Daß die toten Menschen im Lkw auf irgendeinem Parkplatz an der Autobahn erst entdeckt wurden, als sie sich bereits in stinkender Brühe aufzulösen begannen, die heruntertropfte, das hat mich in eine abgrundtiefe Traurigkeit versetzt und den kleinen Buben, der tot am Strand liegt, bringe ich nicht mehr aus dem Kopf. Wenn es stimmt, was im Talmud steht, daß, wer ein Menschenleben rettet, die ganze Welt rettet – dann stimmt auch der Umkehrschluß, dann geht die Welt bei jedem vergeudeten Leben unter.
In der Zeitung steht neben einem Spendenaufruf: „Jedes Kind ist ein Zeichen der Hoffnung für diese Welt.“ Ja, und der Kleine, der da im Sand liegt, ertrunken, weil es bei uns nicht möglich ist, legal ins Land zu kommen, der war wohl auch mal ein Zeichen der Hoffnung, und was ist er jetzt?
Der Kapitalismus und damit seine Eliten hätten abgewirtschaftet, schreibt der Philosoph Armen Avanesian in seiner „Kampfschrift“, einem blitzgescheiten Aufsatz zum gegenwärtigen Durcheinander der ins Land drängenden „Menschenschwärme“ und die verachtenden „Lösungsvorschläge“ für die „Flüchtlingsproblematik“.
Das Land ist reich, sehr reich sogar und alle haben Angst, der Reichtum könnte weniger werden und wir wären in irgendeiner Weise nicht mehr abgesichert. Und dann kommen da Hunderttausende und wollen uns alles wegnehmen. Was wir nicht gerne denken ist die Tatsache, daß Kapitalistische Wirtschaftssysteme weltweit nur funktionieren, wenn sie auf systematischer Ungerechtigkeit und Rassismus aufbauen und auf Ausbeutung angelegt sind, von liberaler Freiheit und Gleichstellung kann keine Rede sein. Und dies führt zweifellos irgendwann zu Abwanderung von denen, die grad am meisten darunter leiden. Höchstwahrscheinlich ist eh immer der der Mächtigste, der über den Transit herrscht. Und die Kriege, die in „diesen Ländern“ von den ganz Bösen angezettelt werden – deren Kriege sind immer auch unsere Kriege, das sollte mal in unser Denken einsickern.
Was tun? Momentan einfach alles, was wir können, um Symptome zu lindern, unterbringen, versorgen…aber das wird auf Dauer nicht reichen, daß wir Millionen von Menschen irgendwo in abgelegenen Asylantenheimen als Randproblem unserer Gesellschaft verstecken? Wird es zur radikalen Transformation unseres Wirtschaftssystems kommen wie Avanessian voraussieht, und „das Fass der postdemokratischen Ignoranz zum Überlaufen und uns alle gemeinsam einer Lösung näherbringen“?
Was weiß ich. Ich sehe im Fernsehen Bilder von Menschenmassen im Münchner Hauptbahnhof, die einen kommen übermüdet aus den Zügen und die anderen versuchen ihnen durch Aufstapeln von Stofftieren und Altkleidung zu vermitteln, daß wir durchaus geruhen, so gnädig zu sein, sie aufzunehmen, wenigstens so lang, bis geklärt ist, wer tatsächlich würdig ist, in diesem heiligen Lande weiterhin leben zu dürfen. Alle scheinen für einen Augenblick glücklich zu sein, am Münchner Hauptbahnhof. Ein kleiner Bub saust schnell von der Hand seines Vaters weg, schnappt sich von einem Plüschtierhaufen einen Teddybären, klemmt ihn unter seinen Arm und geht an der Hand seines Vaters weiter, einem Ausgang zu.
Im Aldi bewegen sich die Leute, die auf dem Parkplatz die teuren Automarken stehen haben, langsam in der Schlange vor dem begehrten Backautomaten vorwärts. „Bitte gedulden sie sich einen Moment, unser Produkt wird ofenfrisch für sie zubereitet!“ – sagt eine sehr freundliche Stimme aus dem Nichts.
Es fällt mir das Bild wieder ein, ein Foto, irgendwo in Syrien, ein Kind liegt mitten auf der Straße, es ist an einem Bauchschuß verblutet. Die Mutter hatte es losgeschickt, es sollte ein Brot holen vom Bäcker auf der anderen Seite.
#PoetryForRefugees
Ich dank Dir ganz herzlich!
..
Die Menschen, die zu uns kommen, sind ein Geschenk. Wir müssen umdenken und umorganisieren, umverteilen und teilen, unser Denken ändern. Die Diskussion um die Schaden-Nutzen-Abwägung für Deutschland ist beschämend. Die Menschen brauchen Hilfe. Wenn jemand in Not ist, kann man doch nicht erstmal fragen, ob helfen einem selbst auch nützen wird.
Eine erschütternde Schlussfolgerung im ersten Absatz!
…und wenn das bisherige Wirtschaftssystem sich ändert – entsteht dann ein gerechteres? Von planwirtschaftlichen Erinnerungen aus DDR-Zeiten geplagt wage ich daran zu zweifeln.
Wenn wirklich 800 000 Flüchtlinge kommen sollten, und es sieht zur Zeit ganz danach aus, so sind eine bedeutende Mehrheit davon keine Kriegsflüchtlinge und auch keine Fachkräfte, sondern quasi Hauptschulabbrecher aus anderen Kulturen, geprägt von anderen Wertmaßstäben. Bisher scheiterte Deutschland daran, den eigenen mehr oder weniger gehandicapten Hauptschülern eine berufliche Perspektive zu bieten.
Werden unsere Wertmaßstäbe , die im Ethiklehrbuch stehen, (Vernunft, Humanität, Fairness, Toleranz usw.) die stärkeren sein? Schon unsere Volksvertreter scheitern tagtäglich an ihrer Umsetzung: Willkommenskultur bei gleichzeitigem Rüstungsexport.
Mich plagen da arge Zweifel.
O meine Güte, Du stellst Fragen! Wenn ich auf diese großen Fragen eine Antwort wüsste, ob unsere Wertmaßstäbe die stärkeren sein werden? Nein, das glaube ich so nicht, wir haben ein mehr oder weniger funktionierendes Rechtssystem, das notdürftig alle bestraft, die sich erwischen lassen bei groben Regelverstößen. Wir wissen, daß der Reichtum der einen auf der Ausbeutung der anderen basiert und wir wissen, daß es Menschen gibt, die sich jetzt endlich auch mal ein Stück vom Kuchen holen wollen, von Mord und Totschlag bedrohten mal ganz abgesehen, und dann gibts ja auch noch die vielen Millionen, die nicht wegkönnen, weil sie das Geld für die Schleußer nicht zusammenkriegen. Mir macht das alles auch Angst, ich glaube keineswegs an diese verlogene Willkommenskultur, wir liefern Waffen, gezielt dahin, wo es krachen soll, um zu irgendwelchen Bodenschätzen etc. zu kommen, ach weißt Du, ich kann auch nur in Polemiken dahinfabulieren…ich glaube nicht, daß es bei 800000 bleiben wird, es werden Millionen sein, es ist eine Völkerwanderung inm Gange und die läßt sich weder von Zäunen noch von überfüllten Schiffen abhalten und wir werden noch ganz andere Probleme kriegen als wir die mit Hauptschulabbrechern eh schon haben…wir kriegen nicht nur edle und dankbare Gutmenschen ins Land, sondern auch Räuber und Verbrecher, alles, was wir schon haben krigen wir nochmal, weil Menschen so sind und wir werden Leute ins Land kriegen, die darauf bestehen, ein Recht auf ein besseres Leben zu haben. Das Imperium scheint zurückzuschlagen, die Rechnung für Kolonialismus (hat nicht Frankreich immer noch eine Kolonie?) etc. wird uns präsentiert und Afrika scheint es auch nicht mehr zu genügen, Hauptabnehmer für unsere alten Klamotten und die abgelaufenenLebensmittel zu sein usw.usw. Ich weiß auch nicht, ob endlich mal die längst fälligen Einwandergesetze was ändern könnten…ich fürchte, es muß notwendigerweise dazu kommen, daß es uns tatsächlich sehr viel schlechter gehen wird und welche Art von Staat wir dann haben werden, wer kann das wissen, Deine Zweifel teile ich. Bei mir kommt auch noch hinzu, daß ich ja von einer Flüchtlingsfrau abstamme, da heißt es ja immer: alle waren damals gezwungen, Flüchtlinge aufzunehmen und es ging auch. Nein, es ging eigentlich nicht. Es hat nicht „funktioniert“, die Fremden blieben fremd und das wirkt bis in die nächsten Generationen. Meiner Mutter hat es den Boden unter den Füssen weggezogen, mein Großvater hat sie angespuckt, sie wurde zur Säuferin und lag mit 46 Jahren tot auf dem Sofa. Ich hab auch keine Ahnung, wie wir das alles schaffen sollen, aber sicher ist, daß wir was abgeben müssen, um die Menschen, die kommen, zu versorgen, denn einfach wegschicken, wie verhält sich das zu dem obersten Gesetz, das wir haben: Die Würde des Menschen ist unantastbar? Und…wen die Angst vor baldiger staatlicher Verelendung grad anpackt, der soll sich mal auf den Parkplätzen bei Aldi & Co. umsehen.
Wow. Genau. So wird das kommen. Das Flüchtlingsnachkommensschicksal teilen wir beide. Meins verlief gotttlob nicht so dramatisch, da beide Elternteile Vertriebene sind.
„Ich hab auch keine Ahnung, wie wir das alles schaffen sollen, aber sicher ist, daß wir was abgeben müssen, um die Menschen, die kommen, zu versorgen“.
Ja, das verstehe ich sehr gut …
Ach ja, weißt Du, grad eben sind wieder die Prospekte der hiesigen Lebensmittelgeschäfte ins Haus geflattert, meine Güte, in welchem irrsinnigen Überfluß wir leben! Diese riesigen Regale voller Zeug, wir brauchen das doch alles nicht, mir würde ein Bruchteil davon genügen, warum soll ich unter 35 Sorten Käse auswählen, wozu brauch ich die ganzen exotischen Früchte, wozu so furchtbar viel Fleisch und Wurst und tausend Fertigprodukte…soviel Obst fällt jetzt wieder vom Baum, das kein Mensch aufklaubt! Meine Großstadtfreundin sagt immer: ach, was wären da die armen Familien in der Stadt froh drum! Nein, sind sie nicht, leider! Niemand will sich die Arbeit machen, denn soviel Geld haben alle, um sich bei Aldi & Co. das schon abgepackte Obst zu kaufen. Wenn ich unsere wunderbaren Zwetschgen an die viel befahrene Bundesstraße stelle, nimmt sie kein Mensch mit. Ich glaube, wenn wir die Hälfte unseres gewohnten Lebensstandarts, den ich für puren Luxus halte, abgeben und auch statt vier Autos pro vierköpfiger Familie halt nur noch eins haben, dann tät es uns immer noch saugut gehen, glaub ich, und diese Geschichte von dem unabdingbaren Wirtschaftswachstum halte ich für eine große Lüge und bringt uns irgendwann um.
Allein: mir fehlen die Worte!
Gruß von Sonja