Archiv für den Tag: 28. April 2017

„Das Europa der Muttersprachen“, Ukraine 2

 

Gestern habe ich zum zweiten Mal in meinem ganzen Leben als filmbegeisterter Mensch den Kinosaal während der Vorstellung verlassen, weil ich den Film nicht mehr aushalten konnte. Das erste Mal war bei dem Film : „In einem Jahr mit 13 Monden“ von Rainer Werner Fassbinder. Damals musste ich raus, weil ich die Gesichter und die Hände derer, die im Schlachthof  töteten und das Geräusch der stürzenden Tiere nicht mehr ertrug…

Und gestern den Film zu Beginn des zweiten Tages des Festivals: „The Tribe“ von Myroslaw Slaboschpyzkyj  bei der Szene, in der ein Mädchen mit einer „Engelmacherin“ (eine, die illegal Abtreibungen durchführt) in deren Küche kurz um den Preis feilscht, dann drückt die Frau ihre Zigarette aus und holt ihr „Besteck“ aus dem Kasten und kocht es aus über der Gasflamme vom Küchenherd, dann geht sie raus und holt eine Strick und bindet dem Mädchen die Arme und Beine so zusammen, daß diese sich nicht mehr rühren kann, auf einem Tisch hockend mit gespreizten Beinen im winzigkleinen Clo…da mußte ich rausgehen, denn ich bekam so starken Würgereiz und …es ging nicht mehr.

Der Film spielt in Jetztzeit in einem Taubstummeninternat, es fällt kein Wort, jegliche Kommunikation läuft über Gebärdensprache. Er dauert über zwei Stunden und bis dahin, wo ich rausgegangen bin zeigte er ein Leben in Anarchie, roher Gewalt, Brutalität und Kälte und danach, so habe ich erfahren, wurde es noch viel schlimmer.Ich stehe noch immer unter dem Einfluß dieser Bilder und ich denke nach darüber, was die Aussage dieses Films denn ist…was will er mir sagen?

Junge Männer werden zu Handlangern der Mafia abgerichtet und tun alles, was ihnen befohlen wird, alle Erwachsenen sind entweder Bosse bei der Mafia oder selber deren Handlanger. Die Mädchen werden als Fleischstücke an LKW – Fahrer verkauft, die mit ihnen machen, was sie wollen. In diese Welt gerät ein junger Bursche, der in der ersten Szene mit einem schäbigen Bus durch eine schäbige Gegend fährt und an einer heruntergekommenen Haltestelle aussteigt und mit seinem Koffer zu diesem Internat geht.

In dieser ersten Szene wusste ich schon, daß ich diesen Film nicht ertragen konnte. Am Straßenrand war ein kaputtes Auto zu sehen, gleich ganz am Anfang. Ich habe bei Gott in meinem Leben schon unzählige Schrottautos gesehen, aber noch niemals so ein trostloses braunes Autowrack. Es lag, schon ziemlich von Unkraut überwuchert da und war so lähmend tot und trostlos…kaum auszuhalten dieses Zeichen des gleichgültigen Verderbens.

Was soll dieser Film aussagen über die heutige Situation in der Ukraine?

Ich bleibe ratlos zurück.

Auch, daß zwischen zwei jungen Menschen ein zartes Gefühl entsteht inmitten dieses Schlachtfeldes der Bestie Mensch, soll es heißen: Schau her! Trotzdem gibt es Hoffnung, trotzalledem gibt es die Liebe…ich weiß nicht, was ich denken soll. Vorhin hab ich noch den wie immer brilliant geschriebenen Blogeintrag von Madame Filigran gelesen über das Böse…ich mag es nicht glauben, daß es „Das Böse“ gibt, obwohl mir das meine christlich-abendländische Erziehung mit allen Mitteln der Gehirnwäsche eingetrichtert hat…nein, ich mag mich dieser angeblichen Existenz des Bösen nicht ergeben…noch dazu, weil es ja angeblich von einer Frau in die Welt gebracht wurde, dadurch, weil sie (Eva , aber noch schlimmer die wilde Lilith) den Mann dazu verführte, zu Erkenntnis über das eigene Tun zu gelangen…

Aber das alles führt jetzt viel zu weit, ich glaube, jede / r  sollte unbedingt zumindest versuchen, diesen Film sich anzusehen und dann darüber zu sprechen…denn genau dazu sind doch so extrem anstrengende Festivals da, daß man miteinander ins Gespräch kommt über alle Grenzen und Barrieren hinweg, oder? Es gibt den Film auf DVD.

Ich werde mich jetzt in das abschließende Programm hineinstürzen und in den nächsten Tagen mit ein wenig Abstand nochmal berichten von diesem Glücksfall eines Verständigungsversuchs innerhalb der Kulturen.