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24 T. – Mutmaßungen … Tag 3: Über das Wasser

Das Wasser

Der Zauber des Wassers liegt in der bloßen Tatsache seiner Existenz. Immer schon ist es dagewesen, um uns und in uns. Es kann uns umschließen und tragen, durchdringen und ertränken, doch wir, wir können es nicht einmal festhalten, weil es grenzenlos und niemals greifbar ist. Das Wasser, in das ich jetzt springe, ist nicht dasselbe wie jenes, in das ich gestern eintauchte und ein anderes als das, in welches ich mich morgen begebe. Schwimmen ist unsere Chance, mit dem Wasser auf Tuchfühlung zu gehen, uns mit ihm zu verbinden und zu verständigen, wohingegen jeder Versuch, das Wesen des Wassers in Worte zu gießen, zum Scheitern verurteilt ist: denn die Sprache ist das Festland und das Wasser sein ungreifbares Gegenüber, glattweg fließt es uns davon wie die Zeit. Nur ein zartes Geschöpf mit verschwommenen Konturen verfing sich in meinem Netz, ansonsten fischte ich im Trüben.

 

***

 

Beinahe bis zum Hals steht es mir momentan, das Wasser. Ein ungewohnter Zustand, zwar nicht per se, jedoch per mesi. Den besorgten Blick dem fernen Ufer zugewandt, doch der Körper kann der Blickrichtung nicht mehr folgen. Ein wenig Grund spüren sie noch, die Füße, ihre Zehen krallen sich fest in den Schlick, dass es an Rist und Sohlen schmerzt. Sicherer Stand ist auf diese Weise nicht möglich. Längst zu gelähmt, um an Land zu schwimmen, zu groß ist der Widerstand des Wassers. Die bange Frage taucht auf, was wohl zuerst geschieht: Steigt zunächst der Wasserpegel und spült mir Schwall für Schwall in den Schlund, bis ich mich dran verschlucke und ersticke? Oder knicken zuvor die Knöchel um, zerlegen mich langsam zehaufwärts, wie eine Marionette, die fallengelassen wird? Ersteres eine stille Aspiration, das Zweite ein Zusammenbruch in Zeitlupe.

 

***

 

Mich über Wasser halten, indem ich mich ins Wasser begebe – das hat früher mal funktioniert. Dieses Getragenwerden, das Untragbares für die Dauer des Untertauchens erträglich macht, stockende Schwere zu liquider Leichtigkeit transformiert. Die Nerven werden besänftigt, das Grübeln geht baden, das Lebenszittern kommt endlich zur Ruhe. Und schließlich entsteigt Melusine dem Nass, runderneuert wie Phönix aus der Asche. Doch im Unterschied zu ihm, dem Feuergeweihten, der sich mit seinen Flügeln aufschwingt in die Höhen, ist ihr von ihrem Element die Enge auferlegt. Dass Wasser Weite bedeutet – welch Irrglaube. Fruchtbar und flüchtig zugleich zu sein, das ist Melusines Bestimmung. Halb Frau, halb Fee formt sie den Familienkreis und hält ihn zusammen, bis das Tabu gebrochen oder ihr Geheimnis gelüftet wird. Dann reißt es alles auseinander, dann ist es dahin, das Wasserweib.

 

Text:
Kraulquappe

24 T. – Mutmaßungen … Tag 2: Über verlorene Orte

V E R L O R E N

Wie kann etwas verloren gehen, ohne es vorher besessen zu haben?

Bei jeglicher Verortung bleibt der Umstand vorübergehend. Kein Haus, kein Schloss, keine Burg, die nicht bröckeln würden, sobald sie verlassen werden.

Es sind die verlassenen Orte, die verloren gehen.

Wem oder was?

Der Ort ist der Ort, einzig Atlantis ist untergegangen und Shambala noch immer ein Geheimnis.

Wind weht Erde und Sand über verlassene Orte, dringen durch offene Dächer in Säle hinein. Sträucher, Bäume, Wiesen, Blumen wachsen. Manchmal werden sie gefunden.

Rostende, verfallende Fabriken muten verloren an, nutzlos gewordene Wachtürme auch. Im Krieg verlieren Länder Orte, Dörfer und Städte. Es bleiben Orte, Dörfer und Städte; nicht ohne Schäden, nicht ohne Flucht und Verlassenheit.

Als ich einst von einem Berg auf einen anderen zog, verlor ich den bis dahin schönsten Ort, den ich je für eine Weile Zuhause nannte. Der Ort ist noch da. Manchmal besuche ich ihn. Seine Weite, sein Licht, seine großen Himmel haben sich in mir verwurzelt.

Ich habe keine Spuren hinterlassen. Habe ich nicht?

Es kursieren zig Bilder von „Lost places – verlorenen Orten“ in der Welt. Jedes Bild erzählt davon, wie es gewesen sein könnte. Wie einst all diese Gänge und Räume tönten, rochen, welch Licht in ihnen spielte, welche Menschen wie.

Das ist die Faszination.

Das ist der Raum für Mutmaßungen.

Text:
Ulli Gau

24 T.- Mutmaßungen … Tag 1: Über den Advent

Advent ist eine Zeit der Erschütterung, in der der Mensch wach werden soll zu sich selbst.“ (Alfred Delp, 1907-1945)

Was ansonsten davon zu halten ist, erfährt man sofort, wenn man es bei Google eingibt –  Advent: Ferienzeit. Warum will ich unbedingt über ein Thema schreiben, das ich selber nicht begreifen kann … vielleicht grade deswegen … ?

Letzten Sonntag hat er also wieder begonnen, dieser Advent und Tag für Tag und Nacht für Nacht gehe ich in ihm herum, der Weg ist steinig und unwegsam, Geländer gibt es, aber sie dienen nur zur ungefähren Orientierung, zum Anlehnen oder gar Festhalten sind sie nicht gemacht, zu brüchig erscheint mir die Konstruktion des Glaubens an etwas, das man zwar erhofft, aber halt nirgendwo Beweise dafür findet. Kerzenschein läßt Antworten aufleuchten aus verschiedenen Richtungen, mehr oder weniger religiös. In einer früheren Zeit waren es mal diese magischen 40 Tage, in denen gefastet wurde zum Reinigen und Ausräumen des Inwendigen, um Platz zu haben für das Wunder … Platz für die Krippe, in der das göttliche Kind liegt.  Es geht hier, wie im Märchen, um das reine Herz. Warten und hoffen auf die Ankunft, das Herz bereit machen für das Wunder.  Wie soll man diese Aufgabe bewältigen?

Leichter fällt mir die Vorstellung, daß die uralte Göttin, die bei uns  „Frau Percht“ heißt und im Sommer in den Bergen über Berchtesgaden wohnt, jetzt in ihrer dunklen Gestalt als mildtätige Todesgöttin über das Land fliegt mit ihrer wilden Jagd und die Seelen einsammelt von denen, die gestorben sind und sie mitnimmt in ihren Garten der ewigen Glückseligkeit.

Aber wie man es auch dreht und wendet, der Weg ist steinig. Klar, man kann sich den Versprechungen der Werbung ergeben und sich mit Konsum zuschütten oder gleich verschwinden und an Pools in Gebieten mit Sonnengarantie herumliegen.

Für mich ist es so: ich begebe mich fastend auf diesen Weg, ohne jemals zu wissen, wohin er führt. In mir ist eine niemals zu stillende Sehnsucht, die ich schon kosmisch nennen könnte, ich suche dieses Kind in der Krippe, wohl wissend, daß es später von Menschen ans Kreuz genagelt wird. Kein schöner Gedanke, aber man kennt halt schon das Ende der Geschichte und weiß, daß das Ende ja auch schon wieder der Anfang ist.

Ich liebe es, unterwegs zu sein, aber ich mag weder das Losfahren noch das Ankommen; schwierig also dieses Unterfangen.  Nein, ich habe auch keine wirkliche Erklärung, warum man den Advent begehen soll wie eine Abenteuerreise, denn man kann ja nie sagen, ob man nicht hinter der nächsten Kurve in das eigene Herz gerät und sich da umschauen muß und das , was man da findet, das muß man erst mal aushalten … letztendlich ist es immer das Gleiche, der Schatz liegt vor unseren Füssen, aber wir erkennen ihn erst, wenn wir uns selbst erkennen, daran führt kein Weg vorbei und keine noch so gute Gebrauchsanweisung kann uns den ersten Schritt abnehmen, der geht ins Leere …

Der Advent kann einfach alles sein, nichts von allem und alles von allem. Und was wünschen wir uns denn, wenn wir uns einen schönen Advent wünschen?

Ich bin gestern bei Nacht und Nebel zu unserer alten Pächterin den Hügel hinauf und hab ihr einen Adventskalender gebracht. Nicht nur, weil Advent ist, sondern, weil sie sich so freut darüber. Das hat sie erst lernen müssen, das Freuen, denn in ihrem Leben hat es das nicht so oft gegeben. Buchstabensuppe und Puddingpulver und ein Engerl mit Kerze und eine Dose Futter für ihre Katze und paar Blumenzwiebeln zum Vergraben, Hustenbonbons, usw. usw.  Die Vorfreude auf das tägliche Auswickeln der Packerln läßt sie schon bei der Übergabe strahlen und sie bekommt rote Wangen vor Freude. Ich hab mich gleich wieder verabschiedet, weil die ganze Freuerei sonst zu peinlich wird.

Am Nachmittag an der Tankstelle kam mir von der Frau an der Kasse eine so ungewohnte Freundlichkeit entgegen, allein schon beim „Griaßdi“ und „Pfiati“- Sagen, wie wenn die Sonne plötzlich durch den Nebel scheint und man sitzt grad auf einer Bank zum Ausrasten auf einem beschwerlichen Weg .

Und dann fällt mir plötzlich diese Stimme wieder ein aus einem vergessenen Traum vor ein paar Nächten: ‚“Zärtlichkeit läßt Blumen im Herzen blühen!“ Manchmal braucht es gar nicht viel… ein liebes Wort, ein Lächeln, einen Brief, ein Lied … ein wenig Zärtlichkeit am Weg macht ihn leichter gangbar. Und ich nehme meine Flöte, die neben mir am Schreibtisch liegt und spiele mein altes geliebtes Kinderlied:

Alle Jahre wieder kommt das Christuskind
auf die Erde nieder, wo wir Menschen sind.

Kehrt mit seinem Segen ein in jedes Haus,
geht auf allen Wegen mit uns ein und aus

Steht auch mir zur Seite, still und unerkannt,
daß es stets mich leite an seiner lieben Hand.
Friedrich Silcher

Ja.

 

Text:
Margarete Helminger

 

 

Mutmaßliches Vorwort

„Hättet Ihr Lust, mit mir die Mutmaßungen über Gott und die Welt, die wir ansonsten in langen Gesprächen austauschen, hier aufzuschreiben oder sonstwie zu bearbeiten in den nächsten 24 Tagen?“ –  fragte ich meine beiden Gesprächspartnerinnen. Ja, zu meiner großen Freude wollten sie, und sehr schnell und unkompliziert hatten wir die Rahmenbedingungen festgelegt. Jede hat acht Türen zu gestalten über eine selbstgewählte Mutmaßung. Und so gehen wir jetzt ab morgen zu dritt durch den Advent und ich bin voller Vorfreude und Spannung, was uns so einfällt und was uns wohl auf dieser Reise begegnen wird, hier zwischen Himmel und Erde!

Seid gegrüßt, Ihr alle da draußen und seid herzlich eingeladen, durch das eine oder andere Türchen zu treten und uns zu begleiten auf dem Weg!