Wir? (Teil 1)

„Bitte kommen, Internet reparieren, mir helfen!“

Vor einem Jahr sind sie gekommen. Mit dem Auto und mit dem Schiff, und die Türkei sind sie zu Fuß durchlaufen, die Füsse voller schwarzer Blutblasen. Die Flucht hatte 15.000 EUR gekostet.

Tarek, ca. 32 Jahre alt, wurde mit elf Jahren von seinen Eltern von Afghanistan in den Iran geschickt zu Verwandten, die ihn aber nicht behalten konnten, weil sie kein Geld hatten, um ihn durchzufüttern. Er kam in einen Keller, dort zeigte man ihm , wie man auf Industrie – Nähmaschinen in Akkord Männerhosen näht. Er brachte es bis zum Vorarbeiter, hatte dann ein paar Hundert Männer unter sich in dieser Firma.

Die Väter suchten ihm eine Frau aus der weiteren Verwandtschaft in Afghanistan, die 19-jährige Nesrin, die er dann auch heiratete. Nach der Heirat in Afghanistan wollte Tarek mit seiner Frau wieder in den Iran, um weiter zu arbeiten, wurde aber nicht mehr hineingelassen und so hatten sie in Afghanistan, diesem zerrütteten, verbrannten Land ohne Regierung, Gesetzgebung und Ordnung weder Wohnung, noch Arbeit und mussten flüchten.

Beide haben keinerlei Schule besucht. Tarek sagt, daß afghanische Kinder im Iran nicht beliebt sind und eigentlich alle afghanischen Flüchtlinge unerwünscht seien, sie dürften zwar, mehr oder weniger geduldet bleiben, aber sie haben keinerlei Rechte und ganz sicher werden sie nicht unterstützt.

Unsere Verständigung ist sehr schwierig, M. versucht seit Monaten, mit ihnen Deutsch zu lernen, aber es geht schleppend vorwärts. Mit wenigen Worten versuchen wir zu sprechen. Tarek lacht viel. Er lacht auch, als er auf meine Frage, ob er denn ein Fahrrad besessen habe, diesen Handgriff macht für  „Kopf ab“, er lacht und lacht, weil ich das anscheinend nicht verstehe, daß man dort, wo sie herkommen, nicht lang ein Fahrrad hat, dann ist man entweder nur das Rad los, wenn man großes Glück hat, oder sein Leben, weil man erschlagen wird.

Da er nie eine Schule besucht hat, aber aus irgendeinem Grund in Deutschland vorweisen wollte, daß er Farsi (Persisch/Afghanisch)schreiben kann, lernte er das, was er aus vielen Jahren Kontakt mit Arbeitskollegen im Keller nicht konnte, hier aus einem winzig kleinen Heftchen mehr schlecht als recht.

Nesrin ist schwanger, was dazu geführt hat, daß beide aus der Gemeinschaftsunterkunft im Haus über einer Metzgerei (ehemalige Fremdenzimmer)ausziehen konnten in eine eigene Wohnung in einer kleinen Grenzstadt zu Östereich, wo sie aber die Grenze nicht überqueren dürfen.

Nesrin wurde daheim eingesperrt, wie Tarek sagt, und musste ihrer Mutter zur Hand gehen. Sie durfte praktisch gar nicht aus dem Haus, nicht in die Schule, nirgendwohin, in den seltenen Fällen nur tiefverschleiert. Einmal ist sie abgehauen auf die Straße hinaus, dafür wurde sie ausgepeitscht.

Über ihre Religionszugehörigkeit wissen sie nicht viel, kennen nur die Verbote, deren Übertretung Strafen nach sich zog.

Die Wohnung ist frisch renoviert, es gibt alles, nur weder Fernseh- noch Internetanschluß, was panische Aufregung auslöst, denn alle Kontakte laufen über Skype. Sie möchten einen Staubsauger.

Sie wollen konsumieren, wie alle anderen auch, Nesrin möchte eine Strickjacke, die glitzert.

Tarek zeigt ein Foto von seinem Neffen, elf Jahre alt, Maschinengewehr in der Hand, lernt grad schießen und stellt sich sehr geschickt an dabei, Tarek lacht, ich denke, er macht Spaß, oh weit gefehlt, gar kein Spaß, blutiger Ernst in Afghanistan und ganz normal.

Alle jungen Männer der beiden Familien sind geflüchtet und leben in den Niederlanden, Schweden Finnland etc. Nur noch die Eltern und ein paar Frauen sind in Afghanistan geblieben.

Viel gelacht haben die beiden, als wir kürzlich miteinander gegessen haben, als sie mich nach langen Erklärungsversuchen endlich verstanden, ich fragte nämlich, ob sie Heimweh hätten…das war wohl das Allerdümmste, was ich je fragte, denn: “ Afghanistan schlimm, nicht gut, Deutschland gut, alles gut.“ Beim näheren Nachfragen stelle ich fest, daß sie  die Länder, aus denen sie kamen, überhaupt nicht kennen.Tarek hat im Iran zwanzig Jahre in einem Keller 15 Stundenschichten gearbeitet und dazwischen ist er irgendwo herumgesessen oder hat geschlafen;Nesrin war Zeit ihres Lebens eingespert im Haus ihrer Eltern. Sie wissen beide weder genau, wo sie herkommen, noch wo sie jetzt sind.

Auf die Frage nach Musik in Afghanistan können sie nichts sagen, bei der Hochzeit wurde weder gesungen noch getanzt, beide wissen gar nichts über irgendeine Kultur oder Tradition.

Nesrin kocht wunderbar:  Basmatireis auf sehr spezielle afghanische Art mit Kardamom und Rosinen, obendrauf gebratene Gelbe Rübenraspel.

Sie ist so schön, wie ich mir Scheherazade vorstelle und als sie so durch den Raum schwebt und uns mit diesen dunklen Märchenaugen ansieht, bin ich ganz verzaubert, das dauert aber nur grad mal so lang, bis sie sich auf das Sofa flätzt und das Smartphone zum Irgendwas- spielen in der Hand hält, da schaut sie auf der Stelle genauso aus wie alle anderen irgendwo in dieser Republik, die auch grad mit dem Handy in der Hand wo rumsitzen und  drauf herummachen, weil ihnen langweilig ist.

Sie wollen einfach konsumieren, wie alle auf der Welt.

(Namen geändert)

13 Gedanken zu „Wir? (Teil 1)

  1. Ihre Beschreibung läßt die Augen fluten, denn sie ist aus tiefstem Verstehen geschrieben. Einem Verstehen, was man zwar bezüglich des Konsums nicht teilt, aber nachvollziehen kann.Tarek nähte jahrelang vermutlich Hosen für unsere Krabbeltische und Nesrin war noch nie frei in ihren Entscheidungen. Ich möchte mich gar nicht weiter hineinversetzen, ach, auch das eine weitere innendrinnige versuchte Wohlstandsflucht, doch solche Nahherzberichte helfen uns einander zu verstehen.

    Danke für diesen Ihren Einblick, der Titel verheißt weitere Hautaufwellung.
    Herzlichst, Ihre fernnahe Käthe.

    1. Liebe Käthe, solche Worte von Ihnen, damit kommen Sie sehr nahe an mein Herz, ich freu mich so sehr, daß Sie sofort wissen, um was es geht und wir gleich fühlen können, und bei dem Wort „Hautaufwellung“, da wirds mir gleich ein wenig nass um die Augen! Ich danke Ihnen sehr , ja, da mag ich sicher gern weiterberichten! Grüße Sie ganz lieb, meine fremdvertraute Freundin, Ihre Graugans, leise schnatternd.

  2. Liebe Margarete, ganz still bin ich beim Lesen geworden und dann sehr traurig. Nein, ich kann mir einfach nicht vorstellen wie es ist ein Leben lang in einem Haus eingesperrt zu sein und dafür, dass ich es verlasse ausgepeitscht zu werden. Ich kann mir nicht vorstellen, wie es sein muss als Junge nirgendwo Willkommen zu sein, nur in einem Keller, um Hosen für uns Wohlstandsleute zu nähen- es tut einfach nur weh … und wie soll ich diesen beiden übel nehmen, dass auch sie „nur“ konsumieren wollen? Ich habe kein Recht!
    schwere Herzensgrüsse
    Ulli

    1. Ja, Ulli, es gibt viele Fragen, vor allem jene, was denn jetzt hier „bei uns“ aus ihnen werden soll – in ein paar Tagen haben sie um 7.30 Uhr morgens einen Termin bei der Behörde, die entscheidet, ob sie nicht doch wieder zurückgeschickt werden – um dorthin zu kommen, müssen sie unterwegs übernachten, weil es unmöglich für sie ist, stundenlang mit dem Zug herumzufahren, weil um diese Zeit noch gar kein Zug geht…Schikane, Gedankenlosigkeit, Behördenwillkür? Liebe Grüsse Margarete

      1. ich werde diese Politik des Erlaubens und Abschiebens nie kapieren und wenn ich nicht gerade wütend darüber bin, bin ich tieftraurig- herrjeh Menschen werden immer und immer mehr zu „Sachen“, die man beilieben „gebrauchen“ kann oder eben nicht … hu- ich höre auf! Und gleich nehme ich meinen Füller und reinweisses Papier, nur für dich …
        herzliebwehe Grüsse
        Ulli

  3. Nun. Ein wenig Quellenkritik scheint mir trotzdem angebracht: Man weiß aus einer langen Tradition von orientalischer Überlieferung: Ins Märchenhafte übersteigerte Anpreisung von Waren auf den Basaren; plastisch beschriebene und trotzdem überwiegend falsche Darstellungen von der Situation in den Harem(s)? der Scheichs und Emire… sprichwörtliches Roßtäuschergebaren…Plunder als angebliche Ausgrabungsantiquität an „weltoffene“ blöde Touristen verhökert…. Woher kommts?

    Es mag bei den Germanen und den Dakota ähnlich gewesen sein – einst – als sie noch keine Schrift hatten und die „Wissensweitervermittlung“ nur mündlich erfolgte. Der „Stille Post Effekt“ ist inclusive und unvermeidbar.

    Wir wissen inzwischen, wenn wir es denn wissen wollen, dass „Mama Merkel“ selbst von gebildeten Flüchtlingen mytisch überhöht wird, dass in den Elendsquartieren märchenhafte Vorstellungen von Deutschland kursieren und geglaubt werden.

    Wir sollten deshalb abwägen, wenn uns – mehr oder weniger schlecht übersetzt – das eine oder andere erzählt wird. Die Erzähler gehen ohnehin davon aus, dass nur 50% geglaubt wird, weil es bei ihnen so üblich ist. Bei uns jedoch kursiert die überbordende Bereitschaft, alles für bare Münze zu nehmen, was wir meinen da aus englischem radebreching verstanden zu haben.

    15 000 Euro „Schleppergeld“ in einem Breitengrad, wo man mit 1000 Euro quasi Millionär ist?
    Wie schließt man so einen Vertrag mit einem Analphabeten ab?
    Hat er im Voraus bezahlt?(Unvorstellbar.)
    Will er das abstottern?(Wohin? Auf welchem Wege? Onlinebanking?)
    Nichts wissen von der eigenen Religion?

    Auch ich habe hier meine Begegnungen mit „unbegleiteten Jugendlichen“ gehabt und werde sie weiterhin haben. Die sind alle im Schnitt 17 Jahre alt. Sagen sie. Einigen kann man das glauben. Einige von ihnen sehen aus wie 35.

    1. Grüß Dich, ja, was stimmt, was nicht, und wer hat was vom einen oder anderen! Die Spur dessen, wie es „wirklich“ alles war, was zur Flucht geführt hat, ist nicht einfach beizubehalten. Vieles bleibt hängen, „Lost in Translation“…Tatsachen sind wohl, daß Tarek im Iran gut Geld verdient hat, dort herrschen ganz und gar andere finanzielle Verhältnisse als in Afghanistan, obwohl Illegaler, ohne irgendwelche Rechte, hätte er sich das selbst zusammengespart, so sagt er zumindest. Und diese Summe musste er nicht auf einmal zahlen, sondern das ist halt auf der Fluchtroute so zusammengekommen. Es gäbe viel zu erzählen…Als Tatsache sehe ich, daß er in einem Land leben möchte, in dem er endlich kein Illegaler mehr ist, wie er das sein bisheriges Leben lang im Iran war, und wenn sie ihn samt schwangerer Frau jetzt wieder zurückschicken, wird er wieder flüchten.

    2. Lieber Bludgeon, mich läßt das nicht so ganz los, wo man denn nun aufpassen müsste, wer lügt oder übertreibt…ich finde, es geht an allererster Stelle mal darum, daß hier eine Beziehung entsteht zwischen Menschen. Ich hätte nicht jahrzehntelange Sozialarbeit gebraucht, um zu wissen, daß Menschen sich gegenseitig belügen. Nicht alle Begegnungen glücken einfach so, Beziehungen können scheitern, egal, ob die Menschen aus verschiedenen Kulturen kommen oder nicht. Für mich ist die Basis von jeglicher Beziehung, daß ich Nähe zulasse und mich als Mensch zur Verfügung stelle. Erst dann kommt das immerwährende Experiment: der schmale Grat zwischen Nähe und Distanz, die Klärung, wer bin ich und was will ich von Dir, wie können wir gegenseitig uns Gutes tun. Ist es nicht in allen Beziehungen das Gleiche? Aber ich wüsste wirklich nicht, wie es anders gehen sollte, außer erstmal das eigene Herz zu öffnen für einen anderen Menschen? Dabei ist es erstmal egal, ob die erzählten Geschichten „wirklich“ wahr sind, oder ob es nur verschiedene Wahrheiten gibt.
      Und zum Thema Religion scheint es bis dato so zu sein, daß Tarek und seine Frau Nesrin keinerlei fundierte religiöse Erziehung genossen haben.
      Tatsache ist, daß es vielleicht bald so weit sein wird, daß beide aus Deutschland rausgeschmissen werden,(ich werde weiter berichten) daß aber eine Politikerin seelenruhig sagen darf, daß an unseren baldigst befestigten Grenzen auf Geflüchtete geschossen werden darf, auf alle, auch auf Kinder…ja, und so eine wird nicht rausgeschmissen, da wird sich nicht mal groß empört, solche Leute hocken im Fernsehen und dürfen Parolen verbreiten, menschenverachtend und gegen jegliches Grundgesetz…da schäme ich mich für so ein Land.

  4. Ich meinte man auch bloß: Ein klein wenig Skepsis sollte man sich bei aller optimistischen Offenheit bewahren. Oder nenn‘ es Menschenkenntnis, Lebenserfahrung. Beziehungen von Mensch zu Mensch tut das keinen Abbruch. Es schützt vor Reinfällen, Enttäuschungen.

    1. Ja, ja, alles gut, ich weiß schon, wie Du es gemeint hast und ich bin sehr froh drüber, wenn jemand auch mal kritisch hinterfragt, bitte bitte tu das auch weiterhin! Der Optimismus wird ja auch tatsächlich ständig auf die Probe gestellt, weil sich halt alle selbst die Nächsten sind! Und jetzt im Frühjahr kommen ca. 200 Geflüchtete in die allernächste Umgebung und werden in Containern untergebracht, weil die marktdörfliche Regentschaft bisher einfach so tat, als müsse man keine aufnehmen sozusagen und jetzt ist nirgends Platz. Und ich tät mich eigentlich so freuen auf Menschen aus anderen Kulturen und Orient hier aufs oberbayrische Land…nein, sag nix…ich weiß inzwischen schon, an diesen romantischen Träumen werd ich arbeiten müssen…aber am meisten wahrscheinlich daran, wie ich mich im hiesigen „Helferkreis“ zurechtfinden werde!

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