Karwoche…Josef Z.

„Werdet Vorübergehende“ (Apokryphen)

Wenn ich an „Passion “ denke, fällt mir nicht nur die Leidensgeschichte  von Jesus ein. Ich denke an einen, der auch eine Passion hatte und der früher oft in unserem Haus ein- und ausging. Josef Z. war eine Art Hausfreund meiner Eltern und Limonadenfabrikant. Er fuhr mit einem kleinen Lastwagen herum und verkaufte seine  „Kracherl“, das waren diese wunderbaren, klebrigen Limonaden in der Bügelflasche, in überwältigendem Rot der Himbeeren und in einem grandiosen Grün für Waldmeister. So gut wie diese Kracherl hat niemehr in meinem Leben irgendwas Trinkbares geschmeckt! Wir konnten nicht genug kriegen davon. Da wir aber nie Geld hatten, nehme ich an, daß der Josef einfach manchmal ein Tragerl mitbrachte, wenn er auf seiner Fahrt bei uns vorbeikam.

Er fühlte sich zum Sänger berufen und fuhr einmal wöchentlich nach Salzburg zum Gesangsuntericht. Davor oder danach kreuzte er bei uns auf, sagte: “ Küss die Hand, schöne Frau“,  und sah mich mit eigenartig saugenden, samtigen Augen lange, zu lange an. Das war mir nie so ganz geheuer mit 12, 13 Jahren und auch seine Aussprache war irritierend, denn er machte so sonderbare Zischlaute beim Sprechen, irgendwie kam er mit Luftein- und Ausstoß nicht ganz zurecht und die Worte drohten mit Sprühregen mir ins Gesicht zu platschen.

Also, ich mochte seine Kracherl bedeutend lieber als seine Aussprache und seine etwas zu nahe Anwesenheit.

Manchmal, wenn er einen guten Tag hatte, sprang er plötzlich in die Mitte der Stube und schmetterte ein Schubertlied. Wenn der Josef weg war, hatte mein Vater große Bedenken, ob aus diesem „Krawatteltenor“ mit seiner Knödelstimme wirklich mal was würde. Jahrelang ist er nach Salzburg gefahren und immer stand „der große Durchbruch“ bevor und die wirklich wichtigen Kontakte für Auftritte waren angebahnt und immer, treu und ergeben, machte er Station bei uns, um den neuen Stand der Karriere bekannt zu machen.

Nie war er verdrossen oder schlecht gelaunt, nie hat er sich beklagt, denn nie gab es Auftritte, nie gab es Applaus, nie gab es den Durchbruch. Aber immer hatte er seine Passion, an die er mit Inbrunst glaubte.

Seine Frau war längst abgehauen mit den Kindern, die Fabrikation war eingegangen, von was er lebte, wusste niemand, aber er fuhr weiterhin nach Salzburg und sah sich auf den großen Bühnen der Welt.

Viele Jahre später fanden wir ihn in erneut dienender Mission, aber nicht mehr der Sangeskunst, sondern seinem Bruder, einem bigotten, in fragwürdige katholische Bruderschaft entglittenen pensionierten Pfarrer in dessen ebenso fragwürdiger Einrichtung um eine Hl. Philomena herum, die in Wachs gegossen, in jungfräulicher Schönheit in der Mitte einer Kapelle auf Kissen ruhte.

Auf dem Dach der Kapelle eine, von einem versteckten Motor angetriebene rotierende Marienfigur.

Josef, inzwischen um die achtzig, begrüßte uns herzlich, zischelte mir sofort ein : „Küss die Hand, schöne Frau“ entgegen, nahm meine Hand und ließ mich das Kästchen seines Herzschrittmachers spüren, erzählte die viel zu lange und arg frömmelnde Schnulze einer Erweckung durch diese Heilige und beim Abschied rief er mir noch nach, daß er bald einen sehr wichtigen Auftritt habe, auf den käme es an und dann ginge es so richtig los mit der Karriere als Sänger.

Ach Josef, ich bin froh um jeden Spinner und Träumer in dieser gnadenlosen Wirklichkeit, hab Dank für Deine Geschichten und : „Küß die Hand!“

10 Gedanken zu „Karwoche…Josef Z.

  1. Mancher tut ihn als Spinner ab, andere sagen vielleicht, er hatte wengstens einen Traum.
    Gewiss ist es gut einen „Motor“ zu haben und wenn man der einzige Mensch ist, der ihn antreibt, dann ist das auch eine Stärke!
    Da steckt ganz fein viel in deiner Erzählung.

    Liebe Grüße,
    Silbia

  2. Ja, wirklich mal wieder großartig geschrieben … und solche „Sandler“ gibt es ja zu Hauf. Menschen, die sich abseits einer doch oftmals sehr kalten Welt, ihre eigene Welt aufbauen und darin vesinken.

    Und warum, verdammt nochmal, fallen mir da schon wieder die „Jagdszenen aus Niederbayern“ ein ?

    1. Irgendwie sind Deine Kommentare wie Balsam und höchst interessant: wie ist das mit den Jagdszenen aus Niederbayern gleich wieder…? Naja, und das mit den Sandlern…also, so ganz ganz sicher bin ich mir ja da auch nicht, bezüglich der eigenen Zugehörigkeit…!

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