Archiv für den Tag: 14. April 2017

Sechs Millionen

Dies ist die Dokumentation eines Scheiterns.

Vor zehn Jahren war ich mit zwei befreundeten Frauen im jüdischen Museum in Berlin . Die Zahl: “ 6 Millionen“ hat eine Hilflosigkeit und Ohnmacht ausgelöst und führte zum Versuch, ein Kunstprojekt zu beginnen. Wir wollten Striche machen, einen für jedes Menschenleben und einen eigenen Raum dafür schaffen, zum Gedächtnis oder einfach, um irgendetwas tun zu können, wofür Worte nicht ausreichen. Wie kann man sich so eine Zahl vorstellen? Wie soll man sich überhaupt dieser Zahl stellen?

Wir haben begonnen, Striche zu machen.

Ich bin schon nach 4000 Strichen ausgestiegen, die Vorstellung, mit einem Strich ein gesamtes Menschenleben wegzustreichen…immer vier gebündelt und den fünften quer…mein Bleistift wurde immer schwerer und meine Gedanken dazu, vor Entsetzen geschüttelt , gab ich auf…meine Blätter habe ich so verräumt, daß ich sie nicht mehr finden kann.

Die zweite von uns „schaffte“ 140.000 . Dann war sie physisch und psychisch so am Ende ihrer Kräfte, daß sie nicht mehr konnte…gelähmt vor Entsetzen über die Unbegreiflichkeit dieser Zahl und der Tötungsmaschine gab auch sie auf…die Blätter hat auch sie so sehr versteckt, daß sie nicht mehr auffindbar sind.

Die dritte von uns machte Striche in jeder freien Minute, einen Monat  lang, voller Schuldgefühle bis heute und Scham darüber, nicht wenigstens eine Million zu schaffen, brach auch sie zusammen. Ihre Blätter hatte sie so verwahrt, daß sie heute gezeigt werden können. Ein merkwürdiges Dokument, ihre Hand formte wie von selber Figuren und Gesichter während sie Striche machte…nach 160.000 konnte sie keinen einzigen Strich mehr machen. Es war vorbei.

Wir haben zehn Jahre kaum darüber gesprochen, es scheint bis heute keine adäquaten Worte dafür zu geben. Wir können es bis heute nicht fassen, warum es nicht möglich war, diese Striche zu machen und einen begehbaren Kunstraum zu schaffen, um diese Zahl der vergeudeten Leben sichtbar…erlebbar zu machen, ich halte diese Idee weiterhin für gut, und ich schäme mich vor den Ermordeten, daß wir aufgegeben haben. Nicht die gute Absicht hat nachgelassen und auch nicht die künstlerische Herausforderung hätte uns abhalten können…

Nein

sondern wir hatten es mit einer Kraft zu tun , die den innersten Kern zersetzt.

Wir sind am Grauen gescheitert.

 

 

 














 

Ich verbeuge mich in tiefer Ehrfurcht vor Euch, denen das Leben genommen wurde.