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Herr Graugans fliegt nach Osten…

Mehrere äußerst seriöse Herren stehen relativ geduldig an der Absperrung im Salzburger Flughafen und beobachten genau, was Herr Graugans aus seinem Rucksack holt und als endlich die teuren Kameras und alle Filme, in viele Frühstücksbeutel vom Aldi verpackt und mit Ikeaclips verschlossen , auf die Schalen verteilt sind, fasst sich einer der Herren ein Herz und sagt: Darf ich Sie mal was fragen, Sie sind doch ein Profi oder? Denn wer heutzutage verreist denn mit so einer Ausrüstung und mit Filmen…richtigen Filmen? Nur ein Profi fotografiert noch mit Analogkamera … Profi … hmmmmh, sagt Herr Graugans, naja … nein … doch ja … nein kein Auftrag … eigene Erkundungen … Passsion … Kunst …sie werden weitergeschoben von den jetzt doch ungeduldig werdenden Herren … alle werfen mir noch einen anerkennenden Blick zu, als einer mir zuruft:  Also das ist ja ganz was Besonderes … Ja, da hat er Recht, der Herr Graugans ist ein besonderes Exemplar der Gattung Mensch, sonst würde ich nicht seit 33 Jahren mit ihm unsere gemeinsame Geschichte weiterspinnen!

Sie gehen weiter, viele Menschen kommen hinterher, ich höre noch … Istanbul – Kiew – Odessa – ins Herz von Europa … irgendwelche Auskünfte zur Analogkamera verstehe ich schon nicht mehr … ganz hinten taucht nochmal der schöne graue Kopf auf, ein strahlendes Lächeln im Graubartgesicht … ein winkender Arm … und schon ist er verschwunden, mein wunderbarer Herr Graugans, auf eine Erkundungsreise entlang seiner Sehnsucht, in den Osten.

Diese Reise ist schwer erkämpft, berufliche Selbständigkeit läßt kaum eine Lücke für eine Auszeit und wenn es nur zehn Tage sind. Um so mehr freue ich mich, daß er es geschafft hat, wegzukommen. Im letzten Moment, bevor ich ihn zum Flughafen bringe, finde ich unsere tote kleine schwarze Katze, die sich wohl mit letzter Kraft und sicher ganz unsäglichen Schmerzen heimgeschleppt hat, die Hinterbeine fast ganz abgeschnitten , nach dem üblichen maschinellen Schnelldurchlauf der Heueinbringung, der immer mehr zu einer gewaltsamen Heimsuchung wird für alles was wächst und kreucht und fleucht. Es soll angeblich Bauern geben, die gewisse Vorkehrungen treffen, die verhindern, daß Rehkitze oder Katzen totgemäht werden…unser kleines schwarzes Katzerl war leider auf der falschen Wiese.

Und so hat Herr Graugans vor seinem Abflug noch dieses arme Wesen vergraben. Ja, wir leben auf dem Land … die Menschen in der Stadt sagen immer, ach Ihr lebt ja hier draussen in einer Idylle … na ja, wie man´s  nimmt.

Die ersten wilden Rosen blühen.

Der ehrwürdige Nußbaum hinterm Haus scheint sich wieder erholt zu haben.

Draußen ist es brütend heiß. Ich sitze im Haus meiner Vorväter und es wird immer größer und leerer um mich herum. Sie ist eine Herausforderung, diese Leere und ich nehme sie an … sonderbar, wie wenig einsam ich mich dabei fühle.

Ich schenke dem Haus und mir ein paar Tage völliges Alleinesein, um wieder ins Gespräch zu kommen und ich brauche nur abwarten, was geschieht. Wir nehmen die Spürung auf, bis zum Morgengrauen sitze ich da und horche und dann endlich kriechen sie aus den Ritzen der alten Balken, die Geschichten … das Haus gibt sie frei und schenkt sie mir … legt sie mir förmlich vor die Füsse …

Oft schon habe ich mit dem Haus gehadert, es wie einen Klotz am Bein empfunden, wollte es loswerden und musste erkennen, daß es untrennbar mit meinem Herzen verbunden ist. Wenn ich auf die Sprache meines Herzens höre, dann höre ich auch, was das Haus zu mir sagt. Und ich höre außen, was innen gesagt wird. Ganz einfach. Und ich beginne wieder zu verstehen, was es will, weil mein Herz das auch will … es sind die Geschichten …immer wieder die Geschichten … das Haus braucht Geschichten … in der Stube sind unzählige Geschichten erzählt worden, immer schon, manche wurden gesungen, manche nur geflüstert, geschrieen, manche waren heimlich und existierten nur in Augenblicken, meine Mutter war eine Geschichtenerzählerin, Herr Graugans und ich sind es auch und viele, viele weitere sollen dazu kommen …

Ein Ort der Geschichten möchte es sein, dieses alte Haus … Diesem Wunsch werde ich gerne wieder nachkommen und liebe Menschen einladen, die alle ihre Geschichten mitbringen und das Haus füllen mit Zauber, Geheimnissen, Liebe, Abenteuern … mit allem, was das Leben so dabei hat. Die Tür ist auf für freundliche Reisende, die sich an den Tisch setzen wollen und erzählen ! Und mir fällt ein, was Herr Graugans gesagt hat, zum Abschied am Flughafen:

Reisen macht doch erst dann richtig Sinn, wenn man hinterher jemandem darüber berichten kann!  Ja, da ist was dran, ich brenne darauf, es zu erfahren!

Die Welt mag ja schlecht sein, aber eine gute Geschichte ist sie allemal wert!

Und sei es nur die von dem ehemaligen Rotarmisten, der jetzt in Kiew Taxi fährt und dessen deutscher Wortschatz besteht aus: „Erbswurst“ und „Naumburg an der Saale“, da war er nämlich stationiert.

Der Blog des Herrn Graugans, ein Roadmovie und noch viel mehr:

Erkundungen in der Ungleichzeitigkeit

 

Von einer, die auszog…

Ein paar Tage bin ich nun wieder daheim. Auf dem Bauernhof, da, wo alles anfing. Ein „Gütel“ nennt man so ein Anwesen wie das unsrige, wenn es zum „Gut“ nicht reicht, wenn es zum Leben zu wenig und zum Sterben zuviel ist. Das Weideland konnte grade so zwei Kühe ernähren und von der wenigen Milch trotzte die Großmutter noch so oft es ging ein wenig Butter ab, die sie dann zwölf km mit dem Fahrrad in die Kreisstadt auf den Markt brachte, um ein paar Pfennige für den Haushalt zu bekommen. Sieben waren es, zwei Mädchen und fünf Buben, die sie hier geboren und großgezogen hat.

Der Älteste wollte den Hof nicht, er und die zwei Schwestern heirateten woanders ein.  Einer war krank und ging zugrunde und zwei blieben im Krieg, gefallen an irgendeiner Front. Der Jüngste, mein Vater, übernahm den Hof.

Der Zweitälteste, der ihn kriegen sollte, ließ eine Frau und einen kleinen Sohn zurück, als er den Heldentod starb, meinen Cousin, den ich endlich, nach so vielen Jahren am Rhein besuche.

Ich werde liebevoll willkommen geheissen, jeder Wunsch wird mir von den Augen abgelesen, ich bekomme ein ausgeklügeltes Besichtigungsprogramm serviert, ich stehe auf der Fähre über den großen Fluss, flaniere durch wunderschöne alte Städte, werde ins Elsaß kutschiert und stundenlang durch die Churpalz gefahren, durch hügeliges Weinbergland,  viel plaudernde Freundlichkeit ringsherum, ich werde als die Cousine aus Bayern herumgezeigt. Ich bekomme Einführungen über russische Raumgleiter im Museum und über Kernkraftwerke, zu denen man niemals Atomkraftwerk sagen darf.

Über mir im offenen Verdeck des Wagens ein Himmel, der mir höher und weiter erscheint als im  Voralpenland, P. freut sich und legt ihn mir zu Füssen.

Und in allen Besichtigungspausen, beim Essen und am Abend in der Wohnung reden wir über früher…eigentlich reden wir pausenlos über früher. Und als ich im Dom zu Speyer an eine romanische Säule gelehnt dastehe, denke ich, wie weit man doch manchmal herumfahren muß, um zu erkennen, daß die ganze Reise nach draußen nur das eine Ziel hat, innen anzukommen.

Merkwürdig, P. fährt mich mit großem Aufwand in seiner Heimat herum und zeigt mir alles, gleichzeitig reden wir aber über meine Heimat, die wohl auch mal seine war. Und, obwohl er ein glückliches Leben hatte, zieht sich durch alles Erinnern eine kleine Wehmut, ich spüre sie in allen Antworten, die er mir auf meine Fragen gibt, aber vor allem in den Antworten, nach denen ich gar nicht frage.

Er hätte den Hof geerbt, wenn sein Vater nicht verschwunden wäre. Diese Tatsache sitzt zwischen uns im Auto und ich ahne die Zeichen einer alten Verbindung zwischen uns, wir teilen den Schmerz von verlassenen Kindern. Ein Hauch von Glück , durch dunkle, traurige Geschichten unserer Abstammung zu gehen und uns im hier und jetzt über alle Ungereimtheiten hinweg die Hände zu reichen.

Wir sitzen im Auto und fahren durch unsere Erinnerungen.

Auf dem Michaelsberg erfahre ich von einer geheimnisvollen Geschichte über einen ehemals dort hausenden grausligen Drachen und ich freue mich so darüber, an diesem Ort gelandet zu sein, weil Drachen älter als die Welt sind und ich ihre Spur verfolge…P. versteht zwar nicht, was ich meine, aber plötzlich weiß ich, er würde mich beschützen vor allem Bösen. Und ich weiß, daß ich den großen Bruder, den ich mir so gewünscht hätte, ein Leben lang schon hatte, ohne es zu wissen. Ich sehe seine Hände an und sehe die Ähnlichkeit. Alle in unserer Familie haben diese eher großen Hände, warm und trocken. Arbeitshände, die zupacken können. Ich mag unsere Hände, auch meine, die ein wenig zu weich sind um ständig zuzupacken.

Und als wir zum Auto gehen auf dem Drachenpfad, da hätte sich beinahe die Hand der kleinen Schwester in die des großen Bruders geschoben.

Ich treffe dann auch noch den Stiefvater meines Cousins und irgendwann verabschieden wir uns, nicht ohne die feste Zusage, doch nochmal in die „alte Heimat“ zu fahren, ja, gerne , bei uns ist die Türe offen, wir sind auch in der Seele verwandt. Vollbepackt mit vielen Geschichten und noch mehr offenen Fragen, mit Umarmungen und guten Wünschen und ein paar Tränen im Augenwinkel mache ich mich auf den Weg.

Am Ende meiner Reise verfahre ich mich total im Gewirr unbekannter Straßen und stehe vor einer verschlossenen Pforte. Ein freundlicher Fremder bittet mich herein, führt mich in ein kleines verzaubertes Gärtchen und überläßt mich für ein paar Stunden  einem goldenen Nachmittag und meinen Gedanken, die durch mich hindurchziehen wie die weißen Wolken über mir am blauen Himmel.

Märchenhafte Geschichten von zwei Kindern und dem Verschwinden seines Vaters, ihrer Mutter…der gemeinsame Großvater, der die eine Mutter vertreibt und die andere anspuckt, der große Krieg, die weinende Großmutter…die Hand im Butterfass…und zwei , die alt geworden sind und sich liebhaben wie Brüderchen und Schwesterchen…

aus einem kurzen Schlummer erwacht sehe ich rings um mich herum wunderschöne Rosen, die sich duftend in einem Sommerlüftchen wiegen…

ja, es war eine schöne Reise, weit hinaus und doch hinein und wohin man auch fährt und was man auch sucht…ich glaube, letztendlich findet man immer nur sich selbst…

bedächtig nicken die Rosen ihre Zustimmung, ich danke dem freundlichen Fremden für das Glück in seinem Garten und dann fahre ich heim.

 

Reich

Am 24. Juli um halb zehn Uhr abends, vor unglaublichen 64 Jahren, ist mein Vater mit dem Motorrad heimgekommen und hat glücklich und aufgeregt ins alte Haus hineingerufen:
„a Dirndl hamma, jetzt mog i a Halbe!“

Am Tisch sitzen zwölf Leute im alten Getreidekasten, mit vielen Kerzen, denn es gibt dort keinen Strom. Alle sind gekommen, um mit mir in mein neues Lebensjahr hineinzufeiern. Wir teilen alles, den Braten, den Wein, das Bier und unsere Geschichten. Mit vielen verbindet mich jahrzehntelange Herzensfreundschaft. Es wird durcheinander geredet, laut palavert über Sorg und Leid aber auch über die ganzen „wisst Ihr noch, als wir damals…“ und was wir alles schon miteinander erlebt haben, wo wir schon überall auf Exkursion waren, weil ich wieder einer geheimnisvollen Geschichte auf der Spur war, die in Radlkeller statt Kulthügel endete. Und auch darüber, daß überall auf der Welt sich die Menschen gegenseitig totschießen. Und wir sitzen hier und uns laufen die Tränen runter, weil wir so viel lachen. Ja, es gibt immer diese Gleichzeitigkeit. Irgendwo wird immer geschossen und woanders gelacht.
Ich fühle mich so beschenkt, ich sehe diese freundlich lachenden frohen Gesichter und ich frage mich:  Würden wir es erkennen, wenn einer von uns verlorenginge, depressiv würde und droht, abzustürzen…ja, ich bin sicher, wir würden uns suchen und da sein füreinander und uns halten.
Was für ein Glück, zu wissen, es sind Menschen da, auf die ich mich tausendprozentig verlassen kann.
Wir verändern die Welt nicht, wir sind nur wenige, aber  wir halten zusammen und wenn ein paar neue dazukommen, wird der Kreis einfach erweitert.  Wie selbstverständlich das junge afghanische Paar mit Baby dabeisitzt und mitlacht, wir sprechen nicht die gleiche Sprache und doch verstehen sich alle prächtig.
Augenblicke des Glücks. Irgendwann wird die Gitarre ausgepackt und die ersten Klänge jagen mir einen Freudenschauer über den Rücken. Heute darf ich mir aussuchen, was gesungen wird und wie oft und alle singen gutmütig mit, um mir eine Freude zu machen…unzählige Male mein Lieblingslied „an der Saale hellem Strande“, und nicht mehr zu zählen, wie oft wir  „Wilde Gesellen, vom Sturmwind umweht singen, weil mir
„…uns geht die Sonne nicht unter“ so gut gefällt…

…alles, alles wird gesungen, alles darf ich mir wünschen, meine Güte , wie reich ich doch bin!

„Whatever you want“…bis hin zum „Schuld war nur der Bossa Nova“…zwischendurch wird geblödelt bis zum Abwinken, manche Töne liegen nicht mehr ganz exakt, aber wir singen mit Inbrunst und aus Freude…aus purer Lebensfreude.

Beim vierstimmigen, magischen „Alperer“ – Jodler bekommen wir nasse Augen.

Und dann ist Mitternacht und Irm singt das wundervolle Lied: „Mir gehts ähnlich“ und da ich nicht genug kriegen kann davon, singt sie es halt mehrere Male.

Schade, ich hab es nirgendwo gefunden, sollte es jemand haben, tät ich mich so freuen, wenn ich es hier erklingen lassen könnte! Ich hoffe ja, daß der wunderbare Herr Ärmel das liest und…

Na, was sag ich denn, hier isses schon! (Herr Ärmel,Sie haben was gut bei mir! )

 

Ja, und irgendwann gehen alle heim oder liegen auf dem Sofa in der Stube und ich sitze vor meinen Geschenken und fühle mich vom Glück umarmt. Ich bin so reich beschenkt mit Gutscheinen für Ausflüge an geheimnisvolle Orte, Zaubergeschichten, Rosen, ein Freund schenkt in wissender Vorausschau eine Schachtel Blues vom Feinsten, um mich für das neue Lebensjahr musikalisch gut zu versorgen und stark zu machen für alles, was so kommt…einer schickt mir einen Wunsch durch die Nacht, der mir Glanz in die Augen zaubert und ein Seelenverwandter sagt, daß jetzt die beste Zeit wäre, um so richtig neu durchzustarten…soviele gute Wünsche fliegen durch alle Welten, analog und digital,

als ich um fünf Uhr am Geburtstagsmorgen ins Bett falle, bin ich nur noch dankbar und trunken vor Glück und ich denk mir, wenn ich in diesem Moment stürbe, tät ich es als reichste Frau der Welt!

Morgen werde ich zum Vater Rhein fahren, freue mich so sehr darauf, an den Großen Fluß zu kommen.

Aber heute gehe ich noch zu meiner wilden Mama und lege ihr meinen Herzensdank und eine rote Rose auf ihr Grab. Denn sie hat mir das allergrößte Geschenk gemacht:

Mein Leben.

Zwischenstand

Die erste Hälfte des Jahres ist um, Mitsommer vorbei, ich befinde mich in der Einflugkurve zu meinem 64. Geburtstag in ein paar Wochen, ich sitze auf der Hausbank und  sehe, daß die Kakteen unzählige Knospen haben. Merkwürdig ist das schon mit diesen Stachelgeschöpfen. Früher habe ich mich wirklich um sie gekümmert, habe sie umgetopft, von Läusen befreit, Erde ausgewechselt, alles getan, damit es ihnen gutgeht und das alles immer mit blutenden Händen, von abgeschossenen Stacheln verletzt. Geblüht haben sie nie.

Seit ich sie in die pralle Südsonne gestellt habe, ihnen hin und wieder ein paar Tropfen Wasser gebe und sie ansonsten nicht beachte, wachsen und gedeihen sie prächtig.

Aus einem wächst eine große, hellgrüne Kugel heraus.

Seit ich einen Hinweis auf die eigene Sterblichkeit bekam, ist mir so klar wie nie zuvor, daß ich mir die Wünsche, die ich habe selber erfüllen muß, von alleine geht da nämlich gar nichts. Und so werde ich mein eigenes diesjähriges Lebensprojekt weiter vorantreiben: Im Land herumreisen, Menschen treffen und Stätten mittelalterlicher Kunst aufsuchen.

Eine aufregende Reise und der Besuch bei einer Bloggerin liegt hinter mir, und ich denke mit einem Lächeln an ein paar vergnügliche Tage im Café Weltenall, herzlichen Dank an dieser Stelle nochmals an Ulli für die liebenswürdige Gastfreundschaft! Wir hatten lange, intensive Gespräche miteinander bei bester kulinarischer Versorgung, und es wird sicher nicht bei diesem Treffen bleiben.

In ein paar Wochen werde ich wieder verreisen und meinen Cousin P. in der Nähe von Speyer besuchen, hab schon etwas weiche Knie vor so langen Autobahnfahrten, und finde mich mutig und sehr cool, daß ich es trotzdem mache…werd schon überall hinfinden, schließlich ist ja auch ein Navi mit an Bord!

Freu mich so sehr auf alle neuen Eindrücke, die mich erwarten, vor allem auf den Dom zu Speyer und all das, was für P. Heimat bedeutet, die er mir endlich, endlich zeigen möchte. Unsere Familie ist ja mit diesen Kriegstragödien so verwoben, wenn der Vater von P. , der Bruder meines Vaters also, nicht im Krieg gefallen wäre, dann hätte er unseren Hof übernommen, meine Mutter wäre nicht aufgetaucht und ich wäre nicht auf der Welt, mein Vater wäre sonst wo gelandet. Merkwürdige Zusammenhänge sind das im Leben.

Ja, eine Kriegsgeschichte, mein Cousin ist mit Mutter und einem neuen sehr lieben Vater in der Nähe von Speyer gelandet und hat dort sein Leben verbracht und endlich, endlich komme ich zu Besuch und werde sehnsüchtig erwartet!

Das ist ein sehr schönes Gefühl, jemandem so willkommen zu sein. Ich frag mich ja, warum ich erst jetzt…egal, bald fahr ich los, das allein zählt.

Später im Jahr wird es eine Reise nach Leipzig geben mit einer kleinen Reisegruppe, ob wir da  sakrale Bauwerke auf der „Romanischen Straße“ besuchen werden oder ob wir nur in Leipzig unterwegs sind, das wird sich zeigen, freue mich sehr, endlich mal in den sogenannten Osten zu reisen und hoffe auf viele interessante Begegnungen.

Ja, fühlt sich gut an, so als ängstliches altes Mädchen mutig loszufahren (so weit das Geld halt reicht) hungrig nach Wissen, Eindrücken, Erlebnissen, Menschen und dann neu zu überprüfen, was „heimkommen“ wirklich heißt, denn wenn man nie weg ist…

Und von den Menschen, werden welche dabei sein, mit denen was bleibt? Wer weiß das schon. Aber einen Versuch ist es doch immer wert, nicht wahr?

Immer.

Die Dunkelheit schleicht sich immer näher an die Hausbank und streicht mir um die Beine.

Die glänzende grüne Kugel am Kaktus verändert sich, um 23.45 Uhr platzt sie auf und vor mir steht die strahlende Königin der Nacht!

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„Es ist einmal im Leben so…“

Am 9. April wäre meine Mama 94 Jahre alt. Unvorstellbar.

Am 09. 04. 1922 ist sie geboren, und wurde in der Wallfahrtskirche  der schmerzhaften Madonna in Mariaschein / Bohosudov, in Nordböhmen getauft. Bohosudov ist heute ein zentraler Ortsteil der Stadt Krupka in Tschechien, ca. sieben km nordöstlich von Teplitz – Schönau / Teplice.

Ihr Großvater mütterlicherseits, mein Urgroßvater, war Bäcker und Grundbesitzer. Ob das wirklich sich so zugetragen hat, daß der hundertste Erntewagen gefeiert wurde oder ob das eine der absolut glaubhaft vorgetragenen Geschichten meiner Mutter, der Märchenerzählerin, war, es ist mir völlig egal…mein Vater, der Moralist und Wahrheitsfanatiker, hat es ihr geglaubt…ach mein Vater, was wusste er schon von seiner fremden Frau?

Meine Großmutter ist mit 28 Jahren an der Schwindsucht gestorben. Vorher hatte sie zwei Mädchen geboren, meine Mama und ihre Schwester. Mein Großvater bekannte sich zur Vaterschaft, kam aber als Schwiegersohn zwecks Herkunft aus Schauspielerfamilie und deshalb mangelnder Seriosität nicht in Frage und durfte die Mutter seiner Kinder nicht heiraten.

Nach dem Tod der Mutter blieb das eine Mädchen bei den Großeltern und meine Mama wurde vom Vater mitgenommen in ein unstetes Gauklerdasein. Von Ort zu Ort, leben von der Hand in den Mund, große Saufgelage bei guter Kasse, wunderbares, aufregendes Leben, immer unterwegs, immer Applaus, immer bei ihrem geliebten Vater, dem Chef der Truppe, davon erzählte sie mir…von den Zeiten, in denen die Kasse leer war, sagte sie nichts.

Ihre Geschichten, dieser Schatz, den sie mir hinterließ, handeln immer von einem Gauklerleben mit einer Art Wanderbühne. Und ziemlich sicher ist, daß sie nie die Ophelia spielte, sondern irgendwelche Rollen in kitschigen Operetten und Boulevardkomödien, viel mit ihrem Cousin Richard, den sie liebte…es blieben nur Geschichten, in denen ich auf mich wirken lasse, was zwischen den Worten steht und davon handelt, wer sie war…

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Was macht die kleine Truppe eines Schmierentheaters irgendwo am Abend nach der Vorstellung…ja, ziemlich viel Blödsinn…in Sektflaschen pinkeln, die das Kind trinkt, weil es denkt, es sei Limonade…baden gehn im Attersee bei Vollmond und mein Großvater wischt sich ein paar Seegräser vom Kinn und hält den Kopf einer Ertrunkenen in der Hand…ach und all die Klamotten vom Leben auf der Bühne…

Heute werden diese Theatergeschichten nicht mehr erzählt, es hat sich alles gewandelt. Einer der letzten großen Komödianten, Maxi Böhm, der alle seine Geschichten immer damit begann: „Sie, ich kenn da einen in Reichenberg…“ hat Ähnliches erzählt wie meine Mutter, es handelt meist vom wilden Improvisieren, wenn wichtige Requisiten fehlten oder der Text oder irgendwas nicht funktionierte, dann wurde aus dem Stehgreif heraus was erfunden, was zu komischen Einlagen führte und das Publikum bestens bei Laune hielt.

Das konnte meine Mama, aus nichts ein wunderbares, wenn auch manchmal etwas seltsames Essen kochen und aus langweiligen Gästen ein fröhlich lachendes und ihr zujubelndes Publikum, das amüsiert um den Stubentisch saß und nicht mehr heimgehen wollte.

Mit 24 Jahren wurde sie aus Karlsbad verjagt und mit Viehwaggons in bayrische Sammellager transportiert und von dort in irgendeiner Gegend irgendeinem Haushalt zugeteilt. Damals war sie verheiratet mit einem, der irgendwo im Krieg verschollen ging.

Mein Vater konnte sie erst heiraten, als der erste Mann für tot erklärt war. Von ihm hat sie mir nie erzählt, kein Wort, da gab es keine Geschichte. Auch nicht von dem toten Kind, das sie angeblich geboren hatte, von dem ich aber erst viele Jahre nach ihrem Tod erfahren habe.

Als sie kam, hatte sie nichts dabei außer einem Fotoalbum mit ein paar wenigen Bildern von ihrem Vater und seiner neuen Frau und ihren Kindern, einem Bild von sich auf irgendeiner Bühne und ein paar Bildern, von denen sie mir nie sagte, wer die Menschen waren, die mich anschauen.

Es passt nichts, gar nichts zusammen, ich habe keinen roten Faden durch ihre Biographie, die Zeitangaben stimmen nicht überein.

Zwischen den Zeilen der lustigen Geschichten der Boheme eines Wandertheaters scheint das traurige Schicksal eines Kindes durch, um das sich niemand richtig kümmerte und das keine Heimat hatte.

Und hier bei uns war sie auch wieder eine Fremde und das blieb sie bis zu dem Zeitpunkt, als sie für immer davonflog.

Sie konnte so wunderbar blödeln, es war ihr nichts heilig, sie hatte diesen Humor aus dem Osten, der Menschen grade dann zum Lachen bringt, wenn eigentlich alles zum Weinen ist…“Humor ist, wenn man trotzdem lacht“, ja, das passte auf sie! Irgendwann schien das Weglachen nicht mehr zu genügen, da setzte sie sich auf ihr Fahrrad und verschwand…mein Vater suchte sie wochenlang, bis er sie fand, irgendwo in den Bergen auf einem verwahrlosten Bauernhof, da nahm er sie wieder mit nachhause. Dann versuchte sie, sich wegzusaufen. Eines Vormittags lag sie tot auf dem Sofa, kurz nach ihrem 46. Geburtstag.

Sie hat mir nichts zurückgelassen außer einem großen Knäuel Traumgarn, an dem Geschichten hängen und das sich, je mehr es abgewickelt wird, neu nachspinnt.

Und zwei Einträge in Poesiealben, einen für mich

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und einen für das Fräulein Poldi, einer gleichfalls Verjagten, die mit ihrem Bruder in unserem Stüberl hauste – geschrieben mit dem Pelikano Füllfederhalter, den ihr mein Vater geschenkt hatte.

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„Es ist einmal im Leben so…“ ist ein Lied aus der Operette „Zum Weissen Rössel“ und sie liebte dieses Lied, ich glaube, daß ich heute, fast fünfzig Jahre nach ihrem Tod endlich verstehe, warum.

Nicht nur in meinem Herzen wird am 9. April eine Kerze brennen für meine wilde, einsame Mama und dieses Lied schicke ich auch noch nach, hinauf zu den Sternen!

 

 

Auf der Hausbank

Ich sitze auf der Hausbank vor dem alten Haus in der Sonne und der Himmel über mir ist so blau und weit und hoch und ein Hauch von Ewigkeit durchströmt mich, ein zartes leises Glück inmitten aller Flüchtigkeit läßt mich demütig werden und mich bedanken dort hinauf.

Es ist, wie es ist. Gestern ist vorbei, morgen weiß niemand, was kommt und heute kann gelebt werden.

Dieser Meinung bin ich auch, sagt die Graugans, die soeben gelandet ist  und ihr Gefieder putzt.

Ja, meine liebe Graue, wo warst Du denn so lang?

Polarwinde. Richtung verloren. Expedition abgebrochen. Sturzflug. Notlandung . Treiben im Eismeer. Bekomme mächtig eins vor´n Bug. Angeschossen. Rettung Eskimos. Zusammengeflickt. Nicht gebraten und gefressen. Glück gehabt! Dankeschön. Leidlich flugtauglich. Richtung wieder aufgenommen. Wind Richtung Süden abgepasst. Heimgeflogen. Pause. Wenn Löcher im Gefieder verheilt – Plan für neue Expedition liegt vor.

No risk no fun, nicht wahr?

Sagts, zieht das eine Bein hoch , steckt den zerzausten Kopf unter den Flügel und hält den Schnabel.

Ich liebe Dich, weißt Du das denn?

Ja ja, ich Dich auch, aber jetzt keine Sentimentalitäten, möchte mich sammeln.

Aber…

Auch keine Fragen, muß schlafen.

Aha, na dann ist ja alles…irgendwie…gut…oder?

 

Ich strecke die Hände weit hinauf, dem Himmel entgegen und der fließt an meinen Armen herunter und fließt und fließt und ich werde zur Frau in Blau…

wie schön.

Damals im Altvatergebirge

Mindestens ein Jahr lang war ich auf der Suche nach dem Film:  „Alois Nebel“, einer Graphic Novel. Der Tailer allein hatte mich sofort in diese Geschichte eingesaugt, es gab kein Entkommen mehr.

Das einzige Kino in München, das ihn zeigte, nahm ihn sofort wieder aus dem Programm, nachdem nur ein einziger Mensch ihn sich ansah.

Ich hatte die Hoffnung schon fast aufgegeben, da veranstaltete das Literaturhaus Salzburg ein deutsch-tschechisches Kulturfestival und endlich wurde der Film gezeigt und hinterließ nachhaltige Spuren und bis heute habe ich Bilder und Musik im Kopf.

Ich halte diesen Film für herausragend in jeder Beziehung, möchte aber kein Wort mehr darüber verlieren, denn Bludgeon, dem „Alois Nebel“ auch unter die Haut ging, hat dazu was erarbeitet.

Einen Text, der so dicht ist und schmerzend wahrhaftig – ach einfach so gut geschrieben, mit großem Wissen und aus dem Herzen, kann ihn nur empfehlen:

Bludgeon – Alois Nebel

Ja, in diesem Film geistert auch meine Mutter irgendwo durch den dunklen Wald. Bis heute weiß ich nicht, von welchem Ort genau sie „vertrieben“ wurde…war sie gerade in Karlsbad, oder wo wurde sie gepackt und in einen Viehwaggon gesteckt? Ich werde es wohl nie mehr erfahren, sie ist schon so lange tot.

Was ich aber mit erschreckender Klarheit weiß: Ich wäre ohne die Verteibung meiner Mutter nicht am Leben. Was für merkwürdige Fügung.

 

die Band, untrennbar mit dem Film verbunden

Reisende…

In der Nacht vor Allerheiligen, die Alten sollen Samhain dazu gesagt haben, die Einladungen sind hinausgeflüstert in dieses schwarze Gewölbe, an dem die Sterne hängen. Keine Antwort. In der Laterne brennt eine Willkommenskerze. Aus dem Mond fließt das Licht in den Schmetterlingsflieder und der zeichnet wandernde Muster auf das Pflaster vor dem Haus. Die Eingeladenen werfen keine Schatten mehr. Es kommt eh niemand, denn es gibt keine Wiederkehr von dort, wo wir alle mal hingehen, wenn unsere Zeit gekommen ist, nicht wahr? Auch nicht, wenn noch so viele Fragen offen geblieben sind.

Viele sind durch dieses alte Haus gegangen und alle, ob sie lang oder kurz hier lebten, sind auf der Hausbank vor dem Haus gesessen. Jetzt ist es Nacht, alle in der Nachbarschaft liegen längst in den Betten, der Administrator schläft vorm Fernseher in der Stube, nur ich sitze allein und proste allen, die hier mal saßen, mit neuem Most zu, zuckersüß und ein wenig perlend. Auf Euch trinke ich, die sich abgeplagt haben, diesen Hof zu erhalten und ihn weiterzugeben. Manchmal spür ich die Last dieses Erbe auf mir, denn wir haben keine Kinder, ich bin die letzte dieses Namens hier, an wen soll es weitergegeben werden? Was soll einmal werden? Die große Sorge meines Vaters.

Ein schwacher Geruch einer brennenden Virginia schlängelt sich durch die Luft, Papa? Viele Western kannst vergessen, aber die mit dem Cupper Gerri, die sind einfach so gut, daß man sie immer wieder anschaun kann, sagt er und dann sagt er noch: was wohl aus dem Herrn Breuer geworden ist?

Ja, den hab ich auch eingeladen, keine Ahnung, in welcher der Welten er sich momentan bewegt. Der Breuer war ein weitgereister, gebildeter Mann und der sagte immer, er hätte alle Traumstraßen der Welt schon gesehen, aber dieses Stückerl Straße auf der Salzburger Autobahn, da, wo man runterfährt und den Chiemsee vor sich liegen hat, das wäre das schönste auf der Welt. Ja, dieser Herr Breuer war wohl ein Reisender, keine Ahnung, wer er war und was er tat, er tauchte ein paar mal im Jahr bei uns auf und verschwand wieder, zwischendurch kamen Ansichtskarten von der ganzen Welt. Meine Eltern und der Herr Breuer mochten sich und saßen bis in die Nacht hinein kaffeetrinkend und rauchend und palavernd in der Stube und es wehte mit ihm die große weite Welt herein. Das vermisse ich sehr, daß es heute keine so Herr Breuers mehr gibt bei uns. Früher tauchten immer mal wieder so Gestalten auf, mit denen wurde nächtelang über die großen Fragen der Welt diskutiert, meine Mutter kochte Bohnenkaffee und zu essen gab es extrem scharfen Quargel, d.h. so eine Art Quark mit viel Kümmel und Paprika und manchmal auch ziemlich sauren Wein dazu und manchmal tanzten sie Rock´n Roll auf dem Stubentisch…sag mal Papa… aber er ist schon weg, in der Ferne höre ich ihn einen Landler pfeifen…

Und meine Mutter, kommt sie oder nicht, ich kann mich ja auch gar nicht mehr erinnern…ein leises Lachen höre ich irgendwo, Mama, das Lachen hast Du mir vererbt und dieses Gaukler- Gen…ich soll aus einer Theaterfamilie stammen, ach was, Mama, Gaukler wart Ihr und mein Großvater war ein Windhund, nicht wahr…wieder dieses Lachen…ach Mama, ich glaube, Du warst eigentlich auch eine Reisende, eine vom fahrenden Volk, aber Du bist festgesesssen auf diesem Hof und da sind dann alle zu Dir gekommen, Du hast sie angezogen mit Deinen rehbraunen Augen und Deinem Humor, der auch vor Zoten keinen Halt machte und wenn Besuch kam, hast Du über die größten Berge dreckigen Geschirrs einfach eine Decke gebreitet, Du konntest eigentlich gar nichts, was im richtigen Leben brauchbar gewesen wäre,  Du warst eine Schmierenkomödiantin, auf nichts konnte man sich bei Dir verlassen, aber das mit Charme und Bravour und Theatralik, und geschämt hast Du Dich vor nichts und niemand!

Eines Tages hast Du das Sofa als Rampe benutzt und bist weggeflogen, für immer.

Im Lauf der Jahre sind die Palavereien in diesem Haus weniger geworden, es wurde nicht mehr geraucht und nicht mehr so viel gesoffen, und die alten sind gestorben und von manchen weiß man  nichts und so Besuche wie vom Herrn Breuer gibt es schon lange nicht mehr…wer schaut schon „einfach so“ vorbei? Wenige haben noch Geschichten dabei und schon gar niemand hat mehr Lust, Geschichten zu hören oder möchte über die großen Fragen philosophieren..ohne Termindruck. Ich hör Dich wieder lachen Mama, ja, und ich lache mit, hier, alleine auf der Hausbank in der Nacht.

Nacht, Nacht, wie weiße Pferde kommt Nebel ums Hauseck getrabt, aber sonst wohl niemand mehr zu Besuch aus der Anderswelt.

In dem uralten sumerischen Mythos horcht die Mondgöttin Inanna im Großen Oben in das Große Unten und das, was sie da hört, wird dazu führen, daß sie ihr irdisches Reich verläßt, um hinabzusteigen in die Unterwelt und dort viele rätselhafte Dinge zu tun.

Ich erhorche nichts, die Nacht ist sehr still, eine Katze streicht um meine Beine, ich möchte nicht absteigen, da hinunter, noch nicht. Ich denke an eine, die schon lange dort unten ist, sie, eine Lady, alle Männer lagen ihr zu Füssen, leider meiner auch, sie war meine Freundin, meine beste Freundin, wir konnten uns das Leben ohne einander nicht vorstellen, wir schrieben uns Gedichte, wir wären füreinander durchs Feuer gegangen, bis wir uns verraten haben, sie wählte einen Säufer als Mann, sie gebar Kinder, ertrug alles, was das Leben Ihr brachte gefasst und in Würde, in Opferbereitschaft und ohne zu jammern und vor ein paar Jahren ist sie verhungert, leise ..sie legt den Finger auf die Lippen, ich soll nichts mehr sagen, nicht mehr weiterreden, ich soll alles lassen. Ja,  gut, obwohl, die Freundschaft zerbrach, aber die Liebe? Die ist geblieben. Ja, meine Freundin mit den Jadeaugen, meine Liebe zu Dir ist geblieben.

Die Rosen duften stark, immer noch.

KREUZBERG SÜD-OST …

Menschenschwärme

Daß die toten Menschen im Lkw auf irgendeinem Parkplatz an der Autobahn erst entdeckt wurden, als sie sich bereits in stinkender Brühe aufzulösen begannen, die heruntertropfte, das hat mich in eine abgrundtiefe Traurigkeit versetzt und den kleinen Buben, der tot am Strand liegt, bringe ich nicht mehr aus dem Kopf. Wenn es stimmt, was im Talmud steht, daß, wer ein Menschenleben rettet, die ganze Welt rettet – dann stimmt auch der Umkehrschluß, dann geht die Welt bei jedem vergeudeten Leben unter.

In der Zeitung steht neben einem Spendenaufruf: „Jedes Kind ist ein Zeichen der Hoffnung für diese Welt.“ Ja, und der Kleine, der da im Sand liegt, ertrunken, weil es bei uns nicht möglich ist, legal ins Land zu kommen, der war wohl auch mal ein Zeichen der Hoffnung, und was ist er jetzt?

Der Kapitalismus und damit seine Eliten hätten abgewirtschaftet, schreibt der Philosoph Armen Avanesian in seiner „Kampfschrift“, einem blitzgescheiten Aufsatz zum gegenwärtigen Durcheinander der ins Land drängenden „Menschenschwärme“ und die verachtenden „Lösungsvorschläge“ für die „Flüchtlingsproblematik“.

Das Land ist reich, sehr reich sogar und alle haben Angst, der Reichtum könnte weniger werden und wir wären in irgendeiner Weise nicht mehr abgesichert. Und dann kommen da Hunderttausende und wollen uns alles wegnehmen. Was wir nicht gerne denken ist die Tatsache, daß Kapitalistische Wirtschaftssysteme weltweit nur funktionieren, wenn sie auf systematischer Ungerechtigkeit und Rassismus aufbauen und auf Ausbeutung angelegt sind, von liberaler Freiheit und Gleichstellung kann keine Rede sein. Und dies führt zweifellos irgendwann zu Abwanderung von denen, die grad am meisten darunter leiden. Höchstwahrscheinlich ist eh immer der der Mächtigste, der über den Transit herrscht. Und die Kriege, die in „diesen Ländern“ von den ganz Bösen angezettelt werden – deren Kriege sind immer auch unsere Kriege, das sollte mal in unser Denken einsickern.

Was tun? Momentan einfach alles, was wir können, um Symptome zu lindern, unterbringen, versorgen…aber das wird auf Dauer nicht reichen, daß wir Millionen von Menschen irgendwo in abgelegenen Asylantenheimen als Randproblem unserer Gesellschaft verstecken? Wird es zur radikalen Transformation unseres Wirtschaftssystems kommen wie Avanessian voraussieht, und „das Fass der postdemokratischen Ignoranz zum Überlaufen und uns alle gemeinsam einer Lösung näherbringen“?

Was weiß ich. Ich sehe im Fernsehen Bilder von Menschenmassen im Münchner Hauptbahnhof, die einen kommen übermüdet aus den Zügen und die anderen versuchen ihnen durch Aufstapeln von Stofftieren und Altkleidung zu vermitteln, daß wir durchaus geruhen, so gnädig zu sein, sie aufzunehmen, wenigstens so lang, bis geklärt ist, wer tatsächlich würdig ist, in diesem heiligen Lande weiterhin leben zu dürfen. Alle scheinen für einen Augenblick glücklich zu sein, am Münchner Hauptbahnhof. Ein kleiner Bub saust schnell von der Hand seines Vaters weg, schnappt sich von einem Plüschtierhaufen einen Teddybären, klemmt ihn unter seinen Arm und geht an der Hand seines Vaters weiter, einem Ausgang zu.

Im Aldi bewegen sich die Leute, die auf dem Parkplatz die teuren Automarken stehen haben, langsam in der Schlange vor dem begehrten Backautomaten vorwärts. „Bitte gedulden sie sich einen Moment, unser Produkt wird ofenfrisch für sie zubereitet!“ – sagt eine sehr freundliche Stimme aus dem Nichts.

Es fällt mir das Bild wieder ein, ein Foto, irgendwo in Syrien, ein Kind liegt mitten auf der Straße, es ist an einem Bauchschuß verblutet. Die Mutter hatte es losgeschickt, es sollte ein Brot holen vom Bäcker auf der anderen Seite.

Die Wahrheit der Rose

Die alte „New Dawn“ war explodiert vor Blüten und wildwuchernden Ästen, die dem daneben „am Kreuz hängenden“ Spalier-Birnbaum unter die Achseln griffen und sich um seinen Hals wanden, so daß er wohl auf der einen Seite seine ganze Kraft brauchte, um sich mit der Rose zu arrangieren und deshalb nur auf seiner anderen Seite Birnen produziert.
Jetzt ist lang schon der Höhepunkt überschritten und die ganze Blütenpracht hängt in braunen Klumpen hernieder. Soll ich nicht auch diese ganzen wilden Triebe mit abschneiden, denke ich. Kannst du schon machen, sagt die Rose aber bedenke, daß beim Falschen auch das Gegenteil falsch ist, beim Richtigen ist es umgekehrt…
Vor mir liegt ein Haufen dornigen Gestrüpps…wie hattest du das gemeint? Aber die Rose lächelt versonnen und schweigt.
Ich lege mich zu den Katzen ins Gras unter dem Birnbaum, lasse den Sommer vergehen und die Zeit verstreichen.