Archiv der Kategorie: Alte Geschichten

Damals im Altvatergebirge

Mindestens ein Jahr lang war ich auf der Suche nach dem Film:  „Alois Nebel“, einer Graphic Novel. Der Tailer allein hatte mich sofort in diese Geschichte eingesaugt, es gab kein Entkommen mehr.

Das einzige Kino in München, das ihn zeigte, nahm ihn sofort wieder aus dem Programm, nachdem nur ein einziger Mensch ihn sich ansah.

Ich hatte die Hoffnung schon fast aufgegeben, da veranstaltete das Literaturhaus Salzburg ein deutsch-tschechisches Kulturfestival und endlich wurde der Film gezeigt und hinterließ nachhaltige Spuren und bis heute habe ich Bilder und Musik im Kopf.

Ich halte diesen Film für herausragend in jeder Beziehung, möchte aber kein Wort mehr darüber verlieren, denn Bludgeon, dem „Alois Nebel“ auch unter die Haut ging, hat dazu was erarbeitet.

Einen Text, der so dicht ist und schmerzend wahrhaftig – ach einfach so gut geschrieben, mit großem Wissen und aus dem Herzen, kann ihn nur empfehlen:

Bludgeon – Alois Nebel

Ja, in diesem Film geistert auch meine Mutter irgendwo durch den dunklen Wald. Bis heute weiß ich nicht, von welchem Ort genau sie „vertrieben“ wurde…war sie gerade in Karlsbad, oder wo wurde sie gepackt und in einen Viehwaggon gesteckt? Ich werde es wohl nie mehr erfahren, sie ist schon so lange tot.

Was ich aber mit erschreckender Klarheit weiß: Ich wäre ohne die Verteibung meiner Mutter nicht am Leben. Was für merkwürdige Fügung.

 

die Band, untrennbar mit dem Film verbunden

John

angeregt durch:
Geschichtengenerator von Jutta Reichelt

 

Lieber John

Es ist alles schon so lange her, da standest Du eines Tages auf dem Flur jener Station im Kreiskrankenhaus, auf der ich als Lernschwester gestrandet  war. Wir waren beide so um die 18 / 19 Jahre alt. Ein viel zu großer Arztkittel hing an Deinem langen, dürren Gestell, unten schauten zerbeulte Jeansbeine heraus, die etwas ausgefranst da endeten, wo nicht ganz saubere Clarks anfingen. Du hattest glänzende schulterlange dunkle Haare, einen zotteligen, dunklen Jungmännerbart, den weichsten Mund, den ich je gesehen hatte und Augen, die mich so sanft und gutmütig anlächelten…ich mochte Dich sofort, auf der Stelle.

Wir hatten kaum was miteinander zu tun, es trennten uns Kontinente, wenn nicht gar Welten, Du hast das vorgeschriebene Praktikum absolviert, um dann Medizin zu studieren und warst meist in der Nähe der Ärzte, sehr weit entfernt vom Dasein einer Lernschwester.

In Pausen standest Du, meist übernächtig und blass, irgendwo mit den anderen Praktikanten zusammen, Ihr habt über die „wirklich harten“ Sachen von irgendwelchen Bands gesprochen und von brandneuen Scheiben…manchmal stand ich dabei, konnte aber nicht mitreden, weil ich bis heute noch nicht weiß, von was für Musik Ihr damals gesprochen habt. Ganz sicher waren es nicht Herman´s Hermits oder Smokie und  Creedence Clearwater Revival, die ich liebte, waren sicher auch nicht „hart“ genug, oder?

Immer warst Du sehr freundlich, und wenn Du mich angeschaut hast, mit so sanften Augen, dann, lieber John, spürte ich nicht mehr die Last dieser Katastrophe zuhause, die ich mitschleppen musste, sondern dann war ich einfach jung und unbeschwert und tanzte durchs Leben.

Manchmal sah ich Dich mit ein paar Kumpels irgendwo auf Parties herumstehen, Du hast mich angesehen, das wars aber auch schon.

Irgendwann hab ich all meinen Mut zusammengenommen und Dir einen Brief geschickt. Dieser Brief war lang und zwei Drittel handelten davon, daß ich ja eigentlich nichts von Dir will, wie das halt ein junges, verträumtes und schüchternes  Mädchen so schreibt, das genau das wollte und am liebsten Tag und Nacht Deinen weichen Cat Stevens Mund geküsst hätte…

Mit großer Sehnsucht, aber ohne Hoffnung, daß Du mir zurückschreiben würdest, hast Du genau das getan! John, Du hattest meine Worte ernst genommen und mir auf vielen Seiten mit der unglaublich bezaubernden Poesie eines verträumten jungen Mannes ganz zart versucht, klarzumachen, daß aus uns wohl nichts werden kann.

Kurz danach warst Du weg, wir haben uns nie wieder gesehen. Für mich begannen die wilden Münchner Jahre, Deinen Brief habe ich immer wieder mal gelesen und es wurde mir warm ums Herz dabei. Irgendwann verblasste die Schrift und ich habe ihn feierlich verbrannt.

Vor ein paar Monaten fuhr ich zufällig an Deinem Heimathaus vorbei und sah Dich am Auto stehen, Du warst dabei, Gepäck auszuladen aus dem Kofferraum. Du hast wohl meinen Blick gespürt auf Deinem Hinterkopf, denn Du drehtest Dich um und unsere Augen saugten sich ineinander, nach über vierzig Jahren. Du bist ein schöner älterer Mann geworden, John, ja, vielleicht siehst Du immer noch ein wenig aus wie Cat Stevens, Du bist viel kleiner als ich Dich in Erinnerung hatte, genau noch so dünn und etwas ungelenk in den Bewegungen…ob Du wohl noch genau so meckernd lachst wie früher…ich fürchte, Du schreibst schon lange keine poetischen Briefe mehr, nicht wahr, John? Und ob Dich heute noch jemand John nennt? Unwahrscheinlich. Auf Deinem alten Bubengesicht sind die Spuren vieler Jahre Allgemeinarztpraxis, Ehe, Kinder, Enkel, Eigenheim und großes Auto sichtbar…aber Deine Augen sind sanft geblieben, und Du bist immer noch so blass, John.

Als ein entgegenkommendes Auto hupt, fahre ich weiter, ich drehe mich um und sehe, daß Du mir nachschaust. Ich glaube nicht, daß Du mich erkannt hast.

John, damals, der Brief von Dir, da mußt Du was übersehen haben, das war ein Liebesbrief.

Der schönste in meinem Leben.

 

9. Rauhnacht…auf Haaresbreite

An irgendeinem Abend stand sie in irgendeiner Kneipe am dunklen Ende des Tresen, da wo die Toilette gleich ums Eck war und wartete vergeblich auf eine Bekannte. Sie trank das zweite Bier und wollte zahlen. Da stand er neben ihr, sagte dem Barkeeper einen Musikwunsch, drehte sich zu ihr um, sah sie an und sagte: “ Mädchen, Du hast so traurige Augen , hör diesen Song, der ist für Dich. Stell Dir vor, es ist Sommer und heiß und Du fährst alleine im Auto die Küste von Amalfi entlang…wenn ich wiederkomme, möchte ich Dich lächeln sehen“, dann verschwand er. Als er wiederkam, lächelte sie, da begann die Haaresbreite.

In den nächsten Wochen traf sie ihn ab und an, er stellte sich eine Weile zu ihr an den Tresen und sie redeten über alles Mögliche, Gott und die Welt, über den Gesang der Wale und Zeitungsmeldungen und über ihr Leben. Sie erzählte ihm von ihren Träumen. Er blieb meist so lange bei ihr stehen, bis seine Freunde nach ihm riefen. Dann sagte er zu ihr : „denk dran, es ist Sommer und heiß in Amalfi“, da musste sie immer lächeln und er sagte, „so will ich Dich haben, Mädchen“ und dann sagte er: „Tschüss, bis bald“.

Meistens begegneten sie sich einmal in der  Woche, wenn er nicht kam, vermisste sie ihn. Nie hatten sie sich berührt, nur ein einziges Mal lagen zufällig ihre Hände so nah beieinander, daß sie sich um Haaresbreite berührt hätten,  und um Haaresbreite hätte sie ihn lieben können.

Irgendwann einmal kam er spät, klopfte kurz mit dem Knöchel auf den Tresen, wie Männer das tun, wenn sie in Eile sind und sagte: „na Mädchen, alles gut bei Dir…jaja, alles gut und bei Dir? Jaja, auch alles bestens, viel Arbeit, also dannmachsgut, ja, Du auch, wir telefonieren mal, jaja“. Als er die Kneipe verließ, drehte er sich nicht mehr um und sie wusste, die Haaresbreite war vorbei.

Als der Barkeeper dieses verdammte Lied spielte, tropfte der See aus ihren Augen und ihr Handrücken wurde nass. Das Taschentuch, das ihr der freundliche Herr neben ihr anbot, lehnte sie ab.

In der Nacht suchte sie in der Mülltonne nach der zerknüllten Italienkarte.

Reisende…

In der Nacht vor Allerheiligen, die Alten sollen Samhain dazu gesagt haben, die Einladungen sind hinausgeflüstert in dieses schwarze Gewölbe, an dem die Sterne hängen. Keine Antwort. In der Laterne brennt eine Willkommenskerze. Aus dem Mond fließt das Licht in den Schmetterlingsflieder und der zeichnet wandernde Muster auf das Pflaster vor dem Haus. Die Eingeladenen werfen keine Schatten mehr. Es kommt eh niemand, denn es gibt keine Wiederkehr von dort, wo wir alle mal hingehen, wenn unsere Zeit gekommen ist, nicht wahr? Auch nicht, wenn noch so viele Fragen offen geblieben sind.

Viele sind durch dieses alte Haus gegangen und alle, ob sie lang oder kurz hier lebten, sind auf der Hausbank vor dem Haus gesessen. Jetzt ist es Nacht, alle in der Nachbarschaft liegen längst in den Betten, der Administrator schläft vorm Fernseher in der Stube, nur ich sitze allein und proste allen, die hier mal saßen, mit neuem Most zu, zuckersüß und ein wenig perlend. Auf Euch trinke ich, die sich abgeplagt haben, diesen Hof zu erhalten und ihn weiterzugeben. Manchmal spür ich die Last dieses Erbe auf mir, denn wir haben keine Kinder, ich bin die letzte dieses Namens hier, an wen soll es weitergegeben werden? Was soll einmal werden? Die große Sorge meines Vaters.

Ein schwacher Geruch einer brennenden Virginia schlängelt sich durch die Luft, Papa? Viele Western kannst vergessen, aber die mit dem Cupper Gerri, die sind einfach so gut, daß man sie immer wieder anschaun kann, sagt er und dann sagt er noch: was wohl aus dem Herrn Breuer geworden ist?

Ja, den hab ich auch eingeladen, keine Ahnung, in welcher der Welten er sich momentan bewegt. Der Breuer war ein weitgereister, gebildeter Mann und der sagte immer, er hätte alle Traumstraßen der Welt schon gesehen, aber dieses Stückerl Straße auf der Salzburger Autobahn, da, wo man runterfährt und den Chiemsee vor sich liegen hat, das wäre das schönste auf der Welt. Ja, dieser Herr Breuer war wohl ein Reisender, keine Ahnung, wer er war und was er tat, er tauchte ein paar mal im Jahr bei uns auf und verschwand wieder, zwischendurch kamen Ansichtskarten von der ganzen Welt. Meine Eltern und der Herr Breuer mochten sich und saßen bis in die Nacht hinein kaffeetrinkend und rauchend und palavernd in der Stube und es wehte mit ihm die große weite Welt herein. Das vermisse ich sehr, daß es heute keine so Herr Breuers mehr gibt bei uns. Früher tauchten immer mal wieder so Gestalten auf, mit denen wurde nächtelang über die großen Fragen der Welt diskutiert, meine Mutter kochte Bohnenkaffee und zu essen gab es extrem scharfen Quargel, d.h. so eine Art Quark mit viel Kümmel und Paprika und manchmal auch ziemlich sauren Wein dazu und manchmal tanzten sie Rock´n Roll auf dem Stubentisch…sag mal Papa… aber er ist schon weg, in der Ferne höre ich ihn einen Landler pfeifen…

Und meine Mutter, kommt sie oder nicht, ich kann mich ja auch gar nicht mehr erinnern…ein leises Lachen höre ich irgendwo, Mama, das Lachen hast Du mir vererbt und dieses Gaukler- Gen…ich soll aus einer Theaterfamilie stammen, ach was, Mama, Gaukler wart Ihr und mein Großvater war ein Windhund, nicht wahr…wieder dieses Lachen…ach Mama, ich glaube, Du warst eigentlich auch eine Reisende, eine vom fahrenden Volk, aber Du bist festgesesssen auf diesem Hof und da sind dann alle zu Dir gekommen, Du hast sie angezogen mit Deinen rehbraunen Augen und Deinem Humor, der auch vor Zoten keinen Halt machte und wenn Besuch kam, hast Du über die größten Berge dreckigen Geschirrs einfach eine Decke gebreitet, Du konntest eigentlich gar nichts, was im richtigen Leben brauchbar gewesen wäre,  Du warst eine Schmierenkomödiantin, auf nichts konnte man sich bei Dir verlassen, aber das mit Charme und Bravour und Theatralik, und geschämt hast Du Dich vor nichts und niemand!

Eines Tages hast Du das Sofa als Rampe benutzt und bist weggeflogen, für immer.

Im Lauf der Jahre sind die Palavereien in diesem Haus weniger geworden, es wurde nicht mehr geraucht und nicht mehr so viel gesoffen, und die alten sind gestorben und von manchen weiß man  nichts und so Besuche wie vom Herrn Breuer gibt es schon lange nicht mehr…wer schaut schon „einfach so“ vorbei? Wenige haben noch Geschichten dabei und schon gar niemand hat mehr Lust, Geschichten zu hören oder möchte über die großen Fragen philosophieren..ohne Termindruck. Ich hör Dich wieder lachen Mama, ja, und ich lache mit, hier, alleine auf der Hausbank in der Nacht.

Nacht, Nacht, wie weiße Pferde kommt Nebel ums Hauseck getrabt, aber sonst wohl niemand mehr zu Besuch aus der Anderswelt.

In dem uralten sumerischen Mythos horcht die Mondgöttin Inanna im Großen Oben in das Große Unten und das, was sie da hört, wird dazu führen, daß sie ihr irdisches Reich verläßt, um hinabzusteigen in die Unterwelt und dort viele rätselhafte Dinge zu tun.

Ich erhorche nichts, die Nacht ist sehr still, eine Katze streicht um meine Beine, ich möchte nicht absteigen, da hinunter, noch nicht. Ich denke an eine, die schon lange dort unten ist, sie, eine Lady, alle Männer lagen ihr zu Füssen, leider meiner auch, sie war meine Freundin, meine beste Freundin, wir konnten uns das Leben ohne einander nicht vorstellen, wir schrieben uns Gedichte, wir wären füreinander durchs Feuer gegangen, bis wir uns verraten haben, sie wählte einen Säufer als Mann, sie gebar Kinder, ertrug alles, was das Leben Ihr brachte gefasst und in Würde, in Opferbereitschaft und ohne zu jammern und vor ein paar Jahren ist sie verhungert, leise ..sie legt den Finger auf die Lippen, ich soll nichts mehr sagen, nicht mehr weiterreden, ich soll alles lassen. Ja,  gut, obwohl, die Freundschaft zerbrach, aber die Liebe? Die ist geblieben. Ja, meine Freundin mit den Jadeaugen, meine Liebe zu Dir ist geblieben.

Die Rosen duften stark, immer noch.

KREUZBERG SÜD-OST …

Canzun de Sontga Margriata

Drachen seien älter als die Welt, hat mal wer geschrieben, ja, das glaube ich sofort.
Auf der ganzen Welt gibt es Drachen. Auch hier, in Oberbayern, sollen sie vorkommen, dachte man wenigstens in alten Zeiten und erzählte sich Geschichten. An mehreren Orten soll es den „Tatzelwurm“ gegeben haben und wenn man mal den ganzen romantischen Monsterkitsch weglässt, der ihm aus Gründen der Touristenbegruselung angedichtet wurde, dann wird dahinter in Drachengestalt eine mächtige, Alte Kraft sichtbar. Über das Land ist ein dichtes Netz von Kirchen gespannt, die der Hl. Margarete geweiht sind, und die führte den Drachen an lockerer Leine. Die Hl. Margarete, eine der Drei Ewigen, mächtige Zauberin, Fee, Hüterin der Alten Wilden Kraft, die zwar gezähmt, aber an sehr lockerer Leine an ihrer Seite tänzelt, ja, Margarete, die mit dem Drachen tanzt! Kirchen wurden nur an Orten mit besonderen Kräften gebaut. Wie alles zusammenhängt: Linien der Kraft, heilige Orte, die Drachenspur…niemand kann heute mehr sagen, um was es da genau geht, das, was an Wissen über die Mysterien der Alten Kräfte übrigblieb, nachdem unzählige weise Frauen und Männer im Mittelalter verbrannt oder förmlich abgeschlachtet wurden, das haben die Winde der Gezeiten verweht.
Heute können wir nur noch behutsam die sogenannten Orte der Kraft aufsuchen und versuchen, zu spüren und zu horchen und uns nicht dem reisserischen Erlebnisdrang hingeben…denn wir finden nur uns selbst und wir bekommen das, was wir mitbringen…und doch…es gibt schon sehr besondere Orte, wo wir die Chance bekommen, ein wenig genauer zu spüren, was ist…es ist nicht zu erklären, was genau da passiert. Ich ahne es mehr als ich es weiß, ich muß der Spur der Margarete folgen, oder ist es die Spur des Drachens und ich weiß nicht einmal, wo es mich hinbringen wird…im Höchstfall zu mir, so hoffe ich.
„Erkenne dich selbst“, stand im Orakel von Delphi und soll die Antwort auf die Großen Mysterien sein.
Auf der Spur der Margarete bin ich zur uralten Geschichte der Sontga Margriata gestossen, in vorchristlicher Zeit soll sie auf einer Alm am Kunkelspass in der Schweiz gelebt haben und es gibt dieses geheimnisvolle Lied über sie in rätoromanischer Sprache…da arbeitet eine „Diale“ (räroroman. für ein feenartiges, nichtmenschliches weibl. Wesen), eine mächtige Zauberin verkleidet als Sennbursche auf einer Alm ganz hoch droben und weil sie nicht respektiert wird verschwindet sie…alles Glück geht mit ihr fort…

er – Innern

Erinnern:  althd.  „innaro“ : inwendig

Wie weit geht Erinnerung zurück, über unser Leben hinaus? Wenn wir doch in unserer DNA das Erbgut der gesamten Menschengeschichte gespeichert haben, dann tragen wir die „Erinnerung“ an alles in den Genen mit uns herum. Manchmal gibt es diese visionären Erlebnisse, rätselhafte Deja-vu, unerklärliches Wiedererkennen von Orten, Gestalten, Begegnungen…

Manchmal fällt mir was ein, es fällt in mich hinein oder er – innere ich es? Es gibt in der Bayrischen Sprache eine Redewendung, die heißt: Etwas  „inner werden“, nur sehr unzulänglich in Schriftdeutsch mit „erfahren“ übersetzt. Wenn ich was „inner werde“ oder was „er – innere“, dann hat es was mit Innen zu tun, ganz egal, woher es kommt.

Aus dem kleinen Wäldchen, in dem wir meinten, nach einem verplauderten Abend noch schnell eine Walpurgisfeier veranstalten zu können, wurden wir vertrieben von einem heftigen Sturm, der förmlich aus dem Nichts bei sternenklarer Nacht über uns herfiel, begleitet von einem Nebelschwaden, der wie eine leckende Zunge sich um uns schlängelte…es wird einfach nichts, wenn man meint, man dürfe auch halbherzig und weil doch so eine magische Nacht ist, durch die dünnen Schleier der Welten…nein, nur wer reinen Herzens ist, heißt es doch im Märchen, der findet die Schätze…man findet nur das vor, was man mitbringt, nur dann wird man was „Inner“ !

Sie scheinen mir zu folgen,  in gebührlichem Abstand, wie viele weiß ich nicht, und sie kreuzen immer wieder meine Wege und machen sich bemerkbar, und immer wieder zeigen Namen an, daß sie da sind!

Walpurgis:

Walburg, die Sybille, eine Seherin.

Die Große Vala, Göttin Hel, Herrscherin des Totenreiches

In Niederösterreich und Böhmen erscheint Walpurga als Weiße Frau (Sonnengöttin), mit feurigen Schuhen (Erdwärme), goldener Krone (Sonne), Spiegeln(Seelenspiegel, Auferstehung), Spindel (Spinnen des Schicksals), Sie wird gefeiert in der letzten Nacht der dunklen Jahreshälfte.

Völva, die Seherin, wichtigstes Attribut: „Walus“, der Stab.

Die „Völuspa“ (isl.), die Weissagung der Seherin, in der „Edda“, berichtet von Frauen, die weissagend über das Land zogen, zu dritt, zu zwölft, eine allein…

Ich sehe sie vor mir gehen, mit langen, nachtblauen Mänteln, sie gehen auf weiter Ebene, die Stäbe funkeln im Mondenschein und der Mond ist rot. Waren es Feen, Göttinnen, weise Frauen, Heilerinnen, ganz sicher waren es „Sehende“…sind sie ausgedacht, gab es sie wirklich, entspringen sie Sehnsüchten, oder waren sie schon immer da, gehen mit uns durch den Kreis des Lebens aber wir sehen sie nicht mehr? Alles bleibt nur Fragment und doch gehen sie vor mir, manchmal folgen sie mir, ich bin sie „inner“ geworden, sie möchten, daß wir uns an sie er – innern, schwer, sie zu verstehen, denn sie haben weder Körper noch Stimme, wir müssen das  Horchen mühsam lernen, vielleicht hat Erinnern mit Nach- innen-horchen zu tun. Irgendwas haben sie vor mit mir, was soll ich wissen? Ich bin bereit.

Herzlichen Dank an Monika Philip und ihre sehr gute Seite „Altes Wissen im Jahreskreis“, für das Verwendendürfen von „sachdienlichen“ Hinweisen zu Walpurgis und sicher auch zu den Wölfischen Tänzen an Sommersonnwend!

 

 

Schmerzensmann

Wie schnell und immer schneller wir doch durch die Zeit schießen…Ostern vorbei, die Passionswoche, der Kreuzweg, die Parabel vom Leiden und grausigen Sterben eines Menschen, der wohl bis zum Schluß auf die Hilfe des göttlichen Vaters gehofft hatte. Schreckliche Ahnungen in der Nacht am Ölberg und das Ende, die fürchterliche letzte Konsequenz: keine Rettung für einen gewöhnlich Sterblichen. „Vater, warum hast Du mich verlassen?“ Weil Er nicht „rettet“, das ist nicht vorgesehen. Wir sind im Großen Kreislauf doch auch nichts anderes als kleine Zellen, die sich neu bilden und wieder absterben, alles wandelt sich ständig, aber wir sind wohl die einzigen Zellhaufen, die an einer Form festhalten wollen und mit aller Kraft, die wir haben, ignorieren, daß wir bereits an den Rändern ausfransen…wir laufen doch nur für einen Augenblick durchs große Weltenbild, im Höchstfall ein kurzes Aufleuchten und schon sind wir weg. Erst durch eine „Diagnose“ bekommen wir dann sozusagen das Todesurteil und dann schwitzen wir am Ölberg Blut und Wasser, denn jetzt wissen wir, wir sind sterblich. Und die Freunde am Ölberg haben geschlafen, ja, denn wer will schon dem eigenen, drohenden Tod ins Auge schauen im anderen Menschen?

Durch die Passion hat mich ein Spruch begleitet, wie ein Koan trage ich ihn in mir, manchmal ist mir, als würde eine Tür aufgehen, nur einen Spalt, aber sobald ich hinsehe, ist sie schon wieder verschlossen: „Werdet Vorübergehende.“ Einer der vielen umstrittenen, sehr rätselhaften Worte Jesu in den sogenannten „Apokryphen“, warum sich grad der Spruch mir angeheftet hat, weiß ich nicht, jetzt ist er da und begleitet mich.

Ja, natürlich, es gibt dann die Auferstehung, das Ende einer Parabel, das besagt, daß es kein Ende gibt. Interessanterweise legen hierüber die äußersten Randfiguren der Geschichte Zeugnis ab: Drei Frauen bemerken das leere Grab und sie haben die heilige Ahnung, daß soeben der Tod überwunden ist. Die Ahnung sei Ihnen von Engeln eingeflüstert worden…naja…wer´s glaubt!…Vielleicht haben sie es ja bemerkt, weil sie es ursprünglich wussten: die Erste spinnt den Faden, die Zweite reicht ihn weiter, die Dritte schneidet ihn ab, während ihn die Erste schon wieder gesponnen hat…und sind doch alle drei die Eine! Und alles, alles dreht sich im Kreise auf uralte Weise – und – das Ende hat stets den Anfang im Mund.

Das Göttliche Geheimnis hat kein Geschlecht, nicht wirklich, aber das Kind in mir sucht nach Bildern. Ich bin kein religiöser Mensch und mißtraue den gängigen Glaubensparolen und doch bin ich wohl eine Gottsucherin geblieben. Und ich suche vor allem die Spuren der alten Muttergöttinnen, vielleicht deshalb, weil ich meine Mutter schon so lange verloren habe. Und überall, wo SIE ist, ist auch ER, von Ihr geboren, Göttin und  Schmerzensmann, so als müsste ich Seine Geschichte erfahren um Sie zu verstehen? Nichts darf ausgelassen werden auf dem Weg, alles muß erfahren werden, Verrat, falsche Hoffnungen, Krankheit,  Einsamkeiten, Tod und Leben, Liebe, Freude…alles sollten wir durchtanzen, nirgends bleiben, weiter und weiter die Zeiten und Räume durchwandern im ewigen Tanz durch den Weltenkreis. Frei wie der Wind  möchte ich leben, manchmal ein Sturm, peitsche ich Wellen, reisse die Dächer von den Häusern, als lauer Wind streiche ich sanft über Blumenköpfe, so frei, frei bin ich, meine Gedanken versetzen Berge , bringen Vulkane zum Explodieren, lassen Wunden heilen und mein wildes Lachen läßt mich auf Wolken springen…so wild und frei tanze ich mit dem Drachen…trotz alledem!

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Epiphanie: Erscheinung, Offenbarwerden (griech. epiphaneia)

Heute das Fest der drei Königinnen:

Die Werdende.

Die Gewordene.

Die Seiende.

 

Die, die das Leben gibt,

die das Geschick zuteilt,

und die beides wieder zerreißt!

 

Eine Krone aufsetzen, Rauch zum Himmel steigen lassen und ein wenig tanzen, Perchta zu Ehren, Strahlende Wandlerin…in uns!

Wenn drei Frauen sich zusammentun, sieht man die Sterne am lichten Tage.

Weisheit aus Indien

Letzte Rauhnacht

Es spricht Frau Percht:

„Ich bin, die ich bin,

die war,

die ist,

die immer sein wird.

In den Sommern lebe ich in den Bergen, in den Wintern wandle ich zwischen den Welten, ich steige in die Unterwelt hinab und fliege über den Himmel. Stets begleiten mich starke Kräfte durch Zeiten und Räume, Ihr nennt sie „Dämonen“, manche sagen „Engel“.

Ich sammle verirrte Seelen ein und trage sie in meinen Apfelgarten. Stets ist mein Rucksack voll davon, die einen wollen hinein, die anderen hinaus, ich gehe von Haus zu Haus.

Aus meinem Apfelgarten stammt Ihr alle und dorthin werde ich Euch wieder tragen, wenn Eure Stunde gekommen ist.

Ihr habt mir viele Namen gegeben, Ihr habt mich angebetet, verteufelt und vergessen.

Ich aber bin, die ich bin.

Alles dreht sich im Kreise nach ewiger Weise

und

das Ende hat stets den Anfang im Mund.

Heute Nacht werde ich zu Licht .

Achte gut auf Deine Wünsche, sie könnten in Erfüllung gehen!“

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Gefahr ist mein Geschäft

„Als ich wieder zu mir kam, blendete mir das Licht aus den Fenstern gegenüber direkt in die Augen. Mein Hinterkopf schmerzte. Ich betastete ihn, und er fühlte sich klebrig an. Ich wälzte mich langsam herum, wie eine Katze in einem fremden Haus, brachte mich auf die Knie und langte nach der Flasche Scotch auf dem Taburett am Ende der Couch. Wie durch ein Wunder hatte ich sie nicht heruntergerissen. Ich war im Fallen mit dem Kopf auf den prankenartigen Fuß eines Sessels geschlagen. Das hatte mich weit schlimmer mitgenommen als der Schwinger des jungen Jeeter. Die Blessur an meinem Unterkiefer konnte ich zwar auch durchaus spüren, aber sie war doch nicht wichtig genug, als daß ich sie extra in mein Tagebuch hätte eintragen mögen.

Ich erhob mich auf die Füße, nahm einen soliden Schluck von dem Scotch und sah mich um. Es gab partout nichts zu sehen. Das Zimmer war leer. Es enthielt nur noch Stille und die Erinnerung an ein hübsches Parfüm. Eins von jenen Parfüms, die man erst bemerkt, wenn sie fast verschwundn sind, wie das letzte Blatt an einem Baum. Ich betastete erneut meinen Kopf, berührte die klebrige Stelle mit dem Taschentuch, kam zu der Überzeugung, es lohne sich nicht, deswegen groß Geschrei zu machen, und genehmigte mir einen weiteren Drink.“

Raymond Chandler:  Gefahr ist mein Geschäft

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