Tomten …

Zwei Freunde haben meine Kindheit begleitet, waren stets für mich da, wenn ich sie brauchte, hatten immer Zeit  und ich konnte ihnen einfach alles erzählen. Ich weiß nicht mehr, wie sie aussahen, sicher waren sie nicht größer als ich, also ziemlich klein. Ich kann mich noch gut erinnern, wo wir unsere Treffen hatten und ich habe meine eigene Kinderstimme noch im Ohr, wie sie mit ihnen spricht und sie bei ihren sehr geheimen Namen nennt. Nie hat jemand von ihrer Existenz erfahren, gesehen hat sie auch niemand, denn ich vermute, sie waren unsichtbar.

Irgendwann müssen sie weggegangen sein, ohne daß es mir aufgefallen wäre … und als ich viele Jahre später große Sehnsucht nach meinen beiden Freunden bekam und ihre Namen an den geheimen Plätzen rief, da blieben sie verschwunden, für immer.

Manchmal in der Nacht richtet sich die Katze auf und schaut zur Türe. Blinzelnd und schlaftrunken folgt ihr Blick aufmerksam dem Weg, den „etwas“ zurücklegt. Ich höre und sehe nichts … sie aber schon. In der Mitte des Zimmers scheint dieses „etwas“ stehen zu bleiben. Sie schaut es sich nochmal langsam von unten nach oben an, dann legt sie sich schlafen, wacht aber sofort auf, wenn dieses Etwas zur Türe wieder hinausgeht. Nie ist sie aufgeregt dabei, sie beobachtet und kümmert sich nicht weiter darum.

Bald ist Sonnwend, ich stapfe durch den Schnee in Richtung Wald und denke über die Menschen nach, denen ich in diesem vergehenden Jahr begegnet bin, und ich frage mich, wer hat sich in meinem Herzen eingenistet, wer ist hindurchgewandert, wer will hinein? Wem konnte ich Freude schenken, wer hat in meiner Gegenwart gelacht? Konnte ich denen Trost spenden, die traurig waren? Habe ich die leisen Hilferufe gehört?

Es dämmert bereits … ich gehe am Waldrand den Hügel hinunter … ich werde beobachtet , ein Bussard hockt bewegungslos auf einem vergessenen Zaunpfahl und schaut mich mit scharfsichtigen Vogelaugen an. Es geht steil bergab, der alte Pfad ist mit Gestrüpp überwuchert. Vor vielen Jahren gehörte der Einödhof zur Gemeinde auf der anderen Seite des Hügels und hier war der Kirch- und Schulweg. Und aus dieser Zeit stammt auch die Geschichte, die mir jetzt wieder einfällt.

Der Einödbauer war der Vater meiner Schulfreundin und er erschien mir damals etwas seltsam, er hatte nur noch ein paar große und gelbe Zähne, saugte stets an einer halberloschenen selbstgedrehten Zigarette, und wenn er vom täglichen Gang über seine Felder und Wiesen zurückkam, saß er schweigend in der Stube. Wenn ich hereinkam sagte er nur freundlich: Jaaaaa, die Gret ist da, weiter nichts. Eines Tages, als wir eine Zeitlang alleine am Tisch saßen, fing der sonst so Schweigsame auf einmal an, mir eine Geschichte zu erzählen, die er Jahre zuvor selbst erlebt hatte. Er war damals auf dem Heimweg nach der Sonntagsmesse und ging auf dem alten Kirchpfad am Waldrand den Hügel hinunter. Da bemerkte er plötzlich, daß ein paar Meter rechts von ihm im Wald ein kleines Mannei (Männlein) neben ihm herschritt. Es hatte einen großen schwarzen Hut auf und sagte nichts und der Bauer sagte auch nichts. So gingen sie schweigend nebeneinander her den Berg hinunter. Am Waldesende war das Männlein dann so plötzlich, wie es aufgetaucht war, wieder verschwunden und der Bauer ging alleine über die Wiese auf seinen Hof zu.

Ja, so ist das gewesen, Gret, sagte er nur und hat niemehr davon gesprochen. Warum er nur mir von diesem Erlebnis erzählt hat ist mir bis heute genauso ein Rätsel, wie das Auftauchen dieses Männleins. Auf meine Frage nach seiner Größe konnte er mir nichts sagen außer, daß es eben sehr klein gewesen wäre und es hätte zum großen schwarzen Hut dunkle Kleidung getragen. Als ich merkte, daß meine Fragen nirgends hinführten, gab ich sie auf. Ein Leben lang begleitet mich diese Geschichte und heute, wo ich genauso alt bin wie er damals, ist mir, als hätte er mir eine Art Vermächtnis hinterlassen.

Der Schnee ist regenschwer und es wird Nacht. Der Wald wahrt seine Geheimnisse und ich gehe zurück. Daheim sehe ich, daß die Amaryllis aus vermeintlich roten Knospen zwei große weiße Blüten entfaltet hat, von einer Schönheit, die das Ausmaß dessen zu übersteigen scheint, was noch ohne Wehmut im Herzen zu ertragen ist …

Die Wintersonnwende hat sich vollzogen, das Licht ist uns wiedergeboren worden.

Allen, die hier zwischen Himmel und Erde ihre Spuren hinterlassen, sichtbar oder unsichtbar sage ich ein herzliches Dankeschön und wünsche Euch und uns allen Freude im Herzen, mögen die Sterne sich in unseren Augen spiegeln.

Und da wir uns die Hände nicht reichen können, laßt uns eine Kerze anzünden füreinander.

FROHE WEIHNACHTEN!

20 Gedanken zu „Tomten …

    1. Herzlich willkommen Findevogel, wie schön, daß Du hierhergeflogen bist und noch dazu mit einem offenen Herzen! Ich danke Dir und wünsch Dir auch Licht und Freude und liebe Menschen um Dich herum.

    1. …und wie er den Tieren im Stall die geheimen Wichtelworte ins Ohr flüstert: „Viele Winter habe ich schon gesehen …“
      Ja, auch für Dich, liebes Nachterl, eine schöne Weihnacht, glänzend und freudig und viele Geschenke und jemand, der die Arme weit aufmacht!

    1. Lieber Arno, wenn ich das von Dir lese könnt ich einen Purzelbaum machen vor Freude!
      Viele liebe Grüße und ein Weihnachten wünsch ich Dir, an dem die Sterne, die Kerzenflammen und Deine Augen um die Wette strahlen!

  1. Ohjaaaaa. „Seltsam im Nebel zu wandern…“ Der olle Hesse mal wieder. Die imaginären Begleiter sind die treuesten. Man vergisst sie ungestraft für eine Weile, aber sie kommen wieder und nehmen nicht übel. Und helfen weiter.

    In der Hoffnung trotz meiner Vergesslichkeit von neulich (noch) auf der positiven Bilanz des Jahres’17 zu stehen –

    Alles Gute für 2018 und eine wundervolle Weihnacht der lieben Graugans wünscht

    Bludgeon

    1. Ach lieber Mr.Blu, Du stehst nach wie vor hoch im Kurs auf der positiven Bilanz
      da ändert doch so bisserl Vergeßlichkeit nix dran … es ist höchst vergnüglich und tröstlich für eine wie mich, die ja ständig verschwindet und nichts mehr hören läßt, wenn sich bei einem wie Dir mit schier elefantösem Gedächtnis herausstellt, daß er auch nur ein Mensch ist!
      Und jetzt machst Du so Andeutungen von wegen imaginärer Begleiter, uiuiui, und Du kennst ja meine Vorliebe für geheimnisvolle Geschichten … ich glaub, es gibt noch viel zu erzählen … vorerst wünsch ich Dir mal ganz wundervolle Weihnachten mit Lichterglanz, gutem Essen, guten Gesprächen und natürlich viel Geherze und Geküsse! Servus, bis bald, lieber Bludgy

  2. Liebe Margarete, du hast dich schon so lang in mein Herz geschrieben und da hast du einen Platz für immer – diese Geschichte ist auch wieder so eine Geschichte, die ich gerne bewahren will … und ich denke an das kleine Volk und natürlich auch an Tomte Tummetott. Wir werden keine Erbsen streuen und auch keine zählen, aber Lichter in die Welt senden mit dem Wissen, dass man nicht alleine damit ist.
    Ich wünsche dir eine friedliche und fröhliche Weihenächtezeit und magische Raunächte, liebe Grüße und eine Herzensumarmung dazu, Ulli

    1. Ulli, du bist wirklich sehr lieb, ich dank Dir von Herzen!
      Nein, natürlich sind wir keine Erbsenzähler, kicher, und streuen tun wir schon gar keine, aber … so ein bisserl süßen Milchreis sollten wir vielleicht … eventuell doch vor´s Haus stellen, und einen Lebkuchen dazu … vielleicht …Du weißt, der Fuchs ist hungrig, und die Hühner …
      Ja und Lichter in die Welt senden, das ist richtig gut, liebe Ulli, ich würde dir so gerne das Weihnachtslicht bringen und dann ein wenig mit Dir zusammensitzen im Cafe Weltenall auf eine Portion Spaceschokolade mit Rum und aufregende Asteroidentänze wagen …
      Aber auch noch so verwilderte alte Graugänse sollten nachts mal zuhause bleiben und so schicke ich dir das Licht von Herz zu Herz und wink Dir zu!
      Alles Liebe für Dich!

    1. Ja, liebe Maren, und manches im Leben bleibt ein Geheimnis ….
      Danke für Deine guten Wünsche, sollte ich eine Sternschnuppe sehen, lenke ich sie zu Dir in den Norden und Du hast einen Wunsch frei!
      Viele liebe Grüße von Margarete

  3. Das Licht kommt wieder. Es soll dich begleiten auf wundersamen Wegen in diesem neuen Jahr, das eigentlich schon begonnen hat. Vielleicht können wir einige zusammen gehen, ich freue mich drauf.
    Alle guten Wünsche zu euch ins alte Haus am Wiesenhang! Ich denk an dich und lass dich mit einem Stern grüßen. Margit

    1. Ja, liebe Freundin, laß uns (noch) viele wundersame Wege gemeinsam gehen und weiterhin auf Drachenspuren wandeln!
      Bis auf bald und alles Liebe für Dich und die Deinigen!

  4. Ach, meine Liebe,
    wie ich sie mag, die Geschichten in deinen Geschichten! Ja, manche Katzen „sehen“, manche nicht, das ist wie mit Menschen, ich kenne beiderlei Sorten. Ich frage mich mit dir, wen der alte Einödbauer da gesehen hat, aber dass es einen guten Grund gibt, dass er es gerade DIR erzählt hat, daran zweifle ich nicht, für mich passt das alles gut.
    Ich freue mich sehr, dass ich im ablaufenden Jahr auf deiner Reiseliste stand, sei gewiss, du bist auch auf meiner.
    Bei mir ist seit ein paar Tagen ein strahlender, innerlicher Frieden eingezogen, ich bin ganz ruhig und tief in mir, genieße und hoffe, dass es andauert … und dir (/euch) wünsche ich dasselbe.
    Meine Kerze heute Abend brennt auch in deine Richtung.
    Ich winke dir zu, alles Liebe dir
    Christiane

  5. Griaß di, Gretl, sehr schön ist das wieder!

    So aufmerksam: der Blick der Katze, die jahreszeitlichen Beobachtungen, die Kindheitserinnerung (also, ich kann nicht behaupten, dass ich solche engen, unsichtbaren Freunde hatte, aber wo die Gnome wohnten, mit denen mein Bruder und ich spielten, das könnte ich dir heute auch noch zeigen). Und die Geschichte vom schweigsamen Bauern. „Jaaa, die Gretl ist da“ und dann wieder schweigen. (Wie bekannt mir das vorkommt.) Und dann redet er doch einmal und ich bekomme eine Gänsehaut bei deinen Zeilen. (Übrigens, wenn ich hier vom einen Medium ins andere rübergrätschen darf: Doch, du hast da schon richtig geraten: „Männle“ sagen wir zum Manderl.)

    Sehr schön auch deine Jahresabschlussfrage: “wer hat in meiner Gegenwart gelacht?“ Diese Frage nehme ich mit. Danke dir.

    Ein reiches neues Jahr wünsche ich dir! (Selbst just am Neujahrsmorgen krank geworden, aber das hat sich sehr bald wieder.)

    Dein Zeilentiger

  6. Deine mystische Art, die Dinge um dich herum zu beobachten und kleine Geschehnisse aus der Vergangenheit einzuweben, das alles gefällt mir sehr. Die Wärme darin liest sich gut.

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