Archiv der Kategorie: Heimat

Schlankeltage…

Heute ist die sechste Rauhnacht. In der Zeit dieser heiligen Zaubernächte haben schon die Altvorderen Vorkehrungen getroffen zur Abwehr der Dämonen, die um diese Zeit angeblich Haus und Hof, Mensch und Getier besonders bedrohen. Warum grad um diese Zeit , in diesen „Schlankeltagen“, wo alles ein wenig baumelt, „schlankelt“, nichts mehr austariert scheint zwischen Leben und Tod, ja, der Tod schlankelt mit, er lächelt freundlich, wie auch das Leben und alles dazwischen…also die Geschicke und die Räume für das Neue Jahr noch nicht zugeteilt wurden? Es ist mir ein Rätsel, warum in den Rauhnächten so eine Art Brennglas auf das, was wir „unser Leben“ nennen, gerichtet zu sein scheint, oder ist es ein überirdisches Vergrößerungsglas? Der Schmerz tut mehr weh, die Sehnsucht sehnt mehr, die Verluste brennen größere schwarze Löcher, auch längst abgelegte Sorgen sorgen sich wieder heftig, der Schlaf wird unruhiger, schwer wiegen Alter und Verfall der Körperlichkeit  und die verpassten Chancen verpassen sich erneut in den Nächten, in denen die Angst durchs Haus schleicht.

Und gleichzeitig passiert es, daß ich aus dem Stapel der Weihnachtswunschbücher „Alles hat seine Zeit“ von Karl Ove Knausgard herausziehe und mir sofort am Anfang ein Satz entgegenspringt, in dem steht, daß die Engel wahrscheinlich nur deshalb nicht in der Schöpfungsgeschichte vorkommen, weil sie schon vorher da waren! Während ich dem nachsinne, schwebt plötzlich von irgendwoher nach irgendwohin ein kleines weißes Federl durch den Raum. Und vor Glück fange ich an, zu weinen.

Und als Pagophila mir rät, der Kleinen „Lichtgestalt“ auf den Fersen zu bleiben, da seh ich sie wieder, als wäre es gestern gewesen, hier in diesem alten Haus in der Kammer über der Küche…ich muß ganz klein gewesen sein, ein paar Jahre alt, also nahezu vor 60 Jahren…da hatten wir Besuch, der über Nacht blieb, die zwei Kinder schliefen bei mir im Zimmer und da, mitten in der Nacht wachte ich auf, weil es plötzlich so hell war, so anders hell, es brannte kein Licht und da sah ich sie:  eine Gestalt aus weißem Licht beugte sich über eins der Betten und sah auf das Kind hinab…mehr weiß ich nicht. Niemand hat es je geglaubt, nur ich weiß, daß ich es gesehen habe. Ich kann es mir nicht erklären, es war einfach so und es machte mir keine Angst, obwohl ich ein sehr ängstliches Kind war.

Ja, das Projekt E. wird fortgesetzt, grade in diesen Zaubernächten will ich vermehrt horchen, nach außen und nach innen.

Ich bekomme den Hinweis, daß meine Mutter, die so außer Rand und Band war, daß ich mich 15 Jahre mit ihr quälen musste, eine Schwanenjungfrau war in Wirklichkeit und nicht hierher gehörte. Das würde nicht nur ihr plötzliches, tödliches Verschwinden erklären… ich muß dieses Märchen suchen…

Es schneit und schneit, wilde Stürme brausen ums Haus, es rüttelt und schüttelt sich das alte Gebälk.

Die uralte, wilde, ungestüme Frau Percht in ihrer Wintergestalt ist aus den Bergen, dort wo sie im Sommer wohnt, herabgestiegen und hat ihr wildes Heer um sich versammelt, sie jagen mit dem Sturmwind übers Land, hinter ihnen bauschen sich die Schneewolken. In ihrem Rucksack holt sie die Seelen der Verstorbenen ab und teilt neue zu. Sie nimmt und gibt, ist grausam und zart, alles gleichzeitig, Tod und Leben, gleichzeitig…immer…

Zeit…

Ein paar Himbeeren immer noch, sehr rot, sehr kalt. Der Estragon klein und mickrig, wollte nicht recht wachsen; ob der einen Drachen anlocken kann? Die Geranien blühen, wie den ganzen Sommer nicht! Wollen sie draussen bleiben in der Gefahr, eines Nachts zu erfrieren oder möchten sie hinein, um im Haus zu verdorren? Jedes Jahr die gleiche Frage und wieder keine Antwort, die ich dechiffrieren könnte. Bei allen Nachbarn sind sie längst auf dem Misthaufen gelandet, längst, seit vielen Wochen ist in allen Gärten und um die Häuser herum alles abgeschnitten, aufgeräumt, weggeschmissen, damit Ordnung herrscht. Ich hab wieder alles hinausgeschoben wie immer, sehe dem Verfall zu. Ein paar Igel rennen und fressen um ihr Leben.

Das alte Haus schweigt.

Die prallen Knospen der Rosen bleiben einfach so hängen und tun gar nichts.

Die kleinen Katzen klettern hoch hinauf in den Hollerbusch.

Um mich herum ist das Jahr in die Knie gegangen. Ich fröstle am Rande des Daseins entlang, es wird blau vor den Fenstern.

 

Die Zeit wälzt ihren Tagesleib

Hinauf ins Haus der

Blauen Stunde

Bürstet sich den

Sand aus dem

Haar und fällt

Nachtblind im

Abendgewand

In den

Tintenschwarzen

Bach

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Geheimnis im Schrank

Geld hatten wir nie, sondern Schulden, Streit, jede Menge Sorgen und einen Bücherschrank. Den Geruch beim Öffnen der Tür habe ich noch heute in der Nase. Es war mir verboten, in diesen Büchern zu lesen. Das sei nichts für Kinder, hatte es geheißen. Sie schienen Recht zu haben, denn obwohl ich sehr gut lesen konnte und hungrig war, blieben alle Versuche vergeblich, die Geschichten in den Büchern haben sich mir nicht erschlossen und standen mit ihren Geheimnissen im Schrank herum.

Ein Buch hätte ich so gerne gelesen, weil es meinen Eltern für kurze Zeit ein strahlendes Glück ins Gesicht gezaubert hat. „Von neun bis neun“, von Leo Perutz. Sie nahmen es sogar mit aufs Klo und meine Mutter stand an einem Werktag vorgebeugt am Eßtisch, hatte die ganze Arbeit ringsherum vergessen und las, verschlang, dieses Buch! Dann, als sie es endlich beide ausgelesen hatten, erzählten sie sich von ihren Erlebnissen, aufgeregt über den Inhalt aber vor allem über den Schluß des Buches. Nicht oft habe ich sie so glücklich gesehen, anscheinend, denn sonst wäre mir diese Begebenheit nicht seit annähernd 50 Jahren so deutlich in Erinnerung geblieben.

Vor allem die Mutter, lesend am Tisch stehend, auf die Ellbogen gestützt, versunken in einer anderen Welt. Daneben das Sofa, auf dem sie ein paar Jahre später tot daliegen wird.

Ja, natürlich habe ich dieses Buch ergründen wollen. Unzählige Male habe ich es gelesen, die Geschichte ist dermaßen verschachtelt und rätselhaft, sein Zauber kaum nachzuerzählen. Ein erfolgreicher Student, der viele Kapitel lang seine Hände unter dem Paletot versteckt hält…man muß da hineintauchen und sich ausliefern bis zu einem Schluß, der so genial wie verwirrend ist, daß ich ihn von Mal zu Mal vergesse! Meisterhaft erzählt, spannend und nervenaufreibend.

Ich hatte Leo Perutz lange Jahre vergessen, anscheinend die übrige Welt auch. Erst in den letzten Jahren ist er wohl wieder ins literarische Bewusstsein gelangt, Jorge Luis Borges verehrte ihn, merkwürdig, welchen Weg Geschichten manchmal nehmen!

Leo Perutz, geb. am 2. Nov. 1882 in Prag, am 25. Aug. 1957 gest. in Bad Ischl.

Nach der Lektüre von : „Der schwedische Reiter“ u. „Der Meister des Jüngsten Tages“ hat er mich so in seinen Erzählbann gezogen, daß ich alles lesen werde, was ich kriegen kann, der nächste Roman wird sein: „Wohin rollst du, Äpfelchen…“ Sein Schreibstil wird manchmal als Phantastischer Realismus bezeichnet, Borges hat ihn auf seine Liste der besten Kriminalautoren gesetzt, Traumdeutung Freud könnte einfließen, was weiß ich alles…die Geschichten sind merkwürdig, rätselhaft. Man hat es nicht leicht beim Lesen, wird in Irrgärten herumgeführt und wenn man endlich weiß, wo der Ausgang ist, dann gibt es völlig unerwartete Wendungen und wenn es das Nachwort ist, das alles bisher Vermutete völlig in Frage stellt.

Und diese Sprache, für mich klingt sie nach Prag, Wien, Karlsbad und alles dazwischen und  nach verschwundener Familie, verblassten Bildern und viel Theater und nichts wirklich und doch …Erinnerung…an was? Heimat?

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Wendekreis des Krebses

Den ewigen Tierkreis der Gestirne tanzen wir wie oben so unten, zwölf verschiedene Masken dürfen wir anprobieren, zwölf Räume und Gezeiten durchreisen und den Sehenden, die sich trauen, ins Große Nichts zu blicken, können sich zwölf Gesichter der Gottheit offenbaren.

Durch das Sternzeichen Krebs wandeln wir gerade und in den Nächten bittet Sie, die tausend Namen hat, als Mondgöttin Selene zum Tanz der Großen Mysterien.

Sie erscheint als Schöpferin der Zeit, eng verbunden mit den Wassern des Lebens, als strahlende Königin der Nacht lehrt Sie uns, daß alles Leben aus der Dunkelheit geboren wird und auch dorthin zurückkehrt. Auf Ihrer Stirn trägt Sie den Silberspiegel des Mondes. Im Reigen lehrt Sie uns den Krebsgang, langsam, eins vor, zwei zurück…Sie lehrt uns, den Panzer abzuwerfen,den eigenen Träumen zu folgen, zu wagen, immer weiter in das innerste Zauberreich unserer Seele zu tanzen und durch das Vertrauen in unsere Intuition zu Erkenntnis zu gelangen.

Es gibt keinen Anfang und kein Ende, alles fließt, von Dir zu mir, von mir zu Dir, ich spüre Dich, ich spüre mich.

Mond, Mond, ich liebe dein Silberlicht.

Ich fühle, also bin ich.

 

Maske

 

 

Apfelnuderlheimat…

Der Baum hatte letztes Jahr soviel kleine rote Apferln getragen, daß wir immer noch welche haben. Vor vielen Jahren hat meine Großmutter aus alten Lageräpfeln manchmal zuckersüsse „Äpfinudei“ gemacht. Das schien was ganz Besonderes gewesen zu sein, warum sonst hätte ich diesen Geruch ein Leben lang in der Nase und schmecke sie förmlich, diese heissen, zuckersüssen, gebratenen Apfelhäuflein? Merkwürdig, sooft hab ich versucht, sie nachzumachen, nie ist es gelungen. Erst jetzt schmecken sie annähernd so wie damals bei der Oma. Wahrscheinlich sind sie deshalb so gut, weil ich alles weggelassen habe, was wir in der heutigen Küche stets zur Hand haben, und meinen, es auch selbstverständlich jederzeit anwenden zu müssen: Eier, Zimt, Vanillezucker, Puderzucker, Vanillesoße, Eis etc.etc. Wer weiß, wahrscheinlich hätte meine Oma das alles auch verwendet, aber sie hatte es halt nicht und so ist dieses karge Rezept herausgekommen, heut sagen wir dazu: „Arme Leute Küche“, aus der Not heraus entstanden…schad irgendwie, diese Bezeichnungen, denn eigentlich ist es doch ein Reichtum, im Mai noch soviel zuckersüsse Äpfel vom eigenen Baum zu haben und mit einer Handvoll Mehl eine solche wunderbare Köstlichkeit zaubern zu können, oder?

Meine Oma hat die Äpfel geschält (die Schalen wurden im Kachelofen getrocknet und ergaben einen köstlichen Tee), und dann hat sie sie in ganz kleine Würferl geschnitten. Ich hab sie weder geschält noch geschnitten, sondern so wie sie sind, grob geraspelt und mit einer Handvoll Mehl vermengt, kleine Häuferl in irgendein heisses Fett gesetzt und gebraten. Mehr Rezeptangaben kann ich nicht machen, das muß man einfach selber herausfinden, bei mehr Mehl wird das Ganze halt mehliger, hält aber besser zusammen, wie auch immer, einfach probieren!

Was ich auch herausgefunden habe: Anfangs größere Hitze löst so eine leichte Karamelisierung aus, hmmmh, wunderbar!  Dazu gab es bei uns früher gar nix, wir haben die Nuderl einfach so gegessen, etwas fettig und süss, und ich meine, wir waren glücklich. Auch heut finde ich, braucht es weder irgendwelche geschäumten Sößchen noch Eis dazu, auch braucht es kein Stäuberl Zucker weder drin noch drauf, aber das ist natürlich Ansichtssache.

Heute ist wieder so ein etwas trister Regentag, alle, die noch irgendwo ein paar alte schrumpelige Äpfel herumliegen haben und die ein wenig süsses Glück brauchen…

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Heimat?

Das Projekt „Heimat“ (ausgedacht von Mützenfalterin)trage ich in meinem Leben herum. Bis jetzt bin ich noch nicht weiter gekommen als zu der vorläufigen Schlußfolgerung, daß Heimat nicht wirklich existiert, sondern etwas ist, das man verloren hat und nur dadurch weiß, daß es existierte, nicht wirklich erklärbar und schon gar nicht herstellbar, so ähnlich wie Treue, Freundschaft, Liebe…Glück? Wie die Jugend, die man ja auch nicht spürt, wenn sie da ist, sondern erst, wenn sie schon längst vergangen ist. Die Gesundheit, auch das so ein vager Begriff.

Ich lebe da, wo ich daheim bin, alles spricht für ihre Existenz, und doch ist sie eine Sehnsucht geblieben, diese „Heimat“.