Vom guten Bedenken

Mein Papa hat oft davon erzählt, wie sie als Kinder mit dem Schlitten vom Gang (Balkon) herunter gefahren sind, weil soviel Schnee da war. Der Mutter hatte das nicht gefallen, weil sie natürlich mit dem Schlitten und waschelnass unten durch die Tenne ins Haus hinein und oben zur Gangtür wieder hinausgesaust sind. Bei dieser Gelegenheit haben sie dann auch gleich den „Gendarm“ eingegraben. Der Gendarm war eine von ein paar Handpuppen für´s Kasperltheater, mit denen sie gern gespielt haben, aber der Gendarm war ihnen zuwider. Wenn er im Frühling unter dem Schneehaufen wieder zum Vorschein kam, dann wurde er so lange den Sommer über im Wassertrog ertränkt, bis er eines Tages verschwunden ist.

Das Haus meiner Väter schmiegt sich ganz elegant an den Nordhang des Tales. Es hat kleine Fenster, durch die man die Sonne vom Aufgang über den Bergen hinter Salzburg ums Haus wandern sieht, bis sie im Westen als roter Ball ihrem Untergang entgegensinkt. Den Sonnenuntergang sehen wir leider nicht mehr, seit der Nachbar vor sein altes Bauernhaus einen Klotz hingestellt hat, der alles überragt.

Das Haus meiner Väter ist über 250 Jahre alt und wurde so gebaut, daß es bisher aller Wetterunbill getrotzt hat. Der Dachstuhl ist immer noch gut in Ordnung, schwer und behäbig, aus Holz gebaut, das zum richtigen Zeitpunkt geschlagen und gelagert wurde und das Dach hat ausgehalten, auch in schweren Zeiten und unter großen Lasten. Die roten Schindeln waren irgendwann kaputt und der Vater hat in den Siebzigerjahren beim Neueindecken einen großen, folgereichen Fehler gemacht, er hat sich zu einem Eternitdach überreden lassen. Das war die günstigste Möglichkeit und von Giftstoffen hat auch noch niemand gesprochen damals. Jetzt sind die  Eternitplatten mehr oder weniger porös und deshalb darf auch niemand raufgehen zum Schneeräumen. Die ganze Dachangelegenheit , es handelt sich da immerhin um ein paar hundert qm, kostet mit allem Drum und Dran und Entsorgung des Eternits nach neuer Berechnung um die 100000,- Euro. Und es tritt der Fall ein, daß das Haus verkauft werden muß, um es zu retten. So schaut´s aus. Selbstverständlich steht es unter Denkmalschutz, aber es gibt so gut wie kein Geld mehr zum Renovieren, die Kassen sind angeblich leer.

Manchmal träum ich davon, daß es womöglich irgendwo einen Menschen gibt, der sein vieles Geld nicht auf die Bank tragen will, sondern für seine Kinder altes Kulturgut erhalten will, dort, wo es entstand und bewohnt wird und nicht als leere Kulisse im Bauernhausmuseum. Naja, gut geträumt, wir werden sehen, wie es weitergeht. Wenn wir verkaufen, dann nur auf Leibrente, denn wir wollen in diesem wunderbaren und ehrwürdigen Haus wohnen bleiben.

Der Winter ist lang noch nicht vorbei, aber wenn von einer derzeitigen leichten Entspannung im großen Chaos gesprochen werden kann, dann ganz sicher nicht nur deshalb, weil es jetzt paar Tage geregnet hat, sondern hauptsächlich, weil viele liebe Menschen warme Gedanken geschickt haben, die zwar das Dach nicht reparieren, aber alles alles leichter machen in der Not einer existentiellen Bedrohung. Habt meinen Herzensdank dafür, daß ich so manch einem von Euch in stets löwischer Dramatik mein Herz ausschütten durfte und Ihr auch meine dunkle Seite ertragen habt.

Der Winter ist wahrlich noch nicht vorbei, in den Landkreisen ringsherum herrscht immer noch der Katastrophenfall, es wird dringendst gewarnt, den Straßen in die Berge hinein fernzubleiben, überall gehen die Lawinen ab oder werden künstlich ausgelöst, es gibt Hubschraubereinsätze und Evakuierungen … und gleichzeitig wollen aber die Skigebiete auf ihre Kosten kommen und werben mit sicheren Pisten und es gibt natürlich trotzdem die Weltmeisterschaft im Bobfahren in Königsee und den ganzen Partyzauber drumherum … was für eine verrückte Welt, nicht wahr?

Ich täte am liebsten zur Nation sagen: „Bleibt halt einfach mal zuhause, meidet die oberbayrischen Straßen und geht weitläufig den Bergen aus dem Weg, denn die Bergwacht ist nicht nur dazu da, unter Einsatz ihres Lebens leichtsinnige Touristen unter Lawinen auszugraben … spielt was mit der Familie oder lest die Zeitung oder bleibt einfach mal sitzen und tut gar nichts!“

Das Element bleibt letztendlich fremd in seiner unglaublich schönen und unbezähmbaren Wildheit, deren Gesetze wir nicht mehr begreifen, weil wir uns als außerhalb der Natur verstehen. Wir sind aber Natur und alles folgt dem großen Ein- und Ausatmen …

14 Gedanken zu „Vom guten Bedenken

  1. Liebe Graugans,
    hörst du mich ausatmen? Ich bin sooo froh sich zu lesen. Nicht ein Tag verging an dem ich nicht mehrmals an dich und dein Dach gedacht hätte, habe alles mobilisiert, damit ihr Schutz erfahrt, dass das Schlimmste an euch vorbei gehen möge.
    Auch habt ihr jetzt eine Ausatemphase, aber eben … der Winter hat ja gerade mal vor dreieinhalb Wochen begonnen, auch wenn sich jetzt schon im Tal die Osterglöckchen mit grünen Spitzen aus der Erde schieben, dass die Magnolienblüten schon prall werden. Ja, es ist eine ver-rückte Welt.
    Hab gut auf dich acht und ich lasse nicht nach euch Gutes zu schicken, mehr geht ja leider nicht.
    Herzliebe Grüße an dich
    Ulli

    1. Vielen Dank, liebe Schneeule! Ich denk auch oft an Dich, wie es wohl bei Euch so ist mit dem kristallinen Element, dem wilden … denke auch oft an die drei wilden Frauen, über die ich eigentlich was schreiben wollte, bevor mich ihre weiße Wildheit geschüttelt hat … muß mich auf ihre Spur begeben … schick Dir auch gutes Bedenken, denn wir brauchen es alle so dringend und ich bin sicher, es ist kein guter Gedanke verloren, ganz egal, wohin er geht und was er auslöst … sei heftig gegrüßt von Wilder zu Wilder!!!!

      1. Hier lugt immer ein Zettel aus meinem Kasten, darauf steht: die drei Grazien, die drei Nornen, die drei Frauen … ich winke dir zu, liebe wilde Freundin.
        Ja, ich habe gerade eine sehr intensive Eulenzeit, sie kam in den Raunächten und raunte mir zu, Eule ist Eule, ob Schnee oder nicht …

  2. Dieser Winter ist in den Bergen wahrlich ein großer weißer Mann, der es nicht unbedingt gut mit den Menschen meint. Die Klimakatastrophe nimmt ihren Lauf…

    Auch mir gefällt die Zeichnung sehr, sehr gut.

  3. Das denke ich in den letzten Tagen auch oft: nun müssen die Rettungskräfte ihr Leben riskieren, weil einige einfach nicht hören wollen auf die Warnungen…
    Gut, dass Du in Sicherheit bist!

  4. „Alles folgt dem großen Ein- und Ausatmen“. Trotz der drohenden Unbill ein herzwärmender Text, liebe Gretl. Ach, gäbe es doch Investoren für all die schönen erhaltenswerten Häuser! Doch es gibt sie nicht, fürchte ich. Oder doch? Wer weiß? Vielleicht hört jemand, der 100 000 leicht locker machen kann, deinen Hilferuf? Vielleicht trägt die Schneeeule deine heißen Wünsche weiter?

  5. Wenn das Eternit nun auch noch so verschwinden würde wie der Gendarm, der ertränkte Hund, der. (Brutal eigentlich, das eine wie das andere.) Bleibt segensvoll – irgendwie!

  6. Wie schön du deinen guten Geist des Hauses lobst und beschwörst! Ich bin sicher, er weiß, wie sehr du ihm verbunden bist und tut, was er kann, um Unheil abzuwenden und durchzuhalten!
    Gut, von dir zu hören, ich habe mir auch Sorgen gemacht und gehofft, dass du bald Entwarnung geben kannst. Fühlt sich so an, als sei deine Last leichter, stimmt das?
    Von Herzen
    Christiane

  7. Bleibt doch einfach im Haus. Das mit dem Eternit ist doch nur wieder so eine Lüge, damit die Dachdecker ihr Geschäft machen. Eternit ist das Beste. Lasst es bloß drauf und euch nicht verarschen. Alles ist gut. LG PP

    1. Grüß Dich, danke für Deine Mutmachung, wir bleiben natürlich im Haus, aber das Eternit ist leider porös geworden und wir müssen ständig Löcher flicken lassen, weil es einfach reinregnet. Und das größte Problem ist, daß niemand mehr aufs Dach steigen kann, um es bei schwersten Schneelasten abzuschaufeln, weil man auf Schritt und Tritt einkrachen kann. Ansonsten war es schon okay, das Eternit, es hat immerhin vierzig Jahre gehalten.

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