Wildfrau

Vorbei, vorbei, Weihnachten, Silvester, Dreikönig … vorbeigerauscht … beim Nachbarn fliegt am 6. Januar der Christbaum vom Balkon herunter. Ein Auto, irgendwo verschämt am Ortsrand versteckt geparkt, nur die Zeugen Jehovas parken noch unsichtbarer, ein sehr frommer Papa, voller Glauben an die Bereitschaft der Heiligen katholischen Kirche, die diesjährigen Einnahmen der Sternsinger an die Bedürftigen auf der Welt zu verteilen, wartet geduldig und in Liebe zum Nächsten, bis die drei wieder ins Auto steigen, aus dem sie von Tür zu Tür ausgespuckt werden.

Erschreckend deutlich in Umfragen, wie wenig die Bevölkerung weiß über den christlichen Hintergrund ihrer vielen freien Tage, geschweige denn, was vorher sich so alles abgespielt hat, außer der Tatsache, daß da niemand in die Arbeit muß.

Und so huschten auch völlig unbemerkt von den meisten Menschen die Raunächte vorüber,  die nicht mehr zum alten, aber auch noch nicht zum neuen Jahr gehören. Schwierig, zu sagen, was das für Energie ist, die sich unbemerkt in unser Leben hereinschiebt und was  so besonders sein soll, wild und unberechenbar, daß alles geschehen kann. Niemand weiß was Genaues darüber, es gibt Spekulationen aus allen esoterischen Richtungen, viele alte Geschichten, Sagen, Märchen … eine Zeit zum „Losen“ (horchen), nach außen, aber vor allem nach innen, und es ist immer das Gleiche: wenn man darauf wartet, daß irgendwelche Wunder geschehen, dann passiert gar nichts. Gut ist, so wenig wie möglich zu tun, ruhig sein und einfach alles sein lassen …“ viel Übung und Erfahrung braucht es, die Zeichen und Botschaften zu verstehen“ und oft ist es so, daß man erst hinterher merkt, daß irgendwas anders war als sonst.

Die schwarze Katze, eine wilde Freigängerin, die keinerlei Berührung duldet, bleibt nach dem Fressen noch sitzen, streicht mir um die Beine, mager ist sie geworden, ich weiß, was geschehen wird …  in den nächsten Tagen kommt sie und bleibt so eng an meinem Bein, daß ich sie wegschieben muß und maunzt. Am nächsten Morgen liegt sie friedlich vor der Türe, tot.

Der vor Weihnachten gefallene Schnee ist schnell weggetaut, Föhnstürme jagen um das alte Haus, der dunkelblaue Gebirgskamm am Horizont kommt näher, darüber rot aufgeflammter Himmel. Allein in der Ebene steht der Untersberg, ein massiver Felsklotz . Durch die Mittagsscharte, eine tiefe Einkerbung auf seinem Grat, dringt feuerroter Nebel wie aus den Nüstern eines Drachen … Von geheimnisvollen Erscheinungen wird berichtet seit Jahrhunderten, z. B.  das Phänomen der angehaltenen oder rückläufigen Zeit. Dann erzählt jemand, daß seine Tochter vor seinen Augen für eine halbe Stunde verschwand, obwohl  sie immer da war und sich nur nach einer Blume gebückt hatte…und die Tage darauf besuche ich Freunde, die sind nicht da, ich rufe zum Balkon hinauf nach Hund Willi, niemand da, habe so ein komisches Gefühl, die Stille um das Haus ist zu still, komme mir vor wie in einem Vakuum, fahre schnell wieder weg…dann ein Anruf, wo ich denn bliebe, man würde auf mich warten,…alle wären da, der Hund auf dem Balkon… warum konnten wir uns nicht sehen …

Irgendwo hinter  dem Untersberg liegt Berchtesgaden … im Namen die Huldigung der Uralten, weiter im Norden heißt sie Holla, viele Namen hatte sie schon, in den Gebirgsländern heißt sie Percht und einst war sie heilig und eine große Göttin. In der Zeit um Weihnachten herum bis hinein in den Januar fliegt sie durch die Luft, begleitet von einer Horde wilder Gesellinnen, aus ihrer Kraxe verteilt sie Seelen und wenn die Zeit reif ist, holt sie sie wieder ab. „Die Gans war das heilige Tier der Göttin. Als Mutter der Gänse (mother goose, so ihr englischer Name) war Holla/Berchta auch Herrin der fliegenden Frauen und Schamaninnen …

Früher gingen drei Frauen im Namen der Göttin helfend von Haus zu Haus und da, wo Not war, blieben sie , fegten die Stube aus, setzten sich zu den Sterbenden und halfen beim Gebären. Wenn sie wieder gingen, hinterließen sie ihren Segen.

Dieser Föhn, ein lauwarmer Wind im Winter, er kehrt das Innerste nach aussen, immer mehr schiebt sich in mein Bewusstsein das Bild eines großen Kessels, in dem gerührt wird … untere Seelenschichten schwemmt es nach oben, alles gerät durcheinander, Sicherheiten fallen auseinander, Gefühle zeigen Trugbilder, Wahrheiten geraten ins Schwanken, feste Bilder zerfallen in kleine Teilchen, alles schwimmt umeinander und ein Zauberstab rührt hierhin und dorthin und ich versuche einfach, loszulassen und auf die wohlwollendste Fügung zu vertrauen, die sich irgendwann in diesem Kessel zusammenbrauen wird.

Und wieder wird diese Sehnsucht wach in mir, nach einem Verbund der Frauen, „Zwölfe gingen übers Land“ heißt es irgendwo und ich fühle mich verloren so alleine, die Rituale der letzten Jahre sind verblasst, wir dürfen nicht aufgeben, neue zu erfinden … je älter ich werde, um so mehr spüre ich die lebenslangen Begrenzungen, das Ausbremsen meiner Wildnatur … auch rings um mich herum sehe ich es …und dann suche ich alte Geschichten und lese vor allem immer wieder in meinem Lieblingsbuch von Ursula Walser – Biffiger, die sich auch irgendwann in ihrem Leben auf die Suche nach den Wildfrauen begeben hat und unter anderem einen der wichtigsten Frauenorte beschreibt, die Spinnstube, die in alten Zeiten in geschützter Atmosphäre Liebesschule für junge Mädchen war und natürlich der Ort,an dem gerade während und nach den Raunächten die Geschichten gesponnen wurden:

… wird zunehmend ein Umbruch spürbar, der eine Zeit hervorbringt, die sich still öffnet: auf das Kommende hin, auf heimliche Verwandlungen, auf erahnte Möglichkeiten, auf Kräfte, die am Wachsen sind …mit Geschichten, die wir für uns selbst spinnen, für unsere Freundinnen und unsere Töchter. Von listigen , lustigen, lustvollen Weibern ist da die Rede, von faulen und fleissigen, von nährenden und heilenden, von rauhen und feinen, von ernsthaften, kichernden, wagemutigen und unverschämten. Von neugierigen Forscherinnen wird erzählt, von weisen Frauen, die die Zyklen des Lebens und des Wandels kennen. Von Genießerinnen, die sich verwöhnen lassen, von leidenschaftlichen Liebhaberinnen, aufrührerischen Widerständlerinnen, von zornigen Kämpferinnen, von stillen erfolgreichen Wandlerinnen und von denen, die sich aufmachen und ihrer Sehnsucht folgen. Wir erzählen von handfesten, unabhängigen Praktikerinnen und auch von solchen, die sich zurückziehen und träumen von neuen Welten. Von Frauenkraft erzählen diese Geschichten und von Mutterwitz. Sie nähren unsere Wurzeln, machen Mut, schaffen Wirklichkeiten – sind Keim für das Kommende.“

Und ich schließe mich gerne an, wenn sie noch schreibt, daß uns die wilden Begleiterinnen der Percht verwirren und stören und Krach machen, wenn unsere Geschichten zu brav werden und wir zu angepasst , dann erinnern sie uns daran, „daß wir die Freiheit aufgegeben haben. Den Frauen aber, die sich entschlossen haben, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen und die Spinnerinnen ihrer eigenen Geschichten sind, bleibt die Percht das ganze Jahr über eine Freundin und Beschützerin …“

Es ist jetzt Lichtmeßzeit, noch kann gesponnen werden und nebenbei wird im Kessel umgerührt, das Lebenssüpplein zusammengebraut. Wünsche werden entgegengenommen und untergerührt, wenn man sie losläßt und reinwirft. Den Wunsch, es mögen 12 (13)  Feen spüren, daß die Zeit reif ist, den Stab in die Hand zu nehmen und loszugehen, um sich mit den anderen zu treffen und ein Fest zu feiern,  übergebe ich hiermit dem Kessel und lasse ihn umrühren und berühren

 

Das Kursive stammt aus dem Buch:

Wild und  weise
Weibsbilder aus dem Land der Berge von Ursula Walser – Biffiger
AT Verlag, Schweiz, 1998

dieses wunderbare Buch begleitet mich durch viele Jahreskreise als eine Quelle der Inspiration und des Vertrauens auf die Existenz der wilden Frauen, die von den Bergen herabsteigen, die nachts mit raschelnden Röcken in unserem Hof herumgehen und in meinem Herzen tanzen! Vielen Dank fürs Zitierendürfen, liebe Ursula!

 

 

15 Gedanken zu „Wildfrau

  1. Liebe Graugans, deinen Text sollten die Menschen in der Zeit vor den Raunächsten lesen, um etwas an den wahren Grund dieser Zeit zu erinnern. Heute wird Weihnachten als gelungen angesehen, wenn es unzählige Geschenke gab und sich der Einzelhandel vor Freude überschlägt. Um mich selber aus diesem Wahnsinn zu befreien habe ich seit dem 19.12. nur einmal einen Lebensmittelladen betreten, um etwas Frisches zu kaufen, doch viele Menschen irren umher, auf der Suche nach dem nächsten „Ding“, was laut ihrer Auffassung besessen werden muss, um glücklicher zu sein. Würde man diese ganzen Geister in 12 oder nur in 6 Monaten fragen, was sie sich selber oder anderen gekauft haben, sie wüssten es wahrscheinlich nicht mehr. Doch Gesten, gemeinsame Zeit, Gespräche und gezeigte Liebe werden alle Zeiten überdauern. Danke für deine guten, wichtigen Worte, die wir der Jugend näher bringen sollten und den ewig Getriebenen.

    1. Lieber Arno, das hast Du wunderbar gesagt: „gezeigte Liebe“!
      In unserer Zeit sind zwar die Menschen einsamer als je zuvor, was man gut an den explodierenden Partnerbörsen ablesen kann, aber die Angst vor zwischenmenschlicher Verantwortung , die hinter gezeigter Liebe lauern könnte, scheint auch noch niemals größer gewesen zu sein … gekaufte Konsumartikel auszutauschen erfüllt den Zweck der unverbindlich netten Kontaktpflege und niemand riskiert, sich ins Herz schauen zu lassen!
      Viele liebe Grüße!

  2. Dieses Buch möchte ich sofort kaufen, aber nein, das geht grad nicht, aber vielleicht dann im nächsten Monat, es steht nun ganz oben auf meiner Bücherliste.
    Liebe Frau Graugans, wieder habe ich dir so gerne zugelesen und nun lausche ich noch den Klängen, die ja auch immer etwas besonderes bei dir sind.
    Ich habe mein vergangenes Jahr ebenfalls in den Kessel gerührt, keinen Wunsch, was noch seltsam ist, vielleicht sollte ich doch noch einmal den Deckel lupfen…
    Herzliche Grüße, Ulli

    1. Liebe Ulli, bin vom Grippelager halbwegs wieder erstanden, dank Dir für Deinen Kommentar und hoffe, Du spürst eine zarte Vision aufsteigen aus der Tiefe des Kessels … eine erste Lichtspur am Horizont … Reinigung und Inspiration, jetzt, auf Lichtmeß zu…
      Viele herzliche Grüße von Margarete

      1. Liebste Margarete, gut, bist du wieder genesend!
        Ich selbst und meine Visionen … es gestaltet sich dieses Jahr komplex! Ich fand in einer Wiese einen Löffel – m – jetzt gilt es wohl die Suppe auszulöffeln…
        herzliche Grüße, Ulli
        ich schreib dieser Tage eine Mail!

  3. Liebe Margarethe,
    du hast feinfühlig, poetisch und wunderbar
    die Qualität der Jahreszeit beschrieben, in der wir uns jetzt befinden.
    „Still öffnet sich die Zeit“…
    Möge die Wildfrau noch eine kleine Weile spinnen und sich an Geschichten laben,
    bevor die grosse Zeit des neuen Aufbruchs kommt.

    1. Liebe Ursula, die Wildfrau hat sich durch Schnupfen und Kutzkutz hindurchgewildert und rührt noch letzte geheime Zutaten in das Kesselsupperl hinein und spinnt den Flachs zu goldener Vision, Lichtmeß ist nicht mehr weit!
      Viele liebe Grüße zu Dir in die Schweiz hinüber und mögen Dir die Träume nie ausgehen!

  4. Uiiiiii, und mich als Nicht-Weibsbild hats an den Alten von der Hakenburg erinnert. Aber heftig. Ludwig Huna hat ihn erfunden. Den Alten und seine beiden Söhne, den Scheinheiligen und den reinen. Und beide bekommen eine andere Rolle, als ihnen zugedacht war. Der Roman spielt in eurer Gegend „unweit von Salzburg“. Sein Thema ist das Überleben alter Riten im neuen Glauben, bzw. auch das Unrein werden alter Gewissheiten.

    1. Lieber Mr. Blu, angeblich ist der Ludwig Huna ein ziemlicher Nazi gewesen, das ist aber auch das einzige, was mich bisher davon abgehalten hat, ihn zu lesen, ach Mensch, manchmal wär es mir echt lieber, ich wüsste nichts vom Leben der Dichter und könnt mich ausschließlich auf das konzentrieren, was sie geschrieben haben.
      Sag mal, die Hakenburg, die sollten wir womöglich suchen, gell, wenn wir im Sommer so lieben Besuch kriegen…!
      Viele Grüße

      1. Hab da (so einfach ausm Kopp) n Tippfehler produziert: „Die Hakenberg“ heißt der Roman und meint die Familie derer von Hakenberg auf der Uhu-Burg. Ich nehme mal an, dass der Huna die wird erfunden haben, weil der Handlungsablauf obendrein etwas(sehr) an Gustav Freytags „Nest der Zaunkönige“ erinnert und das spielt in Thüringen.
        Das mit dem Nazi ist wieder so eine Sache, junger k.u.k.Offizier des I.Weltkrieges war er zunächst mal, erfolgreicher Romancier im 3. Reich war er dann auch, wie viele andere, die später unter den Deckmantel der „inneren Emigration“ schlüpften.
        Spezialstrecke eher die italienische Renaissance: „Borgia-Trilogie“ und „Verschwörung der Pazzi“ aber auch „Walter von der Vogelweide“ und „Wieland der Schmied“; letztere beiden sind unlesbar langweilig. Das Borgia-Ding ist lesenswert.
        Irgendwas böseböses hab ich nicht gefunden, es sei denn, man macht dem alten Hakenberg den Vorwurf, dass er im frühen Mittelalter noch an die germanischen Götter glaubt.

  5. so gern les ich das! und hoffe auch, du bist gut ins neue jahr gekommen … für mich hat es mit trauer begonnen … nun taste ich mich zurück in die alltags-welt.
    lieben gruß von pega!

    1. Ach, liebe Pega, das Leben besteht aus soviel Abschiednehmen und Loslassenmüssen … und immer immer ist dafür gesorgt, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen.
      Wir können nichts anderes tun als einen Fuß vor den anderen zu setzen und langsam weiterzugehen bis auch wir irgendwann hinter dem Horizont verschwinden, neuen Gestaden entgegen.
      Ich stell Dir ein Licht ins Fenster, wennst nachts in Richtung Salzburger Autobahn schaust … kurz vor Salzburg, da siehst es leuchten!
      Herzliche Grüße

  6. Ach, liebe Graugans … und erneut hast Du uns verzaubert mit diesem Text, voll von altem Wissen und voll von alter Mystik … und das in einer Zeit, in der nüchternes handeln und analysieren angesagt ist …

    Für diesen Gegenpol danke ich Dir.

    Und die Gruppe „Fei schon“kannte ich ja noch gar nicht … Asche auf mein Haupt … aber die Musik ist nun wirklich großartig !

  7. Lieber Meister, wie schön, daß Du vorbeigschaut hast! Danke für Deinen liebenswürdigen Kommentar … ja, saugute Musik machen die, solltest unter Umständen womöglich nachdenken, ob Du sie nicht auch mal in Deinen Laden bittest, … könnten Fei scho dazupassen …!
    Liebe Grüße und besuch mich mal wieder hier zwischen Himmel und Erde

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