Staub…

Ich laufe in der Nacht draussen herum, tanze wie irre auf der Straße und halte Dein Lieblingslied zum Himmel hinauf, Wolfi,so lang, bis die Batterie vom Handy leer ist! Kannst Du es hören, dort, wo Du grad bist?

Vielleicht existiert noch eine Art Schwingung von Dir in einer der Parallelwelten dort droben…dort draussen…die mitkriegt, daß ich meine Schwingung dorthin schicke mittels Musik, die durchdringt doch alle Membranen…und mein Tanz…und meine Gedanken…und meine Liebe…mehr wie Wünschen geht nicht.

Du hattest auch immer so große Wünsche, von allem nur das Beste, und davon viel…nicht nur ein Bett für die Nacht, nein, „Nights in white satin“ sollten es sein, selbstverständlich.

Hast Du eigentlich mitbekommen, daß ich vor dem Baum gestanden bin, wo sie Deine Urne versenkt haben? Um die vierzig Leute waren da, Wolfi, und ich glaube, ein paar waren darunter, denen hast Du mal das Herz gebrochen. Viele haben geweint, alle kamen freiwillig, und alle schienen Dich sehr gemocht zu haben. Du warst nicht allein, warum nur warst du so einsam?

Alleine ist man aussen, aber einsam fühlt man sich innen, nicht wahr, Wolfi?

20 Stunden war ich unterwegs und ohne meine Freundin Irm, die sofort ihr ganzes Leben umkrempelte, um mit mir diese Reise anzutreten in dem Bewußtsein, daß es Ereignisse gibt, zu denen man nicht alleine hinfahren darf, hätte ich das nicht durchgestanden.

Und dann saß ich da in der kleinen alten Holzkirche im Stahnsdorfer Friedhof bei Potsdam und hörte den Liedern zu, die Dein Herzensfreund ausgesucht hat. Und wieder klackern Deine Cowboystiefel über die Steinfließen. Und dann stehst Du vorne mit diesem kleinen süffisanten Lächeln… unschlüssig, was denn nun passieren sollte…

Das wusste niemand so recht, wir standen dann um den Baum herum, vor Deinem Grab und keiner sagte was. Ich hatte den letzten Blogeintrag ausgedruckt und wollte ihn eigentlich vorlesen und was von uns früher erzählen, aber dann war mir, als sollte ich nichts sagen, still sein…traurig, etwas ratlos. Ich, die ich mich für absolut unreligiös halte, habe plötzlich schmerzhaft den sakralen Teil vermisst. Ich hatte Sehnsucht, daß jemand was Tröstendes sagt…“Erde zu Erde – Staub zu Staub“…leider war so jemand nicht da und ich legte die fünf dunkelroten Rosen von uns allen neben das Erdloch und warf staubige rote Erde auf Deine Urne.

Das wars. Über uns gleissendes Sonnenlicht, tiefblauer Himmel und um den Baum schwarzgekleidete Menschen, die nicht sicher waren…sollten sie erzählen von gescheiterten Beziehungen zu Dir oder fragen, ob irgendwer denn wusste, wer Du warst, in Wirklichkeit?

Wer weiß schon, wer wir in Wirklichkeit sind.

Irgendwann waren die Tränen geweint, die schönen Geschichten über Dich erzählt, die schlimmen verschwiegen, Einladungen und Weiter-in-Kontakt-bleibwünsche ausgetauscht und dann sind wir gegangen und ließen Dich in Deiner Urne unter dem alten Baum zurück.

Beim Heimfahren haben wir laut bei allem, was im Radio kam mitgesungen. Und wir haben darüber gesprochen, warum einer wie Du so beliebt war und gleichzeitig so sterbenseinsam…weil Du Beziehungen kaputt gemacht hast, bevor sie sich in Deinem Herzen einnisten konnten…es ist jetzt egal, was wissen wir schon voneinander?

Weißt Du, Wolfi, und nach 1400 km absolut staufreiem, entspannten Fahren lande ich auf der Salzburger Autobahn und muß mich übernächtigt, vollgepumpt mit Adrenalin wie im Delirium den steilen Irschenberg im ersten Gang halbmeterweise hinunterquälen, eingezwängt in bedrohlich aneinandergeklebter Blechlawine…aber als ich unten das Unfallauto sehe, werde ich demütig und bin froh, noch am Leben zu sein.

Irgendwann einmal löst sich der Stau plötzlich auf und ich rolle über eine völlig freie Autobahn durch eine sternenklare Nacht, am Chiemsee vorbei den Bergen, unseren Bergen, Wolfi, entgegen. Ich bin hellwach und denk an Dich und was Du aus Deinem Leben gemacht hast. Ja, Wolfi, ich habe großen Respekt vor Deinem Mut !

Du hast das gemacht, wovor alle Vernünftigen zurückschrecken, Du warst so sicher, daß es mehr als Alles geben muß , Du warst so hungrig nach dem Leben, ja und Du hast wie eine Kerze von zwei Seiten gebrannt…warum hab ich ausgerechnet Dir nie gesagt, wie sehr ich Dich liebhabe und wie nah ich mich Dir fühle…

Du hast Dein Leben gelebt, wild, heftig , schmerzhaft, ohne Rücksicht auf Verluste, bis zur letzten einsamsten Konsequenz hast Du es leidenschaftlich und exzessiv ausgeschöpft, dann bist Du erloschen wie ein Stern und ein Häuflein Asche ist übrig…aber von uns allen, auch wenn wir noch so vorsichtig leben, bleibt von uns denn mehr? …ein kleiner Windhauch und alles ist weg, wir sollten also nicht warten, sondern es uns sagen, daß wir uns lieben, gleich…bevor es zu spät ist

Und dann spielen sie dieses Lied im Radio und ich weiß,

jetzt hat der Kreis sich geschlossen.

19 Gedanken zu „Staub…

    1. Also weißt Du, liebe Christiane, Deine Worte machen mich richtig glücklich und wenns jetzt Funken regnet, ich übe noch, das Sterneschmeißen will gelernt sein…danke, Du Liebe und der Blogtipp ist sehr interessant!!

  1. Ja / wer weiß schon wer wir wirklich sind.
    Und vor allem wie viele.
    Dein Text trägt das Leben und auch alles flüchtige und leise.
    Und zeigt wie nahe wir doch oft an der Grenze atmen zwischen hier und da.
    Wie manche von uns an beiden Seiten brennen in der Hingabe an dieses eine Leben.
    Von dem wir manchmal nicht genug bekommen können / das uns Trost & Halt & Schmerz & Schatten zugleich.
    Danke für deinen famosen Text an diese Hingabe & auch an die Trauer die uns bleibenden bleibt.
    Und an den Geist der gegangenen.

    1. Für Deine anerkennenden Worte dank ich Dir, lieber Poet, und für das Ritual der Steine, tat gut, Dich im Hintergrund zu wissen und Deine Unterstützung zu spüren , leise und aufmerksam…danke

  2. Prima.

    (Stahnsdorf? Da warste keine 100 km mehr weg von mir. und die ham dort nen Trauerwald? ich dachte, der nächste läge in der Uckermark.)

    1. Danke Dir.
      Also, dieser Friedhof in Stahnsdorf, der ist so unglaublich schön und weitläufig und durch und durch großbürgerlich angelegt, werde da sicher wieder mal hinfahren…Trauerwald…keine Ahnung, war einfach wilder Wald mit alten Bäumen,
      sehr interessant alles dort oben, Potsdam…hab ne Einladung in ein Haus an der Havel, wenn ich da mal bin, könnt sich ja vielleicht ein Kaffee ausgehen, oder?
      Liebe Grüße

  3. Das nenn´ ich einen Abschied mit so viel Würde und Respekt … dass mir fast die Luft wegbleibt … und dann noch als passender Abschluss …. „Dust In the Wind“ … viel intensiver geht es es nicht mehr … vielen Dank dafür !

  4. Lieber Meister, Deine anerkennenden Worte treiben mir das Wasser in die Augen. Ach ja, irgendwann werden wir wohl alle wieder in die grenzenlose Freiheit entlassen, aus der wir gekommen sind…und wer weiß schon, wohin die Reise genau geht…und niemand kann sagen, ob nachgeschickte Liebe ihr Ziel erreicht…aber wünschen dürfen wir es uns, nicht wahr? Liebe Grüsse an Dich!

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