Reisende…

In der Nacht vor Allerheiligen, die Alten sollen Samhain dazu gesagt haben, die Einladungen sind hinausgeflüstert in dieses schwarze Gewölbe, an dem die Sterne hängen. Keine Antwort. In der Laterne brennt eine Willkommenskerze. Aus dem Mond fließt das Licht in den Schmetterlingsflieder und der zeichnet wandernde Muster auf das Pflaster vor dem Haus. Die Eingeladenen werfen keine Schatten mehr. Es kommt eh niemand, denn es gibt keine Wiederkehr von dort, wo wir alle mal hingehen, wenn unsere Zeit gekommen ist, nicht wahr? Auch nicht, wenn noch so viele Fragen offen geblieben sind.

Viele sind durch dieses alte Haus gegangen und alle, ob sie lang oder kurz hier lebten, sind auf der Hausbank vor dem Haus gesessen. Jetzt ist es Nacht, alle in der Nachbarschaft liegen längst in den Betten, der Administrator schläft vorm Fernseher in der Stube, nur ich sitze allein und proste allen, die hier mal saßen, mit neuem Most zu, zuckersüß und ein wenig perlend. Auf Euch trinke ich, die sich abgeplagt haben, diesen Hof zu erhalten und ihn weiterzugeben. Manchmal spür ich die Last dieses Erbe auf mir, denn wir haben keine Kinder, ich bin die letzte dieses Namens hier, an wen soll es weitergegeben werden? Was soll einmal werden? Die große Sorge meines Vaters.

Ein schwacher Geruch einer brennenden Virginia schlängelt sich durch die Luft, Papa? Viele Western kannst vergessen, aber die mit dem Cupper Gerri, die sind einfach so gut, daß man sie immer wieder anschaun kann, sagt er und dann sagt er noch: was wohl aus dem Herrn Breuer geworden ist?

Ja, den hab ich auch eingeladen, keine Ahnung, in welcher der Welten er sich momentan bewegt. Der Breuer war ein weitgereister, gebildeter Mann und der sagte immer, er hätte alle Traumstraßen der Welt schon gesehen, aber dieses Stückerl Straße auf der Salzburger Autobahn, da, wo man runterfährt und den Chiemsee vor sich liegen hat, das wäre das schönste auf der Welt. Ja, dieser Herr Breuer war wohl ein Reisender, keine Ahnung, wer er war und was er tat, er tauchte ein paar mal im Jahr bei uns auf und verschwand wieder, zwischendurch kamen Ansichtskarten von der ganzen Welt. Meine Eltern und der Herr Breuer mochten sich und saßen bis in die Nacht hinein kaffeetrinkend und rauchend und palavernd in der Stube und es wehte mit ihm die große weite Welt herein. Das vermisse ich sehr, daß es heute keine so Herr Breuers mehr gibt bei uns. Früher tauchten immer mal wieder so Gestalten auf, mit denen wurde nächtelang über die großen Fragen der Welt diskutiert, meine Mutter kochte Bohnenkaffee und zu essen gab es extrem scharfen Quargel, d.h. so eine Art Quark mit viel Kümmel und Paprika und manchmal auch ziemlich sauren Wein dazu und manchmal tanzten sie Rock´n Roll auf dem Stubentisch…sag mal Papa… aber er ist schon weg, in der Ferne höre ich ihn einen Landler pfeifen…

Und meine Mutter, kommt sie oder nicht, ich kann mich ja auch gar nicht mehr erinnern…ein leises Lachen höre ich irgendwo, Mama, das Lachen hast Du mir vererbt und dieses Gaukler- Gen…ich soll aus einer Theaterfamilie stammen, ach was, Mama, Gaukler wart Ihr und mein Großvater war ein Windhund, nicht wahr…wieder dieses Lachen…ach Mama, ich glaube, Du warst eigentlich auch eine Reisende, eine vom fahrenden Volk, aber Du bist festgesesssen auf diesem Hof und da sind dann alle zu Dir gekommen, Du hast sie angezogen mit Deinen rehbraunen Augen und Deinem Humor, der auch vor Zoten keinen Halt machte und wenn Besuch kam, hast Du über die größten Berge dreckigen Geschirrs einfach eine Decke gebreitet, Du konntest eigentlich gar nichts, was im richtigen Leben brauchbar gewesen wäre,  Du warst eine Schmierenkomödiantin, auf nichts konnte man sich bei Dir verlassen, aber das mit Charme und Bravour und Theatralik, und geschämt hast Du Dich vor nichts und niemand!

Eines Tages hast Du das Sofa als Rampe benutzt und bist weggeflogen, für immer.

Im Lauf der Jahre sind die Palavereien in diesem Haus weniger geworden, es wurde nicht mehr geraucht und nicht mehr so viel gesoffen, und die alten sind gestorben und von manchen weiß man  nichts und so Besuche wie vom Herrn Breuer gibt es schon lange nicht mehr…wer schaut schon „einfach so“ vorbei? Wenige haben noch Geschichten dabei und schon gar niemand hat mehr Lust, Geschichten zu hören oder möchte über die großen Fragen philosophieren..ohne Termindruck. Ich hör Dich wieder lachen Mama, ja, und ich lache mit, hier, alleine auf der Hausbank in der Nacht.

Nacht, Nacht, wie weiße Pferde kommt Nebel ums Hauseck getrabt, aber sonst wohl niemand mehr zu Besuch aus der Anderswelt.

In dem uralten sumerischen Mythos horcht die Mondgöttin Inanna im Großen Oben in das Große Unten und das, was sie da hört, wird dazu führen, daß sie ihr irdisches Reich verläßt, um hinabzusteigen in die Unterwelt und dort viele rätselhafte Dinge zu tun.

Ich erhorche nichts, die Nacht ist sehr still, eine Katze streicht um meine Beine, ich möchte nicht absteigen, da hinunter, noch nicht. Ich denke an eine, die schon lange dort unten ist, sie, eine Lady, alle Männer lagen ihr zu Füssen, leider meiner auch, sie war meine Freundin, meine beste Freundin, wir konnten uns das Leben ohne einander nicht vorstellen, wir schrieben uns Gedichte, wir wären füreinander durchs Feuer gegangen, bis wir uns verraten haben, sie wählte einen Säufer als Mann, sie gebar Kinder, ertrug alles, was das Leben Ihr brachte gefasst und in Würde, in Opferbereitschaft und ohne zu jammern und vor ein paar Jahren ist sie verhungert, leise ..sie legt den Finger auf die Lippen, ich soll nichts mehr sagen, nicht mehr weiterreden, ich soll alles lassen. Ja,  gut, obwohl, die Freundschaft zerbrach, aber die Liebe? Die ist geblieben. Ja, meine Freundin mit den Jadeaugen, meine Liebe zu Dir ist geblieben.

Die Rosen duften stark, immer noch.

KREUZBERG SÜD-OST …

23 Gedanken zu „Reisende…

  1. acht plus fünf ist dreizehn … so komme ich heute bei dir herein, der 08.05. ist mein Geburtstag und die Dreizehn liebe ich sehr- aber das wollte ich doch eigentlich gar nicht schreiben …

    Liebe Graugans, du findest mich hier ganz berührt, leise, ein wenig wortkarg- das hat dein Artikel gemacht, den ich nicht Artikel nennen mag und so gerne käme ich einmal zu dir in die Stube hinein und dann würden wir schwatzen über das was uns umtreibt und die grossen Gedanken hin- und herwenden, wie es schon viele vor uns getan haben und dann würde ich mit dir anstossen und dann trommeln und singen …

    danke für deins- das sitzt jetzt unter der Haut und ist auf dem Weg in die Seele- ich glaub Inanna lacht …

    herzlichst
    Ulli

    1. Liebe Ulli, ich freu mich so über Deine Zeilen und Du mußt unbedingt mal kommen für die Großen Fragen in der Stube! Und mit der 13, da sprichst Du mir aus der Seele! Viele liebe Grüsse!

  2. Hast mich zum Weinen gebracht, liebe sehr verehrte Graugans, aber nicht aus Verzweiflung, nein, es waren tröstende Tränen, durch Deine weisen, poetischen und so sehr tröstenden Worte. Ich danke Dir sehr, so sehr.

    … auch für die Musik, die genau passt …

    Was für ein Segen, daß ich Dich lesen darf.

    Meine allerbesten Wünsche für Dich. Und hoffentlich bis bald.

    1. Oh my Goddess, was für liebe Worte, und das, obwohl ich mich so plagen musste, weil die Geschichten (wie Du ja auch weißt) vom Kopf in den Rechner so was gänzlich Neues geworden sind…ach ich dank Dir so für Deine Anerkennung! Viele liebe Grüsse

  3. Deine Worte berühren mich tief, als hättest du sie durch die Nacht zu mir gesungen. Mehr als dürre Grüße bringe ich schreibend nicht zustande, die aber aus ganzem Herzen.
    Alles Liebe
    Christiane

    1. Dankeschön, schad, daß ich so weit weg bin, sonst hätt ich Dir einen Tee gekocht. Und – natürlich hab ich sie zu Dir durch die Nacht gesungen, sie sind angekommen, was will ich mehr! Hab Dank, daß sie Dich berühren durften! Liebe Grüsse

  4. Sie können so schön schreiben.
    Vielen Dank, dass ich für ein Weilchen Platz nehmen durfte neben Ihnen und Ihren Erinnerungen zuhören.

    Ich wünsche Ihnen einen wundervollen Abend, Ihr Herr Ärmel

    1. Also, so ein Kompliment von Ihnen, Sie wundervoller Herr Ärmel, das freut mich besonders und ich trink auf Ihr Wohl, a bisserl süß is er noch, der Most, aber in paar Wochen,wenn ich ihn nicht wegtrinke, wär schon noch was da für Durchreisende…

      1. Ich habe mich über Ihren Kommentar gefreut und hoffe, dass der Toast auf mein Wohl auf Ihrem Wohl zuträglich gewesen ist.
        Abendmüde Grüsse aus dem schläfrigen Bembelland

    1. Liebe Tikerscherk, daß Du Liebe spürst und Du von meinen Worten was in Dein Herz läßt, adelt mich, ich danke Dir sehr, sehr dafür!

  5. Mein dritter Versuch, hier Buchstaben zusammenfließen zu lassen, weil beim ersten Male tropften mir Tränen in die Tastatur. Den zwoten wagte ich gefasster, doch da forderte das Tagwerk meine Aufmerksamkeit zwischendrinnig und zwischendrinnig will ich hier nicht sein. Ergo weiteres stummes Innenrumoren Ihres Textes. Jetzt will ich es wieder versuchen und merke nur, daß ich drumherum schleiche, von mir schwafele und es doch ganz einfach schreiben könnte:

    Danke, liebe fremde Freundin. Das ist ein bonfortionöser Text. Nein, das ist mir mehr sogar noch… ein Splitter eines Spiegels, der in einer Pfütze ruhend geduldig alle Schlieren und alle Profilsohlenhartküsse erträgt, ohne gänzlichst zu fragmentieren. Ein Hartkantenblender, der erst runden muß, um nicht zu eckig zu schrecken, aber noch nicht zu konform werden will, sich verpfützend zu verschwinden…

    Ich halte jetzt inne, nehme ihn aber wieder innenhäutig eintätowiert mit, diesen Ihren Text.
    Danke, Ihre Käthe Knobloch.

    1. Liebste Käthe, habe mich so sehr gefreut über Ihren wunderbaren Kommentar, darüber, daß Sie in meinen Fragmenten Spiegelsplitter erkannten, in denen Sie es wagten, womöglich ein wenig ins eigene Herz hineinzuschauen…ach, Sie berühren mich auch inwendig, das dürfen Sie glauben! Und am Allermeisten gerührt bin ich von der Bezeichnung „fremde Freundin“, da haben Sie mich mitten ins Herz getroffen, denn das mag ich gern sein…eine fremde Freundin! Haben Sie Dank, Sie Liebe!

    1. Lieber Bludgeon,dank Dir ganz herzlich für das Kompliment! Freut mich echt! Die Sängerin hab ich mal in meiner allerliebsten Fernsehsendung „Willkommen Österreich“ gesehen, da haben sich die beiden rotzfreche Bengel Stermann und Grissemann die Zähne ausgebissen an der Kleinen, die ja nur so klein und süß ausschaut, die hats tatsächlich in sich, die kann was, vor allem schreiben…daß mein Textfragment Dich an sie erinnert, ist mir eine große Ehre! Liebe Grüsse

  6. Liebe Graugans, das ist sehr schön. Traurig natürlich, aber eben auch ganz feinfühlig und schön und still, so wie die Nacht, in der die Zeilen geschrieben sind.
    Herzliche Grüße

    1. Ach Du lieber Tiger, so eine liebevolle Würdigung, ich dank Dir herzlich dafür! Möge Deine Füsse leicht sein und Dich tanzend durchs Leben tragen! Sei ganz lieb gegrüßt auf gut Farsi/Bayrisch: Salam und Servus

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