Blutmond

Drei Frauen sind wir und als wir oben am Hügel ankommen, stehen wir zwischen den beiden Himmelslichtern, die Sonne ertrinkt langsam im großen See und der Mond ist aufgegangen. Um uns herum ein Kreis von Bäumen, in Zweier- und Dreiergruppen stehen sie da, ihre Leiber ineinander verschlungen recken sie sich in den Himmel. Im Hintergrund die Silhouette der Berge. In den tiefen Geleisen der Lastwägen steht das Wasser und glänzt im Mondenschein, die  gefräßige Maschine, die tagsüber in der Kiesgrube den Sand ausspuckt, hält ihr riesiges Blechmaul verschlossen und schweigt. Von der Autobahn dröhnt der Feierabendverkehr, in der Siedlung leuchten die Fenster und die blauen Bildschirme. Und wir stehen in diesem kleinen Wäldchen herum … in unseren Augen schwimmen orangerote Kugeln … es ist Lichtmeß, die Rituale der letzten Jahre wurden lästig, wir haben sie zurückgelassen, in meinem Kopf geistern Phrasen und übriggebliebene Wörter herum …Kessel, Hüterin der Schwelle, Hexenmord, Vision, Neubeginn … was machen wir hier ohne Konzept und ohne Programm? Nichts. Und dann treibt es uns auseinander, das „wir“ löst sich auf. Jede ist allein.

Meine Gedanken laufen zurück, ich schaue nochmal auf mein Leben, wie vor ein paar Tagen, als ich die Unterlagen für die Rente zusammensuchte. Die Altersrente sozusagen, ich also jetzt auch, bald wird man mich Rentnerin nennen. Zwiespältige Gefühle bei dieser Bezeichnung. Eine Reise in die Vergangenheit, mein beruflicher Werdegang und dann auch noch die alten Schulzeugnisse … ich sehe ein wissbegieriges Kind, dann die plötzlichen Leistungseinbrüche, warum hat niemand nachgefragt? Ich spüre alte Schmerzen, Enttäuschungen, dieses Kind, das ich einmal war und das ich in mir trage, es sah und hörte Dinge, die andere nicht wahrnahmen und es war ständig voller Ahnungen … heute nennt man dieses Phänomen „Hypersensibilität“. Ich gehe auf dem Boden der Tatsachen herum und lasse mich in den Schutz einer Baumgruppe gleiten, ein glatter Stamm fängt mich auf … die Frage, ob ich denn pädagogisch wertvolle Arbeit geleistet habe, läßt sich kaum beantworten und Wehmut und Erinnerung an viele Fehler steigen auf aber auch die Situationen außerhalb der Planungen und Konzepte, die unzähligen Momente, wo sich Seelen mir anvertrauten, wo junge Menschen ihr Herz ausgeschüttet haben … ja, das war am schönsten, einfach nur dazusein  als Mensch unter Menschen und zur Verfügung zu stehen!  Und dann löst sich die Vergangenheit in Luft auf und fliegt weg. Leiser Gesang weht zu mir her und Rascheln im Unterholz. Ich gehe von Baum zu Baum und spreche die Worte aus, die sich mir in den Sinn schieben und ich höre mir dabei zu, wie ich von einem Ort spreche inmitten einer leuchtend gelben Sandwüste, an dem blutrote Felsbrocken herumliegen … ich erzähle von einer Reise, die ich nie gemacht habe …

Irgendwann stehen wir wieder beisammen, hier an diesem geheimen alten Ort, plötzlich liegt da ein leuchtend weißer Stein in unserer Mitte und wir halten uns an den Händen, einfach so, weil uns danach ist. Während wir den Jodler anstimmen für den „Alperer“, einem wilden Berggeist tief drinnen im Gebirge, löst sich im Osten aus dem Schatten des Untersberges der Riese Abfalter … mit großen Schritten geht er an der Salzach entlang, bis er auf der anderen Seite sein geliebtes Riesenfräulein findet und es in seinen Armen über den Fluß trägt, damit es keine nassen Füsse bekommt.

Hier, am Schnittpunkt der Welten, auf der Schwelle stehen wir, jetzt an Lichtmeß, mit einem Fuß in der Wildnis und mit dem anderen in der Zivilisation, die alte Zeit ist vorbei, die neue noch nicht da. Gut zu wissen, nicht alleine zu sein mit diesem Wahnsinn des Lebens und des Sterbens und weil wir jetzt voller Liebe sind zu uns und dem ganzen Universum, aber weil uns auch nichts so direkt heilig ist, greifen wir zum Himmel und blasen uns Sternenstaub ins Gesicht und tanzen lachend und singend nachhause.

 

 

14 Gedanken zu „Blutmond

  1. …warum hat niemand nachgefragt? Eine unermessliche, geradezu ungeheuer wichtige, richtige Schicksalsfrage.
    Vielleicht getrost loslassen, solche Trauerdinge.
    Lieber sich freuen dran, dass man jemand die Hand geben kann und Menschen hat, die verstehen…
    Gruß von so einer

  2. Du hast einen ganz wunderbaren Erzählstil, der einen ander Hand nimmt und durch die Geschichte führt, als ob man leibhaftig dabei wäre. Dein Bild gefällt mir sehr gut und ich freue mich immer über meine Leseausflüge zu dir!

  3. Ate von Hakenberg, der Alte vom Berge, sitzt im Abendrot vor seiner Burg und blickt ins Rund. Gen Sonnenaufgang das Kloster, dessen alter Abt ihn verstand und machen ließ. Mürrisch wendet er das Haupt, denn an den Nachfolger will er itzt nicht denken. Gen Sonnenuntergang verliert sich der alte Handelsweg im Dickicht, mit dem dort drüben schon Tirol beginnt. Die umkämpfte Provinz. Der Habsburger will sie haben. Uneinig der Landadel, die Ritterschaft. Der Wiener Hof lockt sie mit Tjost und Bällen. Auch seinem Ältesten, dem er die Burg übergeben wollte, hats der neue Abt eingeholfen. Mürrisch wendet er das Haupt erneut. Gen Mitternacht der Berg liegt noch im Seitenlicht des Sonnenwagens, der sich für heut verabschieden will. Dichtbewaldet zeigt er keine Blöße. Ate starrt geradaus ins Dickicht, das die Lichtung und den Opferstein verbirgt, an dem sich die alten Geister ihre Gaben holen. Hexen und Kobolde sind sie für die Leute jetzt. Halb gefürchtet, halb verehrt. Ate bllickt erneut in Richtung Kloster. Er hadert mit dem neuen Glauben…

    Sorry, aber’s passt schon wieder.

    1. Du sag mal, spielt die Geschichte derer von Hakenbergs im Land der Margarete Maultasch? Das wäre doch dann Tirol oder? Also, diese Burg oder Reste davon könnte es schon noch geben, zwischen Inn und Salzach irgendwo, denn meistens gibts ja sowas wie landschaftstechnische Vorlagen für´s dichterische Schaffen! So wie´s ausschaut, werd ich wohl das Buch lesen und dann können wir ja auf kulturhistorischer Recherche gemeinsam durchs bayrisch/tirolerische Unterholz und Gestrüppe kriechen …!
      Servus!

    1. Was sagst Du da für wundervolle Sachen … mitfliegen, was meinst Du damit, mit dem Besen? Mit was auch immer, Dein Platz ist ab sofort reserviert!
      Ganz liebe Grüße
      Margarete

    1. Ja da schau her!Jetzt hat´s ja geklappt mit dem Kommentar … war nur kurzzeitig im Untergrund abgetaucht!
      Ach, ein bisserl Sonne, wennst schicken tätest, lieber Herr Ärmel, bei uns da leuchtet nicht mal der Schnee!
      Trotzdem recht liebe Grüsse zum Bembelland hinauf!

  4. Seltsam … erst heute finde ich diesen neuen Artikel von dir …

    Ja, warum hat niemand nachgefragt? Vorbei ist vorbei? Schön ist es, wenn sich drei Frauen die Hände reichen, ohne heilig, heilig zu tun!

    Danke Margarete für dieses hier, es berührt mich sehr
    liebe Grüße, Ulli

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