlegen.
Nation, noch so ein Wort. Spätestens da kommt nämlich die deutsche Geschichte ins Spiel, die gründlich verhindert, dass ich einfach mit den Schultern zucke und »Deutsch, ja, und?« sage. Es gibt nur das Gesamtpaket: Wer sich auf das Land der Dichter und Denker beruft, der muss (zum Beispiel) auch anerkennen, dass Deutschland mit der ihm (scheinbar) eigenen Strukturiertheit und Präzision in der jüngeren Geschichte ganz schön viele Henker hervorgebracht hat. Ich zumindest, als Kind eines in den Zwanzigern des letzten Jahrhunderts geborenen Elternpaares, kann das nicht auf die leichte Schulter nehmen. Meine Eltern entließ der Krieg mit dem Stempel »Schuld« auf der Stirn und sie gaben ihn an mich weiter. Nationalstolz? Vor diesem Hintergrund schwierig.
Komm mir bitte keiner mit der »Gnade der späten Geburt«. »Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch«, rufe ich mit Brecht. Ich sehe das Pendel zurückschwingen und fürchte, dass gerade die aus der Vergangenheit gelernt haben, von denen ich hoffte, dass deren Saat verdorrt sei. Denn »Leiden läutert uns nicht, und durch Schaden wird man nicht klug. Nur gerissen«, erkannte schon Mascha Kaléko. Neulich erklärte ich einem Geflüchteten, dass es in Deutschland für fast alles Gesetze und Vorschriften gebe, deren Missachtung Sanktionen nach sich zöge. So bequem das ist und so nötig, wie es sein mag, es stimmt aber auch, dass der, wer für alles Regeln hat, nicht mehr selbst denken, sondern nur noch funktionieren muss. Wir hatten mal den mündigen Bürger als Ideal, war der immer nur ein Papiertiger? »Denk ich an Deutschland in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht.«
Und dennoch, da ist eine tiefe Beziehung. Ich liebe meine Stadt, in der ich seit fast 30 Jahren lebe, ich mag, wie das Land sich anfühlt, die Farbe des Himmels und wie der Regen schmeckt, wie die Nordsee riecht und die Art, wie das Land platt ist. Die Art, wie die Leute hier oben lachen, und den trockenen Humor. Die Weitläufigkeit, von der ich gern glauben würde, dass sie die Menschen hier weniger engstirnig macht, aber vermutlich macht sie uns nur auf eine andere Art stur. Das Land drückt uns allen seinen Stempel auf und fährt uns in die Knochen, wenn wir es zulassen. Mein Blut hat vor Freude »Hier gehöre ich hin, hier ist es schön« gesungen, als ich zum ersten Mal nach Norddeutschland hineinfuhr, und ich bin überzeugt, meine ostpreußische Mutter dachte, diese Liebe hätte sie mir vererbt.
Ich bin typisch(?) deutsch: oft wenig spielerisch, ernsthaft und idealistisch, ohne jeden Zweifel. Ich bekenne mich zu meinem Erbe, das auf seine Weise leidvoll, bunt und wunderschön ist – wie in jedem Land der Welt.
»Mutter Erde hat viele Vaterländer«, heißt es, und Deutschland war noch nie eine Insel, das geht rein geografisch ja schon gar nicht. Hier sind im Laufe der Jahrhunderte viele
sesshaft geworden und in das »Deutschsein« eingeflossen. Ich jedenfalls weiß, dass ich von einem Gegenüber, sei es aus Deutschland oder dem »Ausland«, das mir (wie ich ihm) neugierig, offen, lächelnd und respektvoll gegenübertritt, nicht bedroht, sondern bereichert werde, und ich möchte zu gern, dass das »typisch deutsch« ist.
Text: Christiane aus Hamburg
Foto: Christiane aus Hamburg
Blog: Irgendwas ist immer
Ja, „das Land … fährt uns in die Knochen!“ Wie wahr, liebe Christiane aus Hamburg, wie wahr! Heiß und kalt ist es mir den Rücken hinuntergelaufen, beim Lesen Deines unglaublich dichten Textes und die Augen wurden mir nass … bin so berührt, weil ich plötzlich gemerkt habe, wie sehr Du was an- und aussprichst, was auch in mir Saiten erklingen läßt…
Grad ist hier, kurz vor den Bergen auf einem Zaunpfahl im Schnee ein Bussard gelandet, und ich denke an die lachenden Möwen in Deiner Stadt und den heimtückischen kleinen Wind, der alles kälter macht, als es ist … und zwischen Dir und mir liegt dieses Land, rennen Menschen herum mit schlagenden Herzen, es wird gelacht und geweint, immer alles gleichzeitig…
Sei herzlich gegrüßt und dankeschön für diesen Text!
Ihr Lieben beiden, lasst mich die Dritte sein in eurer Mitte.
Dann winke ich euch beiden doch schon mal ganz herzlich zu, hier aus dem hohen Norden Deutschlands! Danke, dass ich dabei sein durfte!
Liebe Grüße
Christiane
Zurückwinke aus dem südöstlichen Zipfel Europas.
Ich wäre gerne die Vierte in eurem Bunde!
Wir dir, Margarete, ist mir auch dieser Satz von dir, Christiane, unter meine Haut gekrochen: „das Land … fährt uns in die Knochen!““ – und du Margarete hast schon alles so gut formuliert, dass ich nur nicken kann, wie zuvor schon bei dir, Christiane.
Danke
Herzliche Grüße von der Nomadin unter euch – Nomadin deswegen weil ich schon so viel innerhalb Deutschlands umgezogen bin, dass sich mir der Begriff „Heimat“ sowieso entzieht, ich kenne nur heimatliche Gefühle und die sind mit der Kindheit verwebt.
Ulli