Zwischenstand

Die erste Hälfte des Jahres ist um, Mitsommer vorbei, ich befinde mich in der Einflugkurve zu meinem 64. Geburtstag in ein paar Wochen, ich sitze auf der Hausbank und  sehe, daß die Kakteen unzählige Knospen haben. Merkwürdig ist das schon mit diesen Stachelgeschöpfen. Früher habe ich mich wirklich um sie gekümmert, habe sie umgetopft, von Läusen befreit, Erde ausgewechselt, alles getan, damit es ihnen gutgeht und das alles immer mit blutenden Händen, von abgeschossenen Stacheln verletzt. Geblüht haben sie nie.

Seit ich sie in die pralle Südsonne gestellt habe, ihnen hin und wieder ein paar Tropfen Wasser gebe und sie ansonsten nicht beachte, wachsen und gedeihen sie prächtig.

Aus einem wächst eine große, hellgrüne Kugel heraus.

Seit ich einen Hinweis auf die eigene Sterblichkeit bekam, ist mir so klar wie nie zuvor, daß ich mir die Wünsche, die ich habe selber erfüllen muß, von alleine geht da nämlich gar nichts. Und so werde ich mein eigenes diesjähriges Lebensprojekt weiter vorantreiben: Im Land herumreisen, Menschen treffen und Stätten mittelalterlicher Kunst aufsuchen.

Eine aufregende Reise und der Besuch bei einer Bloggerin liegt hinter mir, und ich denke mit einem Lächeln an ein paar vergnügliche Tage im Café Weltenall, herzlichen Dank an dieser Stelle nochmals an Ulli für die liebenswürdige Gastfreundschaft! Wir hatten lange, intensive Gespräche miteinander bei bester kulinarischer Versorgung, und es wird sicher nicht bei diesem Treffen bleiben.

In ein paar Wochen werde ich wieder verreisen und meinen Cousin P. in der Nähe von Speyer besuchen, hab schon etwas weiche Knie vor so langen Autobahnfahrten, und finde mich mutig und sehr cool, daß ich es trotzdem mache…werd schon überall hinfinden, schließlich ist ja auch ein Navi mit an Bord!

Freu mich so sehr auf alle neuen Eindrücke, die mich erwarten, vor allem auf den Dom zu Speyer und all das, was für P. Heimat bedeutet, die er mir endlich, endlich zeigen möchte. Unsere Familie ist ja mit diesen Kriegstragödien so verwoben, wenn der Vater von P. , der Bruder meines Vaters also, nicht im Krieg gefallen wäre, dann hätte er unseren Hof übernommen, meine Mutter wäre nicht aufgetaucht und ich wäre nicht auf der Welt, mein Vater wäre sonst wo gelandet. Merkwürdige Zusammenhänge sind das im Leben.

Ja, eine Kriegsgeschichte, mein Cousin ist mit Mutter und einem neuen sehr lieben Vater in der Nähe von Speyer gelandet und hat dort sein Leben verbracht und endlich, endlich komme ich zu Besuch und werde sehnsüchtig erwartet!

Das ist ein sehr schönes Gefühl, jemandem so willkommen zu sein. Ich frag mich ja, warum ich erst jetzt…egal, bald fahr ich los, das allein zählt.

Später im Jahr wird es eine Reise nach Leipzig geben mit einer kleinen Reisegruppe, ob wir da  sakrale Bauwerke auf der „Romanischen Straße“ besuchen werden oder ob wir nur in Leipzig unterwegs sind, das wird sich zeigen, freue mich sehr, endlich mal in den sogenannten Osten zu reisen und hoffe auf viele interessante Begegnungen.

Ja, fühlt sich gut an, so als ängstliches altes Mädchen mutig loszufahren (so weit das Geld halt reicht) hungrig nach Wissen, Eindrücken, Erlebnissen, Menschen und dann neu zu überprüfen, was „heimkommen“ wirklich heißt, denn wenn man nie weg ist…

Und von den Menschen, werden welche dabei sein, mit denen was bleibt? Wer weiß das schon. Aber einen Versuch ist es doch immer wert, nicht wahr?

Immer.

Die Dunkelheit schleicht sich immer näher an die Hausbank und streicht mir um die Beine.

Die glänzende grüne Kugel am Kaktus verändert sich, um 23.45 Uhr platzt sie auf und vor mir steht die strahlende Königin der Nacht!

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21 Gedanken zu „Zwischenstand

  1. Liebe Graugans,
    du schreibst von einer kleinen grünen Kugel an einem Kaktus und ich denke: Königin der Nacht! Meine Oma hat uns immer spätabends/nachts angerufen, wenn ihre Königin der Nacht sich öffnete. Es ist immer ein Ereignis. Deine beginnende Reisezeit gefällt mir. Ich werde nach langer Zeit auch wieder mit dem Reisen beginnen. Die romanische Straße führt bis zu unserem Nachbarkreis, dem Altmarkkreis. Eine Ruine aus dem 800 Jahrhundert haben wir auch bei uns.
    Noch viele schöne Stunden auf der Bank vor dem Haus wünsche ich Dir!
    Uta

    1. Ist das schön, liebe Uta, daß Du von Deiner Oma erzählst…ich dachte immer, die spinnen alle, und wusste auch gar nicht, daß dieser unscheinbare Kaktus, der seit vielen Jahren so vor sich hinstachelt, so ein Geheimnis in sich trägt…es ist tatsächlich wie ein Wunder, ich hätte am liebsten alle Nachbarinnen aufgeweckt um dieses Heiligtum zu bestaunen, um Mitternacht! Oh, und die Ruine hört sich höchst interessant an, werde sicher diese Romanische Strasse weiter besuchen, vielleicht geht sich ja irgendwann ein kleines Kaffeechen aus, wir wissen ja, wo wir uns finden…und solltest du in den Südosten reisen, so ganz hinunter, bitte melden! Viele liebe Grüsse, die Geflügelte

  2. Was für ein wunderbares Bild! Und ja, du bist sehr mutig, denn nicht alles, was für viele selbstverständlich ist, muss es unweigerlich auch für einen selbst sein. Mut ist für Jede und Jeden etwas anderes. Ich freue mich so, dass du erstens deine Krankheit so gut überstanden hat und dass sie dir gezeigt hast, dass du dich bewegen musst, wenn du weiterkommen willst. Wir werden reich beschenkt mit Wegweisern in unserem Leben, ob wir sie immer haben wollen sei dahingestellt, aber egal wie, gehen müssen wir die Wege immer selbst.
    Liebe Graugänsige, manchmal bin ich auch so ein Stachelwesen, je weniger man mich beachtet, je weniger man mich düngt, umso mehr habe ich Zeit und Raum für mich selbst zum erblühen 😉
    Ich grüsse dich sehr herzlich und grübel immer rum, wann ich mich auf den Weg zu dir machen kann, jetzt erstmal Auge …

    1. Jetzt nur langsam, Ulli, nicht die Bodenhaftung verlieren! Wir kommen schon wieder zusammen, jetzt gibst erst mal Ruhe und läßt Deine Augen wieder zu sich kommen, Zeit lassen, meine Liebe! Ach ja, und die Sache mit diesen Krankheiten, meine Güte, ob dahinter ein Sinn verborgen ist? Keine Ahnung, aber zumindest kann man üben, alles, alles auch wieder loszulassen, irgendwann auch das Leben. Aber bis es soweit ist, soviel Freude wie möglich aufnehmen und weitergeben. Viele liebe Grüsse und mach langsam, gell! Deine Graugeflügelte

  3. Liebe Graugans,
    ja so kann es gehen mit den Kakteen, je mehr du herumschei… desto weniger wird es. Einfach laufen lassen, keinen übermäßigen Aufwand betreiben, es kommt wie es kommt und dass es kommt, dass wissen wir.
    Das Bild von der Kakteenblüte ist großartig!

    Ich wünsche dir noch viele sinnliche Reiseeindrücke und Begegnungen
    Ganga

    1. Liebe Ganga, Kommentar ist zweimal gekommen, aber da es derselbe war, hab ich einen rausgenommen, jetzt passt alles! Danke schön für Deine lieben Zeilen, Du bist anscheinend auch schon durch die Kakteenschule fürs Leben belehrt worden bezüglich Nähe und Abstand halten und vor allem, den Dingen ihren Lauf lassen ohne ständiges Herumgetue…und plötzlich, aus dem Nichts mit einer Herzensfreude beschenkt zu werden, unglaublich und kurz und flüchtig…aber Zeit ist relativ und´s Glück is a Vogerl, nicht wahr! Viele liebe Grüsse an Dich!

  4. Unglaublich, das Bild …. und hey, der Norden ist auch schön, du Reisende! *wink*
    😉

    Liebe Grüße
    Christiane, die eigentlich viel mehr sagen will … kommt noch

    1. Wart nur ab, kommt Zeit, kommt Rat, kommt Graugans angeflogen…wenn du dich jetzt bitte mal so drehen könntest in die Richtung, in der Du die Alpen vermutest und dann bitte nach links…nochn bisschen…ja, so ungefähr, siehste mich? Das rote Pünktchen da in der Ferne, das bin ich im roten Pulli! Liebe winkende Grüsse zu Dir hinauf in den wunderschönen Norden…hör schon wieder die Möwen lachen…

  5. „Aber einen Versuch ist es doch immer wert, nicht wahr?“
    Aber auf alle Fälle ist es das wert, das Verreisen und sich mit anderen Menschen zu treffen, liebe Frau Graugans, das kann ich Ihnen aus eigener Erfahrung versichern.
    Abendwunschlosruhige Grüsse aus dem dämmrigen Bembelland
    Herr Ärmel

    1. Lieber Herr Ärmel, komme gerade zurück von Spurensuche nach versunkener keltischer Stadt, fragen Sie bitte nicht, ob ich sie gefunden habe…viele liebe Grüsse von der Graugeflügelten, nicht ganz wunschlos aber glücklich…

  6. Mutig auf, ob Autobahn oder andere Wege, das ist fein!
    Zu erkennen, dass es nicht zu uns kommt, wir selbst losgehen müssen,
    da gibt es Menschen, die haben das schon immer „drauf“ und andere beginnen erst damit, wenn es einen Einschnitt gibt. Wieder andere erkennen zwar, dass es so ist, aber kommen doch nicht vom Fleck. Geschichten, die das Leben schreibt und die unbemerkt bleiben, wenn sie nicht hier und an anderer Stelle notiert würden.
    Danke fürs Teilen , liebe Graugans und gute Flüge und Begegnungen wünsche ich!

    Liebe Grüße,
    Silbia

  7. liebe graugans, das ist so schön, dich da sitzen zu sehen auf der hausbank und deinen reflexionen zu folgen. deine zwischenbilanz löst in mir eine große friedlichkeit, zufriedenheit und vorfreude aus: das sind schöne schwingungen, die sich so übertragen. zugleich merke ich, dass auch ich mir solches innehalten und hinschauen nehmen muss – was ich oft nicht fertigbringe. danke also für die feine schwingung und für dies geschenk der leisen mahnung. immer wieder denke ich auch an worte, die du mir zum jahreswechsel geschrieben hast, nämlich, dass ich nicht jede tasche mitschleppen müsse, die am wegrand steht …
    nun wünsch ich dir einfach alles, alles gute für die geplanten reisen, für das, was in der zweiten jahreshälfte sich ereignen mag und grüße dich sehr von herzen! – pega

    PS: hab keine königin der nacht, aber dies jahr einen dschungel von nachtkerzen um meine terrasse herum. immerhin 😉

  8. Griaß Di, liebes Nachterl am ungewohnten Vormittag!
    Freu mich so, daß du das noch weißt mit den Taschen am Wegrand! Und gut, daß Du es erwähnt hast, denn mir ist ganz so, als müßt ich auch ein paar stehenlassen, da reist es sich leichter!
    Ach, freu mich einfach so über Deinen lieben Kommentar! Danke Dir!
    Nachtkerzen sind ja unglaublich geheimnisvoll…blühen auf, wenn die Dämmerung kommt…wie wundervoll!
    Viele Grüsse

  9. Ein wunderschönes Bild.
    Speyer ist allemal eine Reise wert. Und für jeden, der sich für die Romanik interessiert, ist das der Hammer. Der Dom. Baugeschichtlich war der richtig wichtig. Und wenn man sich ein wenig mit der Geschichte des Heiligen Römischen Reiches beschäftigt hat, dann betritt man die Krypta mit einem leichten Kribbeln, liegen doch dort erbitterte Feinde einträchtig beisammen. Unter anderen Heinrich IV, den ich seltsamerweise irgendwie schätze.
    Zwischen dem Dom und dem Rhein ist so ein kleiner Park, da gab es damals eine extrem schräge Gartenwirtschaft, ein Chinese hat die Laufkundschaft abgefischt, vor allem unendliche viele Briten, die da von ihren Kreuzfahrtschiffen dem Dom ihren obligaten Besuch abstatteten. Da kann man so richtig in sich hineinsitzen, bloss keinen Zwiebelkuchen essen, der war für den Schwaben ungeniessbar. Der Saumagen übrigens auch. Näh. Geht gar nicht.
    Ich hab ne Menge witzige Bilder in dem Park gemacht, das hat sich immer gelohnt.
    Was ich verpasst habe, war das jüdische Museum, dort gibt es noch eine mittelalterliche Mikwe. Auch den Anselm Feuerbach kannte ich damals net ………
    Egal, viel Spass in Speyer

  10. Allerherzlichsten Dank, lieber Sleeper, für diesen wundervollen Kommentar, freut mich echt sehr! Werde natürlich in dem Park nach dem Chinesen suchen, vor Saumagen graust mir und für Zwiebelkuchen ist man glaub ich, im Elsaß besser aufgehoben! Das jüdische Museum hab ich selbstverständlich vorgemerkt! Ich bin schon ganz aufgeregt vor diesem Dom, es gibt ja in Bayern auch mancherorts romanische Schätze, aber so ein Dom ist halt nochmal was ganz Besonderes…und abgesehen von der mittelalterlichen Kunst freu ich mich auch schon so sehr auf Vater Rhein! Und Anselm Feuerbach…oje…kenn ich nur vom Namen…Wenn Dir nochwas einfällt, wo ich unbedingt hinsollte, bitte sag es mir, am Dienstag geht die Reise los!
    Servus und viele Grüsse

  11. Wenn du dich für Kirchen interessierst, dann möchte ich dir noch die Dreifaltigkeitskirche empfehlen, gilt als „herausragende Leistung evangelischer Baukunst und als Juwel des Barock“. Das bemalte Holzgewölbe ist sehenswert, wenn man so etwas mag. Sehr speziell.
    Und natürlich Schiffegugge, das ist ein Muss.
    Nicht weit entfernt liegt Schwetzingen, badische Residenz mit einem klasse Schlosspark, bei Schönwetter ist das der Bringer, da kann man knipsen bis zum Abwinken.

    1. Das is ja ganz wunderbar, dankeschön! Und ich hoffe ja, irgendwann ein paar Fotos von Dir zu sehen vom Chinesenpark…oder so, wenn ich wieder da bin, werd ich Dich dran erinnern!
      Viele Grüsse

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