„… pour un flirt …“

Den Film habe ich mir nur deshalb angesehen, weil ich beim Umschalten bei ARTE hängenblieb und die magische Atmosphäre dieser Bilder und die Musik mich förmlich aufsaugten.

In irgendeinem krankenhausähnlichen Raum liegen Menschen in Betten oder hängen in Rollstühlen herum , werden an Tische geschoben und werden von freundlichem Personal versorgt. Viele sehen teilnahmslos vor sich hin, manche reden irgendwas. Ein kleiner alter Mann geht herum, sagt unverständliche Sätze. Ein Besucher steht an der Eingangstür und sieht ihn an, so lange, bis sein Blick erwidert wird. Der Besucher weicht nicht von seiner Seite, distanziert und doch nah … wie ein Schatten, der alles mitmacht … der kleine Mann spricht und aus dem Besucher wachsen Bewegungen dazu heraus … irgendwann erklingt Musik im Hintergrund … wunderschöne französische Chansons … der Besucher … offensichtlich ein Tänzer … bewegt sich weiter und weiter, sanft, anmutig zur Musik, gleitet um die Menschen herum und läßt sie teilhaben an dem, was sich aus ihm heraus entwickelt. Finger an starren Händen fangen an zu tanzen, verkrümmte Körper wollen sich dehnen, Köpfe nicken, Füsse wippen zur Musik … und manche wollen sprechen, dann setzt er sich zu ihnen und hört zu … er wirkt ganz ruhig und entspannt, obwohl er fast ständig in Bewegung zu sein scheint … alles, was er hört oder spürt wird zu Bewegung, alles fließt ineinander und umeinander und mündet in einen Fluß des Lebens …

irgendwann tanzt er mit Blanche , und nicht er bewegt sie sondern:  Es bewegt sich … so beginnt dieser Film …

Ich hätte ihn mir nicht angesehen, allein schon der Titel:  „90 Jahre sind kein Alter“ hätte mich eher abgeschreckt. Und was die Inhaltsangabe betrifft … ein Choreograph macht ein Tanzprojekt mit Alzheimerpatienten und holt sie aus ihrer Starre und eine alte Frau verliebt sich in ihn und wird wieder zu dem jungen Mädchen, das sie mal war, das hätte ich sicher nicht sehen wollen, und dann noch die Frage: „Hilft Musik bei Alzheimer?“ Ob das so oder so ist, das ist mir vollkommen egal.

Das ist ein Film der Spürungen, es ist eine Dokumentation über die  Arbeit des Choreographen Thierry Thieû Niang, sie zeigt, wie einer seine Passion lebt: er tanzt … mit offenen Armen, begehbaren Augen, umarmt, trägt, lehnt sich an und stützt … nichts wirkt gekünstelt oder auch nur beabsichtigt … alles ist … alles darf sein … wie eine lauwarme Sommerbrise, die die Haare im Nacken kräuselt … Liebe leuchtet auf in aufgewachten Augen und strömt ihm entgegen, sie bringt auch ihn zum Leuchten, er läßt sie fließen … im Hintergrund diese wunderbare Musik, alte Schlager, Chansons …

Dieser Film nimmt mich mit hinein in den Tanz des Lebens und berührt mich tief in meiner Existenz.  Was genau da passiert, dafür braucht es nicht viel Worte, nur die Bereitschaft, sich von der Lust auf das Leben tragen zu lassen …

Auf seiner Homepage:  http://www.thierry-niang.fr
stehen Texte, die meinen Herzschlag treffen und sicher in die Richtung deuten, woher die Bestätigung seiner Arbeit kommt.

Körper, erinnere dich nicht nur daran, wie oft du geliebt
wurdest, Nicht nur an die Betten, in denen du lagst, sondern
auch an jenes Verlangen nach Dir, Das aus offenen Augen
strahlte, An das Zittern der Stimmen – und wie Ein zufälliges
Hindernis es vereitelte. Jetzt, da alles der Vergangenheit
angehört, Scheint es fast, als ob du dich auch Jenem Verlangen
hingabst – wie es strahlte, Erinnere dich, aus Augen, die auf
dich gerichtet waren, Wie die Stimmen nach dir zitterten,
erinnere dich, Körper (1918)
Constantin Cavafy

O Mensch! Gib acht!
Was spricht die tiefe Mitternacht?
„Ich schlief, ich schlief-,
Aus tiefem Traum bin ich erwacht:-
Die Welt ist tief,
Und tiefer als der Tag gedacht.
Tief ist ihr Weh-,
Lust – tiefer noch als Herzeleid:
Weh spricht: Vergeh!
Doch alle Lust will Ewigkeit-,
will tiefe, tiefe Ewigkeit!“
Friedrich Nietzsche

Der Film: „Une jeune fille de 90 ans“
Regie: Valeria Bruni Tedeschi
Yann Coridian

ist in der ARTE – Mediathek noch bis Anfang August zu sehen!

Ich weiß, daß es bei Dokufilmen meist keinen Soundtrack zu kaufen gibt,
hier bedauere ich das wirklich sehr, sehr!
Nachfolgend eines meiner Lebenslieblingslieder, bei dem ich mich seit Jahrzehnten frage, ob es wohl irgendwo eine Frau gibt, die solche wunderbaren Worte schon mal geschenkt bekam … naja, wahrscheinlich gibts sowas nur in Frankreich … seufz …!

 

8 Gedanken zu „„… pour un flirt …“

  1. Über diesen wundersam schönen Film schrieb ich auch letzthin etwas. Ja, Blanche verliebte sich. So ein schöner, einfühlsamer Mann mit „Erweckungstalent“…
    Gruß von der anderen „Gans“

  2. Du hast so wunderschön geschrieben Gretl über diesen Film,dessen Bilder mit
    so berührenden Augen-Blicken mich noch immer tief bewegen.
    Zum Glück habe ich weder den Titel noch die Beschreibung dazu vorher gelesen,so konnte ich mich ganz „unbedarft“ einlassen.
    Der Tanz des Lebens,möge er uns weiter bewegen und uns dahin schwingen,wo alles nur noch leicht ist.

  3. Der Film ist berührend. Ich werde ihn mit Freundinnen teilen. Wir beschäftigen uns mit dem Altwerden unserer Eltern und deren Bekannten. Beim Umschalten auf Arte habe ich neulich überraschend einen meiner Lieblingsfilme erneut sehen dürfen: To kill a Mockingbird – Wer die Nachtigall stört.

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