Es ist weit drin im Dezember, um mich herum das Jahr ist nicht nur in die Knie gegangen, es ist umgefallen und liegt vor meinen Füssen im penedrant grünen Gras. Eine gelbe Mondsichel klebt am Himmel, Leibumfang wie auf Herrn Ärmels Teller abgebildet, der zweite von rechts. Ich sitze auf der Hausbank vorm alten Haus. Es ist Abend, aber im Osten, irgendwo hinter Salzburg und diesem Bergklotz brennt der Himmel in einer Farbe, deren Flammen in einer Art von Rotorange erscheinen, die meine Sinne verwirren und mein Herz glühen lassen. „Drommetenrot“ hat Leo Perutz sie genannt, im „Meister des jüngsten Tages“, ungeheuerlich und verzehrend. Die Farbe der Cherubime in Knausgards für mich nicht zu bewältigendem Buch: „Alles hat seine Zeit“, scheint auch diese unerträgliche Wirkung ausgelöst zu haben. Cherubime, diese höhere Form in den Hierarchien der Engel, ach, keine Ahnung, was soll ich denken, fühlen?
Es ist doch nur wieder dieser Föhn, der am Abend den Himmel im Osten anzündet und alles durcheinanderbringt, das Innerste nach Außen kehrt und mich schaukeln läßt zwischen Lachen und Weinen, über verlorene Illusionen, unverwüstliche Sehnsucht und einen Haufen junger Flausen und Träume im alten Schädel…ein paar Wahrheiten tropfen aus mir heraus wie das Wachs aus der Laternenkerze, ach was, diese Wahrheiten immer, die sind doch meist viel verlogener als die Lügen.
Ach, und Mutmaßungen, über was gleich wieder? Ich sitze da und verschmelze allmählich mit dem Hintergrund.
Auf der Straße vorm Haus ist mal von Osten her ein Wanderer gekommen, viele Jahre ist das her, wohl schon an die fünfzig. Es war Sommer und ziemlich heiß. Mein Vater, der grade draußen bei irgendeiner Arbeit war, fragte den Fremden, ob er denn was zu trinken möchte. Der Mann sprach nur sehr gebrochen Deutsch und mein Vater konnte kein Englisch, brachte ihm aber zwei Flaschen außerordentlich grünes Waldmeister – „Kracherl“ (Limo), die dieser gierig trank, weil er schon schier ausgetrocknet war. Dann machte sich der Fremde wieder auf den Weg. Viel gesprochen haben sie wohl nicht miteinander, mein Vater wusste weder, von wo er kam noch wohin er ging. Der Mann hat sich sehr freundlich bedankt und ist weitergegangen, das war alles.
Monate später hielt ein Auto mit ausländischem Kennzeichen vor unserem Haus, ein Mann stieg aus, ging zu meinem Vater und gab ihm einen Mantel, den er über dem Arm trug. Er schenkte ihm den Mantel als Dank dafür, daß er damals was zu trinken bekommen hatte. Er drückte ihn dem Vater in die Hand und verschwand. Wenn mein Vater die Geschichte erzählte, glänzten ihm die Augen: „schenkt mir der seinen Mantel, und das ist ein guter Mantel, Du weißt es ja, er hängt ja oben im Kasten, ein guter Mantel, mit einem echten Teddyfutter, das ist ganz was Besonderes, war bestimmt nicht billig!“
Ja, eine Art Dufflecoat, schwer und mit diesem „echten Teddyfutter“. Mein Vater, der damals ein dürres Gestell war, hat ihn jahrelang getragen und dann , als er niemand mehr passte, hing er trotzdem noch Jahrzehnte im Kleiderkasten und erst, als mein Vater vor paar Jahren gestorben ist, hab ich ihn entsorgt.
Das „echte Teddyfutter“ konnte ich nicht wegwerfen, ich habe es herausgetrennt und manchmal hole ich es aus der Truhe und nehme es in die Hand.
Gänsehaut ~~~ Ich liebe solche Geschichten ~~~
„Wohin sind die Tage Tobiae, da der Strahlendsten einer stand an der einfachen Haustür, zur Reise ein wenig verkleidet und schon nicht mehr furchtbar…“
Ich danke Ihnen, liebe Frau Graugans für Ihren wunderbaren Beitrag.
Nachmitternächtliche Grüsse aus dem bettwärtsziehenden Bembelland
Gute Nacht, lieber Herr Ärmel, Sie sagten Schönes zu mir und ich fühle mich geglückt!
Wie schön nun auch wieder einmal eine geschicte von dir selbst zu lesen- ich lese sie sehr gerne, deine Geschichten, verehrte Frau Graugans! Und ich denke an das alte Haus, das nun schon einen Platz und ein Bild in mir bekommen hat, es muss ein besonderes Haus sein, denke ich, wegen der Geschichten, die sich in ihm sammelten, von Fremden und Wanderen und Teddypelzen in einer Truhe- warum waht mich jetzt ein kleines bisschen Wehmut an? Darf sein und ja … ein altes Haus …
Dass du mit Knausgards Buch nicht so recht tanzen kannst, das freut mich jetzt auch, denn auch mir fiel es wirklich schwer- allein die Geschichte der Sintflut, die ging in mich herein und hat sich einen Platz erobert- und die Cherubim, aber die bekamen bei mir ein eigenes Gesicht.
Vielen Dank und liebe Grüsse vom sonnigen und frühlingshaften Herbstberg, es ist seltsam dieses Jahr …
Ulli
Wer da wem zum Engel wurde?
Annehmen – heißt es folgerichtig!
die Margit denkt an euer altes Haus mit all jenen Erinnerungen
Ja, das ist überhaupt die Frage, wer wohl wem zum Engel wird!
Dem Tagwerk ein mühsames Stündchen abgetrotzt, war meine Vornahme alles verpasste nachzulesen… Ha!
Hier verblieb ich nun doch und sah den Halbsichelmond und das penetrante Rasengrün und den Wanderer. Alles andere bleibt ja ein Weilchen noch, ich muß nochmals lesen. Teddystoff. Ich habe ein geschichtenerzählenkönnendes Fell…
Grüße in den Müdabend, immer die Ihre.
Liebe Käthe, ja, mühselig ernährt sich das Eichhörnchen, gell! Aber bald ist der Trubel vorbei und auch noch so fleissige Unternehmerinnen legen dann mal die Füsse hoch und lassen sich ein bisserl bedienen und verwöhnen und legen den Kopf aufs Kissen, bereit zum Träumen…Viele liebe Grüsse und herzlichen Dank fürs trotzsovielstresshiervorbeischaun!