Mein Papa, die Zugharmonie und die kalte Sofie

Es wird schön langsam ein bisserl wärmer, immerhin haben wir schon 13 Grad vor der Küchentüre. Der Barometer zeigt „veränderlich“, und da ich nicht täglich nachschaue, weiß ich jetzt nicht, ob er runter- oder raufgeht. Du hast das immer gewußt, Papa, seltsam, was man vermisst, wenn ein Mensch nicht mehr da ist … ich weiß noch genau, wie es sich angehört hat, wenn Du am Abend vor dem Bettgehen kurz auf den Barometer geklopft hast, der im Hausgang neben der Stubentüre hängt. Jetzt sind die Eisheiligen vorbei, Pankraz, Servaz, Bonifaz haben uns schon wochenlang den verfrühten Sommer ausgetrieben und die kalte Sofie hat gestern noch den Rest vom Wintervorrat an Schneegraupeln um das Haus verteilt. Am Tag der kalten Sofie bist Du geboren und vor neun Jahren bist Du um 0.30 Uhr in Deinen 85. Geburtstag hineingestorben. Du hast geschlafen, ganz ruhig und leise habe ich Dich atmen gehört. Ich bin am Tisch gesessen und habe vor mich hingeschaut und dann hatte ich so ein Gefühl … und dann hast Du nicht mehr eingeatmet … und dann war es still, sehr sehr still. Ich habe das Fenster aufgemacht und dann war da so eine weiche Wehmütigkeit, die hat alles Schwere leicht gemacht und dann bist Du davongeflogen, in die Nacht und unendlich weit darüber hinaus.

Ich sitze in der Dunkelheit und lausche, aber es ist nichts zu hören. Weißt Du noch, Papa, wie ich manchmal in die Stube gekommen bin, weil ich Dich spielen gehört habe, und ich mußte erst mal das Licht anmachen, weil Du gar nicht gemerkt hast, daß es schon finster war. Und dann bist Du dagesessen im Arbeitsgewand und ich sehe noch so genau, wie die schwarzen Schmiedhände über die Tasten huschen, manche Tasten klappern ein wenig und ich höre sie schnaufen, die Zieharmonika. Du wirst immer in meinem Herzen bleiben, Papa, wie Du so dasitzt, ein Mensch mit seinem Instrument, in größter Wertschätzung werden sie zu einem einzigen Klang … wenn ich an Dich denke, Papa, dann ist meine Seele voller Musik.

Lange habe ich gesucht und dies hier gefunden, der Herbert Pixner ist sehr berühmt geworden und füllt große Hallen mit seiner Art, die Musik seiner Heimat zärtlich und behutsam in fremde neue Räume zu führen um sie, ohne ihre Herkunft zu verleugnen, weiten Horizonten zu öffnen. Als er die Alpler Polka gespielt hat, da war er noch unbekannt … wie er so dasitzt, diese Versunkenheit, dieses versonnene Lächeln, diese Hingabe …  das erinnert mich an Dich, Papa, und ich meine jetzt nicht die wundervoll schnarrenden Bässe und nicht die Virtuosität … sondern diesen Zustand, in dem einer durch das Spielen nichts anderes mehr sieht und hört, sich vergißt und selber zu Musik wird.

Ich liebe sie sehr, die Musik vom Herbert Pixner … aber was würde ich dafür geben, Dich wieder in der Stube spielen zu hören, so wie früher…

Papa.

19 Gedanken zu „Mein Papa, die Zugharmonie und die kalte Sofie

  1. Da kann ich mich der lieben Pega nur anschließen: hatte am Ende deines Textes Tränen in den Augen. Was für schöne Erinnerungen – danke, dass du sie (mit)teilst.
    Natascha

    1. Liebe Christiane, es ist ein Geheimnis um die Erinnerungen, man kann sie nicht steuern, sie kommen, wie sie wollen …
      ganz liebe Grüße an Dich mit Fliederduft und Bienengesumse

    1. Mit den Erinnerungen kommen die Geschichten, sie führen ein Eigenleben und lassen sich nicht steuern und wenn man Glück hat, können sie einen Menschen bewegen … hab Dank für Deinen Kommentar!

  2. ES wird wohl so gewesen sein, dass Dein Vater mit viel Herzblut und Hingabe über die Tasten der Ziehharmonika gehuscht sind … und genauso ist wohl auch mit Dir …Bei diesen Zeilen sind Deine Finger über die Tastatur gehuscht und zwar mit mindestens so viel Herzblut und Hingabe … Immer wieder aufs neue beeindruckend … die Kraft und die Poesie Deiner Worte … vielen Dank dafür !

  3. Meiner hat auch gegen das Barometer geklopft…, liebe Graugans, danke für diese Geschichte, und ja, diese Kleinigkeiten, die man so sehr vermisst. Herzlichste Grüße von Deiner Madame

    1. Liebe, wundervolle Madame, bitte nicht bösesein, daß ich solang nicht geantwortet habe … ach, wie zauberhaft, daß Du auch so einen Papa hattest, der an den Barometer geklopft hat, jetzt müssen wir es selbst tun, nicht wahr! Sei ganz lieb gegrüßt von Deiner Graugans

  4. Wie schön, wie traurig schön.
    Ich habe von meinem Papa das diatonische Akkordeon geerbt.
    Ab und zu versuche ich, ein wenig darauf zu spielen und dann denke ich mit Liebe an die Zeit, als wir saßen und redeten, lachten und sangen, und dachten, es ginge ewig so weiter.
    Wie schön das war..

    1. Das ist ja wunderbar, Dein Papa hat auch die Diatonische gespielt … ja, komisch, gell, die Väter sind weg und mit ihnen das Musizieren und Singen … ich bin aktiv auf der Suche nach Musikanten, die in unserer Stube spielen, einfach so und eine Brotzeit und ein Bier auf dem Tisch und Lachen und Singen … gar nicht so einfach … aber ich geb nicht auf, ich möcht wieder selbstgemachte Musik im Haus haben!
      Ganz liebe Grüße an Dich und Dank für Deine Besuche hier zwischen Himmel und Erde!

  5. Mein Vater hat früher auch gern Akkordeon gespielt, meist Samstagmorgen. Ich liebte diesen besonderen Klang, diesen Körpereinsatz beim Spielen. Das seltsame: ein oder zwei Jahre nach seinem Tod begann irgendwo in unserer Nachbarschaft plötzlich jemand Akkordeon zu spielen.. immer Samstags, gegen 10 Uhr. Einmal folgte ich der Musik, um zu hören, aus welchem Haus es kam. Weiter kam ich nicht. Es hörte auf.

Schreibe eine Antwort zu Studio GlummAntwort abbrechen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.