Archiv für den Tag: 8. Mai 2023

#2 Don Quixote

Nachts, im Licht der Hoflaterne stecken die einzelnen Grashalme wie glitzernde Glassplitter im Boden. Die Katze bewegt sich behutsam dazwischen, nur wenn man genau hinhorcht, ist leises Klirren zu hören. Jetzt habe ich es gemäht und es liegt da und ist das Gras des Tages, das auf dem Komposthaufen hinterm Haus darauf wartet, wieder Erde zu werden im Lauf der Zeit. Um Mitternächte herum werde ich wieder zuschauen, wie sich vor der Küchentüre eine neue Welt der gläsernen Stängel aus dem Boden herausschiebt und mir wünschen, so klein zu sein, um dazwischen herumgehen zu können, für einen Augenblick.

Im Hintergrund läuft „Don Quixote“.  

„Through the woodland, through the yalley
comes a horseman wild and free
tilting at the windmills passing…“

Ich hatte diese eine Platte von Gordon Lightfoot und ich hörte sie dauernd, immer und immer wieder. Seine Stimme war so schön, daß sie schmerzte. Die Lieder haben mich begleitet durch die Zeit, in der das Leben sozusagen vor uns lag in all seiner Fülle. Wir hörten die Lieder zur Zeit der großen Gefühle. Als ich mich dann getrennt habe, weil mir die Liebe abhanden kam, da hat er geweint, dieser zärtliche junge Mann. Was er wohl heute macht? Nach dem Ende dieser Beziehung konnte ich die Platte nicht mehr hören. Später hab ich Gordon Lightfoot total vergessen, und ich hätte auch mit den von romantischen Streichern etc. überfrachteten Aufnahmen nicht viel anfangen können. Damals sang er zur Gitarre, das war so schön, daß ich auch heute wieder beim Anhören weinen muß vor Freude und Traurigkeit über dieses kleine Lied mit diesem wilden und freien Reiter, der ein zerlesenes Buch aus der Satteltasche zieht und so gutmütig ist, daß er sogar die Windmühlen als Freunde betrachtet…

Der Wolf wurde jetzt zum Abschuß freigegeben. Der Ministerpräsident Himself und sein Gehilfe haben beschlossen, daß es eine „wolfsfreie Zone“ in Bayern geben muß. Der Wolf hat sich als „Problemwolf“ herausgestellt, denn er hat Tiere getötet, um sie zu fressen, jetzt muß er weg. Seitdem kracht es ständig im Wald, gestern dreimal hintereinander. Jetzt dürfen sie, die Jäger, und jetzt jagen sie ihn, unerbittlich und erbarmungslos. Und wenn er noch nicht tot ist, dann wird er bald sterben. Und dann wird der stolze Wolfstöter zu sehen sein auf einem Selfie mit blutender Beute. Und man wird ihm zujubeln. Es ist Wahlkampf und es ist zu befürchten, daß demnächst auch der verhasste Biber, der Fischreiher, der Fischotter und der, beträchtliche Autoschäden verursachende, weil nachts einfach so über die Bundesstraße spazierende Dachs zum Abschuß freigegeben werden. Das wäre durchaus im Sinne eines großen Teils der Landbevölkerung und bringt ihm und seiner Partei gewiß Stimmen, so meint der Landesvater. Bei jedem Schuß, der im nahen Wald fällt, greift eine kalte Hand nach meinem Herz und ich schäme mich vor den Tieren.

Die Igel sind verschwunden. Ich gestehe, ich war oft sehr wütend , weil sie zu fünft in der Nacht daherkamen, die Katzenteller leer gefressen, überall herumgekackt, aber alle Nacktschnecken verschmäht haben. Wurden sie von den Mährobotern vertrieben oder vom Schneckenkorn getötet?

Im Gartencenter gibt es jetzt große Packungen mit „Wildwiese“ teuer zu erwerben. In den Gärten des Grauens wird der Rasen so oft gemäht bis er tot ist, alle Wildblumen ausgerissen, um dann für viel Geld künstliche Inseln der gelenkten Wildheit zu schaffen. Und dabei wäre alles so einfach und vor allem kostenlos. Wenn man nur noch dreimal im Jahr mähen täte, käm die Wildheit von alleine und brächte haufenweise Blumen und Gräser mit.

Das Wilde läßt sich nicht zähmen, denn dann ist es nicht mehr wild. Wild ist das Wilde nur, wenn es wild ist, das muß man halt aushalten können.

Jetzt läuft wieder eine Platte im Hintergrund: „Solo“, Hinterlassenschaft eines Barden. Er hat sie mit 81 Jahren aufgenommen und jetzt, mit 84 ist er gestorben. Und erst durch seinen Tod habe ich sie entdeckt. Und heute Nacht, wenn ich dem gläsernen Gras beim Wachsen zuschaue, dann werde ich auch dem neuen Stern am Himmel zuwinken. Ganz sicher ist Gordon Lightfoot ein Stern geworden, ja, das geht, da bin ich sicher. Wir, und alles Übrige auch, sind aus dem gleiche Material, und dazu kann man Sternenstaub sagen und das wird als konzentriertes kleines Licht am Himmel hängen … so wie die Hoflaterne vor der Küchentüre.

Einfache leise Lieder sind es, ein alter Mann singt sie und begleitet sich dabei auf der Gitarre. So hat er einst angefangen und so hört er auf. Ich mag seine  alte Stimme, das Lied „return into dust“ berührt meine Seele. Sein Leben war sicher gefüllt mit Musik, Erfolgen und Niederlagen, Freude und Verdruß, wie alle Leben. Als ich heute über  den Dichter Giorgos Seferis las, daß er zeitlebens eine Sehnsucht in sich trug, die sich nie erfüllte … die Sehnsucht nach der wirklichen Berührung – öffnete sich ein neuer Blickwinkel auf meine  Sehnsüchte. Ob er sie wohl gefunden hat, er, der Barde mit dieser Herzstimme? Oder blieb ihm die Erfüllung auch verwehrt, so wie es mit Sehnsucht ja meist ist. Sie kann wahrscheinlich nie erfüllt werden, weil sie zu weit hinaus reicht …?

Zwischen dem Don Quixote und dem letzten Lied auf der letzten Platte liegt ein ganzes Leben mit all seinen Irrungen und Wirrungen, er hat es mir hinterlassen und es endet mit dem Satz:

„I just want to be me“

Danke, Mr. Gordon Lightfoot.

 

Und hier, bittesehr, schreibt die Frau Kraulquappe!