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24 T. – Mutmaßungen über die Freiheit des Scheiterns, Tag 9: Ulrich Fentzloff

Anläßlich ihres 95. Geburtstages hatte Elsa all die Möbel ihrer Wohnung restaurieren lassen. Sie kam später ein ums andre Mal auf die Freude des Schreiners und des Sattlers zu sprechen, beide hätten noch nie vergleichbar schöne alte Möbel renovieren dürfen.

Unzählige Sommer hatte sie auf der Atlantikinsel Île de Groix vor der bretonischen Küste verbracht. Sie bewohnte dort, nach der Scheidung alleine, ein niedriges Steinhaus, welches ihr die Eltern vererbt. Zuweilen kam eines der Kinder zu Besuch.

Elsa wußte, was Liebe ist. Sie hatte geliebt, geweint und vergessen.

Während der späten Herbste und Winter pflegte sie in einem Hochhaus der Mailänder Peripherie im 22. Stock zu sitzen, Karten zu legen, zu rauchen und Chansons zu hören.

Sie hatte Musolinis Regiment, den zweiten Weltkrieg erlebt, Hunger und Knappheit der Nachkriegszeit, die Jahrzehnte wachsenden Wohlstands für die große Mehrheit der Bevölkerung. »Heute erscheint mir alles Geschehene«, geruhte sie auszuführen, »als Traum, welcher allmählich verblasse.«

Elsas Sohn wandte sich wiederholt gegen ihre Aussage, das Leben erscheine im Rückblick als die Aneinanderreihung einiger Illusionen. Er gab zu bedenken: »Aber Mama, Kriege sind kein Traum; Musolinis Camicie Nere, die Schwarzhemden, waren kein Traum, Deine Scheidung war kein Traum, Deine Einsamkeit hier im Haus auf der Insel oder im Mailänder Hochhaus –  kein Traum.« Sie winkte ab. »Geh mir weg mit diesen Dingen.«

Auf dem Sims draußen vor dem Fenster saß eine Amsel; die hatte keinen Namen, rauchte keine Zigaretten, würde niemals ein Steinhaus bewohnen auf der Île de Groix. Elsa wußte nicht, ob Amseln träumen können; allein, die Vögel  waren da, flogen weg, erschienen wieder – unbekümmert um die Menschen, die in ihren Zimmerchen säßen.

Elsa hatte einen Großteil ihrer Zeit auf Erden der Lektüre gewidmet – ohne irgend eine Absicht zu verfolgen; einfach wie ein Ast auf  Wassern zu treiben. Virginia Woolf und dem späten Hölderlin galt ihre Aufmerksamkeit im hohen Alter.

Elsa hatte Angst vor altersbedingten Zerrüttungen des Geistes, und vermochte doch wild und honigsüß zu lachen, zu weinen und ausgiebig vom Wein zu trinken, immer dann, wenn irgendjemand in ihrer Gegenwart resigniert die Schultern hängen ließ.

Sie war stets stilvoll gekleidet: Jeans; und mehr als elegant die schwarzen, immerzu schwarzen Rollkragenpullover (die sie auch im hohen Sommer trug); das lange, tief dunkelgraue Haar souverän geflochten.

Draußen die Welt sich unablässig veränderte, die Wetter in schmutzigen, ziegenkotbeschmutzten Mänteln, gleichermaßen jedoch im Brokat des Königs Salomo feierlich vorübergingen – wie die Eisenbahnzüge während ihrer Kindheit (Elsas Elternhaus hatte an der Bahnlinie nach Bologna gestanden); draußen wurden Fabriken gebaut und große Straßen  hineingezeichnet  in den Staub der Erde, draußen, extra muros, schritten schöne Frauen weinend durch die Straßen, draußen starben Kinder,  wurden Menschen gequält, fuhren weiße Schiffe aus den Häfen.

Elsa besaß nie einen Führerschein. Obwohl sie niemals  in ein Flugzeug gestiegen, wußte sie die unermeßliche Leichtigkeit zu empfinden des Wolken– und des Vogelflugs. Sie ahnte, daß am Ende eine einzige graue Feldsteinmauer ihr vor Augen stünde.

Elsa dachte, Poesie alleine würde alles überdauern, allen Untergängen widerstehn. Bezeugt wird indes, daß sie mit den Worten starb, sie habe die Tragödie des Lebens nie wirklich begriffen.

Text: Ulrich Fentzloff

24 T. – Mutmaßungen über die Freiheit des Scheiterns, Tag 8: Timo Brandt

Sätze

Freiheit ist immer die Freiheit der Scheiternden.

Die Scheiternden fressen nicht ihre Kinder, sie horten Freiheiten, bis sie schlecht werden.

Wer hortet, hat entweder nicht zugehört oder zu sehr hingehört.

Wo man hingehört, das sollten nicht andere entscheiden und wenn die sagen: gescheitert, dann antwortet man: gescheiter. Jetzt weiter.

Die Show muss immer weitergehen und ist die Show das Scheitern?

Wenn das Scheitern nicht wäre, wo wären wir da (und wer?) Vermutlich drüber. Oder drunter. (Vermutlich mehr. Oder weniger.)

Man steckt ja nicht drin. (Es heißt ja nicht FrICHheit)

Wer scheitert, der*die steckt sich die Freiheit an wie eine Zigarette, tut einen Zug. Die Freiheit gehört eingeatmet, auch wenn sie uns umbringt.

Umringt von den Freiheiten anderer, scheitern wir an den anderen, scheitern wir an uns selbst und Ich ist ein anderer. Und nun zu etwas anderem:

 

Text: Timo Brandt, geb. 1992,
schreibt Gedichte, bisher sechs veröffentlichte Bände,
zuletzt „Nachumahmungen“, Aphaia 2023.
Folgt ihm auf Instagram bei: @ brandt_timo
oder den Lyrikrezensionen bei: @lyristix

24 T. – Mutmaßungen über die Freiheit des Scheiterns, Tag 7: Greta

1 Käfer und Schmetterling

Scheitern ist ein dicker Käfer, der auf den Rücken gefallen ist. Etwas hat nicht geklappt, jemand hat nicht bekommen, was er oder sie wollte/verdiente/die Peergroup erreicht hat/erwartet wurde.

Freiheit ist ein bunter Schmetterling, schillert in allen Farben, lässt sich nicht greifen. Wahlmöglichkeiten, keine Einschränkungen, ungestörte Entfaltung (Demokraten, Impfskeptiker, Freie-Fahrt-für-Freie-Bürger-Verfechter und der Achtzehnjährige heben die Hand – und stellen sich unterschiedliche Dinge vor). Endlich mal ausschlafen können (sagt der Vierzehnjährige). Der leere Raum nach dem Ausmisten (der innere Buddhist nickt begeistert und ruft: „Nichtanhaften“). Das Bewusstsein, die eigene Haltung wählen zu können, zu den Optionen in einer Situation, zu den Dingen, die nicht zu ändern sind (irgendwo im Hintergrund nicken Kant und Frankl sich zu).

2 Erzählungen

Die Erzählungen vom großen Erfolg: die Heldenerzählungen – Losziehen, den Drachen besiegen, das Königreich gewinnen und die Prinzessin dazu.

Die Erzählungen vom großen Scheitern: die Tragödien – Anmaßung, fehlende Informationen, falsche Entscheidungen, Schuld, Wahnsinn und Tod.

Die Erzählungen vom kleinen Erfolg: die Gutfühlherzschmalzfilme – die Liebe ist da, gleich um die nächste Ecke, die Verwicklungen lösen sich auf; ein erfüllender Beruf und Immobilienbesitz sind im Happyend inbegriffen.

Gibt es Erzählungen vom kleinen Scheitern, vom unspektakulären Weiterleben?

Eines meiner allerliebsten Lieblingsbücher ist Scarlett Thomas‘ Roman „Das Ende der Geschichten“. In dem Roman geht es um verschiedene erzählerische Grundmuster, und dem Erzählmuster des Heldenepos wird als erstrebenswerte Alternative die „Geschichte ohne Geschichte“ entgegengesetzt, in der es nicht um das Streben nach Erfolg geht. Als mögliche Hauptfiguren solcher Geschichten werden statt des archetypischen Helden die Einsiedlerin und der Narr vorgestellt: die Einsiedlerin, die nicht auszieht, um gegen einen Drachen zu kämpfen und einen Sieg zu erringen, sondern die ihre Hobbies pflegt, dem Helden und dem Drachen nach dem Kampf die Wunden verbindet und beiden ein Glas selbstgekochte Marmelade schenkt; die Narrenfigur aus dem Tarot, die den Schritt über den Abgrund wagt und dort… vielleicht scheitert, vielleicht aber auch interessante Dinge erlebt. Diesen beiden Figuren traue ich eine „Freiheit des Scheiterns“ tatsächlich zu. Vielleicht, weil sie nicht Erfolg im hergebrachten Sinne (mein Haus, mein Auto, mein Gehalt, meine Urlaubsreisen) anstreben, und sich ihnen deshalb ganz andere Freiheiten auftun, als der klassische Erfolg sie mit sich bringt?

Beim Weiterdenken ist mir Hans im Glück eingefallen. Seine Geschichte ist ganz sicher eine „Geschichte ohne Geschichte“; er ist so eine Narrenfigur, wenn er lächelnd den Beweis seines Erfolges – seinen Goldklumpen – gegen immer weniger wertvolle Besitztümer eintauscht und am Ende mit ganz leeren Händen dasteht – gescheitert, aber frei.
Sicherlich lässt sich dieses Märchen als die Geschichte eines jungen Menschen lesen, dem Erfahrung wichtiger ist als materieller Erfolg (ich setze da große Hoffnung in die jungen Generationen).
Vielleicht ist sie aber auch ein Lehrstück über ein gutes Älterwerden. Denn das Älterwerden verlangt ja gerade das von uns: die größeren Erfolge gegen kleinere einzutauschen, die größeren Fähigkeiten und Spielräume gegen immer kleinere, und am Ende mit leeren Händen ins Ungewisse zu gehen. Wer das lächelnd kann – wie Hans im Glück – der hat sie vielleicht gefunden: die Freiheit des Scheiterns (der innere Buddhist nickt wieder).

3 Privilegien

Bevor jetzt allen ganz besinnlich zu Mute wird, kommt das große ABER.

Scheitern als Freiheit zu erleben; die Freiheit zum Scheitern überhaupt zu haben: beides setzt Privilegien voraus, eine gewisse Absicherung. Ein geerbtes Haus könnte helfen, eine große, liebevolle Familie ist immer gut, ein paar Rücklagen, jemand, der einen pflegt, wenn es hart auf hart kommt. Weniger günstig, wenn man selbst für jemanden verantwortlich ist, den das eigene Scheitern dann mittrifft.

Ich kann keine, aber auch gar keine Freiheit des Scheiterns sehen, wo Menschen grundlegende Dinge wie Obdach, ihre Heimat, den Zugang zu medizinischer Versorgung, ihre haltgebenden sozialen Bindungen, die Chance auf eine auskömmliche Arbeit verlieren.

Man kann dankbar sein, dass wir in einem Staat leben, der im Grundsatz so gedacht ist, dass er Menschen auffängt, die in diesen Dingen scheitern. Aber man kann durchs Netz fallen – die große Schwester, die eine sozialberatende Tätigkeit ausübt, weiß, wie leicht das ist; die Obdachlosenunterkunft in der Kirchgemeinde hat zu wenige Plätze für den Bedarf, man muss sowieso nur hinsehen.
Ich hätte gerne, dass unsere Gesellschaft Menschen besser, und auf würdige Weise auffängt; und nicht nur diejenigen, die im Fall des großen Scheiterns noch mit ihrer eigenen Scham, mit seitenlangen Anträgen und mit vielleicht unfreundlichen und überforderten Amtsangestellten fertigwerden können.

4 Advent

Maria hätte sich das auch nicht so ausgesucht: uneheliches Kind, prekärste Zustände bei der Geburt, Flucht ins Ausland mit einem Baby. Das sehe ich viel deutlicher als die Engel und die Könige, wenn ich mir die Weihnachtsgeschichte vorstelle.
Ich bleibe skeptisch, was die Freiheit des Scheiterns angeht. Es mag sie geben; vermutlich ist es oft mehr eine Freiheit der inneren Haltung und des Loslassens als eine Freiheit erweiterter Wahlmöglichkeiten. Aber auch wenn sie hier und da erfahren werden kann, kann man sie nicht erwarten, verallgemeinern oder gar einem Scheiternden als Trost anbieten.

Sich im Nicht-Wegsehen üben, in der Solidarität mit den Scheiternden. Hans im Glück einen Teller Suppe anbieten, wenn er hungrig vor der Tür steht. Das kommt mir wichtiger vor.

Text: Greta

24 T. – Mutmaßungen über die Freiheit des Scheiterns, Tag 6: Elke Engelhardt

Mutmaßungen über die Freiheit zu scheitern

Der Regen fällt. Er fällt, weil es ihn erleichtert. Er fällt, weil er leicht genug ist, um sich fallen lassen zu können. Was für ein Rausch, denkt er. Und dass alles eitel ist. Das steht bereits in der Bibel, in der auch der Regen eine gewisse Rolle spielt. Auch der Regen ist eitel. Tropfen für Tropfen der Versuch, sich auszuzeichnen. Ein Verbrechen ist das nicht. Nicht einmal eine Sünde. Aber auch nicht so schön, wie zu scheitern, nicht so erleichternd.

Die Erleichterung von dieser sehr beschwerlichen Bemühung, nicht zu scheitern, das Scheitern zu vermeiden, und damit nicht nur die Beschämung  sondern auch die Genugtuung derjenigen, die schon immer wussten, dass wir das nicht können. Eine Schwierigkeit, die verhindert, dass wir beschwingt durch die Gegend laufen, oder auf unsere eigene unnachahmliche Art und Weise vom Himmel fallen.

Stattdessen die Schwere im Glassarg, in dem Schneewittchen liegt, unfähig sich zu bewegen, nicht einmal mit der Möglichkeit versehen, die Augen zu öffnen. Und die Zwerge, die es doch eigentlich gut meinen mit ihr, haben nichts Besseres zu tun, als sie den Blicken aller auszusetzen.

Denn leider kann man Schwere nicht teilen. Nur abwerfen. Und so muss auch Schneewittchen in ihrem Sarg stolpern und fallen, um wieder die zu werden, die sie einmal war. Also eine, die verstoßen und verfolgt wurde, und dann Freunde fand, die sie aber nicht beschützen konnten. Und für die jetzt angeblich alles gut ist, weil ein schöner Prinz daherkam und Schneewittchen heiratete.

Ich weiß nicht, ob ich das Märchen von Schneewittchen jemals mochte. Vielleicht nur den Anfang, Bluttropfen und Ebenholz, der Wunsch, Schnee, und eine nähende Frau am offenen Fenster. Und ihr Scheitern. Denn wäre sie geschickt gewesen, hätte sie sich nicht gestochen. Und es hätte kein Schneewittchen gegeben. Sondern stattdessen eine der unendlich vielen Geschichten vom Scheitern weniger.

Text: Elke Engelhardt

24 T. – Mutmaßungen über die Freiheit des Scheiterns, Tag 5: Achim Spengler

Von einem Menschen kann ich sagen, dass er frei sei. Wieso sollte ich das von einem Begriff (Das Scheitern) oder einem Zustand (nachdem eine Idee, ein Plan, ein Konzept, eine Überzeugung gescheitert ist) sagen können? Worin liegt die Freiheit des Scheiterns? Das Scheitern als menschliche Erfahrung ist immer siamesisch gebunden an ein Gelingen, an den erfolgreichen Ausgang eines Vorhabens etc., ohne diese es überhaupt nicht existieren könnte. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt, der aber auch nicht scheitern kann. Wer das Wagnis eingeht, dem liegt der Erfolg zu Füßen, oder eben auch das Scheitern. 

Betrachten wir die Freiheit des Scheiterns als metaphorisches, begriffliches Konstrukt. Das alleingenommen nämlich noch nichts aussagt, sondern erst dann Bedeutung erhält, wenn es sich als Teil einer Lebenshaltung entpuppt, die sich nicht unterkriegen lässt, nachdem das Kind in den Brunnen gefallen ist. Falls diese Haltung nicht vorhanden ist, so ist es sinnlos, von der Freiheit des Scheiterns auch nur zu sprechen. Das Scheitern selbst macht nicht frei. Nur die positive Einstellung zu einem Risiko macht frei. Eine Risikobereitschaft, die nicht stehenbleibt beim ursprünglichen Scheitern, sondern sich dessen in einem Ausmaß bewußt ist, um auch in Momenten weiteren Scheiterns hoffnungsfroh und optimistisch ans Werk zu gehen. Das Gelingen und das Scheitern sind Teile der gleichen Wette. Ihr Einsatz und ihr Schmierstoff ist das Risiko.

Natürlich liegt auch eine Freiheit darin, sich sehenden Auges ins Unglück zu stürzen, oder einer Illusion aufzusitzen. Das sollte weiß Gott die Ausnahme bleiben, da hier das Aufblitzen eines möglichen Scheiterns nicht in Betracht gezogen wird. Da können warnende Rufe von außen noch so laut und eindringlich sein. Ein Proband, der eine Illusion verfolgt, ist gefeit vor jedweder Kritik und guter Zurede. Er ist einer, der aus keinen Fehlern lernt, weil er immer die gleichen Fehler begeht. Die Freiheit des Scheiterns zwingt ihn in diesen Fällen nicht dazu, sein Leben einer kritischen Betrachtung zu unterwerfen. Seine Risikobereitschaft ist auf Sand gebaut und geht auf tönernen Füßen. Er ist nicht interessiert an Erfahrungszuwachs. Der Protagonist in Dostojewskis „Der Spieler“ ist ein solcher Charakter. Wohingegen die Helden im deutschen Bildungsroman Beispiele davon abgeben, wie man seine Existenz, trotz aller Hindernisse auf dem Weg, zu einem guten Ende führen kann. Oder um mit einem Bonmot aufzuwarten, das im Kreise professioneller Pokerspieler die Runde machen könnte: Constant  winning is for idiots.

Die französischen Existentialisten würden sagen, dass der Mensch zum Scheitern verurteilt ist. Gleichzeitig würden sie behaupten, dass dieser Umstand sie nicht weiter schere, da der Tod letztlich das größte anzunehmende Scheitern ist.  Dieser aber nun einmal zum Leben dazugehört, als die andere Hälfte unserer Existenz. Diese rückhaltlos anzunehmen sei der einzige Quell unserer Freiheit. Und ich denke, dass das Scheitern eventuell jenen, die dem Konstrukt des Existentialismus anhängen, größere Lebensintensität verschafft als das Gelingen.  Das Scheitern ist der Lieferant der Freiheit eines Lebens, das aus Fehlern lernt. Von William Wordsworth stammt ein Satz aus seiner Poesie: Gott, der die Sterne vor Fehltritten bewahrt.“  Sollte jener Gott auch Menschen vor Fehltritten bewahren? Das mag jeder für sich selbst entscheiden. Immerhin reden einige schon von der Kunst, hemmungslos zu scheitern, um Ideen zu gebären.

Text: Achim Spengler

24 T. – Mutmaßungen über die Freiheit des Scheiterns, Tag 4: Ulli Gau

Je mehr Sie scheitern, desto mehr Erfolg haben Sie. Erst wenn alles verloren ist und man nicht aufgibt, sondern weitermacht, erlebt man die momentane Aussicht auf einen kleinen Fortschritt. Plötzlich haben Sie das Gefühl, dass sich etwas Neues aufgetan hat.“

Albert Giacometti

Zuerst war das Thema zu den heurigen Mutmaßungen, dann kam der Satz von Giacometti zu mir und ich nickte.

Und ich stellte mir Fragen – eine wie diese, die ich mir schon öfter stellte: Was ist Erfolg? Bin ich erst dann erfolgreich, wenn meine Bilder in einem Museum hängen oder wenn mein Kinderbuch die Bestsellerlisten stürmt?  Umgekehrt lautet die Frage: Bin ich gescheitert, weil meine Bilder in keinem Museum hängen, das Kinderbuch nie auf die Bestsellerliste kam?

Oder ist es nicht eher ein Erfolg, wenn ich um Menschen weiß, die sich an meinen Bildern erfreuen, die mein Buch gerne gelesen und auch verschenkt haben?

Ich will gestalten, ob mit Worten oder Bildern. Wenn ich mich nicht ausdrücke, wenn ich meine Welt nicht teilen kann, dann würde ich ersticken an all meinem Viel.

In den Ordnern liegen Texte, die ich niemals veröffentlichen würde. In den Ordnern liegen Fotomontagen, Fotos, die ich nicht zeige. Warum ich sie nicht lösche? Weil sie Teil meines Weges sind und nicht alles ist für die Öffentlichkeit gedacht.

Es geht mir ums Tun. Tun um des Tuns Willen, gegen die Erstickung, gegen die Lähmung, die mir die Menschenwelt sonst bescheren würde.

Meine Freiheit ist jeden Tag wählen zu können, ob ich schreibe, fotografiere oder ein Bild gestalte, darin liegt auch die Freiheit am Ende zu sagen: das war heute nichts, morgen versuche ich es erneut. Bis der flow einsetzt, sich wieder eins zum anderen gesellt, Wort zu Wort, Satz zu Satz, Hintergrund zu Elementen.

Der Erfolg, den Giacometti benennt, ist für mich die Zufriedenheit am Ende eines Tages, wenn ich mit einem Text/einem Bild einverstanden bin; wenn diese Zufriedenheit auch am nächsten Tag, bei neuerer Betrachtung, anhält; wenn ich merke, dass etwas Neues entstanden ist, etwas, das ich so noch nie getan habe. Wenn es dann noch zu einem Austausch, oder zu einem Lob kommt oder gar zu einem Verkauf, dann wandelt sich mein persönlicher Erfolg in Freude.

„Handwerk“ will erlernt sein, auch Schreiben oder Bilder gestalten sind Handwerk. Es braucht, bis Sicherheit wächst, bis der Mut entsteht sich mit dem eigenen zu zeigen, jenseits von Berühmtsein oder Berühmtwerden. Erfolg heißt für die meisten auf Titelseiten zu erscheinen, in aller Munde zu sein – wie frei ist mensch dann noch wirklich in all seinem Tun?

Schaue ich in meine Archive, dann sprechen sie von vielen gescheiterten Versuchen, von einem Herantasten, Umkreisen eines Themas, von Versuchen, vom Ausprobieren, von annehmen oder verwerfen – und genau das bedeutet für mich die Freiheit am Scheitern.

Text: Ulli Gau

24 T. – Mutmaßungen über die Freiheit des Scheiterns, Tag 3: Andreas Wolf

Mit Anfang zwanzig erwartete ich von der katholischen Kirche und ihren Repräsentanten absolut überhaupt nichts mehr, zu tief saß die Enttäuschung durch die scheinheiligen, verlogenen, sadistischen Mönche auf jener Klosterschule in der bayerischen Provinz, die später traurige Berühmtheit wegen ihrer über Jahrzehnte hinweg praktizierten Missbrauchs- und Gewaltexzesse erlangte. Und doch hatte mich der Katholizismus stark genug geprägt, dass ich nicht anders konnte als zu glauben, die Antworten auf meine ganzen Fragen nach dem Sinn des Lebens, und warum es überhaupt irgendetwas gibt, und nicht vielmehr nichts, also die eine Antwort auf die alles umklammernde Frage, was der ganze Zirkus eigentlich soll, die müsste doch auf jeden Fall in irgendeinem Buch drinnen stehen, wenn schon nicht in der Bibel, dann halt in einem andern. Ich konnte mir Erkenntnis und Erleuchtung nur als eine Schrift vorstellen. Diese erleuchtende, diese wahrhaft heilige Schrift galt es nun aufzufinden, also schrieb ich mich in München für das Studienfach Philosophie ein.

Jahrelang irrte ich da dann so ziemlich orientierungslos von Seminar zu Seminar, von Professor zu Professor, fühlte mich nirgends daheim, schrieb brav meine Einser, und blieb doch innerlich leer, kalt, ohne echte Begeisterung. Als cool galt damals in München Ludwig Wittgenstein und die ganze analytische Philosophie in seiner Nachfolge, also machte ich das auch, mühte mich damit ab, aber es blieb mir ein staubtrockenes Wortgeklaube. Durch einen Zufall eher geriet ich dann eines Tages in ein Seminar über die Monadenlehre von Leibniz, der Privatdozent B. war ein rundlicher, gemütlicher Bayer mit hörbarem Dialekt, international anerkannter Leibnizexperte, aber innerhalb des Münchner Universitätsbetriebs eher eine Randexistenz. Um ihn versammelten sich Semster für Semester immer die gleichen zehn Leute, denen schloss ich mich jetzt an, die Philosophie von Leibniz taugte mir irgendwie, da ging es um die Welt, und wie sie beschaffen ist, nicht nur um Wörter.

Und diese Welt, im leibnizschen System, besteht aus nichts anderem als nur aus Monaden. Logische Atome nennt er diese Monaden manchmal auch, oder einfache Substanzen, vor allem aber auch: Seelen. Unteilbar sind sie, und ohne Fenster, das heißt: Was die Monade sieht, das kommt nicht von außen zu ihr herein, sondern sie sieht es in ihrem Innern. In sich selbst trägt jede einzelne Monade die ganze, wahre und wirkliche Welt. Und in sich selbst trägt jede Monade auch den kompletten Plan ihrer eigenen Existenz, der sich in ihr Stück für Stück und Bild für Bild entfaltet. Von einem Bild zum nächsten fortzuschreiten, das ist der ihr eingeschriebene Wille der Monade, es passiert also, was passieren muss, weil die Monade genau das will, und nichts anderes. Und der Mensch ist sozusagen nur ein Spezialfall von Monade: Eine Monade, die sich ihrer selbst bewusst ist. Aber auch der Stein, die Pflanze oder ein Stern, Milliarden Lichtjahre entfernt – sie alle bestehen letztendlich nur aus Monaden, die sich und die ganze Welt, wie träumend, von Sekunde zu Sekunde selbst hervorbringen.

Damals an der Uni hat man über uns Leibnizianer gespottet, die anderen würden alle nur verstehen wollen, was der Platon, der Aristoteles, der Wittgenstein denn mit ihren Schriften gemeint hätten. Wir hingegen seien die einzigen, die der felsenfesten Überzeugung wären, das von unserem gescheiten Herrn Leibniz Geschriebene sei auch wirklich richtig. Da mag etwas dran sein. Wenn ich hier jedenfalls versuche, die Monadologie in ein paar allgemein verständliche Sätze hineinzukriegen, dann erscheint mir diese Theorie doch wirklich von vollendeter Schönheit. Das ganze Universum ist beseelt, alles ist lebendig, und alles geschieht nach einem perfekten Plan.

Bereits von seinen Zeitgenossen wurde Leibniz vorgeworfen, sein System sei ja schön und gut, aber wo bleibe darin die Freiheit? Wenn die Monade nur den Plan abspult, der ihr bereits von vorneherein eingeschrieben ist – wäre sie dann nicht ein bloßer Automat? Da könnte man jetzt ganze Doktorarbeiten darüber schreiben, worauf ich wenig Lust verspüre, deswegen sage ich bloß, und komme damit endlich zu dem hier vorgegebenen Thema: Wo es keine Freiheit gibt, da gibt es auch kein Scheitern. Und deshalb empfinde ich eine Philosophie, die die Freiheit abschafft, paradoxerweise als befreiend, weil sie mich auch vom Scheitern befreit.

Wenn also die Leute sagen: „Es ist so, wie es ist“, oder „Es kommt so, wie es kommt“, oder „Es hat halt einmal so sein sollen“, dann finde ich das überhaupt nicht trivial, sondern als alter Leibnizianer stimme ich dem aus tiefster Überzeugung zu.

Text: Andreas Wolf

24 T – Mutmaßungen über die Freiheit des Scheiterns, Tag 2: Katja Schraml

wenn das schreiben scheitert beim übers scheitern schreiben

ihre brüder mussten auf holzscheiten knieen zur strafe, sagt die mutter, die nur wenig über die kindheit erzählt, wo sie das letzte von 8 geschwistern, die ihr nie vorgehalten hätten, dass sie mitten im krieg ’42 auch noch kam. der bruder hätte im fliegeralarm die milch holen müssen für sie daheim, während ihre mutter sich mit den kindern im wald versteckte. jeden morgen kämmte ihr vater den mädchen das haar + flocht ihnen zöpfe. er nahm sie mit aufm moped in die stadt + grüßte linksrechts alle bekannten. beide eltern starben kurz hintereinander an krebs: brust die mutter/magen der vater, und 1 leben lang sorgte meine mutter sich, es würde ihr ebenso ergehen.

manchmal stelle ich sie mir vor, wie sie als teenager zur höheren schule fährt, ganz allein, mitten unterm jahr, wo man ihr rät, zum nächsten schuljahrsbeginn wiederzukommen, was sie nie tut, weil daheim aufm bauernhof wird sie gebraucht, zu viele sind schon gegangen. ich stell sie mir vor, mit anfang 20, als sie daheim die mutter pflegt + den arm ihr massiert+drainiert, weil man mit der op auch die lymphen entfernt + das wasser nun nicht mehr abläuft. ich stelle mir vor, wie sie ein paar jahre darauf meinen vater heiratet + in die wirtschaft kommt, wo der wirt = ihr ehemann abends mit den gästen spielt+zecht. wie sie, unsere mutter, geborene nutz, früh aufsteht + in den stall schreitet, um die kühe zu misten+melken, während die schramls allesamt: mein vater, die schwägerin, die schwiegermutter in den betten kullern. wie ich erst merkte, was sie da schafft, als sie im mist ausrutscht + sich den knöchel erneut bricht, über den ihr der lieblingsbruder einst mitm traktor gefahren, und wir kinder einspringen müssen, weil der vater krankkrankkrank.

wenn wir zusammen die baumstämme zersägten + die buchenscheite zu scheitERhaufen schLichteten, die später gut brannten wie mein 1. zimmer, als ich ausgezogen war nach berlin + einschlief überm kerzenschein, fühlte ich mich ihr zugehörig, obwohl ich zur falschen seite ausschlug. als ich mit hiv nach hause zurückkam, nahm sie mich nach der aussprach in die arme, bevor wir ans waschbecken traten + das geschirr spülten, den hof vom kastanienlaub leerfegten, 1 schubkarre trockenholz holten, um den kamin zu befeuern, wo noch heute im winter die würste räuchern, denen wir mit unseren händen kleine fäden wie schlingen um hälse zu kleinen köpfen binden, an denen sie dann im rauSch von den schwarzen verkohlten stöcken hängen.

wenn wir die knödel im dauerlauf drehten, formte sie mit ihren flinken händen 1 mulde so rund, dass die knödel in raschem tempo ihr nur so von der hand kullerten wie perfekte christbaumkugeln, die wir kinder im winter, so oft wir uns stritten, mit mehroderweniger großen verlusten an die zu dünnen+krummen bäumchen in der wirtsstube hingen, aus der die gäste auch an heilig abend kaum rauszubringen waren. so langsam ich bin, so aschiftig ploppt mir der schwere teig von den verklebten händen, dass es mir scheint, ich höre den verstorbenen vater im hintergrund schreien, wie immer, wenn ich den widerstand wie etwa gegens bedienen der betrunkenen spürte, der mich trotzig träge machte: herrschaft wou bleibstn? ich bin gescheit, aber ich kanns nicht gescheit. und manchmal ist es = das leben. wenn ich das teelicht anzünde vom apfelbräter, den sie mir letztes jahr zu weihnachten präsentet, obwohl ich seit dem brand keine kerzen mehr im haus außer denen, die sie mir schenkt, knisterts plötzlich wie früher daheim, wenn ich morgens vor der schule in der kalten küche den ofen angefeuert, es wird licht+warm + kurze zeit später brutzelt der apfel seiner erweichung entgegen + duftet in vorfreude voraus.

als ich der mutter in 1 nebensatz von der essstörung erzählte, die mich begleitet, seit ich als kind nachts aufstand, um, anstatt zu ihr ins warme bett zu kriechen, aus dem sie mich, den knurrenden vater beschwichtigend, indem sie mein nasses laken wechselte, endgültig verbannt, 1 familienpackung stracciatellaeis aus der immer zugänglichen, wenn auch in 1. linie den gästen vorbehaltenen, für uns gefühlt meist verbotenen eistruhe zu holen, schickte sie mir mitm nächsten carepaket zwieback+kamillentee für den empfindlichen magen, den ich von ihr geerbt. wenn ich als vegetarierin nicht wusste, was ich auf urlaub in der fleischfabrikation, die die schwester fortführt, aber meinesgleichen zuliebe mit rotebeetebratlingen bestückt, essen sollte, schlägt sie mahlzeiten aus ihrer kindheit vor: 1 apfel aufs brot/warme milch mit brot/arme ritter. mitunter mitten im winter schwärmt sie wie ausm nichts von der goldbraunen haut überm milchtopf im holzofen, die alle 8 geschwister immer gerne gehabt hätten, aber nur 1 bekam.

wenn wir mittlerweile alle einzwei wochen miteinander telefonieren, ists nie ganz klar, ob sies mir zuliebe tut, weil ich hier allein mit meinem relikt von dialekt, oder andersherum, weil sie seit der hirnblutung nicht mehr viel unter leute + wenig spricht, weil sie schwer versteht + schwer verständlich, kurz: wer mehr depressiv ohnes auszusprechen 1 ansprach notwendig hat. wir lachen zusammen so viel wies geht. vom teuren nussspezialitätenadventskalender, den sie mir dieses jahr zum 46. geburtstag geschickt, weil 1 mutter immer 1 mutter insbesondere von 1 kind, das selbst keine kinder, habe ich in 1 suchtrausch alle türen geöffnet + die besten verschlungen, ohne dass ich was davon gehabt. jetzt steht er da aufgerissen aufm fensterbrett + klagt mich an, warum ichs nicht wertschätzen kann, warum ich so wegwerferisch bin.

dabei schätze ichs wert, so sehr sogar, dass ichs elendig spüre, dass es mir brennt vor scham in der seele, dass ichs nicht aushalte, wie guts mir tut, wie sehr ichs brauche, dass ichs gleich darauf wieder abschneide/abschalte/wegwerfe. und manchmal ist es = das leben. es hört nicht auf. ich = die (sehn)süchtige muss immer noch + immer wieder lernen, dass es nicht schlimm ist, wenn man nicht kriegt, was man will. dass es gut tut, für das dankbar zu sein, was man hat. und dass man nicht scheitert, wenn man versagt/verzagt.

es hat ein paar tage der trauer gedauert, ein wenig grübeln+knirschen, 1 namenstag, 1 telefonat + 1 wintereinbruch hats gebraucht, lange fußmärsche auf glatten, gefrorenen straßen, ständig stickige verspätete bahnen + zum bersten überfüllte ersatzlinienbusse, zehnelf geschäfte, erwartung – enttäuschung – – erleichterung … nun steht 1 neuer adventskalender aufm fensterbrett, nicht derselbe, aber der gleiche, + glitzert mich aus der frischhaltenden folienverpackung verheißungsvoll an. morgen ist 1 neuer tag. 1. dezember. welt-aids-tag. morgen heute fangen wir wieder neu an.

jeden tag fängt man neu an.

jeder tag ist 1 chance.

 

Text: Katja Schraml

24 T. – Mutmaßungen über die Freiheit des Scheiterns, Tag 1 : Margarete Helminger

Heute beginnen die „24 T. – Mutmaßungen“… und ich sitze da, es ist schon halb drei Uhr und ich habe noch immer keine Einleitung für das selbst ausgedachte Projekt über das Scheitern. Es ist ein ähnlicher Zustand wie bei unseren Hoffesten früher. Ich habe mir meistens große Kostümbälle ausgedacht, viele Menschen eingeladen, monatelanges Vorbereiten, viel Arbeit war erforderlich, um die Scheune als Ort für geselliges Beisammensein herzurichten, Tanzboden, Essenkochen, und alles, was halt dazugehört, um allen eine wundervolle Mittsommernacht zu bereiten. Bis zum Schluß war ich beschäftigt, die Bühne zu bereiten für die Gästeschar, Tische und Raum schmücken, Essen und Trinken anzuschleppen … und plötzlich kamen alle, prächtig kostümiert und in Festlaune und ich hatte ganz vergessen, mich selbst zu verkleiden, ich stand da, verschwitzt und im Arbeitsgewand und hatte nur noch Zeit, irgendeinen Hut aufzusetzen.

Grade bis vorhin habe ich die neu eingesendeten Texte zwischengeparkt und die Wünsche nach den Unterschriften und diversen Links vorstellungsgemäß zu erfüllen versucht, dann kam ein Seufzer aus Wien: „Ach liebe Graugans, wenn Du wüsstest, wie ich um Worte ringe!“ Liebe Silvia, da kann ich Dir die Hand reichen, ich ringe auch.

Zur Freiheit des Scheiterns fällt mir auch erstmal nur ein, daß die Freiheit und das Scheitern gar nichts miteinander zu tun haben, wer nimmt sich schon die Freiheit zu scheitern in einer „Welt der Sieger“ (Dorothee Sölle). Das Scheitern passiert ganz von alleine, wie der Unfug beim Michel von Lönneberga, nur meist weitaus weniger romantisch. In einer Welt der Sieger , in „A Man’s, Man’s World“ ist der Erfolg so wichtig, daß alles, was nicht dazu führt, unweigerlich als Versagen und Scheitern gewertet wird und dementsprechend verpönt ist.

Ich finde, es gibt nichts Langweiligeres als erfolgreiche Männer und ihre Aufstiegsgeschichten. Mich hat es lebenslang immer zu Menschen hingezogen, die fernab der vorgegebenen Normen ihr Dasein gefristet haben und keine Erfolgsbilanz vorweisen konnten, sondern Brüche und Einschläge und Niederlagen … ich will keinesweg damit sagen, daß dies die besseren Menschen sind, aber allermeistens die interessanteren.

Grade habe ich erfahren, daß meine eingereichte Zeichnung/Textarbeit bei der Zeitung „Prolog“ abgelehnt wurde. Ja, schmerzt schon, aber nur ein wenig.

Dieses 24 T. – Projekt  mit diesem Thema mache ich hauptsächlich, weil es mich interessiert, was andere da draußen darüber denken und ich bin sehr gespannt auf die Texte. Im Moment schauts so aus, daß die Hälfte der Angefragten glücklicherweise schon was geschickt hat, ob alle in der zweiten Hälfte das genauso machen, ist noch nicht restlos geklärt, es bleibt also spannend! Aber genauso will ich es ja haben und das Wunderbarste an so einer Gemeinschaftsarbeit sind ja die Kontakte zu den Schreibenden und: daß es mir als leidenschaftliche Spurensucherin gelungen ist, die Fährte zu mehr oder weniger verschollenen Bloggern aufzunehmen. Wir werden in den nächsten Wochen sehen, was noch so alles auf dieser Bühne zwischen Himmel und Erde passiert, ich freu mich riesig und bedanke mich schon mal vorab bei allen Mitwirkenden!

Noch ein Hinweis für alle, die ähnlich filmbesessen sind wie ich:

Es gibt da einen Film „Kleine Fluchten“, Schweiz 1979, Regie: Yves Yersin – der erzählt eine ganz kleine Geschichte von dem Knecht Pipe (Michel Robin), der in den Ruhestand gehen will und sich Träume erfüllt, die scheitern, wie alles in diesem Leben. Aber seltsamerweise ist er ganz und gar nicht unglücklich darüber, ganz im Gegensatz zu allen anderen um ihn herum, da bricht alles auseinander, was man zwingen wollte, zusammenzubleiben. Ein Film, der mir schon das Leben gerettet hat, der weit über das hinausgeht, was ein Film leisten kann. Eine Herzensangelegenheit. „Clini Sprüng“ heißt er im Original.

#31 Kein schöner Besuch

Bevor ich mich heute zum Schreiben hinsetzen wollte, bin ich noch schnell in die Tierklinik gefahren, um für den Kater Herbert das Schilddrüsenmedikament zu kaufen. Nach dem Zahlen scherzte ich noch ein wenig mit den Arzthelferinnen und lachend hielt ich einer hereinkommenden Frau die Türe auf, sie schleppte einen Transportkorb. Und was man halt dann immer so redet … „ist immer schwierig, wenn man hierher muß, gell „… und sie sagt: Ist kein schöner Besuch heute, wirklich nicht. Nein, wirklich nicht.“ Und ich sehe ihre stumpfen Augen und mir fällt nichts anderes ein, als zu sagen: „Viel Glück, trotzdem“ und während ich zum Auto gehe, denke ich, daß ich besser meinen Mund gehalten hätte. In den Augen der Frau war der Tod. Da stand geschrieben, daß sie ihre Katze zum Einschläfern bringt und mit einer leeren Transportbox wieder heimfahren wird.

Und dann fahre ich los und plötzlich weine ich und kann nicht mehr aufhören und dann biege ich nicht ab, sondern fahre irgendwo in der Gegend herum, alle Texte weg, die Geschichte, die ich heute schreiben wollte, weg, verschwunden, ich kann jetzt nicht auf Knopfdruck schreiben, und so fahre ich weiter, vor mir die schneebedeckten Berge in den goldenen Schein der untergehenen Sonne getaucht.

Im Angesicht des Todes weicht alles zurück, in einem gelben Zimmer lehnen die Wörter schwarzgekleidet mit dem Rücken zur Wand und alles wird absolut bedeutungslos, was noch soeben unglaublich wichtig erschienen ist.

Viele Tiere mußte ich schon zum Töten bringen, bei ein paar war es nötig, um das Leid abzukürzen, bei anderen war es falsch, ich hätte ihnen besser diese Aufregung des „Erlösens“ erspart, denn sie hätten das selbst viel besser gekonnt.

Im Angesicht des unermeßlichen Leids auf der Welt, was Menschen sich gegenseitig antun, was wäre da der Tod einer kleinen Katze dagegen? Alles..

Wir mögen ihn nicht, den Tod und vor allem wollen wir nicht zuschauen, wenn jemand stirbt. Der Tod macht aus dem Anfang ein Ende und aus dem Ende einen Anfang.

Daheim angekommen sitzt der Herbert auf dem Fußabstreifer und schaut in die Nacht hinaus, er schaut mich an, und nach gründlichem Nachdenken steht er auf, streckt sich und geht langsam an mir vorbei ins Haus

Dieses Mantra hat angeblich der Dalai Lama für seinen sterbenden Freund gesungen, um ihm den Übertritt in die andere Welt leichter zu machen. Ob das stimmt, ist egal. Damals als die alte Katze Mimi sich auf die Große Reise begeben wollte, legte ich sie in einen Korb, an einem geschützten Ort und ließ sie in Ruhe. Das Mantra ist leise im Hintergrund gelaufen und die  Mimi hat sich ganz ruhig und heimlich davongemacht…

Und dann lese ich im Blog der Tikerscherk, daß ihr Vater stirbt.

Für sie und alle, die gerade unglücklich sind und um ihr Leben oder das von geliebten Mitwesen bangen, zünde ich jetzt eine Kerze an und stelle sie in die Laterne vor dem Haus, möge ihr Licht uns allen ein wenig Wärme ins Herz leuchten.

Und die liebe Kraulquappe hat auch was geschrieben!