T.12 der Mutmaßungen über die L.i.e.b.e.

Mutmaßungen über die L.I.E.B.E.
# 2
Etwas Liebes, Kleines, Warmes flüsterte sie und sehnte sich.
Er war kein Prinz, nicht Samt und Seide, Gold oder Edelstein. Sie hatte keinen alabasterweißen, unschuldigen Körper, kein ebenholzschwarzes Haar, die Frau aus der Stadt, der Mann vom Dorf. Ein Jahr lang Glück, leichter Tanz und der Glanz des Neuanfangs.
Sie waren nicht leer zueinander gekommen, sie waren nicht mehr jung, das Leben hatte sie schon gefurcht, in Falten gelegt, Haare ergrauen lassen, Misstrauen, Angst und Enttäuschungen saßen in ihren Zellen. Wenn sie aber still nebeneinander saßen, jede und jeder mit sich und den Dingen beschäftigt, dann…
Ein Jahr lang Glück, sie erzählte davon, der Grauschleier war klein und trübte nicht den Glanz. Ein Mann und eine Frau lagen in einer Frühlingswiese, sie hielten sich, sie atmeten sich und etwas Liebes, Kleines und Warmes…
Bei allem Blau des Frühlings, allem Rot des Inkarnatklees, allem Gelb des Löwenzahns, den Regenbögen über ihren Köpfen, allem Vogelgezwitscher, war da manchmal ein Grauton, ein erster Fehlmix der Farben, der Töne, eine leise Disharmonie.
Ja, johlte die Menge, Liebe will erarbeitet werden, sie fällt nicht in den Schoß, Frau Holle schüttelt ihr Gold nicht auf die faule Marie … und es ging vor und zurück. Im Zurück wohnten die Erinnerungen an das erste Jahr und an noch viele weitere Stunden voller Liebe, voller Wärme, im Vor schrien sie den Frieden mancher Sommertage kaputt.
Eine Frau und ein Mann, sie schrieben ein Stück klassischer Musik, leises Frohlocken, pirschen und jagen, ein kleines und ein großes Hallali, Freudentanz, tobende Stürme, dann Raum.
Sie, die gebrannten Kinder, begannen sich voreinander zu fürchten, malten Schrecken an die Wände, Eifersucht und Ängste schlichen sich in all das Kleine, Warme und in die Liebe. Sie war kein Himmelbett für immer und doch trug sie die Frau und den Mann über alle Ängste, alle Verzweiflung hinweg, selbst über moorige Böden.

 

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Herzlichen Dank, liebe Ulli!

 

18 Gedanken zu „T.12 der Mutmaßungen über die L.i.e.b.e.

  1. Mag ich sehr, Ulli…warm und ergreifend ist er, Dein Text!
    „In Falten gelegt“, schreibst Du, ach ja, so fühl ich mich auch manchmal…aber solang das Feuer im Herz nicht verlischt…ist noch nichts verloren, nicht wahr? Liebe Grüße und Dankeschön!

    1. Liebe Graugänsige, ohne Feuer geht nüscht, Federn aber lässt man 😉

      ich freue mich sehr über deins zu mir und danke dir
      herzliche Grüsse
      Ulli

  2. „…ein Grauton, ein erster Fehlmix der Farben…“, was für ein starker Satz in einem starken Text. Ein Text auch voller Wärme und der Weisheit der nicht mehr ganz jungen Jahre. Mich beeindruckt die Offenheit deiner Worte. Und wie immer bin ich voller Bewunderung für deine Art des Schreibens. Das ist Literatur!

    1. Danke, liebe Elvira, ich schrieb ja schon „drüben“ mehr zu deinem, hier ist es „nur“ mein ehrlicher Herzensdank und gehen noch einmal liebe Grüsse auf den Weg zu dir
      Ulli

  3. So schön wieder geschrieben, dass ein feiner Seufzer am Ende entweicht … wie schade, dass … Und was wäre gewesen, wenn … Und warum wohl hat immer alles seine Zeit …
    Doch wenigstens das.

    1. Ich finde erst heute deinen Kommentar, liebe Muschelfinderin, für den ich dir von Herzen danke.
      Ja, alles hat seine Zeit, manches überlebt sie…
      liebe Grüsse
      Ulli

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